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Köln II – die Neuzeit

Die Universität in Köln wurde im Jahr 1388 gegründet, interessant daran ist, dass es sich um die erste Universität handelte, die aus der Initiative der Bürger und nicht des Herrschers entstand und die Stadt finanzierte sogar ihren Betrieb. Das reiche Bürgertum wurde nämlich überheblich und war nicht bereit, die Herrschaft ihres Landherren, des kölner Erzbischofs, ohne weiteres hinzunehmen. Der erste Konflikt im Jahr 1258 konnte noch der bereits erwähnte Albertus Magnus schlichten, im Jahr 1262 entflammte aber dieser Konflikt mit voller Intensität erneut. Dazu wird folgende Legende erzählt. Zwei Prälaten, angestiftet von Erzbischofs Engelbert II. von Falkenburg, luden den Bürgermeister Hermann Grin zum Frühstück. Sie teilten ihm aber nicht, dass er selbst die Hauptspeise sein sollte. Als er den Saal betrat, ließen sie einen ausgehungerten Löwen auf ihn los. Der tapfere Bürgermeister verlor nicht die Schlagfertigkeit. Er wickelte seinen Mantel um die Hand, steckte ihn dem Raubtier in die Kehle und stach es dann mit seinem Schwert nieder. Die Prälaten wurden gehängt, der Erzbischof aus der Stadt getrieben. Ein Bürgermeister namens Hermann Grin existierte zwar nachweislich nicht, die Szene seines Kampfes mit dem Löwen ist aber ein dankbares Motiv und ein Relief mit ihrer Darstellung findet man im Rathaus im sogenannten „Löwenhof“ sowie auch im Stadtmuseum.

Das Faktum ist aber, dass die Erzbischöfe auf die Macht in ihrer Stadt nach der Schlacht bei Woringen im Jahr 1288 verzichten mussten. Im Besitz der kölner Erzbischöfe blieb nur der Stadtteil Deutz auf dem rechten Rheinufer.

Weil die Universität in Köln dank ihres fundamentalen Katholizismus zu einer Bastion des Konservatismus wurde, wurde sie im Jahr 1794 nach Einnahme der Stadt durch die französische Revolutionsarmee aufgelöst und musste auf ihre Neugründung bis 1919 warten. In der Stadt wurden trotzdem zahlreiche berühmten Männer geboren oder sie wirkten hier. An der Jesuitenschule unterrichtete Georg Simon Ohm. Es wurde hier der Komponist Jacques Offenbach geboren, der zwar nur später während seines Aufenthaltes in Paris berühmt wurde, ein Denkmal in Köln hat er aber trotzdem. Nikolaus August Ott erfand hier den Viertaktmotor, ein Prototyp des Motors, der heute in jedem PKW seinen Platz hat, solange er nicht mit Strom angetrieben ist. Im Jahr 1848/1849 wirkte hier, und wollte die Revolution führen, ein bestimmter Karl Marx, hier wurde auch der Nobelpreisträger Heinrich Böll geboren. Böll war ein der wenigen Autoren aus dem Westen, der seiner kritischen Einstellung zum Kapitalismus wegen seine Bücher sogar in den kommunistischen Ländern vor dem Jahr 1989 publizieren durfte.   

Natürlich darf man nicht das Kölnische Wasser vergessen. Wer würde es nicht kennen? Für meine Großmutter war jedes männliche Parfum einfach „kolinska“. Im Jahr 1709 begann Johann Maria Farina sein Riechwasser unter dem Namen „Aqua mirabilis“ also „Das Wunderwasser“ zu verkaufen.

Er selbst behauptete, dass er einen Duft „frisch wie ein italienischer Morgen“ erfunden hätte (Es wurde zwar von seinem Landsmann Giovanni Paolo de Feminis erfunden, der aber offensichtlich vergessen hat, sich seine Erfindung patentieren zu lassen.) und seine Kunden waren bereit ihm es zu glauben. „Aqua mirabilis“ wurde nicht nur als Parfum verkauft, sondern auch als Heilwasser, es wurde auch bei Krankheiten der Haustiere verwendet und sollte sogar gegen Pest geholfen haben. Seinen heutigen Namen bekam das Wasser von französischen Offizieren im Siebenjährigen Krieg, die sich gegen den unerträglichen Gestank in der von ihnen eingenommenen Stadt mit den im Parfum eingetauchten Taschentüchern schützten und die Erfindung Farinas „Eau de Cologne“ benannten. Diese schützende Wirkung des Kölner Wassers für die Nase war in allen damaligen Städten willkommen und aus dem Wasser wurde ein sehr profitabler Exportartikel. Das Patent für seine Produktion erhielt letztendlich der kölner Geschäftsmann Wilhelm Mühlens. Seit dem Jahr 1810, als Napoleon verboten hatte, das „Eau de Cologne“ als Heilwasser zu verkaufen, funktioniert es nur mehr als Parfum – aber funktioniert noch immer.

Der bekannteste Bürger von Köln in der Neuzeit war wahrscheinlich Konrad Adenauer, der Gründer des modernen Deutschlands und ein der Hauptkonstrukteure des vereinten Europas. Aus diesem Grund ist er auch ein Preisträger des Karlspreises, der in dem nicht weit entfernten Aachen jedes Jahr verliehen wird. Adenauer erhielt ihn im Jahr 1954. Adenauer war der Bürgermeister von Köln in den Jahren 1919 – 1933, bis er aus dem Amt von Nationalsozialisten vertrieben wurde. Danach zog er sich zurück und blieb eine Privatperson. Nach der Einnahme von Köln durch die Amerikaner wurde er wieder in sein Amt eingesetzt und  in den Jahren 1949 – 1963 war er der erste Kanzler des Nachkriegsdeutschlands.

Es ist nur logisch, dass der Pazifist Adenauer gerade aus Köln stammte. Die Ausrufung der Deutschen Republik im Jahr 1918 begrüßte er mit den Worten, dass dieser Akt das Ende des preußischen Militarismus bedeutete. Köln hatte es nie eilig, sich in irgendwelche militärischen Angelegenheiten einzumischen. Im Dreißigjährigen Krieg hielt es eine strenge Neutralität, daher erlitt es kaum Schaden – im Gegensatz zu Deutz, das von den Schweden erobert und vernichtet wurde, weil der Erzbischof sich logischerweise auf der katholischen Seite geschlagen hat. Die Kölner konnten auch bedeutend besser mit der französischen als mit der preußischen Verwaltung umgehen, die nach dem Jahr 1815 in Folge des Wiener Kongresses der französischen (1794 – 1814) folgte. Sie kämpften übrigens in der Völkerschlacht bei Leipzig in der Armee Napoleons, weil Frankreich damals den Rhein als seine Ostgrenze erreichte (wovon schon Ludwig XIV. träumte und viel Böses in dieser Region anrichtete.) Der „Misjö Amman“ (Monsieur Amtmann) war den Bürger von Köln viel sympathischer als der „Herr Schnurbartkowski“ – diesen Spitznamen bekamen die Preußen wegen ihrer Vorliebe einen Schnurbart zu tragen. Erst nach den siegreichen Kriegen gegen Österreich im Jahr 1866 und anschließend gegen Frankreich 1871 konnten sich die Kölner mit dem deutschen Staat identifizieren. Ein bisschen französisch sind sie aber trotzdem geblieben.  In Köln gibt es 4000 Bars und Restaurants, was die höchste Dichte der Gasthäuser auf die Bevölkerungszahl in Europa ergibt.

Möglicherweise aus diesem Grund war Konrad Adenauer, von der Natur her ein Pazifist, bereit, de Gaulle, einem Soldaten mit Körper und Seele, die Hand zu reichen, damit sich das Schrecken eines vernichtenden Krieges in Europa nie mehr wiederholen konnte. Der EGKS Vertrag (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), den sechs damaligen europäischen Staaten unterschrieben – neben Deutschland und Frankreich auch Belgien, Niederlande, Luxembourg und Italien – aus dem Jahr 1957, war der Grundstein der heutigen Europäische Union. Adenauer hat sich sein Denkmal, das in Köln neben der Kirche der Heiligen Apostel steht, sicher verdient.

Köln ist seit langer Zeit keine katholische Bastion mehr. Die Preußen brachten Protestantismus in die Stadt, die Katholiken bilden in der Stadt eine 44% Minderheit. 12 Prozent der Bevölkerung bekennt sich zum Islam – und das sind Angaben aus dem Jahr 2013, also noch vor der Flüchtlingskrise aus dem Jahr 2015!  Wenn aber die absolute Mehrheit der türkischen Frauen, die hierher in den siebziger Jahren, als Deutschland billige Arbeitskräfte für seine Fabriken suchte, eingewandert sind, keine Kopftücher trugen (Kopftuch zu tragen wurde in der Türkei vom Präsidenten Atatürk sogar verboten) rennen heutige moslemische Frauen durch die kölner Straßen mit den Kopftüchern auf dem Haupt und in den traditionellen Mänteln, die bis zum Boden reichen. Die Zeiten haben sich geändert und ich bin mir nicht sicher, ob zu Besserem.

Die Kölner passen aber vor allem auf ihre Lebensqualität auf, sie bekennen sich aber auch zu alten Traditionen. Wenn man sich in Köln ein Bier bestellt, erlebt man eine Überraschung. Das Bier „Kölsch“ ist durchaus trinkbar, wird aber in zwei Deziliter großen (eigentlich kleinen) Gläsern – Stangen – serviert. Es ist deshalb so, weil das „Kölsch“ nach einem Rezept aus dem Jahr 1516 gebraut wird nach der Anordnung des Kaisers Maximilian I. (der Köln sehr mochte und mehrmals besuchte) nur in diesen Gläser angeboten werden darf.

Angeblich deshalb, weil, wenn es länger steht und lüftet, nicht mehr trinkbar ist. Man kann das glauben, muss man aber nicht, ich war nicht bereit, das Bier so lange stehen zu lassen, um sich darin Klarheit zu verschaffen. Wenn man Bier in einem anderen Gasthaus bestellt, bekommt auch ein übliches Krügel. Vom Preis her kommt das auf das gleiche Geld, nur die Kellner in den Kölner Brauhäusergaststätten müssen viel schneller laufen. Entscheidend ist der Strich auf dem Bierdeckel – wie viele Striche, soviel zahlt man. Wenn der Kellner im Stress vergessen hat, einen Strich zu machen, hat er Pech. Wenn man von dem Bier bereits genug hat, legt man den Deckel auf das Glas. Das ist ein Zeichen, dass man kein weiteres Bier will. Sonst kriegt man das nächste gleich, wenn man das vorige ausgetrunken hat – es ist doch klar, dass man mit einer „Stange“ den Durst nicht stillen kann. Aber aufpassen! Wenn man mit den Gläsern mit Kölsch anstoßen will, dann tut man das mit dem Glasboden, nie – wie sonst üblich ist – mit dem oberen Glasrand. Es gibt zwar keine Gefahr, dass die „Stange“ dadurch zerbrechen könnte, aber so ein Anstoßen gilt in Köln als unanständig.

Das Lebensmotto der Kölner Bürger nämlich lautet: „Wenn wir schon einmal leben müssen, dann zumindest gut.“

Sympathisch, oder?

Übrigens, die „Kölner card“ zu kaufen, zahlt sich nicht wirklich aus, wenn man vorhat, sich im Stadtzentrum zu bewegen. Die Ermäßigungen in den Museen waren nur marginal, der einzige Vorteil war die Benutzung der U-Bahn und der öffentlichen Verkehrsmittel. Was man aber für den Besuch des historischen Stadtzentrums nicht unbedingt braucht.

Köln von CCAA bis zum Mittelalter

            Man muss einfach eine Idee haben. Und natürlich, weder Gewissen noch Skrupel. Erzbischof Rainald von Dassel hatte das erste, das weitere fehlte ihm vollständig. Im Jahr 1164 entschied er als Vikar für Italien im Dienste Kaisers Friedrich Barbarossas, die heiligen Reliquien der drei Könige, die einmal dem Christkind in Betlehem gehuldigt hatten, von Mailand nach Köln zu überführen. Ob die Mailänder zum Widerstand gegen diesen Diebstahl oder zumindest zu irgendwelchen Protesten im Stande waren, ist nicht bekannt. Nach der Eroberung ihrer Stadt von Kaiser Friedrich im Jahr 1158 mussten sie gezwungenermaßen brav und still sein. In der Politik geht es immer um den Anstand und die Ehrlichkeit. Wenn man es schafft, sie loszuwerden, kann man sehr viel erreichen.

            Erzbischof Rainald übertrug also die Reliquien nach Köln und machte daher aus der Stadt, in der er sein Amt ausübte, einen Pilgerort – das zweite Jerusalem. Die Knochen aus Mailand gibt es in Köln bis heute, wem sie tatsächlich gehörten, kann man nur raten, aber offiziell handelt sich um die drei biblischen Könige und ihre Königskronen schmücken das Wappen der Stadt Köln. Im Jahr 1246 entschied ein anderer Erzbischof, Konrad von Hochstaden, dass die alte romanische Kathedrale so einer wertvollen Reliquie nicht würdig sei und ließ die Kirche niederreißen. Zwei Jahre später legte er den Grundstein für den Bau einer neuen Kathedrale, die heute die wichtigste Dominante der Stadt ist. Ohne seine Kathedrale können wir uns Köln gar nicht vorstellen und sie erschien sogar auf der deutschen Zweieuromünze aus dem Jahr 2011. Der Bau der Kathedrale dauerte allerdings mehr als sechs hundert Jahre, fertiggestellt wurde sie nämlich erst im Jahr 1880. Im Jahr 1530 ist nämlich das Geld ausgegangen und im Jahr 1560 wurde der Bau gänzlich stillgelegt, der Kran auf dem Torso des Nordturmes sollte bis zum Jahr 1842 das Wahrzeichen der Stadt bleiben. In diesem Jahr entschied der preußische König Friedrich Wilhelm, um sich die Gunst seinen neuen Untertanen am Rhein zu erkaufen (seit 1815 waren hier die Preußen infolge des Wiener Kongresses die Hausherren), die Kirche fertigbauen zu lassen.

            Köln ist aber eine viel ältere Stadt und wenn man bis zu ihrer Gründung zurückblicken möchte, muss man in die Zeit des Römischen Reiches eintauchen. Hier wurde nämlich, damals noch in einer bedeutungslosen Siedlung namens Oppium Ubiorum, die zukünftige Kaiserin Agrippina die Jüngere geboren – ihr Vater Germanicus war gerade dabei, mit den ungehorsamen Germanen auf dem gegenüberliegenden Rheinufer die offenen Rechnungen zu begleichen. Als Agrippina dann ihren Onkel (Germanicus Bruder), Kaiser Claudius heiratete, setzte sie durch, dass der Ort ihrer Geburt zur römischen Kolonie mit dem Namen „Colonia Claudia Ara Agrippinnensium“ (CCAA) wurde und aus diesem Namen entstand der derzeitige Name der Stadt – Köln.

            In CCAA wurde im Jahr 69 durch seine Legionen General Vitelius zum Kaiser ausgerufen (es handelte sich um das so genannte Jahr der vier Kaiser nach dem Tod des Kaisers Nero), sein Feldzug nach Italien nahm aber kein gutes Ende, Er verlor seinen Kampf gegen Vespasianus und wurde hingerichtet. In Köln findet man sehr viele antike Sehenswürdigkeiten. Man kann das Prätorium besuchen, also das Verwaltungsgebäude des Gouverneurs, das bis in das fünfte Jahrhundert funktionierte, bis es die Franken als Königliche Residenz übernommen haben. Unter Köln gibt es in der Tiefe von 9,5 Meter einen römischen Entwässerungskanal (der nach seiner Entdeckung im neunzehnten Jahrhundert lange als Bierlager genutzt wurde), es blieben auch Reste der römischen Tore und der Stadtmauer. Ein Großteil der Ausgrabungen kann man im „Römisch-germanischen Museum“ in der Nähe des Kölner Doms sehen. Dieses Museum ist großartig. Es steht an der Stelle einer ehemaligen römischen Villa, deshalb ist hier auch ein originelles Mosaik des Hausbodens zu sehen, das so genannte „Dionysosmosaik“.

            Die Römer schätzten Trinkwasser von hoher Qualität. Deshalb schöpften sie das Wasser nicht aus dem Rhein, sondern leiteten sie es vom Fluss Eifel in den Hügeln südlich der Stadt mit einem Aquädukt mit einer Länge von 95,7 Kilometern! Teile dieses Aquäduktes blieben bis heute erhalten. In den Jahren 310 – 315 sind mehrere Aufenthalte des Kaisers Konstantin des Großen in der Stadt dokumentiert.  Der Kaiser ließ den Rhein überbrücken und errichtete auf seinem rechten Ufer eine Festung namens Divitia (heute der Stadtteil Deutz).

