Im Jahre 568 erschien im Osten Italiens ein neuer, im Lande noch unbekannter germanischer Stamm, die Langobarden. Die Barbaren aus dem Norden (sie lebten bis zu diesem Zeitpunkt im Bereich des heutigen Österreichs, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei) überwanden ohne Widerstand die Festungskette „Claustra Alpium Juliarum“ im Birnbaumwald, die eine Verteidigung Italiens bilden sollte, diese aber nicht bildete, weil es niemanden gab, der die Befestigung verteidigen würde. Italien befand sich nach einem vernichtenden zwanzigjährigen Krieg zwischen Ostgoten und Byzantinern im Zustand eines absoluten Kollapses. Der Krieg gewannen zwar im Jahr 555 die Byzantiner, es war aber ein wirklicher Pyrrhussieg, den sie mit absoluter Erschöpfung bezahlten. Jetzt hatten sie keine Kraft mehr, sich gegen die neuen Eindringlingen zu wehren.
Die erste Stadt, die den Langobarden im Wege stand, war Civitas d´Austria (also in Übersetzung „Die Oststadt“) ehemaliges Forum Julii (Juliusmarkt). Diesen Namen trug die Stadt nach ihrem Gründer Gaius Julius Caesar. Der Name Forum Julii hört man auch heute noch in dem Namen der Provinz Friul, er ist also nicht vergessen. Langobarden nahmen die Stadt widerstandlos ein und errichteten hier ihr erstes Herzogtum in dem neuen Land. Langobarden bemühten sich nie einen zentralisierten Staat zu bilden, jeder Häuptling herrschte mehr oder weniger unabhängig von der zentralen Macht und ihr König hatte ähnliche Befugnisse wie der heutige österreichische oder deutsche Präsident, also in erster Linie repräsentative Aufgaben.
Langobarden zogen dann weiter nach Westen, bildeten weitere Herzogtümer in Verona, Brescia, Pavia und weiter südlich dann in Spoleto und Benevent. Civitas d´Austria war aber die erste. Weil Italiener diesen lateinischen Namen nie richtig auszusprechen vermochten, verstümmelten sie ihn einfach auf Cividale, und dieser Name blieb der Stadt bis heute.
Cividale ist ein kleines Nest mit 11 000 Seelen, es ist aber eines Besuches wert. Es liegt am Fuß der Julischen Alpen, durchquert von dem reißenden Bergfluss Natisone, der der Stadt ein spezifisches Flair verleiht.
Man verlässt die Autobahn bei Udine und nach sechzehn Kilometern ist man am Ziel. Aufpassen, der große kostenlose Parkplatz beim alten Bahnhof ist am Samstag (ähnlich wie in vielen anderen italienischen Städten) wegen eines Marktes gesperrt. Und ein riesiger freier Platz gleich gegenüber steht nur für autorisierte Fahrzeuge zu Verfügung, es handelt sich also um ein Privatgrundstück, wo auf Sie eine Strafe wartet. Aber auch am Samstag ist es kein Problem, einen Parkplatz nahe dem Stadtzentrum zu finden, das Städtchen ist klein und lieb – einfach gastfreundlich.
Auf dem Platz vor dem Rathaus steht eine Statue des Stadtgründers Gaius Julius Caesar.
Das Rathaus ist ziemlich klein. Es ist ein aus Backsteinen erbautes Gebäude und auf seiner Fassade sind noch Reste des venezianischen Löwen sichtbar, den die Bewohner der Stadt im Jahr 1797, als die Venezianische Republik nach Besetzung durch Napoleon und aufgrund des Friedens von Campo Formio zu existieren aufgehört hatte, aus lauter Freude auskratzten. Unter die venezianische Herrschaft gelang Cividale im Jahr 1421.
