Ich habe mich entschieden, meinen Lesern einmal etwas anderes als ein Reisebericht anzubieten. Nämlich eine historische Kurzgeschichte aus dem Jahr 44 vor Christus, also ein kleines Beispiel meiner literarischen Tätigkeit. Natürlich ist der Text etwas länger, aber ich hoffe, dass er trotzdem Leser findet. Ich bitte um eine Rückmeldung, ob es Interesse um diese Art der Unterhaltung gibt. In zwei Wochen gibt es aber wieder einen Reisebericht – aus dem Heiligen Land.

Der Weg zur Macht

Apollonia, März im Jahr 44 vor Christus

Siehst du das, Marcus?“

Einer der drei Burschen, die auf der Mauer der Stadt Apollonia saßen, zeigte in die Mündung des Flusses Vhosa, die durch das Tal unterhalb der Stadt floss. Vom Meer her wehte eine kalte Briese. Sie machte frisch, zerzauste den Burschen die Haare, war aber nicht unangenehm. Sie waren alle keine zwanzig Jahre alt und sie strahlten vor altersbedingter Sorglosigkeit. Das Tal unter ihnen war voll blühender Bäume, das Land um den Fluss Vhosa war das fruchtbare Hinterland der Stadt.  Es war März, die Bäume blühten, die Felder wurden grün. Die Natur war im Aufwachen und sie versprach ein gutes Jahr.

„Was?“ fragte der zweite.

„Ein Schiff.“

Jetzt wunderte sich auch der dritte. „Na und? Schiffe kommen ständig hier her,  Apollonia ist ja der Ausgangspunkt der Via Egnatia. Die Ware wird hier seit Jahrhunderten umgeladen.“

               „Das ist aber kein Frachtschiff“, erklärte der erste. „Es ist eine Kriegsgaleere.“

               Der andere legte die Hand auf die Stirn, um seine Augen vor der Sonne zu schützen und schaute eine Weile in die Ferne. „Du hast recht, Gaius“, sagte er dann. „Was will sie hier?“

               Der dritte der Burschen zuckte mit den Schultern. „Ist das nicht egal? Es ist Frieden und eine Galeere bringt nicht zu viel Soldaten her. Das wird uns die Langweile auch nicht vertreiben.“

               „Es ist nicht egal, Gaius“, korrigierte ihn der erste, der auch Gaius hieß. „Vielleicht bringt sie eine wichtige Nachricht.“

               „Hast du vergessen, Gaius“, lächelte Marcus, „dass sich Gaius Cilnius Meacenas für Politik nicht interessiert?“

               „Gaius Oktavianus interessiert sie aber um so mehr“, sagte Gaius Oktavianus. „Und ich hoffe, dass Marcus Vipsanius Agrippa das gleiche tut.“

               „Na ja“, stimmte Agrippa unwillig zu. „Einmal werde ich mich damit beschäftigen müssen. Jetzt gibt es für mich aber noch die Zeit des Studiums,  politische Intrigen können noch warten. Ich habe es nicht eilig. Meine Lage ist anders, als deine, Gaius. Mein Vater ist kein Herrscher über Rom.“

               „Meiner sehr wohl“, sagte Oktavianus. „Manchmal bringt er mich zur Verzweiflung.“

               „Warum, bitte?“ wurde jetzt Maecenas aufmerksam, obwohl er sich bisher bei der Debatte seiner Freunde eher langweilte.

               „Na gut, er kennt sich in der Kriegsführung gut aus, aber die Politik macht er eben wie ein Heerführer auf dem Schlachtfeld. Direkt und brutal. Einfach ungeschickt. So geht es nicht.“

               „Wieso nicht?“ wunderte sich Agrippa. „Sein Wahlkampf vor vierzehn Jahren, als er das erste Mal zum Konsul gewählt wurde, ist auch heute noch ein Vorbild für die Führung eines politischen Kampfes.“

               „Ein negatives Vorbild“, grinste Oktavianus. „Seine politischen Gegner mit Fäkalien zu überschütten ist unter jedem Niveau. Und das hat einen lebenslangen Hass zur Folge.“

               „Er wurde zum Diktator auf Lebenszeit“, erinnerte Agrippa. „Mehr kann man nicht erreichen.“