            Köln profitierte nicht nur von den heiligen Reliquien, sondern vor allem von seiner Lage am Rhein. Wenn man die Karte Deutschlands im frühen Mittelalter betrachtet, ist das grundsätzlich eine Reihe Städte am Rhein (logischerweise fast alle auf dem linken Ufer, da der Fluss die Grenze des Römischen Reiches bildete und die Städte sind fast ausnahmslos römische Gründungen). Der Rhein war der Hauptader des Landes, die Donau und die Elbe spielten in dieser Zeit noch so gut wie keine Rolle. Der Großteil des heutigen Deutschlands war mit Urwald bedeckt, um die östlichen Provinzen führten die Germanen erbitterte Kämpfe mit den Elbslawen und Hamburg war ein Missionsbistum, das immer wieder von Normanen niedergebrannt wurde. Köln liegt dann gerade an einer Stelle, wo Rhein zu einem Fluss wird, der für Schiffe mit größerem Tiefgang nicht mehr schiffbar ist.  Die Ware musste hier auf Schiffe mit flachem Kiel umgeladen werden, um zu Kunden stromaufwärts gelangen zu können. Das war die Quelle des Reichtums der Stadt, die von dem Erzbischof im Jahr 1259 ein „Stapelrecht“ erzwungen hat, das heißt ein Vorkaufrecht auf alle Ware, die hierher befördert wurde – dieses Recht galt bis zum Jahr 1831!

            Aber schon viel früher entschied der fränkische König Karl, genannt der Große, das nicht weit entfernte Aachen zur Hauptstadt seines Reiches zu machen. Karl war ein weiser Mann. Seinen Seelsorger wollte er nicht direkt in Aachen haben, damit er ihm nicht ständig über die verdorbene Moral des königlichen Hofes in die Ohren meckert, zu weit durfte er aber auch nicht sein. Köln war von Aachen gerade richtig entfernt. Es schlug die Sternstunde der Stadt. Die Stadt wurde zum bedeutendsten Seelsorgezentrum des Römischen (Deutschen) Reiches. Schon das ist ein guter Grund, warum ein Geschichteliebhaber wie ich die Stadt unbedingt besuchen sollte. Köln wurde allerdings im zweiten Weltkrieg zu 90% zerstört und es war nicht in menschlichen Kräften, alles, was vernichtet wurde, zu rekonstruieren. Zwischen den Gebäuden aus dem frühen Mittelalter stehen also moderne Gebäude. Die Suche nach den Sehenswürdigkeiten ähnelt also einer Rosinensuche in einem Kuchen, es zahlt sich aber trotzdem aus. Die Kölner zeigten beim Wideraufbau ihrer Stadt einen guten Geschmack. Nicht einmal moderne Fenster in den Kirchen aus dem elften Jahrhundert wirken störend, obwohl sie von der Bausubstanz, die sie ergänzen, ein Zeitfenster von tausend Jahren trennt. Und es gibt hier Unmenge solchen Kirchen! Der erste Erzbischof Bruno, der Bruder des Kaisers Otto I, entschied sich, Köln zum zweiten Jerusalem zu verwandeln. Deshalb hatte die Stadt zwölf Tore und deshalb mussten in der Stadt zwölf Kirchen sein. Bruno schaffte es, sein Vorhaben zu realisieren, zur Belohnung ruht er jetzt in einer dieser Kirchen, in der Kirche des heiligen Pantaleon (des Schutzherren der Ärzte).

            Die Stadt ist mit heiligen Reliquien voll. Die Pilger strömten von überall hierher, die drei Könige waren doch die ersten Pilger in der Bibel und damit das Vorbild schlechthin für alle, die ihnen in der Verehrung der christlichen Symbole folgen wollten.

            Heute können wir darüber lächeln, aber im Mittelalter waren die Reliquien (egal ob echt oder gefälscht) über alles geehrt. Sie waren wertvoller als Gold und Köln als ein Pilgerort ließ sich niemals zum Protestantismus verleiten. Trotz seiner Nähe zu den Niederlanden ließen die Einheimischen die reliquienzerstörerische Lehre von Calvin niemals in die Stadt. Wahrscheinlich auch deshalb kann man in Köln sehr gut essen. Den rheinischen „Sauerbraten“ mit Mandeln und Rosinensauce kann ich herzlichst empfehlen. In Köln lebte der heilige Severin, ein Bischof aus dem vierten Jahrhundert, der aus der Stadt seinen heidnischen Vorgänger vertrieb – die nach ihm benannte Kirche mit seinem Leichnam befindet sich im südlichen Teil der Stadt. Weiter gibt es hier den heiligen Gereon, den Befehlshaber der Kohorte aus Theben, die sich in der Zeit des Kaisers Diocletianus weigerte, an der Christenverfolgung teilzunehmen und deshalb vor den Mauern CCAA dezimiert und der Anführer hingerichtet wurde. Seine Kirche ist ein wunderschönes Gebäude mit einer imposanten Kuppel. Es handelt sich angeblich um eine der größten Kuppeln in Europa, größer sollte nur Hagia Sophia und die Kathedrale in Aachen sein. (Die Italiener würden sofort Einspruch erheben und mit dem Heiligen Petrus in Rom und mit Dom von Florenz argumentieren, ich fühle mich aber nicht befugt, in diesem Streit zu schlichten). Die Kuppel ist rot gefärbt als Symbol des Leidens der Legionäre der thebischen Kohorte.

            Und dann gibt es noch die heilige Ursula. Diese britische, in CCAA lebende Prinzessin hatte es angeblich versucht, mit ihren elf Begleiterinnen vor den Mauern der Stadt Attilas Hunnen aufzuhalten. Diese verstanden ihre Absichten nicht ganz und ermordeten sie alle. (Elf Flammen im Stadtwappen von Köln stellen dieses elf Märtyrerinnen dar). Gott sandte den Hunnen als Vergeltung für diese üble Tat einen Sturm und in weiterer Folge auch die Pest und vertrieb sie dadurch von der Stadt. Von den heiligen Reliquien der heiligen Ursula und den ermordeten elf Jungfrauen gibt es mehr als genug. An der Stelle, wo heute die Kirche der heiligen Ursula steht, entdeckten die Kölner nämlich einen antiken Friedhof und die dort aufgefundenen menschlichen Überreste erklärten sie für die Knochen der heiligen Märtyrinnen und mit ihrem gut entwickelten Sinn für Geschäft begannen sie sie auf dem Markt mit heiligen Reliquien anzubieten. Es war ein Bombengeschäft, es war schade damit aufzuhören, als die verkauften Knochen die Knochenzahl von elf Leichen bereits bei weitem überstiegen. Deshalb korrigierten die kölner Geschäftsleute die Zahl der ermordeten Jungfrauen auf 111 und letztendlich auf 11000. Wenn einige Abnehmer protestieren, dass manche der Knochen eindeutig männlich seien, wurden sie belehrt, dass in der Begleitung der heiligen Ursula sich natürlich auch Priester und Bischöfen befanden. Geschäft ist Geschäft!

            Aber abgesehen von diesen skurrilen Angelegenheiten ist es doch faszinierend an dem Grab berühmten Menschen zu stehen, die irgendwann vor tausend Jahren starben. Ob es der Sarkophag des Bischofs Bruno in der Kirche des heiligen Pantaleons ist, wo auch die Kaiserin Theophano begraben wurde, die Gattin des Kaisers Otto II und Mutter Ottos III, eine bedeutsame Frau, die lange Jahre die Hebel der Weltpolitik in den Händen hielt. In der Kirche des heiligen Andreas gibt es dann den Sarkophag Alberts des Großen, eines berühmten Kirchenlehrers des dreizehnten Jahrhunderts (er starb in Köln im Jahr 1280).

Alta Badia

               Eigentlich haben wir den Aufenthalt in der Region Alta Badia (konkret in einem sehr schönen Arschlein der Welt namens Lungiarü) bereits im Jahr 2019 bestellt. Damals für März 2020. Dann kam plötzlich das idiotische chinesische Virus, viel zu spät, um den Aufenthalt kostenlos stornieren, aber viel zu früh, um den Schiurlaub konsumieren zu können. Südtirol schloss nämlich seine Pisten am Wochenende, als wir die Region bereits verlassen sollten. Zum Glück ist es uns gelungen, mit dem Apartmentbetreiber einen Gutschein auszuhandeln, damit die bereits bezahlte Anzahlung nicht verfiel und wir reservierten einen Aufenthalt für Januar 2021. Damit haben wir nicht viel erreicht. Es kam der nächste Lock down, zum Glück war der Besitzer unserer Unterkunft sehr kooperativ und wir durften die Bestellung stornieren. Natürlich unmittelbar, bevor wir den dritten Versuch des Schiurlaubs antreten wollten, kam das Omikron. Das konnte uns aber nicht mehr aufhalten. Geimpft mit drei Dosen inklusiv eines Boosters, traten wir die Reise an.

Die Unterkunft in Lungiaru bei fabelhaften Gastgebern Alexander und Franciska

               Der wichtigste Gegenstand beim Schifahren ist heutzutage ein Handy. Nicht, um Hilfe zu rufen, wenn man von Omikron angegriffen wird, aber ohne Bestätigung des Besitzes eines Grünen Passes mit dem quadratischen Code (offiziell ist das ein QR Code, aber fragen Sie mich, bitte, nicht, was die zwei Buchstaben bedeuten) kann man nicht einmal pinkeln gehen. Also pinkeln kann man schon, aber nur im Wald. Nicht in einer Toilette. Beim Eingang jeder Berghütte in der Schiregion Alta Badia sowie auch auf dem Kronplatz und daher vermute ich, dass auch überall in Italien, stand nämlich eine Person von der Security und scannte den Code. Das gleiche natürlich beim Kartenverkauf. Vergeblich schwenkte eine Deutsche ihren Impfpass. Das Ticket bekam sie nicht. Wenn man nicht gescannt war, konnte ihm keine Karte verkauft werden, der Computer erlaubte es nicht. Natürlich war es möglich, den Code in einem Papierausdruck zu besitzen (für die, die eine elektronische Beobachtung fürchteten), aber versuchen Sie es, vor jeder Hütte das Papier aus der Tasche zu ziehen! Früher oder später wird es kaputt gehen und für das Harnlassen bleibt wieder nur der Wald. Im Museum der ladinischen Kultur reichte nicht einmal der Scan. Wir mussten zusätzlich auch einen Lichtbildausweis vorlegen. So viel also für unsere Mitbürger, die sich über die epidemiologischen Maßnahmen zu Hause beschweren. In Italiener sitzt offensichtlich der Schock aus der ersten Welle tief genug, die Tragödie von Bergamo ist ein Memento, das man nicht vergisst.

               Das Hauptproblem war für mich aber nicht das Scannen von meinem Handy, sondern die Pflicht, die Masken auf den Liften, in den Gondeln und in den Hütten zu tragen, solange man nicht am Tisch beim Essen saß. Ich bin nämlich ein Brillenträger. Im Moment, in dem ich die Maske aufgesetzt habe, vernebelte sich meine Brille und ich wurde blind. Was bei jedem Aussteigen aus dem Lift bedeutete: die Handschuhe runter, die Helm runter, die Maske runter, die Brille abwischen und abtrocknen, die Brille ansetzen, die Helm aufsetzen und zuletzt auch die Handschuhe anziehen. Beim Einsteigen in den Lift der Prozess in ähnlicher Reihenfolge, mit der Ausnahme des Runternehmens und Abtrocknens der Brille – und natürlich anstatt Abnahme der Maske ihr Aufsetzen. Ich kann euch versichern, dass es ordentlich auf die Nerven geht, ich lernte letztendlich ohne Brille zu fahren. Man sieht dabei zwar nicht richtig den Boden unter dem Schi, besonders beim Übergang von Sonne in den Schatten, aber man gewöhnt sich daran. Schlimmer war das beim Bestellen von Essen in den Hütten. Die einzige Chance stellten Tische im Freien vor der Hütte dar, wenn sie mit einer Speisekarte versorgt waren. Diese gab es aber nur sehr selten. Im Moment, als ich das Essen in der Hütte kaufen musste, war ich verloren. Ohne Brille konnte ich das Speiseangebot nicht lesen und als ich meine Brille aufgesetzt habe und sie vernebelte sich, war ich komplett blind. Vor dem Hungertod wurde ich von meinem Sohn gerettet. Er fotografierte das Speiseangebot mit seinem Handy und brachte mir das Bild zum Tisch vor der Hütte. Wie ich schon sagte, das Handy ist der wichtigste Gegenstand, den man beim Schifahren heutzutage braucht.

Ein Schifahrer in den Covid-Zeiten. Er sieht zwar nichts, ist aber trotzdem glücklich.

               Wir wohnten in einer Region, wo die Nation der Ladiner lebt. Es ist eine interessante Geschichte. Diese vergessene winzig kleine Nation lebt in fünf Bergtäler in Südtirol und in Friaul, die einzige Siedlung, wo sie leben und die man eine Stadt nennen dürfte, ist Cortina d´Ampezzo. Es gibt insgesamt lediglich 30 000 Menschen dieser Nationalität, sie haben aber ihre eigene Sprache (eher viele Sprachen, da jedes Tal, sogar jedes Dorf mit einem anderen Dialekt spricht) eigene Kultur und Identität. Ihre Sprache, die zur rhetoromanischen Sprachgruppe gehört, wird in den Schulen unterrichtet. Unser Quartiergeber wechselte fließend zwischen Ladinisch, Italienisch und Deutsch, seit seiner Kindheit kommunizierte er in allen drei Sprachen. Das Essen der Ladiner ist einfach, in ihrem Museum hörten wir, dass sie noch im neunzehnten Jahrhundert die Bauern im Pustertal bei Bruneck beneideten, weil diese sogar Fleisch aßen. Dazu war nie ganz klar, zu welcher Obrigkeit ladinische Bauern und ihre Täler gehörten. Um ihren Zehnten kämpften der Bischof von Brixen mit der Äbtissin des Klosters in Sonnenberg und gegen die Steuererhebung in seine Kassa hatte auch der Graf von Tirol als der Landesherr keine Einwände. Im Jahr 1458 eskalierte der Streit, die Steuer wollten auf einmal alle, die Bauern wehrten sich aber und in der „Schlacht von Ennenberg“ starben 55 tiroler Soldaten unter einer Steinlawine, die auf sie die Bauern herunterlassen haben. Danach meinte der tiroler Graf Sigismund, dass sich die Steuererhebung in dieser Region nicht auszahle. Er hatte übrigens genug Geld, nicht umsonst hatte er seinen Spitznamen „Der Münzreiche“. Durch seinen Lebenswandel (er hatte angeblich um die vierzig unehelichen Kinder) ruinierte er trotzdem das silberreiche Land Tirol und er wurde entmachtet, enteignet und in den Zwangsruhestand geschickt. Weil er keinen legitimen Nachfolger gezeugt hatte, starb mit ihm der tiroler Ast der Habsburgerfamilie aus.

               Aber zurück zu den Ladinern.

Das Museum der ladinischen Kultur in Sankt Martin

Zu dem nächsten Arzt in San Lorenzen war es fünf Stunden weit – ein kranker Mensch hat also den Arzt sicher nicht erreichen können. Dann kam aber die Touristik. Heute stehen in jedem Dorf Pensionen, Pensionen und wieder einmal Pensionen, alle Häuser sind mindestens auf drei Stockwerke angehoben, um Tausende Besucher unterzubringen, die im Winter Schi fahren und im Sommer wandern wollen. Die Kulisse der Dolomiten ist nämlich atemberaubend und unverwechselbar.

               Wie ich verstand, das typische Essen ist hier die Gerstensuppe, der Polenta und die Knödel, sowie auch Nudeln mit verschiedener Füllung. Heutzutage bekommen die Touristen aber auch Speck, Schinken und Eier und Fleisch ist in den ladinischen Tälern auch keine Mangelware mehr. Die Küche unterscheidet sich nicht wirklich von der nord- oder osttiroler, sie besitzt nur ein wenig von den italienischen Einflüssen, was ihr sicherlich nicht schadet. Ich mag die ladinische Flagge. Von unten nach oben grün, weiß und blau, also Wälder, Gletscher und blauer Himmel. Eine Flagge, die Frieden, Natur und die Schönheit des Landes symbolisiert, in dem diese Leute leben.