An die Zugehörigkeit zu Venedig erinnert die Tätigkeit des Architekten Andrea Palladio. Seine Werke findet man in jeder Stadt der Serenissima und wenn man kein Gebäude von Palladio in einer solchen Stadt gefunden hat, dann hat man halt nicht sorgfältig gesucht. Auf der „Piazza del Duomo“ gibt es den nach seinem Projekt gebauten Palast „Palazzo pretorio“ oder auch „Palazzo dei Provveditori Veneti“ genannt, in dem sich heutzutage das „Museo archeologico nationale“ mit einer Ausstellung zur römischen und langobardischen Vergangenheit der Stadt befindet. Schade, dass die ursprüngliche Fassade von Palladio im neunzehnten Jahrhundert klassizistisch umgebaut wurde, das originale Gebäude gefiel mir mehr – das Modell des Palastes aus dem sechzehnten Jahrhundert befindet sich im Museum. Auf seine langobardische Vergangenheit ist die Stadt gehörig stolz, das ganze Obergeschoß zeigt Ausgrabungen aus der Zeit der langobardischen Herrschaft, die im Jahre 774 durch den Einfall der Franken zu Ende ging. Cividale verlor seine Unabhängigkeit und wurde zum Teil des neuen fränkischen Herzogtums Verona. Aus Cividale stammte aber der Historiker Paulus Diaconus, der die Geschichte seines Volkes schrieb. Er lebte in den Jahren 725 – 797 und erlebte also den Untergang des Reiches seines Volkes. Er entschied sich die Geschichte der Langobarden zu schreiben, damit das Volk nicht vergessen wird. Das ist ihm gelungen. Cividale kommt in seinem Buch „Historia Langobardorum“ natürlich nicht kurz. Und es ist ihm dafür auch dankbar. Es gibt hier einen schönen Platz „Piazza Pauli Diaconi“ , es gibt hier sein Haus und ein Konvikt, also eine Schule, die seinen Namen trägt. Sie befindet sich am linken Ufer des Flusses inmitten eines großen Parks.
Neben Paulus Diaconus rühmt sich Cividale noch einer berühmten Persönlichkeit, der Schauspielerin Adelaide Ristori. Diese Dame, die in den Jahren 1818 – 1906 lebte, machte ihren Geburtsort nicht nur in Italien berühmt. Ihre Karriere begann in Parma, sie spielte aber auch in Paris oder in Konstantinopel. An sie erinnert ein großes Denkmal vor dem Theater – mit ihrer Statue und Symbolen der berühmtesten ihren Rollen, der Medea.
Übrigens muss ich in meinem Artikel über Cividale etwas verraten, was ich in der Zeit, als ich meinen Artikel über Vicenza schrieb, noch nicht gewusst habe. In Cividale verbrachte nämlich Luigi da Porto einen großen Teil seines Lebens. Er war ein gebürtiger Vicenzaner (dort hat er auch eine Erinnerungstafel, über die ich aber während meines Besuches in seiner Stadt nicht gestolpert bin). Sagt euch dieser Name nichts? Das ist keine Schande, ich wusste über diesen Herrn auch nichts, bis ich ihm in Cividale begegnet bin. Dieser Herr lebte in den Jahren 1485 – 1529 und war ein Hauptmann der venezianischen Kavallerie (stationiert in der Grenzstadt Cividale). Er ist unter anderem auch Autor einer Novelle „Neu geschriebene Geschichte zweier erhabener Geliebten.“ Noch immer nichts?
Also gut, die Geschichte des Luigi da Porto spielt sich in Verona in der Zeit der Herrschaft der Familie Della Scala und die Hauptpersonen heißen Romeus und Giulietta. Außerdem findet man hier Figuren, die mit Mercurio, Tybalt, Laurenzio oder Paris ident sind. Also, sind wir jetzt schon zu Hause? Die Novelle wurde ein Jahr nach dem Tod des Autors veröffentlicht, also im Jahr 1530. In den Jahren 1594 – 1596 schrieb ein gewisser William Shakespeare die Geschichte ab und wurde dadurch berühmt. Shakespeare schrieb aber nicht direkt von Luigi da Porto ab, so gut Italienisch konnte er offensichtlich nicht. Er folgte bereits einem anderen Plagiator Arthur Brookes, der im Jahr 1562 „The Tragicall Historye of Romeus und Juliet.“ veröffentlichte. Shakespeare reichte es also, von ihm abzuschreiben. Allerdings nur aus seiner Feder bekam die Geschichte die unwiderständliche Poesie, derentwegen wir noch immer das Theater besuchen und Millionen Touristen nach Verona strömen. Also Plagiator oder nicht, berühmt ist Shakespeare, obwohl die Geschichte Luigi da Porto frei erfunden hatte. Möglicherweise erfand er die Geschichte nicht frei, sondern beschrieb seine eigene Liebesgeschichte, die allerdings nicht so tragisch endete – der Bote kam in seinem Leben offensichtlich noch rechtzeitig, um den Selbstmord der Liebenden zu verhindern. Wäre er nicht rechtzeitig gekommen, wäre die Welt um einen Grundstein ihrer Kultur ärmer.