               „Man kann“, sagte Oktavianus langsam und streckte den Rücken. „Man kann ein neues System der Regierung aufbauen. Ein dauerhaftes System, das die Stabilität und Macht nicht nur für dich, sondern für die ganze Familie sichern kann. Natürlich auch für den Staat, über den du herrschst. Für ganze Generationen. Das kann er aber nicht.“

               „Wie meinst du das?“ fragte Agrippa. „So müsste er König werden. Aber eine Königskrone werden ihm die Römer nie gönnen.  Rom ist und bleibt eine Republik. Wer sich zum König krönen lassen möchte, wird schlecht enden, da bin ich mir sicher.“

               „Da hast du recht“, stimmte Oktavianus zu. „Ist aber die Krone wirklich das Wichtigste?“

               „Ich verstehe nichts“, sagte Maecenas. Das Schiff näherte sich dem Hafen. Sie sahen, dass am Bug ein Mann in der Uniform eines Offiziers stand.

               „Schau. Wenn du einen Frosch ins heiße Wasser wirfst, springt er heraus, um sich zu retten. Wenn du ihn aber ins kalte Wasser legst und dann langsam das Wasser wärmst, wird er im kochenden Wasser krepieren ohne den Zeitpunkt zu bemerken, an dem er bereits zu Tode verurteilt war und keine Chance mehr hatte, sich zu retten. Genauso musst du das mit der Demokratie machen, also mit ihren Trägern, mit den Herren Senatoren. Sie dürfen nicht merken, dass sie ihre Macht verlieren, dann werden sie dir noch applaudieren. So etwas kann aber der Vater nicht.“

               „Du stellst die römische Demokratie in Frage?“ erstaunte Agrippa. „Willst du sie vielleicht sogar abschaffen?“

               „Hast du das Gefühl, lieber Marcus, dass sie sich wirklich bewährt hätte? Ein Bürgerkrieg folgt dem anderen, es gibt Tausende toten Legionären! Anstatt das Reich an seinen Grenzen zu schützen, neue Gebiete zu erobern und Rom mit Sklaven zu versorgen, schlachten sie sich gegenseitig ab. Teuer bewaffnet und teuer ausgebildet. Glaubst du, wir könnten uns so etwas auf Dauer leisten? Seit Jahrzehnten kennt Rom nichts anderes als Krieg.“

               „So war es doch immer“, sagte Agrippa. „Der Tempel des Gottes Janus war in der ganzen Geschichte Roms nur fünfmal geschlossen.“

               „Allerdings kämpften die römischen Legionen damals auf fremdem Gebiet. Und das fremde Land versorgte sie. Heute kämpfen sie auf römischem Gebiet und plündern es. Hast du es nicht hier in Epiros gesehen? Wie lange ist es her, als hier Vater gegen Pompeius gekämpft hat? Vier Jahre! Hast du das Gefühl, dass sich das Land vom Krieg erholt hätte? Das muss ein Ende haben! Wenn ich zum Herrscher werde, wird es Frieden geben. Meinen Frieden! Weil ich ihn allen diktieren werde. Damit sich die Menschen endlich ihren Feldern und ihrem Handwerk widmen könnten.“

               „Glaubst du, du könntest nach deinem Vater sein Nachfolger im Amt des Diktators werden?“

               Oktavianus sah Agrippa nachsichtig an. „Natürlich nicht. Der Titel ist nicht erblich. Sollte ich so etwas anstreben, wäre ich schnell ein toter Mann.“

               „Also wie willst du…?“

               „Erinnerst du dich an den Priester? Als wir nach Apollonia gekommen sind?“

               „Natürlich kann ich mich erinnern“, antwortete Agrippa. „Sein Name war Theón. Als er dich gesehen hat, fiel er vor dir auf die Knie und prophezeite dir eine große Zukunft.“

               „Also, ich habe nicht die Gewohnheit, Prophezeiungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Hinter ihnen stehen die Götter und sie bestimmen die menschlichen Schicksale.“

               „Wer glaubt schon heutzutage an Götter?“ lächelte Maecenas. „Sie sind nur mehr Objekte für Bildhauer und Maler, nichts mehr.“

               „Ich glaube an sie“, antwortete Oktavianus trocken. „Möglicherweise bin ich der letzte. Aber gerade deshalb werde ich zum Hochpriester – Pontifex maximus.“

               „Pontifex maximus?“ schüttelte Agrippa den Kopf. „Ein Amt ohne Bedeutung und verbunden mit vielen Pflichten.“

               „Und deshalb will es keiner. Ich werde also bei meiner Bewerbung keine Konkurrenz haben, zumindest keine, die ich ernst nehmen müsste“, lächelte Oktavianus.