               Übrigens Südtirol in Italien Südtirol zu nennen ist nicht anständig. Als ob die Italiener noch immer ein schlechtes Gewissen hätten, wie sie dieses Land im Jahr 1918 gewonnen haben, sauber war es sicher nicht. Sie gingen in den Krieg mit dem Versprechen, nach dem Sieg dieses attraktive Land zu bekommen. Deshalb haben sie ihre damaligen Verbündeten die Deutschen und die Österreicher, verraten und haben sich im Jahr 1914 ihnen nicht angeschlossen. Ein Jahr später griffen sie sogar Österreich an und haben dafür teuer bezahlt. Nach der Niederlage bei Caporetto (Kobrid) mussten sie sich bis zum Fluss Piave tief ins eigene Land zurückziehen und dort verteidigten sie sich bis zum Kriegsende. Nachdem sich die österreichische Armee Ende Oktober 1918 aufgelöst hatte, schlossen die Italiener mit Österreich einen Waffenstillstand, aber mit einer Übergangfrist von 48 Stunden. Sie vermuteten richtig, dass die österreichischen Soldaten, die nichts anderes als heim wollten, nicht mehr kämpfen würden. So schafften die Italiener binnen zwei Tage den südlichen Teil Tirols bis zum Brennerpass zu besetzen und nach dem Frieden von Saint Germain auch zu behalten. Mussolini bemühte sich, die Deutschen aus dem Land auszusiedeln und es italienisch zu machen, er schloss in dieser Sache sogar einen Vertrag mit Hitler – und es ist ihm tatsächlich gelungen, einen Teil der deutschsprachigen Bevölkerung zu vertreiben. Die, die hierblieben, strebten nach dem zweiten Weltkrieg so lange nach der Autonomie, bis sie sie im Jahr 1972 erhielten. Österreich hat in dieser Sache Vermittlerrolle gespielt. Die autonome Region heißt aber nicht Südtirol, sondern Trentino- Alto Adige. Ich glaube nicht, dass es die Südtiroler stört, sie haben ähnlich wie die anderen Italienischen autonomen Regionen Sardinien, Sizilien und Friaul eigene Regierung und das Budget und es geht ihnen gut. Neben Piemont ist Südtirol die reichste italienische Provinz. Der Boden hier ist enorm fruchtbar, also im Tal südlich von Bozen wird jeder Quadratmeter mit Obstplantagen oder Weinbergen bestellt. Es wird hier guter Wein angebaut, zum Beispiel der weiße Traminer, der nach gleichnamigem Ort Tramin südlich von Bozen genannt ist oder der rote Lagrein. Wir waren hier im Winter, wir tranken also Lagrein und er war hervorragend.

               Alta Badia ist ein Schizentrum, dass durch das Rennen des Weltcups der Männer im Riesentorlauf berühmt ist (die Abfahrt und der Super-G werden im unweiten Val Gardena bestritten. Wenn man die Schikarte „Dolomiti Superski“ um 67 Euro kaufen würde, dürfte man in beiden Zentren Schi fahren – und auch in einigen weiteren in der Umgebung. Dann ist auch eine Sellaronda, also eine Runde um die Sellagruppe oder sogar die „Grande Guerra“ für die Berggipfeljäger möglich). Aber ganz ehrlich – Alta Badia allein kann für einen Schifahrer ausreichend sein.

Die Mehrzahl der Pisten ist gemütlich blau, die roten sich super zum Fahren und es gibt auch einige schwarze wie Gran Risa, auf der der Riesentorlauf der Herren bestritten wird oder die Piste Nummer eins, die in der Höhe 2550 m bei einem Photopoint beginnt und nach Ort Corvara läuft. An dem Photopoint können sich Touristen mit dem höchsten Berg Südtirols, der Marmolata (3343 m), im Hintergrund fotografieren.

Der Berg schaut monumental aus, als der einzige in Südtirol besitzt er nämlich einen eigenen Gletscher, er wird aber stolz von Civetta (3220) und dem bedrohlichen Felsen von Monte Pelmo (3168) flankiert. Aber diese Berge sind nicht die einzigen atemberaubenden in der Umgebung. Die ganze Zeit fährt man um das Gebirge Gruppo del Sella mit steilen Kalkfelsen und dem höchsten Berg Piz Boé mit der Höhe 3152m herum. Die ganze Gruppe ist ein Erlebnis. Wenn die österreichischen Berge meistens schwarz sind (Granit), die Kalkberge der Dolomiten haben hellbraune Farbe.

               Schon die Hochebene von Alta Badia allein scheint unendlich zu sein und bietet Unmengen an Pisten, wem es aber zu wenig wäre, kann weiter in Richtung Passo die Gardena (Grödner Joch) fahren. In der Jimmi Hütte sitzend, hat man die ganze Welt zu Füßen, besonders, wenn die Sonne strahlt, und man sitzt auf der Terrasse vor der Hütte. Dann ist es ein wunderschönes Erlebnis, die Sellagruppe und in der Ferne den Langkofel vor sich zu haben. Bei Jimmi ist aber Schluss mit der Schikarte Alta Badia. Um nach Val Gardena weiterzufahren, würde man den „Dolomiti Superski“ Pass brauchen.

Unterwegs zu „Passo die Gardena“ passiert man das Dorf Colfosco. Das Dorf liegt eingeklemmt zwischen zwei Bergmassiven. Von einer Seite ist es die imposante „Gruppo del Sella“, von der anderen dann die „Gruppo Puez“ mit einem beeindruckenden felsigen Berg Sassonger (2665). Im Sommer kann man ihn besteigen, der Klettersteig unter dem Gipfel ist nicht so furchterregend, wie er von der Ferne aussieht. In jedem Fall verleiht die Lage zwischen zwei steilen Felsenmassiven Colfosco seine Attraktivität. Wenn jemand kleine Kinder hat, und diese sich auf blauen, aber keinesfalls langweiligen Pisten austoben möchten, ist er hier absolut richtig. Die Erwachsenen, für die das eventuell zu wenig ist, setzen sich einfach in die Gondel und lassen sich nach Corvara bringen, was eine der wichtigsten Einstiegstellen für Alta Badia ist. Die weiteren sind La Villa, San Cassiano und mit dem Schigebiet ist auch Abtei Badia verbunden. In diesem Ort gibt es die Abtei, die der Ortschaft ihren Namen gab, nicht mehr, es blieb nur eine Kirche, die allerdings Ende des achtzehnten Jahrhunderts im Barockstil neu gebaut wurde. Die Abtei wurde aufgelöst, da sie dem Templerorden gehört hatte. Natürlich, wie überall, ließen die Ritter irgendwo hier einen Schatz versteckt, den bisher niemand finden konnte. In der Abtei Badia wurde im Jahr 1852 der einzige südtirolische Heilige geboren. Er hieß Joseph Freinademetz und er war ein Missionar in China, wo er im Jahr 1908 an Typhus starb. Er wurde im Jahr 2003 heiliggesprochen – von wem sonst, wenn nicht von Johann Paul II.? In Abtei Badia gibt es das Geburtshaus des Heiligen.

Aber aufpassen! Wenn man sich überall in Südtirol, oder zumindest in seinem nordöstlichen Teil um Bruneck und Brixen auf Deutsch verständigen konnte, in Alta Badia kann die Sache ein bisschen komplizierter sein. Die Mehrheit der Gäste sind Italiener und das Personal in den Hütten sind nicht unbedingt die Einheimischen, also gibt es genug Kellner, die des Deutschen nicht mächtig sind. Zumindest der Grundwortsatz auf Italienisch ist von Vorteil. Die Speisekarten sind aber überall zweisprachig. Man findet im Angebot Nudelgerichte, Lasagne, aber auch Wienerschnitzel. Ein Schock waren für mich die Preise für Suppen. Es stimmt, dass die Portionen riesig waren und die Suppen so dick, dass sie eher einem Brei ähnelten, und man wurde nach ihrem Verzehr satt. Aber elf Euro für eine Gerstensuppe kam mir doch zu viel vor. Die Pizzas waren billiger. Es ist interessant. Es gab nur wenig Deutsche, die üblicherweise mit ihrer Kaufkraft prahlen und die Preise wortlos akzeptieren. Die meisten Gäste waren Italiener und die haben normalerweise doch tiefer in die Tasche gegriffen. Mein Sohn war mit seinen blauen Augen eher exotisch, eine weitere blauäugige Person habe ich dort nicht gesehen. Offensichtlich haben also die Italiener, die Schiurlaub fahren, keine finanziellen Probleme. Die Preise für die Unterkunft direkt auf den Pisten sind astronomisch. Zwischen den Schiorten fährt aber ein Skibus, der die Leute verlässlich zur Piste bringt, wenn man keine Lust hat, dorthin mit dem Auto zu fahren. Er pendelt sogar zwischen Alta Badia und dem nächsten Schizentrum Kronplatz, das über die Stadt Bruneck emporragt und mit zwanzig Einstiegstellen prahlt.

Kronplatz ist mit seinen langen Pisten sportlicher, Alta Badia mit seinem Bergpanorama schöner. Unter den zwanzig Einstiegstellen von Kronplatz ist die längste von Piccollino über San Vigilio die Marebbe im Ennenbergtal (also dort, wo die ladiner Bauern die tiroler Soldaten mit Steinen verschütteten, die dort die Steuer einheben wollten). Lässt euch nicht durch die Werbung täuschen, dass zu diesem Anstieg die „Migliore pista nera“ also die beste schwarze Piste führt. Wenn man auf der Piste nachmittags fährt, ist das Fahren zwischen den Mulden und Schneehaufen eine Belastungsprobe nicht nur für die Beine.

Aber trotzdem. Südtirol ist ein Land, das man unbedingt besuchen sollte. In Winter oder in Sommer. Oder in beiden diesen Jahreszeiten.