Aber zurück zu der langobardischen Geschichte der Stadt, auf die Cividale so stolz ist. Paulus Diaconus beschreibt die Tragödie, die die Stadt im Jahr 610 heimgesucht hat. Damals fielen in Italien Avaren ein und der Herzog von Cividale Gisulf II. verlor in der Schlacht gegen sie das Leben. Seine Witwe Romilda zog sich mit ihren Kindern hinter die festen Mauer von Cividale zurück, sie war aber von der Schönheit des Häuptling des Avaren angeblich so hingerissen, dass sie selbst die Tore der Stadt geöffnet hat, beeindruck von dem Versprechen, dass sie der Häuptling heiraten würde. Avaren plünderten die Stadt, töteten die Männer, Frauen und Kinder schleppten sie in die Sklaverei ab. Die wollüstige Romilda verschwand spurlos. Ihre Söhne Raduald und Grimoald retteten sich durch Flucht aus der Stadt (möglicherweise erkannten sie rechtzeitig die Absichten ihrer Mutter) und flohen nach Süden nach Benevent, wo sie beide einer nach dem anderen zu Herzögen wurden und Grimoald wurde letztendlich sogar der König der Langobarden in Pavia.
Aus dieser Tragödie erholte sich die Stadt natürlich schon seit langer Zeit, das Museum zeigt die Lebensart der Langobarden, ihre Begräbnisbräuche, es ist sicher besuchswert. Man kann eine gemeinsame Karte für drei Museen kaufen. Neben dem „Museo archeologico“ kommt noch das „Museo cristiano“ mit einem hinreisenden Altar aus Stein des Königs Rachtis und mit dem Baptisterium aus Marmor des Patriarchen Kalixt dazu. Der Altar ist mit typischen Reliefs des frühen Mittelalters geschmückt, mit ziemlich naiv wirkenden Gesichtern der Figuren. Es ist auffällig, dass die Mundwinkel in allen Gesichtern nach unten zeigen, also keine einzige lacht oder lächelt. Das Lachen war im Mittelalter verpönt, wer darüber mehr wissen möchte, dem kann ich den genialen Roman von Umberto Eco „Der Name der Rose“ empfehlen.
Im Museum gibt es auch den Thron der Patriarchen, auf dem 26 Patriarchen von Aquileia gekrönt wurden. Das dritte Museum auf dem gemeinsamen Ticket ist das Kloster „Santa Maria in Valle“ mit einer Kapelle aus langobardischer Zeit „Tempietto langobardo“. Es wäre das reinste Beispiel langobardischer Architektur, wenn man das Kloster des Heiligen Salvators in Brescia ausklammern würde. Der Marmorsaal wird bis heute genutzt, die Fresken der Mauern sind natürlich jünger, derzeit wird die Innenausstattung aus Holz renoviert. Faszinierend ist das Marmorrelief über dem Eingang mit dem Motiv der Trauben und Weinblätter – es ist eine wahre Filigranarbeit – und das aus Marmor!
Das Kloster hat einen unglaublich unregelmäßigen Kreuzgang. Bisher war in jedem Kloster, das ich besucht hatte, der Kreuzgang viereckig. Nicht so ist es in Cividale. Möglicherweise deshalb, weil der Kloster auf einem steilen felsigen Ufer des Flusses steht und deshalb ist der Kreuzgang von einer undefinierten Form – einfach vieleckig – die Italiener waren immer sehr kreativ – und das sind sie immer noch. Wenn man die felsige künstliche Höhle am Flussufer besuchen möchte – Hypogeo Keltiko – wahrscheinlich aus keltischer Zeiten, also noch bevor hierher der große Gaius Julius mit seinen Legionen kam, muss man den Schlüssel im Kloster ausborgen. Hypogeo ist nur ein paar Schritte vom Kloster entfernt.
Der Dom von Cividale ist ein monumentales Gebäude in einem ziemlich inhomogenen Stil. Die ursprüngliche romanische Kathedrale wurde am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts von Pietro Lombardo und Bartolomeo delle Cisterne im Stil der Renaissance umgebaut. An die Fassade wurde dann ein Barockvorbau angehängt und letztendlich wurde das Gebäude mit Mauern im klassizistischen Stil umzingelt. Also ein bisschen Chaos, aber das sind wir in Italien natürlich gewohnt. Die Kathedrale ist monumental, wie alle italienischen „Duomos“ und im Jahr 1909 wurde sie vom Papst Pius X. zu „Basilica minor“ erhoben. Faszinierend ist ein riesiges gotisches Kreuz, das eine bewegte Geschichte hinter sich hat, und sehenswert ist eine barocke Statue Jungfrau Maria mit Jesuskind (offiziell heißt der Dom „Il Duomo di Santa Maria Assunta).
In der Stadt gibt es eine Menge mittelalterlicher Häuser, meistens sehr schön rekonstruiert mit typischen vorgeschobenen Portalen, man stolpert über Geschichte auf jedem Schritt und Tritt und das gefällt einem Historiker wie mir natürlich sehr.