               „Warum willst du dich um so etwas Entbehrliches bewerben?“ wunderte sich Maecenas. „Hast du nichts Wichtigeres zu tun?“

               „Schon. Natürlich habe ich das. Oder ich werde es haben. Ich darf aber nichts vernachlässigen. Ich werde es einmal brauchen, dass die Priester, die Haruspices, nach meiner Anweisungen prophezeien. Glaubt mir, das hilft wirklich.“

               Das Schiff legte gerade im Hafen an. Die Männer am Bord warfen die Taue hinaus, Männer auf der Mole ergriffen sie und zogen das Schiff zum Ufer.

               „Seit mir Theón die glänzende Zukunft vorausgesagt hat, bemühe ich mich die Pfeiler der Macht zu identifizieren. Es war übrigens die Idee des Vaters, mich gerade hierher, nach Apollonia, für mein Studium zu schicken, und die war nicht schlecht. Wir haben hier viel gelernt und unsere Lehrer gaben uns genug Raum für eigene Initiativen und Zeit zum Nachdenken. Was braucht also ein Mensch um herrschen zu können?“

               „Geld“, sagte Maecenas. „Ohne Geld kannst du keine Wahl gewinnen. Wenn du im Amt des Ädils keine ordentlichen Spiele veranstaltest, kannst du das Amt eines Prätors oder Konsuls vergessen.“

               „Im Prinzip hast du recht“, stimmte Oktavianus zu. „Zumindest bei der ersten Wahl sind große finanzielle Opfer unentbehrlich. Ich hoffe, dass mir mein Vater eine große Erbschaft hinterlassen wird. Er bereicherte sich mehr als genug einerseits in Gallien und andererseits indem er die Besitzungen der Pompeius- Anhänger konfiszierte.“

               „Das Geld wirst du immer brauchen“, sagte Agrippa.

               „Das Geld liegt in den Provinzen“, sagte Oktavianus. „Die Senatoren sind bereit, sich gegenseitig sogar zu töten, um zu Prokonsuln oder Proprätoren zu werden, um zumindest für ein Jahr eine reiche Provinz wie Achaia, Asia oder Hispania verwalten zu dürfen.“

               „Eben“, sagte Maecenas. „Sie könnten dich deshalb  töten“

               „Ich überlasse ihnen die reichen Provinzen gerne“, sagte Oktavianus. „Hast du aber schon einmal jemanden gesehen, der gerne Prokonsul in Gallien, Pannonien, Dalmatien oder Thrakien werden möchte? Geschweige in Belgien oder Lusitanien? Wenn ich an die Macht komme, werde ich mich opfern und die Verwaltung dieser unattraktiven Provinzen übernehmen, die sonst keiner will. Ich könnte sie sogar alle auf einmal verwalten. Es ist zwar viel Arbeit für wenig Geld, aber aus jeder Provinz kommt etwas. Wenn ich sie vernünftig verwalte, bringen sie alle zusammen mehr als jede einzelne der reichen, aber dauernd geplünderten Provinzen. Und weil ich sie nicht nur für ein Jahr haben werde, müsste ich das Geld nicht so brutal herausquetschen, wie das die Herren Prokonsuln tun. Und die Senatoren werden mir noch dankbar sein, dass sie nicht hingehen müssen.“

               „Zur Erhalt der Macht brauchst du eine Armee“, wandte Agrippa ein „Ohne Soldaten wird das Geld nichts bringen.“

               „Wo sind die römischen Legionen stationiert?“ fragte Oktavianus.

               Agrippa musterte ihn mit einem überraschten Blick und sein Gesicht erstrahlte: „In den Grenzprovinzen.“

               „Richtig. Und wer ist der Oberbefehlshaber dieser Legionen?“

               „Der Provinzverwalter“, sagte Agrippa mit Lachen. „So bleiben beinahe alle Legionen unter deinem Kommando.“

               „So ist das“, sagte Oktavianus zufrieden. „Ich mag keinen Krieg. Mein Vater liebt ihn, ich habe aber dafür kein Talent. Und kein Verständnis.“

               „Ich bewundere deinen Vater“, sagte Agrippa bedachtsam. „Er ist ein Militärgenie.“

               „Könntest du einspringen und meine Legionen anführen, Marcus?“ fragte Oktavianus scherzhaft.