Die Schwäche der Demokratie und der Angriff des industriellen Faschismus

„Ich halte Freiheit und Demokratie für nicht länger miteinander vereinbar.“ Diesen Satz habe ich nicht erfunden, es ist ein Zitat Peter Thiels, eines der erfolgreichsten amerikanischen Unternehmer in Silicon Valley – und eines Beraters von Donald Trump. Das macht ihn zwar nicht zum reichsten, aber immer noch zum einflussreichsten Unternehmer Amerikas. Übrigens, neuerdings ist er auch der Arbeitsgeber des ehemaligen österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz.
Thiel predigt in seinen Büchern eine Idee, die nicht ganz abstrakt ist, weil vor kurzer Zeit vom tschechischen Premierminister Babiš versucht worden ist, sie in der Praxis umzusetzen: „Firmen funktionieren besser als Regierungen, weil sie nur einen Chef haben – wie eine Diktatur.“
In Tschechien hat dieses Modell zu keinem Erfolg geführt, vielleicht deshalb, weil Staaten weit komplexeren Gebilde als Firmen sind, die Großteils auf die Produktion eines einzigen Produkts spezialisiert sind. Wir kennen viele Staaten, die von einem Menschen geführt werden, der keine andere als seine eigene Meinung duldet und mit einer einzigen Ausnahme – China – geht es ihnen ökonomisch nicht gut. Egal, ob es Russland, Weißrussland, die Türkei oder Venezuela ist. Trotzdem werden diese Ideen von den Massen toleriert und großteils positiv aufgenommen und stellen eine tödliche Gefahr für die Demokratie in der Welt dar.
In die Politik trat in den letzten Jahrzehnten ein neuer Menschentyp – Menschen aus dem Unternehmersektor, die nach Ruhm und Macht streben. Ihre Bewegungsgründe sind unterschiedlich. Es kann nur die Bestrebung eines Egomannes wie zum Beispiel Donald Trump sein, berühmt und mächtig zu werden (obwohl er natürlich nicht vergisst, die Steuergesetze so anzupassen, dass sein Unternehmen davon profitiert.) Es kann – wie in Tschechien – eine Absicht dahinten sein, aus dem Staat eine Servicefirma für das Privatbusiness des Staatschefs zu machen, um damit leichter an die Subventionen zu kommen und die Quartalbilanzen zu verbessern.
Die ideale Vorstellung ist – ein genialer Manager, der sich mit fähigen Beratern umgibt und sich von ihren Analysen leiten lässt. Also so etwas, wie ein aufgeklärter Herrscher. In der Realität schaut es ein bisschen anders aus. Die erfolgreichen Unternehmer sind meistens nicht die gerade die intelligentesten – sie haben gerade deshalb die Energie sich durchzusetzen, weil sie von keinen entbehrlichen Überlegungen und Zweifeln gebremst werden. Sie dulden aber in ihrer Umgebung keine Menschen, die gescheiter sind als sie selbst. Ein Dummkopf umgibt sich dann mit noch größeren Dummköpfen – die letzte tschechische Regierung war ein Paradebeispiel eines solchen Vorgangs.
Der zweite Grund, warum die Thiels Hypothese in der Praxis nicht funktioniert, ist die unkontrollierte Korruption, die zu einer Diktatur untrennbar gehört. Die regierende Schicht beseitigt nämlich jede Kontrolle und eine unkontrollierbare Macht verleitet einfach unwiderständlich zur Korruption. Die Macht korrumpiert und die absolute macht korrumpiert absolut.
Ich staune nur, wieviel Menschen sich mit diesen Ideen anfreunden können. In der Gedankenwelt des Industriellen Thiel erleben Menschen ihre Freiheit lediglich in einer Diktatur, die wie eine Firma organisiert ist. Sie sind also befreit vom Dilemma des Denkens und von Protesten und diversen Meinungen, die ihren Sinn belasten würden. Alles ist klar gegeben, es reicht, sich damit zu identifizieren und man hat kein Problem. Ein Mensch ist in diesem Industriellen Faschismus (ich entschuldige mich für diesen Begriff, den ich selbst erfunden habe, aber es fällt mir kein besserer ein) einer Maschine ähnlich. Er ist gut, funktioniert verlässlich nach seiner Programmierung und wenn er nicht richtig funktioniert, wird er repariert oder entsorgt. In einer Diktatur ist der Mensch nur frei, wenn er auf seine Identität und auf sein Denken verzichtet. Es ist einfach und verführerisch, aber es ist fatal für die Gesellschaft. Die Demokratie bietet für komplexe Probleme keine einfachen Lösungen, die Demagogen schon.
Demokratische Länder stellen auf der Weltkarte nur eine überschaubare Minderheit dar. Ernst werden sie nur dank ihrer ökonomischen und militärischen Kraft genommen. Ohne die USA und ihre militärische Kraft wären diese Regime nicht im Stande, sich gegen die immer stärker und aggressiver werdenden Diktaturen zu behaupten. Die ganze demokratische Welt ist also vom guten Willen der USA abhängig und diese beginnt ihre demokratischen Prinzipien zu verlassen.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass die republikanische Partei von der rechtsradikalen Tea Party der Brüder Charles und David Koch umgestaltet wurde. Die Koch-Brüder waren Besitzer der Koch Industrie (David Koch ist im Jahr 2019 gestorben), eines des größten unternehmerischen Subjektes in den USA. Die republikanische Partei musste auf die demographische Entwicklung in ihrem Land mit ständig gewachsenem Anteil der Afroamerikaner und Hispanos reagieren. Wenn sie also vor einigen Jahrzehnten die aggressiven faschistischen Gruppierungen mit Verachtung als ein Randphänomen des politischen Spektrums beobachteten – heute sind gerade Mitglieder dieser Gruppen ihre Stammwähler. Und sie sind bereit, bei Bedarf zur Gewalt zu greifen oder sogar einen Bürgerkrieg anzufangen. Der undisziplinierte Bund der Demokraten hat gegen diese Phalanx nichts anzubieten, das beweisen sie bereits ein Jahr nach der Wahl von Joe Biden zum amerikanischen Präsidenten. Der Augenblick der Wiederwahl von Donald Trump nähert sich unaufhaltsam. Und mit ihm dann auch der Eintritt des „Industriellen Faschismus“ der Koch-Brüder und Peter Thiels in den USA. Man wird einwenden, dass es in der republikanischen Partei auch einen demokratischen Flügel gibt. Ja, den gibt es tatsächlich, ihre „Stärke“ konnte man bei der Verurteilung des Angriffs des Pöbels auf das Symbol der amerikanischen Demokratie, den Kapitol, sehen – dieser Flügel zählt gerade noch sieben von 50 republikanischen Senatoren! Neuerlich hat die Republikanische partei das Vorgehen von Trump nach der Wahl, also seine Weigerung die Wahlergebnisse anzuerkennen und den Sturm auf das Kapitol für legitim erklärt.
Europa arbeitete sich zu Demokratie achthundert Jahre lang durch (eigentlich 1800, wenn man das Ende der antiken Demokratie mit der Einführung des Prinzipats im alten Rom im Jahr 27 vor Christus gleichsetzen würde). Derzeit unterliegt Europa einem selbstzerstörerischen Prozess. Europa begann sich für die Sünden der Vergangenheit zu peitschen, obwohl es dazu keinen Grund gibt. Es ist etwas, was Octavio Paz „moralisierender Masochismus“ nannte. Wir schämen uns dafür, dass unsere Kultur hochentwickelt und damit nicht für jeden verständlich ist. Deshalb wollen die Linksradikalen die Kultur so weit vereinfachen, dass sie jeder begreifen könnte. Im Jahr 1987 schrieb französische Schriftsteller Alain Finkerkraut ein Buch „Die Niederlage des Denkens“. Er hat den kulturellen Relativismus kritisiert und die Hochkultur verteidigt. Die Linken haben ihn elitären Denkens beschuldigt. Die Massenkultur muss nach ihrer Ansicht in Namen der Gleichheit verteidigt werden. Es beginnt mit der Vereinfachung der Sprache, es setzt sich in Unterhaltungsprogrammen und Fernseherserien fort. Man ging den Massen entgegen. Laut Finkerkraut wollte Hitler die Europäische Kultur vernichten und sie macht ihm jetzt ein Geschenk mit einem gewaltigen Autodafe.
Demokratie fehlt der Wille sich zu verteidigen. Weder gegen die Angriffe von den sie umkreisenden Diktaturen, noch gegen die destruktiven Einflüsse in ihrem Inneren (die häufig von den Diktaturen ideologisch und finanziell unterstützt werden). Wohlstand lässt automatisch die Kampflust sinken. Wohlstandgesellschaften haben eine Neigung zur Selbstzerstörung. Aus Mangel an existentiellen Problemen suchen sie unbedeutende Probleme und machen aus ihnen existentielle. Dann haben sie plötzlich zu viel davon und wissen damit nicht umzugehen. Wie zum Beispiel Transgender-Thema. Joanne Rowling als das Opfer dieses hochgespielten im Prinzip nicht existentiellen Problems lässt grüßen.
Soll Europa auf seine Kultur im Namen der Toleranz verzichten? Europa erkämpfte sich die Demokratie durch den Einfluss der Aufklärung, also nur nach seiner Befreiung von der Herrschaft der Kirche. Soll sie jetzt im Namen der Toleranz einer anderen diktatorischen Ideologie – dem Islam – weichen? Islam machte keine Aufklärung durch und er konnte es auch nicht. Er kann nichts dafür, aber es ist einmal so. Er blieb intolerant und diktatorisch orientiert – wie die katholische Kirche vor der Aufklärung. Auf der anderen – rechtsradikalen – Seite formieren sich andere radikale Gruppierungen. Demokratie bedeutet in ihrem Grundsinn eine Diskussion. Derzeitige Polarisierung der Gesellschaft macht diese unmöglich. Anstatt Diskussion wird attackiert und gedroht und die Exekutive schaut im Namen der falschen Toleranz untätig zu.
Milan Kundera schrieb, dass „Modern zu sein bedeutet auf dem geerbten Wege zu neuen Entdeckungen zu gelangen.“ Warum sollten wir diesen Weg im Namen des Multikulturalismus verlassen?
Obwohl wir eine hundertjährige Erfahrung mit Demokratie noch aus der Zeit von Österreich-Ungarn haben, verstehen viele Leute ihre Prinzipien nicht. Totalität ist nicht, wenn alle Menschen bestimmte Regel einhalten müssen. Totalität ist, wenn manche auserwählten Personen über den Regeln stehen und die Regeln nicht einhalten müssen. Was spielt sich in den Köpfen der Menschen ab, die die Impfpflicht totalitär nur deshalb nennen, weil sie Angst vor der Nadel haben?
Vaclav Havel sagte: „Das Problem der Demokratie liegt darin, dass sie die, die sie ernst nehmen, überaus einschränkt, während sie denen, die sie ignorieren, beinahe alles erlaubt.“
Unsere Demokratien gehen aber so weit, dass sie sich bei den Diktaturen in dem Namen der „Toleranz“ einschleimen wollen, um sie nicht zu beleidigen. Ein furchtbares Beispiel solcher falschen Toleranz ist, wenn die Australier den Grandslambesuchern im Melbourne, die T-Shirts mit Slogans zur Unterstützung der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai trugen, den Eintritt verweigerten. Sie begründeten es mit lächerlichen Argumenten, dass Politik keinen Platz im Sport hätte. Was macht China aus den Olympischen Spielen anderes als eine politische Kraftdemonstration? Taten die Sowiets im Jahr 1980, die Russen in Sotschi im Jahr 2014 oder die Nazis im Jahr 1936 etwas anderes? Diktaturen nutzen jede Gelegenheit, um die Überlegenheit ihres Systems zu präsentieren. Auf dem Rücken des großen „Sportereignisses“ versichern sich Vladimir Putin und Xi Jinping gegenseitiger Unterstützung im Krieg gegen die Ukraine oder um Taiwan. Der Westen schaut tatenlos zu und klatscht.
Diktatoren sind nicht gewohnt zu verhandeln und jede Bereitschaft ihnen entgegenzukommen interpretieren sie als Schwäche und einen Ansporn zur Steigerung ihrer Forderungen. Das bleibt immer gleich. Von Hitler, über Putin bis zu Xi Jinping. Diktatoren brauchen einen Konflikt, am besten einen Krieg, um ihre Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Besonders, wenn sie ökonomisch keine Erfolge zu verzeichnen haben. In dieser Zeit sagt dann der bayerische Regierungschef Söder, sicher kein Leichtgewicht in der deutschen Politik, dass Russland kein Feind sei und signalisiert die Bereitschaft, Zugeständnisse zu machen. Söder ist kein Diener des Kremls wie Viktor Orban in Ungarn oder Milos Zeman in Tschechien. Dass der deutsche Exkanzler Gerhard Schröder auf der russischen Seite steht, überrascht natürlich niemanden. Er wird ohnehin seit langer Zeit von Russland bezahlt. Und er ist unter den europäischen Politikern bei weitem nicht allein. Wie soll dann Putin die Europäische Union ernst nehmen? Dann kommen seine Ideologen mit der Idee der Befreiung Europas vom fremden Einfluss (verstehe amerikanischen) und Bildung eines gemeinsamen Kulturraumes von Lissabon bis nach Wladiwostok. Natürlich mit der Hauptstadt Moskau und mit russischem politischem System. Ein Beweis der europäischen Bedeutungslosigkeit, in die es sich Europa selbst manövriert hat, ist die Tatsache, dass Russland über die Ukraine mit den USA und nicht mit der EU verhandelt und die Europäer sind nicht einmal zu den Gesprächen eingeladen.
Die Demokratie stützt sich grundsätzlich auf drei Pfeiler.
1) Das System der repräsentativen Demokratie
2) Unabhängigkeit der Justiz
3) Freie Journalistik
Dass das Funktionieren dieses Systems nicht unantastbar ist, sehen wir bei unseren Nachbaren. In Ungarn ist es praktisch gelungen, die unabhängige Journalistik zu liquidieren, in Polen ist das Angriffsziel die Unabhängigkeit der Justiz. Der Angriff auf das unabhängige private Fernseher blieb vorläufig ohne Erfolg – die Amerikaner schrien zu laut, als dass es Jaroslaw Kaczynski ignorieren könnte – die USA sind letztendlich die letzten polnischen Verbündeten.
Es ist eine neue Methode entstanden, dass die Unternehmer, die nach der Macht streben, sich Medien einfach kaufen. Es begann damit Silvio Berlusconi und „Il cavalliere“ war tatsächlich dank der Unterstützung seiner Medien trotz aller Skandale der erste italienische Premierminister nach dem zweiten Weltkrieg, der die ganze Wahlperiode durchgestanden hat. In Tschechien machte das gleiche der Oligarch Andrej Babiš – und solange er seine Mediendivision namens „Mafra“ hat, ist er nicht abgeschrieben. Er kann jederzeit zurückkehren und gewinnen. Besonders wenn die unabhängige Journalistik sich jetzt auf die neue Regierung, die Babiš abgelöst hat, eingeschossen hat. Die Journalisten wollen damit wahrscheinlich beweisen, dass sie nicht gegen Babiš voreingenommen waren, der schwere Beschuss der neuen Regierung verstehen aber die Wähler so, dass sich nichts zum Positivem geändert hat. Und die neue demokratische Regierung hat leider keine Möglichkeit sich zu wehren – im Gegensatz zu ihrem Vorgänger hat sie keine „ihre“, also von ihr bezahlte Journalisten. Dadurch gerät sie in schiefe Optik und das droht mit einem unguten Ende.
Die echte Gefahr für die Demokratie kommt aber nicht aus Ungarn, Polen oder Tschechien, nicht einmal aus Moskau, sondern aus Washington. Wenn die Demokratie in den USA fällt, dann wird sie überall auf der ganzen Welt untergehen. Und Trump mit Thiel arbeiten mit ihrer Partei und ihren fanatischen Anhängern fleißig daran. Die Demokratie dann wiederherzustellen, wird extrem schwer, wenn nicht unmöglich sein. Freie und faire Wahl wird dann unmöglich und Demonstrationen auf den Straßen haben noch keine Diktatur, die entschlossen ist, sich zu verteidigen, gestürzt. Weder in Weißrussland, Russland, Honkong, noch im Iran. Es gibt Märtyrer, aber keinen Erfolg.
Als Caesar und Augustus es schafften, die Demokratie im alten Rom zu beseitigen, dauerte es lange 1800 Jahre, bis sie die Menschen wieder gewonnen haben. Und es ist anzumerken, dass alle Diktaturen in der Zwischenzeit keine Beobachtungskameras, Gesichtsscans, Internet, Satelliten, die jede Bewegung der Mobiltelefone und ihrer Besitzer beobachtet besaßen. Es reicht, sich dem Regime unbeliebt zu machen und man kriegt die Bewertung „DDD“ wie in China und dann kauft man sich nicht einmal ein Ticket für eine Busfahrt, oder man verschwindet im Gulag mit Bezeichnung „Terrorist“ wie in Russland. Es gibt aber auch diffizile Möglichkeiten. Zum Beispiel das System Pegasus, das sich ins Handy der verdächtigen Person einschleicht. Nicht nur, dass jedes Gespräch und jede SMS beobachtet werden, sondern es ist auch möglich, in das Handy Aktivitäten zu implantieren, die der Besitzer gar nicht getätigt hat. Er könnte dann geheime Konten haben und verdächtige Transaktionen durchführen, von deren er selbst nicht weiß. Es ist heutzutage kein Problem, jeden Menschen zu kriminalisieren, wenn man ihn wegen Betrug, Steuerentziehung oder ähnliche Kriminalität verurteilen möchte. Egal, ob er etwas Gesetzwidriges getan hat oder nicht.
Die moderne Diktatur weiß jeden Menschen zu vernichten – und das Volk wird dabei sogar jubeln, weil es die Wahrheit nie erfährt.
Passen wir also auf die Demokratie auf. Es ist ein unbezahlbares Gut und ginge sie einmal verloren, wird es für die Ewigkeit sein.

Litauen II

In dem ehemaligen Bischofspalast in Vilnjus residiert der litauische Präsident, seit dem Jahr 2019 ist es Gitanas Nauséda. Im Jahr 2013, als wir die Stadt besucht haben, war Dalia Grybauskaite im Amt und sie genoss bei der Bevölkerung große Beliebtheit und das Vertrauen. Die Methode, das zu erreichen, war ziemlich einfach. Sie hat sich nicht bereichert, sie hat nicht getrunken (Litauen hat den größten Alkoholkonsum europaweit und schlägt dabei auch solche Favoriten, wie Tschechien oder Österreich) und sie sagte immer die Wahrheit. Also ein einzigartiges Phänomen in der Politik, vielleicht deshalb durfte sie nicht mehr eine Kommissarin in Brüssel sein. Übrigens Litauen hat für seine 3,4 Millionen Einwohner 161!!! Abgeordnete. Dagegen konnte nicht einmal die populäre Präsidentin etwas tun.

               Der litauische heilige Kazimir war eigentlich ein polnischer Prinz, ein Sohn des Königs Kazimir IV. und seiner Gattin Elisabeth, der Enkelin des Kaisers Sigismund, älterer Schwester des ungarischen und tschechischen Königs und österreichischen Herzogs Ladislaus Postumus. In die litauische Geschichte trat sie unter dem Namen Elisabeth von Habsburg ein, da sie eine Tochter des deutschen Königs Albrecht II. war. Sie gebar ihrem Mann insgesamt zehn Kinder. Kazimir war der jüngere Bruder des tschechischen und ungarischen Königs Vladislav I. Jagiello und nachdem sein älterer Bruder die Königskrone von Tschechien und Ungarn angenommen hatte, hatte Kazimir eigentlich den Anspruch auf die polnische Krone. In seiner Jugend entsandte ihn sein Vater nach Ungarn, um dort Mathias Corvinus zu pazifizieren. Er bezog von den Ungaren furchtbare Prügel und verlor jedes Interesse an Regierungsgeschäften. Im Jahr 1483 im Alter von 25 Jahren übernahm er zwar auf Anweisung seines Vaters die Verwaltung von Litauen und übersiedelte nach Vilnjus, ein Jahr später starb er aber hier in Folge seines asketischen Lebens an Tuberkulose. Weil er keine Machtgelüste hatte und sich durch die Fürsorge für die Armen und durch Taten der Barmherzigkeit berühmt machte, wurde er im Jahr 1602 heiliggesprochen. Es wird erzählt, dass als bei der Gelegenheit seiner Heiligsprechung sein Sarg eröffnet wurde, sein Leichnam unversehrt gefunden wurde (das machen angeblich die Mykobakterien, also die Verursacher der Tuberkulose sehr gerne – sie verteidigen ihren Lebensraum, also den Leichnam ihres Opfers, sehr konsequent und die üblichen Fäulnisbakterien können sich in den Leichnam einfach nicht durchkämpfen).

               Natürlich gibt es in Vilnjus auch die Kathedrale des Heiligen Kazimirs (obwohl er selbst in der Kathedrale des heiligen Stanislaus bestattet ist). Es ist eine monumentale Barockkirche mit einer fürstlichen Krone auf der Turmspitze (weil Kazimir ein litauischer Fürst war). In der Kirche wurde von den Sowjets – absolut pervers – ein Museum des Atheismus errichtet. Also in der Kirche, die dem örtlichen Heiligen gewidmet wurde, mussten die Lehrer in den Pflichtstunden der Atheismuslehre erklären, dass es keinen Gott gibt. Es half nicht einmal das. Die Litauer blieben trotz allen sowjetischen Bemühungen katholisch und sie sind es bis heute. Die Sowjets fühlten sich angesichts ihrer einzigen Republik der Sowjetunion, die so hartnäckig auf ihrer Religion beharrte, ziemlich machtlos. Letztendlich erlaubten sie in Kaunas das einzige katholische Seminar für die Ausbildung katholischer Priester in dem gesamten Imperium zu gründen und die Litauer durften auf dem Hauptplatz von Kaunas sogar die Statue ihres nationaler Weckers Maironis errichten. Das Problem gab es in der Tatsache, dass Maironis (mit eigenem Namen Jonas Mačiulis) ein katholischer Priester war und demzufolge zu seiner Kleidung automatisch ein Kreuz um den Hals gehörte. Nach langen Verhandlungen wurde ein Kompromiss beschlossen (in Litauen mussten sogar die Kommunisten Kompromisse beschließen). Maironis durfte in einem Priestergewand dargestellt werden (er trug ohnehin niemals etwas anderes), er hält aber seine Hand nachdenklich unter dem Kinn und so ist sein Kreuz verdeckt.

               Nicht einmal die Schwarze Madonna aus dem 16.Jahrhundert, die sich über dem „Tor der Morgendämmerung“ in Vilnjus befindet, trauten sich die Kommunisten zu vernichten oder sie zumindest wegzubringen – es handelt sich doch um die Stadtbeschützerin und man konnte nicht wissen, was nach der Entfernung der Staue mit dem passieren hätte können, der den Befehl zu Vernichtung der Statue gegeben hatte. Obwohl nicht einmal die Madonna der Stadt Vilnjus wirklich half. Im Jahr 1795 bemächtigten sich die Russen der Stadt, im Jahr 1915 die Deutschen, im Jahr 1920 die Polen und wenn Vilnjus im Jahr 1939 endlich litauisch wurde, ging ganz Litauen im Jahr 1940 – absolut unfreiwillig – in den Bund der brüderlichen sowjetischen Republiken. Trotzdem strömen zur Madonna tausende Pilgern, um hier zu beten. Der berühmteste von ihnen war – ihr könnt nur einmal raten – natürlich Johann Paulus II. Seine Gedenktafel gibt es an vielen Stellen. Karol Wojtyla waren die Litauer bereit sogar die Tatsache, dass er ein Pole war, zu verzeihen. Hauptsache, er hat geholfen sie von den Kommunisten zu befreien.