Das Symbol der Stadt ist „Ponte diavolo“, also „Die Teufelsbrücke.“
Es gibt zu ihr natürlich die übliche Legende – weil die Bürger der Stadt nicht im Stande waren, den Fluss mit einer Brücke zu überqueren, holten sie sich die Hilfe des Teufels. Der war einverstanden, als Lohn verlangte er aber die Seele des ersten Menschen, der die neue Brücke betreten würde. Er glaubte, dass es eine bedeutsame Persönlichkeit sein würde, die die neue Brücke einweihen würde. Die schlauen Bürger von Cividale trieben aber einen Hund auf die neue Brücke. Natürlich bietet sich eine gerechtfertigte Frage an – hat ein Hund eine Seele? Schwer zu sagen, wen der Teufel letztendlich als Lohn für seine Arbeit geholt hat, er hat aber, wie wir wissen, eine bestimmte Schwäche dafür, die Falschen zu nehmen und die, die sich den Aufenthalt in der Hölle längst verdient hätten, lässt er auf der Welt unverhältnismäßig lange herumlaufen und ihr Unwesen treiben.
Die Brücke ist monumental, es ist ein dankbares Motiv für Fotos, mit ein bisschen Glück kann man alle vier Glockentürme der Kirchen, der Stadt, die absolut ident sind, auf ein Foto bringen,.
Es ist der Dom, die Kirche Santa Maria in Valle, die Kirche des heiligen Petrus und Blasius ( mit wunderschönen Fresken an der Fassade) und die Kirche des heiligen Franziskus, die nicht mehr der Kirche, sondern als Saal für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen dient. Das Gebäude des Franziskanerklosters ist imposant, am bestens sieht man das, wenn man auf den Stiegen neben der Brücke zu einer kleinen Plattform am Ufer des Flusses absteigt – der Abstieg zahlt sich aus.
Die Brücke wurde im ersten Weltkrieg vernichtet. Nach dem Durchbruch der deutschen Divisionen, die den Österreichern zur Hilfe gekommen waren, bei Caporetto (heutiges Kobrid in Slovenien) steuerten die Deutschen ihren Vormarsch direkt auf Cividale zu. Als die deutschen Soldaten ins Stadtzentrum eindrangen, sprengten die sich zurückziehenden Italiener die Brücke, um sich von den siegenden Feinden abzusetzen. Es gelang ihnen trotzdem nicht, der italienische Rückzug kam nur am Fluss Piave viel weiter westlich zum Stillstand. Die Brücke wurde im Jahr 1918 neu gebaut, dieses Datum steht auch in ihrer Konstruktion geschrieben, sie wurde aber treu nach dem ursprünglichen Bau nachgebaut
An den ersten Weltkrieg, der die Stadt nicht gerade schonend behandelte, erinnert ein kleines, aber liebes Museum „Museo della grande guerra“ im Gebäude des ehemaligen Bahnhofs. Dieses Gebäude diente in der Zeit der italienischen Offensiven am Fluss Isonzo ( in den Jahren 1915 – 1917 unternahmen hier Italiener elf Offensiven – so genannte Isonsoschlachten) als der Ausgangspunkt für die Versorgung der italienischen Armee – von hier fuhr der Zug mit Munition, Vorräten und Soldaten bis ins Städtchen Sužid hinter der Front. Heute wird hier in einigen Sälen der Krieg aus italienischem Blickwinkel in Fotografien und Karten dokumentiert. Es gibt hier einen Schützengraben mit originellen Holzbalken aus den Kriegsschauplätzen, wo man die klaustrophobische Authentizität des Schutzgrabenkrieges erleben kann.
Der Eintritt ist kostenlos, es gibt lediglich freiwillige Spender,, der dortige Angestellte war so begeistert von der Tatsache, dass Gäste kamen, dass er uns nicht in Ruhe ließ. Mit einem unglaublichen Enthusiasmus erzählte er uns alles, was sich in den Jahren 1915 – 1917 abspielte, weil er aber italienisch sprach, verstand ich nur einen kleinen Bruchteil davon, was er uns mitteilen wollte.
Ach so, natürlich – in Italien darf nicht ein Tipp für ein gutes Essen fehlen. In Cividale gibt es eine lokale Spezialität „Gnocchi di susine“. Wenn man sie bestellt, wird man überrascht. Es handelt sich um typische tschechische Zwetschenknödel aus Kartoffelteig mit Zimt und gerösteten Semmelbröseln. Wie die nur herkamen? Möglicherweise doch eine Erinnerung an das alte gute Österreich-Ungarn!
Eine andere Kapitel ist aber “Frico”. Es ist ein einfaches Gericht des Bergvolkes. Fritiert wird eine Mischung aus Kartoffel, Zwiebel, Hartkäse und Butter. Es ist sehr reich auf Kallorien und macht für lange Zeit satt. Ich habe den ganzen Rest des Tages nichts zu essen gebraucht.
Gnocchi di susine