               „Das mache ich für dich gerne“, lachte jetzt auch Agrippa. „Was würde ich für einen echten Freund nicht tun?“

               „Du wirst mich aber niemals verraten, oder?“

               „Nur im Fall, dass du die Republik gefährdest.“

               „Dann habe ich keine Angst. Die Republik bleibt. Der Senat wird weiter tagen, die Volksversammlungen werden wieder eingeführt. Konsuln, Prätoren und so weiter werden weiter gewählt. Das Leben wird wie in den letzten Jahrhunderten weitergehen. Ich werde aber keine Unruhen in den Straßen und keine meuchlerischen Angriffe auf die Kandidaten dulden.“

               „Was die Spezialität deines geehrten Vaters Gaius Julius Caesar war“, bemerkte Maecenas. „Seinem Kollegen im Konsulamt, Bibulus, hat er das Leben zur Hölle gemacht, sodass sich dieser nicht mehr traute, sein Haus zu verlassen. Was ihm fast zum Schicksal wurde. Als Bibulus im Bürgerkrieg dann das Kommando über die Kriegsflotte des Pompeius übernommen hat, sah es mit Caesar und seiner Armee nicht besonders gut aus. Alle Versuche, die Soldaten hierher, nach Epirus zu verfrachten, waren zum Misserfolg verurteilt, solange der hasserfühlte Bibulus die Flotte kommandierte.“

               „Aber Bibulus starb, Vater konnte über das Meer nach Epirus übersetzen und da ihn Pompeius bei Dyrrhachion nicht zu vernichten vermochte, vernichtete er Pompeius bei Pharsalus. Die Götter stehen immer auf der Seite der Starken und Entschlossenen.“

               Aus dem Schiff im Hafen stieg ein Mann in der Uniform eines Offiziers. Er eilte bergauf zum Stadttor. In der Hand hielt er eine Papyrusrolle.

               „Der kommt mit einer wichtigen Nachricht“, meinte Maecenas, der ihn aufmerksam beobachtete.

               „Sicher eine schlechte Nachricht“, meinte Oktavianus. „Möglicherweise gibt es wieder einmal eine Steuererhöhung. Oder gibt es wieder einen Aufstand der Illyrer. Wer weiß? Mit guten Nachrichten hat es niemand eilig. Nur die schlechten, keine Ahnung warum, müssen so hektisch zugestellt werden.“

               „Wir werden es erfahren“, sagte Agrippa. „Jetzt würde mich aber interessieren, wie du den Senat beherrschen willst.“

               „Erstens werde ich Geld haben. Sehr viel Geld aus den armen Provinzen. Mit dem Befehlshaber beinahe aller Legionen wird auch niemand wirklich einen Streit anfangen wollen. Wenn dazu die Prophezeiungen mir gegenüber sehr günstig und meiner Gegnern im Gegenteil sehr ungünstig sein werden, werden sich weitere Provokateure lieber zurückziehen.  Wie ihr wißt, baute mein Vater seine Partei im Senat aus, die ihm blind gehorcht und abstimmt, wie er es befiehlt. Er brachte sogar Gallier in den Senat, die nicht einmal des Lateins mächtig waren und diese sind ihm natürlich auf Leben und Tod ergeben. Ich habe vor, diese Praxis fortzusetzen. In den Senat müssen viele unqualifizierte Menschen aufgenommen werden. Die sind dann treu und dankbar, dass sie  überhaupt dort sitzen dürfen. Das Wichtigste ist es allerdings, zu jedem Problem, zu jedem Gesetzentwurf, als Erster sprechen zu dürfen. Ich glaube, ich lasse über dieses Privileg für mich abstimmen, solange die Partei meines Vaters noch intakt sein wird. Stellt euch vor, wie viele Pflichten ich haben würde. Das Amt des Pontifex maximus, die Verwaltung so vieler Provinzen und ich wäre der Kommandant so vieler Legionen! Gesetze, Steuer, Versorgung der Armee, der Bau der Lager, der Straßen und die Wasserversorgung für die neuen Städte! Kann ich dann noch Zeit haben, im Senat zu sitzen und mir das Geschwätz der Gesetzgeber anzuhören? Die Senatoren müssen mir erlauben, zu jedem Problem als erster zu sprechen, damit ich dann die ehrenwerte Kurie verlassen könnte.“