               Kaunas rühmt sich mit einer Brücke, die 12 Jahre lang die längste Brücke der Welt war. Es dauerte nämlich beinahe zwei Wochen, um sie zu überqueren. Die Erklärung ist einfach. Der Fluss Nemen bildete nach der dritten Teilung Polens im Jahr 1796 die Grenze zwischen Russland, wo der julianische Kalender galt, und Preußen mit dem gregorianischen Kalender. Nach dem Wiener Kongress rückten die Russen weiter nach Westen und die Brücke verkürzte sich auf die normale Länge.

In Kaunas erinnert man sich auch an ein historisches Ereignis, das entscheidend die Weltgeschichte ändern sollte. Im Jahr 1812 überschritt gerade hier Napoleon mit seiner „Grand armee“ die russische Grenze. In diesem Moment, als er den Boden des Russischen Imperiums betrat, lief aus dem Busch ein Hase heraus. Das Pferd des Kaisers scheute und Napoleon stürzte zum Boden. Dies wurde allgemein für ein schlechtes Zeichen gehalten, wie dann der Napoleon Feldzug nach Russland ausgegangen ist, wissen wir alle. Die Bürger von Kaunas entschieden sich dieses historische Ereignis mit einem Denkmal zu verewigen. Sie errichteten aber keine Statue von Napoleon, der sie in ihren Hoffnungen, sie von den Russen zu befreien und auch durch französische Bemühungen, ihnen den katholischen Glauben aus den Köpfen zu schlagen, enttäuschte, sondern eine Statue des Hasen.

            Die Altstadt von Vilnjus ist verhältnismäßig klein und kann sich keinesfalls mit Riga messen- ihrer Größe entsprechen aber auch die Preise, also man kann hier für vernünftige Preise essen und trinken und das abendliche Vilnjus hat auch sein Zauber. Das litauische Bier heißt Švyturis und ist ziemlich trinkbar. Litauen war bei unserer Reise preismäßig von allen baltischen Staaten am annehmbarsten. Zur Eurozone trat Litauen im Jahr 2015, also zwei Jahre nach unserem Besuch. Ob sich dann in den Preisen etwas geändert hat, weiß ich nicht.

            Wie ich schon schrieb, Litauen ist nicht nur Vilnjus. Es gibt auch Klajpeda. Im Vergleich zu großzügig renoviertem Vilnjus ist die Stadt ein bisschen vernachlässigt und dadurch frustriert, so ist es aber einfach überall in der Welt. Das Geld strömt in die Hauptstadt und zögert dann, sie zu verlassen. Trotzdem sollte Klajpeda die reichste Stadt Litauens sein, es ist ein großer Handelshafen an der Mündung des Flusses Nemen, des größten litauischen Flusses. Auch Klajpeda (auf Deutsch Memel, nach dem Fluss, der auf Deutsch auch Memel heißt) hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Bis zum Jahr 1920 war Memel der nördlichste Hafen Deutschlands. Danach wurde es von Deutschland getrennt und von Franzosen verwaltet und später von Litauern besetzt. Gleich nach der Besetzung Tschechiens im März 1939 verlangte Hitler die Rückgabe der Stadt an Deutschland, was Litauen im April 1939 auch tat. Hitler zog in Memel ein und sprach zur versammelten begeisterten Bevölkerung vom Balkon des Theaters. (Beinahe 100% der Bevölkerung waren damals Deutsche).  Alle standen mit dem Gesicht zu Hitler gewendet und jubelten, nur eine Person stand mit dem Rücken zu ihm und jubelte nicht. Es war die Statue von Ännchen von Tharau, des Mädchens, über das einmal der preußische Dichter Simon Dach Liebesgedichten schrieb.

            Er schrieb sie eigentlich im Auftrag von einem gewissen Johann von Klinsporn, aber auch auf diese Weise hatte der verliebte Johann bei dem Mädchen keinen Erfolg. Aber obwohl ihm das Gedicht „Ännchen von Tharau“ keinen ersehnten Erfolg in der Liebe brachte, das Gedicht wurde vertont und ist bis heute das berühmteste Volkslied in der Region von Preußen und Nordlitauen. Aus diesem Grund verdiente sich Ännchen ihre Statue vor dem Theater von Klajpeda und brachte das Blut des großen Adolf vor Zorn zum Glühen. Hitler bestand danach auf der Entfernung der Statue, diese musste verschwinden und nach ihr auch ganz Memel. Nach der Einnahme der Stadt von der Roten Armee, wurden die Deutschen vertrieben (an dieses Ereignis erinnert ein rührendes Denkmal vor dem Bahnhof von Klajpeda) und danach wurde die Stadt zu einer geschlossenen sowjetischen Militärzone. Mit dieser Erbschaft kämpft sie bis heute. Zwischen neuen modernen Häusern sieht man immer noch furchtbare Betonwohnhäuser aus den kommunistischen Zeiten. Der Hafen wurde zwar modern ausgebaut, in seiner Nähe stand aber eine große zerfallende Kaserne. Klajpeda ist die jüngste Stadt Litauens – was die Zusammensetzung der Bevölkerung betrifft. Es zieht junge Leute an, die auf eine Karriere hoffen und trauen sich hier das Geld zu verdienen. Wie weit sie erfolgreich sind, das weiß ich nicht, aber mindestens die schönsten Mädchen in der gesamten Region Baltikum waren nicht in Lettland, wie ich es erwartete, sondern in Litauen, konkret in Klajpeda. Die Stadt selbst ist also nicht schön, aber neben der sehr hübschen Bedienung in den Bars und Restaurants gibt es hier auch schöne Natur – nämlich das Kurische Haff, das die große Süßwasserbucht der Mündung von Nemen von dem Baltischen Meer trennt. Der Zauber der Sanddunen, der malerischen Fischdörfer und Städtchen lockte einmal auch Thomas Mann, der hier im Jahr 1930 für 99 Jahre ein Haus gemietet hat. Er verbrachte hier aber lediglich drei Jahre, danach hatte er von den ständigen nazistischen Provokationen genug und emigrierte nach Amerika.

            Das Kurische Haff teilten sich die Litauer mit den Russen (beinahe) halb halb. Zu meinem Erstaunen bekamen die Litauer vier Kilometer mehr, weil sonst die Grenze direkt durch die Hauptplatz des größten Städtchens in dem Naturreservat namens Nida laufen würde. Es ist eine schöne Kleinstadt, mit einem guten Kaffee und litauischen Liquoren (ich sah hier sogar das estnische Vanna Tallinn), zum Baden ist aber das Meer nicht wirklich einladend – höchsten in einem Neoprenanzug. Die Liquoren sind nämlich eine Abwehr gegen die Kälte und es ist hier kalt – deshalb wahrscheinlich auch der bereits erwähnte höchste Alkoholkonsum pro Kopf in Europa.  In der Nähe von Nida gibt es eine riesige Sonnenuhr (sicherlich eine interessante Idee, eine Sonnenuhr in einem Land zu errichten, in dem es kaum Sonnenschein gibt) die ein Symbol der heidnischen Vergangenheit Litauens, auf die Litauer stolz sind, ist . In der Ferne im Wald kann man die russische Grenze mit Grenztürmen und Maschinengewehren sehen. Es ist eine dunkle Bedrohung, die Litauen nie loswerden konnte.

            Litauen hat also nicht gerade wenig Probleme mit seiner eigenen Identität. Es ist stolz auf sein Heidentum, aber bigott katholisch. Hunderte Jahre in gemeinsamen Staat mit Polen, jetzt aber den großen Bruder eher hassend und mit Versuchen, die gemeinsame Geschichte zu vergessen oder zumindest zu bagatellisieren. Hassend die Russen für die lange Unterdrückung aber an Russland wirtschaftlich festgebunden und von ihm abhängig. Stolz zeigend seine ehemalige Größe, die einmal von Moskau bis zum Schwarzen Meer reichte aber bewusst des derzeitigen bescheidenen Ausmaßes seines Landes.

            Vielleicht deshalb entstand in Vilnjus die „Unabhängige Republik Užupio“, gegründet von einem Haufen der litauischen Intellektuellen in einer Kneipe namens „Užupio Kaviné“ am Ufer des Flüsschens Vilnia. Als wir dort waren, war dort absolut nichts los. Es half nicht einmal, dass der Patron der Republik Franz Zappa ist und ihre Botschafter zahlreiche bedeutsame Persönlichkeiten, wie zum Beispiel der Dalajlama. Mit Christiania in Kopenhagen kann Užupio nicht verglichen werden und sie strebt auch nicht danach. Die Verfassung der Republik ist aber interessant durchzulesen, es hat mich besonders der Paragraf drei angesprochen.

            Dieser heißt: „Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist aber nicht verpflichtet es zu tun.“

Litauen I

Litauen

Im neuen Jahr lade ich euch wieder zum Reisen ein. Wir kehren bei dem ersten heurigen Stopp nach Baltikum zurück.

Estland ist grundsätzlich gleich Tallinn. Ja, es gibt hier auch andere Städte, wie die Universitätsstadt Tartu oder das an der russischen Grenze liegende Narva. Aber von 1,3 Millionen Einwohnern leben 450 000 in der Hauptstadt, also jeder dritte. Noch mehr gilt es für Lettland, hier ist Riga mehr oder weniger das ganze Lettland. 770 000 von 1,9 Million Einwohner Lettlands leben hier. Einige an der Küste liegenden Städtchen können die Dominanz der Hauptstadt nicht brechen.

               Litauen ist nicht Vilnjus und Vilnjus ist nicht Litauen. Nicht durch seine Größe (540 000 von 3,4 Million Einwohner) und auch nicht durch seine Geschichte. Obwohl diese Stadt der litauische Großfürst Geminidas im Jahr 1316 gegründet hat. Er soll zu dieser Tat laut einer Legende durch einen Traum bewegt worden sein, als er nach einer Jagd auf einem Hügel über dem Zusammenfluss der Flüsse Neris und Vilnia ausruhen wollte. Die Hauptstadt von Litauen lag in dieser Zeit unweit von hier bei der Burg Trakai.

Ob infolge dieses Traumes oder auch nicht, er wählte richtig. In sonst sehr flachem Land ist ein Hügel von der Höhe einiger dutzende Meter direkt an dem Zusammenfluss zweier Flüsse eine für den Aufbau einer Burg eine willkommene Gelegenheit. Die alte Burg von Vilnjus steht bis heute.

               Sie ist heutzutage eine Ruine, gebaut – wie es schon in Litauen, einem Land mit einem absoluten Steinmangel Brauch war – aus Backsteinen. Es gibt von hier einen wunderschönen Ausblick über die ganze Stadt und diejenigen, die zu faul oder unfähig sind, zu Fuß diesen Hügel zu erklimmen, können einen Aufzug verwenden – ein österreichischer Gruß nach weitentfernten Litauen.

               Litauen war einmal ein sehr großes Reich, sein Gebiet reichte bis nach Moskau und ans Schwarzes Meer. Das war noch in den Zeiten, als die Litauer heidnisch waren und das waren sie sehr lange – bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Dann wurde der litauische Großfürst Wladyslaw Jagiello zum polnischen König (um die Erbin des polnischen Königtums Hedwig im Jahr 1386 heiraten zu dürfen, musste er sich taufen lassen.)  Die Litauer halten ihn eher für einen Verräter und verehren seinen Cousin Vytautas (auf Deutsch eher unter dem Namen Witold bekannt). Seine Statue findet man im Park der Wasserburg Trakai, woher er über sein Reich herrschte. Seine Sternstunde schlug am 15. Juli 1410, als die litauischen Truppen unter seiner Führung die Schlacht bei Tannenberg zugunsten des polnisch- litauischen Bündnisses über den Deutschen Ritterorden entschieden. Die Litauer zeigen stolz das berühmte Bild von Jan Matejko, wo Vytautas direkt in der Mitte des Bildes und Jagiello nur am Rande dargestellt wird. In der Burg Trakai erzählte uns die Reiseführerin über einen Versuch von Jagiello, seinen ruhmreichen Cousin zu vergiften, die Geschichte habe ich aber eher als Zeichen der Abneigung der Litauer gegen Polen abgetan. Die Zeit der Herrschaft des Wladyslaw Jagiellos läutete die Bildung eines gemeinsamen Staates mit Polen ein.  Der Großfürst Vytautas zeugte nämlich nur eine Tochter und sein Cousin, der polnische König, der ihn um vier Jahre überlebte (Vladislav Jagiello wurde 82 Jahre alt, was für seine Zeit ein unglaublich hohes Alter war, übrigens er heiratete mit 71 Jahren das vierte Mal eine 17-jährige polnische Adelige und zeugte mit ihr noch zwei Söhne) wurde nach seinem Tod zum Herrscher von Litauen. Mit Vytautas starb im Jahr 1430 also die Selbständigkeit des litauischen Staates, die nur im Jahr 1918 wiederhergestellt wurde.

               Die neue Burg in Vilnjus, also eigentlich ein Schloss, das unter dem Hügel liegt, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Das einmalige Renaissanceschloss der Großfürsten von Litauen (die zweite Gattin des polnischen Königs und litauischen Großfürsten Sigismund war italienische Prinzessin Bona Sforza, die nach Vilnjus die italienische Renaissance brachte) wurde bei dem russischen Einfall im Jahr 1655 vernichtet. Obwohl die Stadt nach einigen Jahren zurückerobert werden konnte, gab es kein Interesse, die fürstliche Residenz wieder aufzubauen. Seit der Union von Lublin aus dem Jahr 1569 war Litauen ein fester Bestandteil des polnischen Staates und der polnische König residierte in Warschau. Im Jahr 1801, nachdem Vilnjus ein Teil des russischen Imperiums geworden war, haben die Russen die Reste des Palastes endgültig entfernt. Erst im Jahr 1997 wurden bei Ausgrabungen die Grundmauer des Gebäudes entdeckt und es wurde entschieden, es zu erneuern. Der Bau wurde im Jahr 2012 vollendet und im Gebäude befinden sich ein Museum und Konzertsäle.

               Vilnjus rühmt sich mit seiner insgesamt 56 Kirchen, überwiegend katholischen, es gibt hier aber auch orthodoxe Kirchen. (Vilnjus soll angeblich die Stadt mit der größten Dichte an Kirchen pro Quadratkilometer weltweit sein, es könnte die Reaktion darauf sein, dass die Litauer sehr lange heidnisch waren und nach ihrer Christianisierung einen Bedarf hatten, der Welt ihre Rechtgläubigkeit unter Beweis zu stellen). Die orthodoxen Kirchen sind älter als die katholischen. Schon in den Zeiten, als sich die Litauer noch zum Heidentum bekannten, gab es hier ein Viertel der russischen Kaufleute, die schon damals Christen waren. Drei von diesen Kaufleuten, die hier im heidnischen Vilnjus im vierzehnten Jahrhundert tot aufgefunden wurden, werden als heilige Märtyrer in der Kathedrale der göttlichen Dreieinigkeit geehrt. Diese Kirche ist besuchswert, sie hat eine einzigartige Ikonostase.  So eine habe ich eigentlich noch nirgends gesehen. Es dauert, bis man darauf kommt, dass es in dieser Kirche eine Ikonostase, einen nicht wegzudenkenden Teil der orthodoxen Kirchen, überhaupt gibt. Die größte Kirche in Vilnjus ist die Kirche der Heiligen Peter und Paulus, ein Bauwerk des Hochbarocks, gebaut nach Anweisung des litauischen Heerführers Michael Kazimir Pac, der sich unter der Schwelle im Eingang der Kathedrale bestatten ließ.

               Diese Kirche sollte ein Symbol der Dankbarkeit für die Befreiung der Stadt von der russischen Macht sein. Die Russen kamen aber im Jahr 1795 wieder und sie blieben. Die Kirche diente in der Zeit der russischen Okkupation als Lager, da ein Umbau zu einer orthodoxen Kirche viel zu teuer gewesen wäre. Paradox ist die Tatsache, dass gerade diese Kirche in der Zeit der sowjetischen Okkupation nach der Schließung der Kathedrale von Vilnjus für Gottesdienste geöffnet wurde, hier wurde vorübergehend auch der Sarkophag mit den leiblichen Überresten des örtlichen Heiligen – des heiligen Kazimir – bestattet. Er befindet sich heute schon wieder in einer selbständigen Kapelle in der Kathedrale, die aber nicht ihm sondern dem heiligen Stanislaus, dem Bischof von Krakau, geweiht ist. Wie man sieht, tun sich die Litauer mit ihrer Identität schwer, besonders dann in ihrer Hauptstadt. Polnisch heißt die Stadt Wilno und aus ihrer Umgebung stammte der polnische Präsident in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen Józef Pilsudski. Er ist im Wawel in Krakau begraben, er selbst aber bestimmte, dass sein Herz in Vilnjus bestattet werden sollte. Als ich aber unsere Reiseführerin gefragt habe, wo das Herz von Pilsudski begraben ist, antwortete sie lakonisch und gereizt: „Irgendwo auf dem Friedhof“ und sie mochte mich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ich musste selbständig erfahren, dass es auf dem Friedhof im Stadtviertel Rasos ist, unweit vom Stadtzentrum. Die Litauer haben also an diesen ihren berühmten Bürger keine positiven Erinnerungen, und nicht nur weil er ein Pole war (wie nach dem ersten Weltkrieg auch ein Großteil der Bevölkerung von Vilnjus). Obwohl Vilnjus im Jahr 1920 Litauen zugesprochen wurde, ließ Pilsudski die Stadt besetzen und stellte die Weltmächte vor vollendete Tatsache. Weil er gerade durch den Sieg über die Rote Armee bei Warschau berühmt geworden war, übergingen die Weltmächte diese Verletzung des internationalen Rechtes mit Schweigen und Wilno blieb bis 1939 polnisch. Die Hauptstadt des neuen litauischen Staates wurde für diese Zeit Kaunas, das sich demzufolge immer noch für die litauischste Stadt und eigentlich für „eine geheime Hauptstadt der Litauischen Republik“ hält. Übrigens Kaunas wird im Jahr 2022 gemeinsam mit dem luxemburgischen Esch an der Alzette zur Kulturhauptstadt Europas.

               In Kaunas wurde auch die erste Universität in Litauen gegründet, die in Vilnjus folgte im Jahr 1569 als eine Schule der Jesuiten. Jesuiten wurden nach Vilnjus von dem örtlichen Bischof eingeladen, um zu verhindern, dass es seinen Untertanen einfallen könnte, zum Protestantismus zu konvertieren. Zur Sicherheit gründete er die Universität gleich neben seiner Residenz, um die Kontrolle über die Jesuiten zu behalten. Seine Taten zeigten Wirkung, die Gedanken von Luther hatten in Litauen keine Chance und Litauen blieb katholische bis geht nicht mehr. Der Beweis dafür ist ein einzigartiges Relikt, so genannter „Berg der Kreuze“ nah der lettischen Grenze. Eigentlich ist das kein Berg, nur so ein Hügelchen von einer Höhe von 5-6 Meter. Aber der „Berg“ selbst und seine Umgebung ist mit tausenden Kreuzen bedeckt, jeder Tourist darf dort ein Kreuz kaufen und es dann dort platzieren. Wir kauften und platzierten keines. Es regnete ohne Ende, ich rutschte auf dem nassen Fußweg zwischen den Kreuzen aus und zerriss dabei meinen Mantel. Vielleicht wäre es nicht passiert, hätte ich ein Kreuz hingebracht. Im Jahr 1993 war hier Papst Johannes Paulus II. (wen überrascht es, er war doch überall). Er gab Anlass dazu, dass auf diesem denkwürdigen Ort ein Kloster gebaut wird.

Der heilige Josef

Ein Weihnachtsthema zum Jahresabschluss.

Josef ist in der Kirchenlehre eine gewissermaßen vernachlässigte, obwohl natürlich eine wichtige Person. Es scheint, als ob die Kirchenlehrer mit dieser Person ein kleines Problem hätten. Josef konnte kein Vater Jesus Christus sein, zugleich aber leitete der Erlöser von ihm seine Herkunft vom König David ab. Ein genetischer Ursprung nur von der Mutter Maria war für die Juden unzureichend, also wurde auch die Herkunft von Josef von dem jüdischen Stamm Benjamin abgeleitet, konkret dann in der achtundzwanzigen Generation vom König David (deshalb musste also Josef bei der Volkszählung, die der Kaiser Augustus angeordnet hatte, nach Betlehem gehen, dem Hauptsitz des Stammes Benjamin.)

Als ob die Kirchenlehrer im Frühmittelalter nicht gewusst hätten, was sie mit dem armen Josef tun sollten. Meistens wurde er als ein alter Mann dargestellt, der die Hausarbeiten erledigte. Nur Raffael brach diese Tradition und zeigte Josef auf dem Bild „Vermählung Marias“ als einen jungen starken Mann. Als der Bräutigam einer fünfzehnjährigen Maria konnte auch ein dreißigjähriger Mann für einen alten gehalten werden. Zur Zeit Raffaels hatte allerdings der heilige Josef bereits die Unterstützung der Schriften von Johann Gerson und der heiligen Theresa von Avila, sowie auch die Pastoraltätigkeit des Karmeliterordens zu seinem Nutzen hinter sich. Dies erhöhte deutlich seine Popularität.

Den 19. März als den Kirchenfeiertag zur Ehre Josefs bestimmte Papst Gregor XV. (damals gerade frisch gewählt in das Papstamt) auf Ersuchen Kaisers Ferdinand II. im Jahr 1621 zur Ehre des Sieges des katholischen Heeres auf dem Weißen Berg bei Prag über die Protestanten am 20.November 1620. Warum gerade 19. März zum Josefs Feiertag wurde, weiß bis heute niemand. Warum gerade Josef, kann man aber ganz gut vermuten. Der heilige Josef war nämlich der Patron der habsburgischen Besitzungen in der Steiermark – woher Ferdinand stammte, weil er in Graz geboren wurde. Deshalb ist 19. März in diesem Land immer noch ein arbeitsfreier Tag. Weil aber 19. März der “westliche“ Papst ausgerufen hat, hat die orthodoxe Kirche diesen Feiertag natürlich abgelehnt. Hier wird Josef gemeinsam mit Maria als Jesuseltern am 26. Dezember gefeiert.

Von diesen vermutlichen Verdiensten als ein Beschützer der Habsburger war zum Titel „Friedensbewahrer“ nicht sehr weit, besonderes, als ihm der Verdienst für den Sieg der Verbündeten über die Türken bei Wien im Jahr 1683 zugeschrieben wurde. Bereits im Jahr 1675 erklärte Kaiser Leopold Josef zum Patron der habsburgischen Erblande und gab sogar seinem erstgeborenen Sohn den Namen Josef – das war das erste Mal in der habsburgischen Familie und dieser Sohn herrschte dann als Kaiser Josef I. in den Jahren 1705 – 1711. Maria Theresia erreichte dann, dass der heilige Josef für zum der Vorderlande erklärt wurde, also für Steiermark, Kärnten und Tirol.

Der heilige Josef machte dann in der Hierarchie der Heiligen eine steile Karriere. Am 8. Dezember 1870 wurde er von Papst Pius IX. zum Universalpatron der Weltkirche erklärt. Weil dadurch auch sein Beruf als Zimmermann in Vordergrund rückte und die Welt immer mehr die manuelle Arbeit ehrte, erklärte Papst Pius XII. im Jahr 1955 Josef zum Patron der Arbeiter. Dass es gerade am ersten Mai passierte, war sicher kein Zufall, obwohl sonst die katholische Kirche mit den überwiegend atheistischen „Socis“ nicht gerade versöhnt war. Man könnte das Datum als ein kleiner Seitenhieb des Papstes betrachten.

Wie der heilige Josef zum Patron der Sterbenden avancierte, konnte ich nicht ausforschen, die Folge war die Entstehung verschiedener „Josefbrüderschaften“, die für ihre Mitglieder ehrenvolle kirchliche Begräbnisse organisieren.

Anspruch an den Besitz der heiligen Reliquien des Ehemannes Marias machen sich die Städte Rom, Loreto, Frascati und Orvieto.

Eine traditionelle Darstellung Josefs

Was schreibt aber über den heiligen Josef die Heilige Schrift? Es ist nicht wirklich überraschend, dass es nicht zu viel ist. Marcus erwähnt ihn gar nicht – also entweder sprach Jesus vor dem heiligen Petrus über seinen Vater überhaupt nicht, oder hielt es dieser nicht für erwähnungswert. Übrigens, das Evangelium von Marcus beschreibt nur die Mission Christi und beschäftigt sich nicht mit seiner Kindheit.

Das Evangelium von Johannes schweigt über Josef vollkommen. Jesu Mutter (namenslos) erscheint lediglich in der Episode aus Kana in Galiläa. Dort bewog sie Jesus zu seinem ersten Wunder mit der Umwandlung von Wasser zum Wein, obwohl sie ihn dadurch erzürnte – er wollte noch keine Wunder tun, da „Seine Stunde noch nicht gekommen ist.“  Zur Hochzeit kam allerdings Jesus mit Mutter und mit seinen Jüngern aber ohne seinen Vater. Das zweite Mal erscheint die Mutter von Jesus (wieder namenlos) unter dem Kreuz, gemeinsam mit ihrer Schwester, namens Maria, die Frau des Klopas und mit Maria von Magdala, der Vater fehlt wieder. Wenn wir erwägen, dass Josef in der Zeit Jesus Geburt bereits ein reifer Mann war und Jesus im Alter von 36 Jahre hingerichtet wurde, kann man erwarten, dass er nicht mehr lebte. Die letzte Erwähnung von Josef in der Bibel gibt es bei der Gelegenheit der Pilgerfahrt nach Jerusalem (Lukas), als Jesus 12 Jahre alt war. Ob er danach starb, wissen wir nicht. Deshalb vertraute Jesus seine Mutter seinem liebsten Jünger an. Wenn also Jesus Geschwister hatte (darüber werde ich noch schreiben), begleiteten sie ihn zum Kreuz nicht.

Matthäus beschreibt die heikle Situation, in der sich Josef befand, als er von einer langen sechs Monate dauernden Dienstreise nach Hause kam und erfuhr, dass seine Frau, mit der er noch nicht geschlafen hatte, schwanger war. Nach den jüdischen Gesetzen war Josef verpflichtet seine Frau wegen des Ehebruchs anzuzeigen, für dieses Vergehen gab es die Todesstrafe durch Steinigung. (Der Islam übernahm in das Recht Scharia diese Gesetze gerade aus der jüdischen Gesetzgebung und diese Strafe wird zum Beispiel in Iran bis heute vollstreckt). Josef hat aber seine junge Frau offensichtlich herzlich gemocht und wollte ihr dieses schreckliche Schicksal ersparen. Matthäus schreibt: „Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.“ Dann aber erschien ihm im Traum ein Engel, der ihm das Problem erklärte und Josef behielt also Maria als seine Gattin bei sich. „Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.“

Ich glaube, dass wir hinter dem Wort „er berührte sie nicht“ das Sexualleben des Ehepaares vermuten können. Matthäus fiel also gar nicht ein, dass Josef in einer „Josephsehe“ nach der Geburt Jesu gelebt hätte. Die Kirchenlehrer aus der Zeit, als das Christentum in einem hartnäckigen Kampf mit der traditionellen römischen Religion um die Weltmacht kämpfte, sahen es anders. Die Geschichten aus der Bibel mussten weniger natürlich und mehr mystisch sein. Aus den Erzählungen der Evangelien wurde zu dieser Zeit eine Ideologie.

Das Dilemma, ob Josef mit Maria nach der Jesus Geburt als Mann und Frau lebten, konnte die Kirche nie verständlich erklären, umso mehr setzte sie auf Dogmatik. Heilige Väter im dritten und vierten Jahrhundert konnten sich einen Geschlechtsverkehr zwischen Maria und Josef überhaupt nicht vorstellen. Origenes hielt die Gedanken, dass Josef seine Frau irgendwann später berührt hätte, für „Wahnsinn“ und der heilige Ambros einfach für ein Sakrileg.  In das gleiche Horn bläst auch der heilige Leo I., Cyril von Alexandria oder der heilige Augustin. Sie schafften es, dass sich niemand traute, an der lebenslangen Jungfräulichkeit Marias zu zweifeln. Dadurch entstand aber eine ganze Reihe neue Probleme.

Im Evangelium von Marcus wird geschrieben: „Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Die gleiche Geschichte beschreibt auch Lukas: „Es kamen aber seine Mutter und seine Brüder zu ihm und konnten wegen der Menge nicht zu ihm gelangen. Da wurde ihm gesagt: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen dich sehen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Meine Mutter und meine Brüder sind diese, die Gottes Wort hören und tun.“

Und zu dritt auch Matthäus: „Als er noch zu dem Volk redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen, die wollten mit ihm reden. Da sprach einer zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen mit dir reden. Er antwortete aber und sprach zu dem, der es ihm sagte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: „Siehe da, das ist meine Mutter rund das sind meine Brüder. Denn wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“

Lassen wir außer Acht die Frage, ob diese dreifache Schilderung der gleichen Geschichte ihre Authentizität erhöht, oder ob Lukas einfach nur den Text des Evangeliums von Marcus kannte. Das wäre gut möglich, die zwei Männer kannten sich persönlich. Zumindest nach der Ankunft des heiligen Paulus in Rom im Jahr 60 mussten sie sich kennenlernen. Dass Matthäus von Marcus abschrieb, zweifelt kein seriöser Bibelforscher mehr an. Nur die alten Kirchenväter im fünften Jahrhundert identifizierten den Evangelist Matthäus mit dem gleichnamigen Zöllner und Apostel und deshalb reihten sie sein Evangelium auf den ersten Platz unter den Evangelisten.

Kritische Forscher der Heiligen Schrift haben ein Problem mit diesem Text – Marcus Evangelium müssen wir nämlich wirklich als authentisch betrachten. Weil es sich dabei mit größter Wahrscheinlichkeit um persönliche Erinnerungen des heiligen Petrus handelt, müssen wir annehmen, dass es zu einer solchen Situation tatsächlich kam. Wie kam Jesus zu seinen Brüdern, wenn Josef nach seiner Geburt kein Geschlechtsverkehr mit Maria hatte und er der Erstgeborene war? Die Forscher begehen hier ein kompliziertes Konstrukt, dass im Hebräischen das Wort „Bruder“ für jeden nahen Verwandten angewendet wird. Sie berufen sich auf das Alte Testament, wo tatsächlich Lot und Abraham als Brüder genannt werden, obwohl es sich um Onkel und Neffen handelte. Lassen wir außer Acht die fehlende Logik, dass mit Maria eine Gruppe mehr oder weniger entfernten Verwandten zu Jesus gekommen wäre, und liefern wir ein Argument, das mehr wiegt. Die Evangelien des Neuen Testaments wurden – in Gegenteil zum Alten Testament – in Griechisch geschrieben. Und Griechen haben dieses Sprachproblem nicht. Apokryphen (also verworfene Evangelien, von denen es eine Menge gab, die allerdings im fünften Jahrhundert aussortiert wurden) lösen dieses Problem damit, dass Josef ein alter Witwer war, der in die Ehe einige Söhne aus seiner ersten Ehe brachte. Dazu komme ich noch.,

Zur Vereinfachung der Situation trägt auch der heilige Lukas auf einer anderen Stelle nicht bei. Er schreibt nämlich: „Und als sie dort (in Betlehem) waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“

Wenn wir also von einem erstgeborenen Sohn reden, erwarten wir irgendwie selbstverständlich, dass die Mutter später mehr Kinder hatte. Wieder einmal eine harte Nuss und die Bibelforscher mussten wieder ein bisschen konstruiert erklären, dass:

  1. Erstgeborener ist ein allgemeiner Begriff für das erste Kind, auch wenn nicht bekannt ist, ob ein weiteres Kind folgen würde. Lukas sammelte allerdings seine Recherchen für seine Schrift in den Jahren 57 – 60, als schon bekannt sein musste, ob Maria nach Jesus weitere Kinder hatte oder nicht – also wenn über die Sache überhaupt etwas bekannt war. So ein denkwürdiges Ereignis war eine Geburt eines Zimmermannskindes auch wieder nicht.
  2. Es ist ein Begriff, dass den ersten Platz in der Hierarchie einer jüdischen Familie bezeichnet
  3. Erstgeborene ist der Ranghöchste
  4. Erstgeborene ist der älteste von mehreren Kindern

Die Kirchenväter bereuten wahrscheinlich sehr, dass zu den Apokryphen auch das Protoevangelium von Jakob aussortiert wurde. Dort gibt es nämlich eine Erklärung, die sie gerne begrüßt hätten und die sich in die Kirchenlehre eingemischt hat, obwohl sie aus einer „illegalen“ Quelle stammte. Dort wird nämlich beschrieben, wie Josef von Gott für die Ehe mit Maria auserwählt wurde. Aus dem Stab, den er in der Hand hielt, flog nämlich eine Taube und setzte sich auf seinen Kopf. Dann sprach der Priester zu Josef: „Du bist dazu erlost, die Jungfrau des Herrn heimzuführen, um sie dir jungfräulich zu behüten“. Und Josef widersprach und sagte: „Söhne habe ich bereits und bin ein alter Mann, sie aber ist ein junges Mädchen. Ich möchte den Kindern Israel nicht zum Gespött werden.“ Da sagte der Priester zu Josef: „Fürchte dich von dem Herrn deinem Gott! Und denke daran, was Gott Dathan und Abiram und Korah angetan hat, wie die Erde sich spaltete und sie verschlungen wurde wegen ihrer Widerrede! Jetzt müsstest du befürchten, Joseph, dass derartiges in deinem Hause eintritt.“ Und Josef bekam Furcht und führte sie heim, um sie zu behüten. Und Josef sprach zu Maria: „Siehe, ich habe dich im Empfang genommen aus dem Tempel des Herrn, und jetzt lasse ich dich daheim in meinem Hause und gehe fort, um meine Bauten auszuführen, und dann werden ich wieder zu dir kommen. Der Herr wird dich inzwischen Bewahren.“

In dem Protoevangelium ist alles klar. Josef ist ein alter Mann und er fürchtet, dass, wenn er nach dem Gebot des Priesters die Jungfräulichkeit Marias bewahren würde, würden über ihn seine Nachbarn als über einen alten Impotenten spotten. Menschlich und verständlich, oder? Wenn die Kirchenväter im fünften Jahrhundert, als sie aus den vielen Evangelien die vier richtigen selektierten, mehr auf Details aufgepasst und auch das Evangelium von Jakob behalten hätten, hätten wir heute eine viel einfachere Aufgabe zu erklären, wie es mit den Geschwistern von Jesus eigentlich war.