               „Es wird sicher solche geben, die gegen dich argumentieren würden. Gleich, wenn die Tür der Kurie hinter dir zufällt.“

               „Das schon“, sagte Oktavianus und seine Augen wurden plötzlich eng wie Augen eines Raubtiers. „Aber nicht lange.“

               „Dann wird dir aber nur noch die Königskrone fehlen.“

               „Die sicher nicht“, sagte Oktavianus überzeugt. „Nicht ein bisschen. Ich brauche keinen Titel „Rex“, ich will unsichtbar herrschen. Niemand muss es wissen, dass gerade ich regiere. Offiziell wird der Senat regieren, wie es immer schon so war. Und natürlich das römische Volk, um es nicht zu vergessen. Das aber wirklich nur in Ausnahmefällen, sollten die Senatoren nicht gehorsam sein. Einen unsichtbaren Herrscher kann doch niemand hassen. Weil er ihn nicht sieht! Den Menschen wird es aber besser gehen und sie werden schon wissen, wem sie ihren Wohlstand zu verdanken haben.“

               „Irgendeinen Titel muss du aber haben“, sagte Agrippa unzufrieden.

               „Zum Beispiel „Princeps“ also „Der erste“, schlug Maecenas vor.

               „Der erste Bürger oder der erste Senator?“

               „Darüber sollten die Menschen nachdenken“, sagte Oktavianus mit Begeisterung in der Stimme. „Ich werde es ihnen nicht erklären. Vielleicht bin ich dann nur einfach der erste, der im Senat reden darf. Danke, Gaius, das ist eine geniale Idee.“

               „Gern geschehen“, murrte Maecenas. „Den Göttern sei Dank, wir reden nur theoretisch, ich komme mir vor, wie bei einem Seminar beim Lehrer Selenus. Dein ungeliebter Vater lässt dich an Regierungsgeschäfte nicht so bald kommen. Er ist ein Mann in voller Kraft, er kann in Rom noch gut zwanzig Jahre geistern.“

               „Dann werden wir halt noch ein bisschen studieren“, lächelte Oktavianus. „Ich habe es nicht eilig. Mein Lieber, die Geduld gehört zu den wertvollsten Eigenschaften eines Herrschers. Ich besitze genug davon.“

               „Ich nicht“, sagte Maecenas unzufrieden. „Ich langweile mich hier. In Rom, dort gibt es Statuen, Gallerien, Feste, dort gibt es das Leben. Und hier…?“

               „Ein Fieber, ein Sturz vom Pferd oder ein Seesturm und es kann alles vorbei sein“, sagte Agrippa. „Geduld bedeutet ein Spiel mit dem Schicksal.“

               „Hast du die Prophezeiung von Theón vergessen?“ sagte Oktavianus streng. „Die Götter sagten mir eine große Zukunft vor, daher schicken sie mir kein blödes Fieber.“

               „Junge Herren, junge Herren!“

Unter der Mauer stand ein Sklave außer Atem. Er gehörte Oktavianus. „Ihr sollt sofort ins Buleterium kommen.“

               „Wir?“ wunderte sich Maecenas.

               „Also gemeint ist vor allem Herr Gaius Julius Caesar Oktavianus. Es wurde mir aber gesagt, ihr sollt alle kommen.“

               „Wer hat es gesagt?“

               „Die Männer aus dem Gemeinderat. Ein Bote aus Rom ist gekommen.“

               „Schlechte Nachrichten?“ fragte Oktavianus.

               „Wahrscheinlich“, nickte der Sklave. „Wie wisst ihr es?“

               „Habe ich das nicht gesagt?“ grinste Oktavianus. „Gute Nachrichten haben Zeit. Der Bote hatte es für eine gute Nachricht verdammt eilig.“

               Sie stiegen von der Mauer herunter. Zur Agora und dem Buleterion war es nicht weit. Sie gingen an der Stadtbibliothek vorbei, wo sie sich die Bücher ausleihen konnten und um das Odeon, wo sie den Vorträgen zuhörten. Sie passierten den Portikus des Buleterions. Im Gebäude wurden sie bereits von den aufgeregten Ältesten der Stadt erwartet.