Vielleicht doch mit einem kleinen Widerspruch. Wozu hat dann nämlich Josef den im Matthäus Evangelium beschriebenen Traum mit dem Besuch des Engels gebraucht, als er von der Schwangerschaft Marias erfuhr, wenn er ohnehin von ihrer Bestimmung gewusst hätte?

Aber so oder so. Es ist nicht notwendig, in der Geschichte zu rühren. Es gibt Weihnachten und die Heilige Familie gibt es unter jedem Christbaum. Es ist egal, ob Josef ein alter oder ein junger Mann voller Kraft war. Ob er ein Verbot von den Priestern mit seiner Frau zu schlafen hatte oder nicht. Sicher ist nur eins. Er war für seine Zeit (und auch für die heutige) ein unglaublich toleranter Mann, der seine Frau herzlich liebte. Er war bereit, sich um ein Kind zu kümmern, das nicht sein war und es erziehen. Und er hat den Buben nicht schlecht erzogen. Ob Jesus ein guter Zimmermann war, wissen wir nicht. Seine moralische Botschaft hat aber ihre Bedeutung bis heute nicht verloren. Leider wird ihr nur zu selten und zu wenig gefolgt.

Die Intoleranz, der Egoismus, Geldgier und das Streben nach Ruhm verdrängen diese Botschaft immer mehr aus unserem Bewusstsein. Es liegt an jedem von uns das zu ändern. Es reicht zuzuhören, oder, noch besser gesagt, den falschen Propheten nicht zuzuhören. Von denen wimmelt es sich nämlich in Unmengen – und sie haben eine moderne Technologie namens Internet zur Verfügung. Ich wünschte sie würde trotzdem zu tauben Ohren sprechen.

Vielleicht sollte das diesjährige Weihnachten so eine Botschaft haben.

Damit wünsche ich allen meinen Lesern frohe Weihnachten.

Österreichische Weinnachtsmarke 2021

Riga II

Zur Gesellschaft der Schwarzköpfe erzählt man eine liebe Geschichte, die die Kultur in der ganzen christlichen Welt beeinflusst hat. Sie sollte im Jahr 1510 geschehen. Die Attraktion in den nördlichen unendlichen Winternächten war eine Verbrennung eines Baumes am Tag der Wintersonnenwende. An diesem Abend (man konnte bereits am Nachmittag beginnen, da sich hier die Sonne nicht lange zeigt) wurde am Ufer von Daugava ein großer Baum angezündet und dann in den Fluss geworfen. Die Schwarzköpfe haben einen Baum im Wald gefällt und in die Stadt gebracht. Als sie ihn auf die Uferpromenade brachten, begannen sie zu streiten. Manche von ihnen waren der Meinung, dass so ein schöner Baum auch eine andere Verwendung haben könnte, dass es schade ist, ihn zu vernichten. Weil die jungen Kaufleute nicht draußen in der Kälte streiten wollten, begaben sie sich in ihre Residenz, die in unmittelbarer Nähe stand und setzten dort ihren Streit bei Glühwein fort. Die Beratung zog sich in die Länge, der Glühwein war süß und gut und niemand hatte Lust wieder in die Kälte zu gehen. Inzwischen haben Kinder den Baum entdeckt und begannen ihn mit allem, was sie zur Hand hatten, zu schmücken. Mit Bändchen, Papierchen, mit Obst. Als die Herren zum Baum zurückkehrten, trauten sie ihren Augen nicht. Jetzt tat es ihnen noch mehr leid, den Baum zu verbrennen. Sie riefen den Bürgermeister und er entschied, den Baum aus den Stadtmitteln weiter zu schmücken und dann ihn vor dem Rathaus aufzurichten. So entstand angeblich die Tradition der Weihnachtsbäume mit der wir bis heute leben. Ich weiß nicht, ob diese Legende wahr ist (es gibt sicher viele andere Städte, die sich Erfindung dieser Tradition für sich beanspruchen), sollte sie aber nicht wahr sein, ist zumindest gut erfunden und damit auch wert, geglaubt zu werden.

            Gott sein Dank, passierte es noch vor dem Einmarsch der Reformation, zu der die Bürger von Riga im Jahr 1522 konvertierten. Sonst wäre das Beschmücken des Weihnachtsbaumes in Rom sicher zu einer ketzerischen Heidentradition erklärt und durch die höchste päpstliche Instanz verboten worden und demzufolge würden heute die Weihnachtsbäume nur die Protestanten schmücken.

            Die enge Beziehung zu Bremen als der Mutterstadt symbolisiert die hinter der Kirche des heiligen Petrus positionierte Statue der „Bremer Musikanten“ beinahe ident mit der, die in Bremen steht. Es ist ein Geschenk der Stadt Bremen aus dem Jahr 1993 und sollte symbolisieren, dass die deutsche Mutterstadt ihre schöne und ein bisschen extravagante Tochter im Norden nie vergessen hatte.

            Von der Stadtmauer blieb in Riga – in Gegensatz zu Tallin – nicht viel übrig. Nur Pulverturm und Schwedentor, die während ihrer hundert Jahre dauernden Herrschaft über die Stadt die Schweden bauen ließen. Gerade bei dem zweitgenannten Tor haben wir ein fantastisches Lokal mit einem nicht gerade verlockenden Namen „Garaža“, was auf Lettisch tatsächlich „Garage“ bedeutet, gefunden. Lettische, estnische aber auch die litauische Küche ist nicht wirklich einfallsreich, sie steht grundsätzlich auf Schweinfleisch, Sauerkraut und Kartoffeln. In „Garaža“ haben sie allerdings die Blutwurst wie in einem Spitzenlokal zubereitet und serviert, eine echte Haubenküche. Und das für 7.50 Euro, also für einen Preis, der in dem sonst eher teuren Riga einfach märchenhaft war. Auch das dort servierte lettische Bier war durchaus trinkbar, zwar mit viel Malz und damit süßlich, das gewöhnliche Sodbrennen bekam ich aber danach nicht. Ich hoffe nur, dass dieses Restaurant noch existiert und auch die Coronakrise überlebt hat. Es wäre schade, sollte es nicht so sein.

            Das wahre Juwel von Riga ist sein „Jugendstilviertel“. Es ist ein Stadtteil, in dem sich die reichen Bürger ihre Häuser am Ende des neunzehnten Jahrhunderts bauen ließen. Und das im Stil, den die Französen „Art nouveau“ nannten, die Österreicher, die Deutschen und die Bürger von Riga nennen es „Jugendstill“, in Tschechien zum Beispiel wird dieser Stil nach dem Gebäude am wienerischen Naschmarkt „Secession“ genannt.

            In den letzten Jahren wurden diese wunderschöne Häuser privatisiert (die Form erinnert an eine Art Kuponprivatisierung, von der allerdings russische Bürger ausgeschlossen waren) rekonstruiert und sind heute wirklich prachtvoll. Sie sind in erster Linie eine Erinnerung an den genialen Architekten Michail Osipovic Eisenstein, der seine Handschrift an der Mehrheit dieser Häuser hinterlassen hat. Michail Eisenstein verließ nach der Oktoberrevolution Riga und starb im Jahr 1920 in Berlin, sein Sohn blieb aber im kommunistischen Russland und wurde berühmter als sein Vater. Der Name des Regisseurs Sergej Eisenstein ist allgemein bekannt. Der Regisseur, der sich voll in die Dienste der Propaganda der stalinistischen Regierung gestellt hat, kreierte Filme wie „Kreuzer Potemkin“, „Oktober“ „Ivan der Schreckliche“ oder „Alexander Nevskij“. Er konnte Massenszenen frei erfinden, die nie stattgefunden haben und er machte es so überzeugend, dass heute niemand an dem Sturm der Bolschewiken auf den Winterpalast zweifelt, obwohl in Wirklichkeit hier nur eine kleine Einheit durch den Hintereingang mit Hilfe von zwei Handgranaten eingedrungen ist. Die Besucher des Marinski Theaters, wo an dem besagten Abend 7.November 1917 eine Vorstellung stattgefunden hat, haben die Revolution gar nicht bemerkt. Sie wunderten sich, warum die Polizisten auf den Straßen so komisch aussehen. Bald sollten sie sich noch viel mehr wundern. Auch die furchtbare Schlacht auf dem zugefrorenen Peipussee mit der Szene einer Attacke von tausenden gepanzerten Rittern des Deutschen Ordens, obwohl es in Wirklichkeit nur fünfzig gab, ist atemberaubend. Nicht umsonst wurde Sergej Eisenstein von Stalin persönlich ausgezeichnet, obwohl sonst Stalin und die Kommunisten allgemein die Juden nicht ausstehen konnten. In einem der Jugendstilpalästen, die sein Vater baute, hat heute die russische Botschaft in Lettland ihren Sitz – natürlich in einem der schönsten Häuser am Ufer von Daugava.

            Wer Riga besucht, darf natürlich nicht vergessen, den Markt zu besuchen, angeblich einer der größten Märkte der Welt. Ich will es glauben. Der Markt befindet sich in fünf riesigen Hallen.

Diese kaufte die Stadt im Jahr 1922, ursprünglich handelte sich um Flugzeughallen, also kann man sich die Ausmaße gut vorstellen. Der Markt ist auch überall in Freiem um die Hallen, es wird hier alles nur Denkbare verkauft, von Fleisch, Fischen (ein echter Kaviar für lediglich 200 Euro per Kilo, das aber nur wenn man das ganze Kilo kaufen würde, in kleineren Portionen kann der Preis bis zu 600 Euro per Kilo klettern), Kleider, Obst, Gemüse und Pilze. Frische, schöne, direkt aus dem Wald und das bereits Ende Juni! Ich wollte die wunderschönen Pilze fotografieren, aber die Verkäuferin vertrieb mich mit ihrem Stock. Ich flüchtete schnell genug, um nicht mit dem Stock geschlagen zu werden. Aus Frust kaufte ich eine kleine Packung des Kaviars und meine Frau hörte auf, mit mir zu sprechen. Ich stellte dabei fest, dass bei den Verkäufern in den Ständen draußen russisch herrscht, in den Hallen kann man sich mit den Verkäufern aber nur auf Englisch unterhalten. In der Halle ignorierte die Verkäuferin meinen Versuch, den Kaviar auf Russisch zu kaufen, mit einem missachtenden Schweigen (ich kann allerdings nicht ausschließen, dass es auch deshalb sein konnte, weil ich eine lächerliche Menge von 40 Gramm zu kaufen beabsichtigte) – nur dank meines Russisch konnten wir andererseits ein Kleid für unsere Enkeltochter Veronika kaufen. „Girl of age one and a half year“ sagte der Verkäuferin absolut nichts, aber auf „devočka vo vozraste odin s polovinoj goda“ reagierte sie sofort und wir haben das Kleid tatsächlich kaufen können.

            Riga hat also tatsächlich seinen Zauber, es ist multikulturell, musikalisch und schön. Es hat eine ereignisreiche Geschichte und in der Nähe gibt es den schönsten Strand in Lettland namens „Jurmala“. Wir hatten keine Zeit ihn zu besuchen, ich glaube aber nicht, dass wir dort gebadet hätten. Viel wärmer als im estnischen Parnü war das Meer hier sicher nicht. Wer aber gegen Kälte abgehärtet ist, kann hier einen schönen Urlaub erleben.

            Wenn man schon einmal dort ist, sollte man den Besuch des Schlosses Rundale nicht vergessen, den Sitz der Herzöge von Kurland südlich von Riga in Richtung Litauen.

Das Schloss ließ die Zarin Anna Iwanovna (die Nichte Peters des Großen) für ihren Liebhaber Ernst Johann Biron, den sie zum Herzog von Kurland machte, bauen. Das Schloss wird mit Versailles verglichen und das zurecht, es ist aber viel besser gepflegt als die französische Königsresidenz. (Um gerecht zu sein, seine Rekonstruktion ist eine ziemlich neue Angelegenheit und deshalb strahlt noch die Frische der neu bemalten Fassaden). Der Vergleich mit Versailles ist aber gerecht, (vielleicht noch mehr als der Vergleich Rigas mit Paris) dort sieht man, wie sich ausgezahlt hat, ein Liebhaber der russischen Zarin zu sein. Einer Herrscherin im Land, wo das Wort „Samoderžaví“, also „Alleinherrschaft“ noch ernst genommen wird. Damals wie heute.

Sollte die Impflicht gegen Coronavirus kommen?

Ein Plädoyer für eine Impfpflicht

               Es gibt neue Regeln seit Montag, diesmal wirklich fies. Die Österreicher nicht ins Wirtshaus und auf die Piste zu lassen ähnelt der Schlachtung einer heiligen Kuh in Indien. Die Kontrollen werden verschärft, die Polizei hat langsam nichts anderes zu tun, als die Einhaltung der 2G Regel zu kontrollieren. Aber wieder einmal ist das nicht fair und offen. Durch die Diskriminierung der Ungeimpften schafft man lediglich ihre schwer begründbare Benachteiligung. Die Krankenhäuser füllen sich mit ungeimpften Menschen und die geimpften und covid negativen warten vergeblich auf ihre notwendige Behandlung, weil die Abteilungen von den Patienten mit viralen Lungenentzündungen besetzt sind. Der Ratschlag „Dann halt behandelt sie nicht“ ist irrelevant. So lange die Impfung freiwillig ist, sind wir verpflichtet, diese Leute gleich wie alle andere kostenlos zu behandeln und die Österreichische Gesundheitskassa kann sich nicht der Pflicht entziehen, die dadurch entstandene Kosten zu tragen. Die Argumentation, durch die Verpflichtung der Ungeimpften die Therapiekosten mitzutragen, eine Pandora Kiste zu öffnen, weil in Zukunft das gleiche die Raucher oder adipöse Personen betreffen könnte, ist derzeit noch richtig. Das könnte sich nur durch Erlass eines entsprechenden Gesetzes ändern.

               Die einzige juristisch saubere Lösung wäre eine Impfpflicht. Entweder durch ein im Parlament aufgenommenes Gesetz oder durch einen Erlass der Regierung. Die erste Möglichkeit ist natürlich besser. Die Befürchtungen, dass so ein Gesetz die Verfassung verletzt werden könnte, wurde von dem Obersten Gerichtshof widerlegt und sogar der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gab für so ein Gesetz grünes Licht. Bestimmte Einschränkungen der persönlichen Freiheiten sind zulässig, wenn dadurch eine allgemeine Bedrohung der Gesellschaft minimiert werden könnte. Was könnte man also durch so ein Gesetz erreichen?

  1. Durch die Einführung einer Impfpflicht müsste der Staat die Verantwortung für mögliche ernste Nebenwirkungen der Vakzine übernehmen. Diese müssten im Gesetz genau definiert werden. In einem Todesfall oder im Fall einer schweren Erkrankung (Thrombotische Thrombopenie, Thrombose des Sinus cavernosus, Thrombosen und Embolien, Myokarditiden und Perikarditiden, natürlich, wenn sie in einem direkten Zusammenhang mit der Impfung entstanden sind) würde ein Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung entstehen. Ich bin überzeugt, dass es trotzdem finanziell für den Staat weniger belastend wäre als die derzeitige Situation mit den halbherzigen Lösungen. Natürlich müsste man auch mit Querulanten rechnen, die klagen würden, weil ihnen die Schulter weh getan hat oder sie „impotent durch die Impfung“ wurden. Oder andere Probleme, die aber mit der Impfung keinen Zusammenhang haben.
  2. Die Menschen, die sich nicht impfen lassen würden, würden dadurch das Gesetz oder den Erlass der Regierung (je nachdem, wer die Anordnung erlassen würde) verletzen. Dadurch müssten sie für ihre Handlung persönlicher Verantwortung übernehmen. Für die Gesundheitskassa wäre damit die Möglichkeit eröffnet, die Kosten der Behandlung der ungeimpften Personen nicht zu bezahlen. Die Arbeitgeber hätten dann die Möglichkeit, das Bezahlung von Krankengeld zu verweigern.
  3. Freiwillig könnte dann das Tragen des Mund- und Nasen Schutzes werden. Gleich wären damit die Kontrollen in Restaurants und bei Konzerten oder im Kino überflüssig. Wenn derzeit mit dem Schutz der Ungeimpften argumentiert wird, wenn sie nicht in die gemeinsamen Räumen eingelassen werden, ist das einfach eine Heuchelei. Nach dem Erlass des Gesetzes wäre das nur ihre persönliche Entscheidung – für die sie aber auch persönliche Verantwortung tragen müssten. Heute ist es nicht so. Sie verweigern die Maßnahmen, die ihnen EMPFOHLEN werden, die Folgen, dass sie diese Empfehlungen ignorieren, trägt aber die ganze Gesellschaft. Erstens, weil wir alle ihre Behandlung zahlen müssen, zweitens, weil es nicht möglich ist, die Patienten ohne Covid zu behandeln, die ihre Therapie dringend bräuchten. Durch Missachtung einer ANORDNUNG wäre die Situation juristisch in einer anderen Ebene. Vergleich mit Rauchen oder Übergewicht wäre sofort irrelevant (solange das Rauchen oder zu viel zu essen nicht per Gesetz verboten wäre).
  4. Die Hetzerei in den Sozialnetzen oder auf den Versammlungen der Antivaxern gegen Epidemiologen und Ärzten, die impfen oder das Impfen empfehlen, wäre dann eine Straftat der allgemeinen Gefährdung. Dieses Problem ist in unseren Nachbarländern (Slowakei und Tschechien) bereits aktuell und die Epidemiologen werden mit dem Tod bedroht und es wird vor ihren Häusern und Wohnungen demonstriert. Durch die Versuche, die impfwilligen Ärzte einzuschüchtern, geht es dann nicht nur um eine Bedrohung der konkreten Personen, sondern um die Behinderung eines gesundheitlichen Programmes und Bedrohung der Gesundheit der gesamten Bevölkerung.  Dass die Hetzer auf Facebook nicht auffindbar wären, ist nur eine Ausrede der Exekutive, die nicht bereit ist, sich mit diesem Problem zu beschäftigen. Obwohl es von einer zentralen Bedeutung ist. Im Moment des Verlustes der Anonymität, die den Hetzern ein Sicherheitsgefühl bietet, kann man mit Sicherheit von einer massiven Reduktion dieser Attacken ausgehen. Die Hetzer sind keine Helden, schon weil sie so eine furchtbare Angst vor der Nadel haben. Sie sind nur in einer Menschenmasse tapfer, wo sie glauben, nicht entdeckt werden zu können.

Das Schlimmste ist die derzeitige Unsicherheit, die alle Regierungen zeigen. Die Aggressivität der Impf- und Respiratorverweigerer eskaliert derzeit besonders in der Slowakei. Wenn die Regierungen keine juristisch sauberen Lösungen erlassen, wird die Situation immer schlimmer. Wenn sie davon deshalb zurückschrecken, weil sie um die Stimmen der Wähler bei der nächsten Wahl bangen, kann ich sie versichern, dass diese Leute Rechts- oder Linksextreme wählen würden, egal, welche Maßnahmen die Regierungen anordnen.

Die Einführung der Impfpflicht nur für bestimmte Berufe kann zu Abgang der Impfverweigerer aus diesen Berufen kommen (besonders im Gesundheitswesen könnte zu einer kritischen Personalreduktion kommen, die kontraproduktiv wäre). Eine verpflichtende Testung ist keine gute Lösung. Die Teststraßen sind nicht überall und nicht durchgehend verfügbar, besonders an den Wochenenden nicht, und auf das Ergebnis der Testung muss man 24 Stunden warten. Am Montag könnte also keine ungeimpfte Krankenschwerster ihren Dienst antreten. Die Stationsschwester wird dann lieber ihre Mitarbeiterinnen nicht kontrollieren, um den Dienstplan nicht umgestalten zu müssen. Im Fall der allgemeinen Impfpflicht müsste sie nichts mehr kontrollieren. Wenn dann eine Krankenschwester oder ein Arzt krank wird und nicht geimpft wäre, würde für ihn das gleiche gelten, wie für jeden anderen Bürger. Seine Krankenversicherung dürfte die Zahlung der Kosten seiner Behandlung ablehnen und der Arbeitsgeber müsste ihm kein Krankengeld zahlen.

Ich bin überzeugt, dass für eine gesetzliche Regulierung ein breiter Konsensus einer großen Mehrheit der Bevölkerung erreicht werden könnte. Die Zeit ist reif. Die Politik müsste endlich Mut zeigen – also „Eier haben“.

               Bisher hat sie keine.

Riga I

            Vielleicht ist daran mein Akzent schuld. Angeblich habe ich einen typischen tschechischen Akzent, egal ob in Englisch oder in Russisch (In Deutsch habe ich ihn übrigens trotz aller Bemühungen auch nicht abbauen können). Aber wenn ich in einer Bar in Riga auf Englisch bestellt habe, habe ich den richtigen Wein nur bekommen, wenn ich meinen Wunsch dem Kellner auf Russisch erklärte. Beim Einkaufen musste ich in Riga im Gegenteil schnell von Russisch zu Englisch wechseln, um zu bekommen, was ich kaufen wollte. Also weiß ich wirklich nicht, wo der Fehler lag. Während meines ganzen Aufenthaltes in Riga verfolgte mich die Unsicherheit, mit welcher Sprache ich den Verkäufer (Kellner oder die Frau an der Kassa) ansprechen sollte. Die Erklärung liegt nicht darin, dass die Letten die Russen so lieben würden, sondern darin, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung der lettischen Hauptstadt Russen sind.

            Die alte Generation reagiert noch ähnlich wie die Flamen in Brüssel – wenn die Menschen das Gefühl haben, dass der Angesprochene nicht lettisch kann, gehen sie automatisch zu Russisch über (gleich wie der Flame von Brüssel zu Französisch). Junge Letten beherrschen aber Russisch nicht mehr, sie lernen fleißig Englisch, da sie ohnehin vorhaben nach Schulschluss nach Großbritannien, Irland oder in die USA auszuwandern. Zwischen den Jahren 2008 – 2014, also nach der Wirtschaftskrise schrumpfte die Bevölkerung Lettlands von 2,4 Millionen auf 1,9 Millionen. Kein Wunder, die lettische Regierung reduzierte die Gehälter der Staatsangestellten sowie auch die – ohnehin schon bescheidenen – Pensionen um 20%, schaffte aber keinen einzigen der 100 Angeordneten oder 22 Ministerien (für knappe 2 Millionen Bewohner!) ab.

            In dem Sprachchaos wurde überhaupt vergessen, dass man in Riga ganze Jahrhunderte Deutsch sprach – es war doch eine Hansastadt, sie wurde von Bischof Albert von Bremen gegründet und jahrhundertelang vom Deutschen Ritterorden regiert. Der Bischof von Riga zählte immer zu Bischöfen der deutschen Nation und auf dem Konzil von Konstanz spielte er als ein Mitglied der deutschen Nation, Berater und enger Verbündete Kaisers Sigismunds eine wichtige Rolle. An Riga hatte immer irgendjemand ernstes Interesse, was für die Stadt nicht immer von Vorteil war. Ein langer Machtkampf zwischen dem Bischof von Riga und dem Deutschen Ritterorden wurde anscheinend durch einen Schiedsspruch des neuen deutschen Königs Rudolf von Habsburg, der dringend Verbündete für seinen Kampf mit dem tschechischen König Premysl Ottokar suchte, im Jahr 1274 zur Gunst des Ordens entschieden. Die empörten Bürger von Riga stürmten demzufolge die Burg des Ordens, der Komtur wurde mit seinen Rittern gefangengenommen und anschließend alle gemeinsam hingerichtet. Der Krieg mit der unbeugsamen Stadt dauerte bis 1330, erst in diesem Jahr gelang es den Rittern den Widerstand der Stadt zu brechen. Im Jahr 1484 unternahmen die Bürger der Stadt den nächsten Versuch, eine Unabhängigkeit zu erlangen. Den Erzbischof, der zugleich auch Mitglied des Ordens war, vertrieben sie nach der Burg Césis und es dauerte weitere sieben Jahre, bis der Orden die Bürger im Jahr 1491zu Gehorsam zwang. Im Jahr 1558 drangen in Livonia das erste Mal Russen des Zaren Ivan des Schrecklichens ein, sie verwüsteten das Land, konnten aber Riga nicht einnehmen. Riga nutzte die Kämpfe in der Region zur Unabhängigkeitserklärung und trieb in der Zeit des Livonischen Krieges seine eigene Politik. Im Jahr 1581 beschlossen aber die Bürger von Riga, dass ein Schutz eines weitentfernten Königs nicht schaden konnte. Ein Geschäft ist übrigens immer ein Geschäft und so unterwarfen sie sich dem polnischen König Stephan Bathory. Im Jahr 1605 schafften es die polnischen Soldaten, die schwedische Invasion von den Mauern der Stadt abzuwehren, im Jahr 1621 musste aber die Stadt vor dem „Löwen des Nordens“, dem schwedischen König Karl Gustaf, kapitulieren. Die schwedische Herrschaft war für die Stadt ein Segen, sie erlebte  goldene Zeiten. Die dauerten aber nicht ewig. Im Jahr 1709 standen wieder einmal die Russen vor der Mauer der Stadt. Die Stadt leistete ganze acht Monate Widerstand und verlor – ich hoffe noch immer, dass diese Angabe im historischen Stadtmuseum ein Schreibfehler war – 94% ihrer Bevölkerung. Sollte es aber kein Schreibfehler gewesen sein, ging im Jahr 1710 eine entvölkerte und verwüstete Stadt in russische Hände über. Der Besitz der Stadt wurde den Russen in dem Friedensvertrag von Nystad im Jahr 1721 bestätigt und Riga blieb bis zum Jahr 1918 russisch.

            Möglicherweise gerade wegen seiner bewegten Geschichte traf ich in Riga die beste Verkäuferin der Welt. Natürlich punktete sie schon damit, dass sie jung und hübsch, lächelnd und positive Energie ausstrahlend war. Sie sprach fließend Deutsch, Russisch, Englisch, natürlich auch Lettisch, slowakische Kunden konnte sie auf Slowakisch zumindest begrüßen und sich bei ihnen für ihren Einkauf auf Slowakisch bedanken. Als ich ein bisschen zaghaft fragte, ob sie auch Briefmarken für die Postkarten hätte (normalerweise werden die Briefmarken in Souvenirgeschäften nicht angeboten, was immer meine Bemühung, meinen Eltern Postkarten zu schicken, zu einer komplizierten Mission mutieren ließ) sagte sie, dass es selbstverständlich wäre, und sie legte mir sofort einige auf die Bank. Sie bot mir sofort auch einen Kugelschreiber an und sagte, dass ich mir mit dem Abschicken keine Sorgen machen müsste. Wenn sie von der Arbeit nach Hause gehen wird, geht sie an der Post vorbei und wird sie ins Postkästchen einwerfen. Ich schaute sie wie eine Erscheinung an. So etwas muss man in dem fernen Norden suchen! Die Postkarte kam bei meinen Eltern tatsächlich an.

            Riga wird auch „Paris des Nordens“ genannt. In meinen Augen ein bisschen übertriebener Vergleich für die lettische Metropole am Ufer des riesigen Flusses Daugava. Nördliche Ströme haben unvorstellbare Ausmaße, ein Mitteleuropäer, der an Elbe, Donau oder Moldau gewöhnt ist, schaut verzückt auf Neva oder Daugava.

Riga gewann den Ruf einer pulsierenden Stadt. Von dem Puls war ich ein bisschen enttäuscht. Um die Gefäße zum Pulsieren zu bringen, muss in ihnen Blut strömen. Das Blut in den Straßen einer Metropole ist das Geld. Und an dem mangelt es den Letten verzweifelt. Bei einem durchschnitten Einkommen 750 Euro (Stand 2015) und bei den Lebensmittelkosten, die mit den österreichischen vergleichbar sind (die Miete ist zwar billiger, aber auch nicht wirklich billig) darf man sich darüber nicht wundern. Die Touristen allein können die Stadt nicht retten (und in der Zeit von Corona schon überhaupt nicht). Besonders für die durstigen Finnen ist Tallin doch näher und sprachmäßig mehr verwandt. Trotzdem ist Riga, diese alte Hansastadt, sehr schön und besuchswert. Übrigens am späten Sommerabend, der nur um wenig dunkler als in Tallin ist, wird hier überall gefeiert. Wir sahen Lokale, wo Letten spontan ihre Nationaltanze getanzt haben (physisch ziemlich anstrengend) aber auch Bars auf dem Platz unter dem freien Himmel, wo man Chansons oder Jazz hören konnte. Eine junge Dame hat Saxofon gespielt. Es wird behauptet, dass das Spiel auf dem Saxofon jeden Mann sexy machen kann (auch der ehemalige Präsident der USA Clinton liebte das Spiel auf dem Saxofon, vielleicht hatte er deshalb auch seine Probleme), aber auch eine junge Dame, die in der Dämmerung Saxofon spielt, hat etwas an sich. Was mich aber meistens schockierte, waren die Kajaks, beleuchtet mit kleinen Lichtern, deren Besatzungen um ein Uhr nach Mitternacht auf der nächtlichen Daugava paddelten. Ich hoffe, dass die Kajakfahrer zumindest Rettungswesten anhatten. Sollten sie nämlich in dem Strom kentern und aus dem Kajak rausfallen, würden sie die Rettungsmannschaften irgendwo im Baltischen Meer herausfischen.

            Riga hat natürlich seine Altstadt mit einigen Kirchen, besonders der Dom, gegründet noch vom Bischof Albert im Jahr 1201 und die Kirche des Heiligen Petrus, sind imposant.

Imposant ist aber auch das Eintrittsgeld, das dort verlangt wird und das bereits damals zwischen 3,50 und 7 Euro betrug. Und das in protestantischen Kirchen, wo der Bildsturm im sechzehnten Jahrhundert die Kirchen ihrer Innenausstattung beraubte. Es zahlt sich aus am Mittag in den Dom zu gehen, wenn es dort ein Konzert gibt – der Eintritt kostet sowie so sieben Euro, aber es gibt dort dann für das Geld zumindest ein schönes Erlebnis. Die Musik ist in Riga so gut wie überall. Ob es sich um die Musiker in den Nachtbars handelt, aber es gibt Musik auch überall auf den Straßen. Es sind keine Bettler mit Ziehharmonika, sondern zum Beispiel drei hübsche junge Mädchen mit Blumenkränzen auf den Häuptern, die direkt vor den Häusern der Schwarzköpfe auf dem Rathausplatz spielten. Genauer gesagt, die Kränze hatten zwei von den drei Musikerinnen auf, es waren wahrscheinlich die, die in der stürmischen St Johannesnacht am 23. Juni ihre Jungfräulichkeit verloren hatten. Warum nur zwei von drei, weiß ich nicht, hübsch waren alle drei.

            Die Schwarzkopfhäuser sind unglaublich schön.

Sie wurden im Jahr 1334 von der Gilde der unverheirateten Kaufleute gebaut. Weil die jungen und reichen Männer niemanden zu Hause hatten, der ihre Geldbeutel kontrolliert hätte, konnten sie es sich leisten. Aus diesem Grund musste jedes Mitglied nach seiner Hochzeit die Gilde verlassen. Die wunderschönen Häuser erinnern an das Rathaus in Bremen (übrigens steht vor ihnen, gleich wie in Bremen vor dem Rathaus, eine Statue von Roland, des Beschützers der Stadt), sie wurden in dem zweiten Weltkrieg zerstört und das sowjetische Regime hatte kein Interesse, sie zu erneuern. Deshalb begannen die Letten mit der Rekonstruktion gleich nach der Unabhängigkeitserklärung und sie vollendeten den Wiederaufbau dieser architektonischen Juwelen im Jahr 1999. Gleich nebenan steht aber eine furchtbare Erinnerung an die Jahrzehnte der sowjetischen Herrschaft. Ein schreckliches „modernes“ Gebäude in schwarz, das von den Bürgern von Riga „Schwarzer Sarg“ genannt wird – nach dem Jahr 1991 wurde hier kreativ ein „Museum der Okkupation“ einquartiert. Wie ich schon schrieb, die Balten machen zwischen der nazistischen und kommunistischen Okkupation keinen Unterschied, beide werden in den gleichen Sack geworfen.