               „Junger Herr“, stieß der Podesta aus. „Herr Gaius. Euer Vater, der ehrenwerte Gaius Julius Caesar…“

               „Was ist mit ihm? Schickt er ein Schiff für mich? Soll ich nach Rom…?“

               „Euer Vater, der ehrenwerte Gaius Julius Caesar;“ wiederholte Podesta, „ist tot.“

               Eine Weile herrschte im Raum eine Totenstille.

               „Wie starb er?“ fragte Oktavianus mit heiserer Stimme.

               „Er wurde ermordet. Bei der Tagung des Senats im Pompeiustheater. Er wurde beschuldigt, die Demokratie vernichten zu wollen und dann wurde er erstochen.“

               Oktavianus sah Agrippa an und zischte so, dass es nur sein Freund hören konnte: „Habe ich das nicht gesagt?“

               „Hier ist die Nachricht;“ sagte einer der Ältesten und überreichte Oktavianus eine Schriftrolle, die offensichtlich der Offizier gebracht hatte, der etwas seitlich an der Wand stand. „Ihr sollt nach Rom reisen und die Erbschaft Eures Vaters übernehmen.“

               „Seine politische Erbschaft?“

               „Das natürlich nicht“, beeilte sich der Offizier, der bisher geschwiegen hatte, mit der Antwort. „Dem Gesetz folgend übernahm der Führer der Reiterei, „Magister Equitum“  Marcus Antonius die Macht bis zur nächsten Wahl. Es geht um den Familienbesitz. Er ist groß und braucht dringend einen Verwalter.“

               Oktavianus verbeugte sich.

               „Ich danke Euch für die Nachricht, obwohl sie mir natürlich keine Freude machen konnte. Ihr habt das aber sicher erwartet, dass sie mir keine Freude bereiten würde. Ich bitte um die Möglichkeit mich zurückzuziehen, um meinen Schmerz privat überwinden zu können.

               „Fahrt Ihr mit mir nach Rom?“ fragte der Offizier.

               Oktavianus schüttelte den Kopf.

               „Ihr werdet sicherlich in Rom benötigt und ich muss noch meine Sachen packen und mich für die Abreise vorbereiten. Ich brauche dafür eine bestimmte Zeit. Macht Euch keine Sorgen, Legat, fahrt zurück nach Brundisium. Ich komme gleich, wenn ich kann.“

               „Wir waren bereit, Euch nach Italien mitzunehmen. Wir könnten auf Euch warten“, sagte der Offizier unzufrieden. „ So lautet unser Befehl.“

               „Wer hat Euch diesen Befehl gegeben?“ wollte Oktavianus wissen.

               „Magister Equitum Marcus Antonius.“

               „Für seine Sorge sagt ihm in meinem Namen Dank. Ich habe es aber mit der Rückkehr nicht eilig. Ich kenne Marcus Antonius, er kann sicher mit der politischen Erbschaft meines Vaters gut umgehen. Das Geld und die Güter meines Vaters laufen nicht weg, wenn ich in Apollonia noch ein paar Tage länger bleibe.“

               „Aber…“ wandte der Offizier ein.

               „Ich danke Euch“, sagte Oktavianus und verließ den Raum.

               Die drei Freunde standen vor dem Gebäude.

               „Bei allen Göttern!“ rief Maecenas. „So eine Tragödie!“

               „So würde ich das nicht nennen“, sagte Oktavianus trocken. Als ihn seine Freunde überrascht ansahen, setzte er fort: „Sprechen wir nicht von einer Tragödie, sondern von einer Chance. Von einer großen Chance.  Sie kam früher als ich dachte, ich hätte gerne noch zwei oder drei Jahre gewartet. Aber sie ist da. Man muss sie ergreifen. Geht ihr in die Sache mit mir?“

               „Warum wolltest du nicht mit der Galeere nach Italien fahren?“ fragte Agrippa. „Es wäre bequem und sicher gewesen.“

               „Kennst du den Offizier?“ fragte Oktavianus.

               Als Agrippa verständnislos den Kopf schüttelte, sagte er: „Eben. Wer konnte ihn schicken? Möglicherweise Marcus Antonius, wie er selbst behauptet. Oder die Väter Senatoren, die meinen Vater umgebracht haben. Wer von dieser beiden Parteien könnte Interesse haben, dass ich sicher und gesund in Brundisium lande?“

               Agrippa schluckte leer.

               „Ich sehe, du verstehst“, lächelte ihn Oktavianus an. „Keiner von ihnen. Entweder würde ich während der Überfahrt über den Bord fliegen oder ich würde gleich nach der Landung in Brundisium getötet. Ich sage nicht, dass es zwingend so sein müsste, aber es ist viel zu wahrscheinlich, um solche Möglichkeiten nicht in Erwägung zu ziehen. Ich kenne die aktuelle politische Lage in Italien nicht. Ich weiß nicht, wie weit ist es gelungen, den Hass des Volkes gegen meinen Vater zu wecken. Das Volk ist launenhaft, einmal liebt es dich, um dich gleich wieder zu hassen. Solange ich meine Lage nicht kenne, will ich lieber unsichtbar bleiben. Wir kaufen eine ganz normale Bordkarte für das nächste Schiff. Wie drei ganz normale Reisende. Dann werden wir sehen.“

               „Du bist genial“, sagte Agrippa erstaunt. „Das hätte mir nie eingefallen. Du hast ganz bestimmt recht.“

               „Ich freue mich auf Rom“, sagte Maecenas. „Ich hatte bereits große Sehnsucht nach Rom mit allen seinen Kulturschätzen.“

               „Jemand muss sich auch um die Kultur kümmern, nicht wahr?“ lachte Oktavianus. „Die Blüte der Kultur wirkt auf das Volk positiv und verstärkt seine Liebe zum Herrscher. Überlassen wir Gaius diese Arbeit, was sagst du, Marcus? Du musst mir mit den Legionären helfen.“

               „Damit du Princeps werden kannst?“ fragte Agrippa.

               „Genau. Aber dorthin führt ein langer und möglicherweise auch blutiger Weg. Bis mein Frieden herrschen wird, wird noch viel Blut fließen müssen. Ich habe mir das nicht so vorgestellt, aber sie wollten es so. Diejenigen, die meinen Vater ermordet haben. Sie müssen bestraft werden, damit reduziert sich automatisch auch die Anzahl der oppositionellen Senatoren. Eigentlich ist das keine schlechte Lösung.“

               Agrippa schaute den Freund mit Bewunderung in seinem Blick an. „Gaius, wenn du der „Prinzeps“ wirst, werde ich gerne dein „Secundus“ sein.“

               „Gemeinsam bauen wir dann ein neues Rom auf, Marcus. Wir drei. Ein neues Rom und eine neue Welt. Eine bessere, als die, in der Menschen bis heute leben mussten. Das ist eine große Aufgabe, eine echte Herausforderung. Wir schaffen es aber. Wir haben sehr viel Zeit dafür.“

               Die Burschen reichten sich die Hände.

               „Schwören wir“, sagte Oktavianus. „Schwören wir, dass wir uns gegenseitig niemals verraten. Dass wir immer Seite an Seite stehen und uns gegenseitig helfen werden. Nach den Möglichkeiten und den Fähigkeiten jedes einzelnen von uns, die uns die Götter geschenkt haben.“

               Agrippa und Maecanas zitterten, als sie ihrem Freund in die Augen blickten. Sein Blick war scharf wie ein Messer und kühl wie Eis. Es war aber ein Blick, dem man nicht Widerstand leisten konnte.

               „Wir schwören“, kam ihnen über die Lippen.

               Oktavianus lächelte zufrieden. „Also dann an die Arbeit. Wir packen. Auf der anderen Seite der Adria gibt es viel zu tun.“

4 Comments on Der Weg zur Macht

  1. Interessant!
    absolut bemerkenswert,dass Du neben Deienr anstrengenden Arbeit,Zeit findest,solch intressante artikel und wunderbare Reiseberichte zu schreiben

    Heinz

    • Danke Heinz!
      Hast du auch den Artikel über Mar Menor aus Juli 2017 gefunden?

    • Augustus byl totiž první, kdo pilíře moci dokázal definovat a díky tomu vytvořit politický systém, který vydržel přes dvě stě let, bez ohledu na to, jak neschopní vládci po něm následovali. Jeho předchůdci, včetně Ceasara se chovali intuitivně, on byl první, kdo věděl, co dělá. I když se nezdá, že by to dnešní politici vždycky věděli, přesto se chovají víceméně podle jeho pouček, protože se za těch dva tisíce let vžily.

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