Category: Reiseberichte – andere Länder

Graz III

Wenn wir das Kaufhaus Kastner und Öhler verlassen, haben wir zwei Möglichkeiten, wohin wir unsere Stadtbesichtigung fortsetzen könnten. Entweder nach links zum Schlossberg oder rechts am Hotel Erzherzog Johann vorbei zum Hauptplatz. Gehen wir heute in diese Richtung, den Schlossberg behalten wir uns für das Ende unseres Spaziergangs. Der Hauptplatz wird von einem Rathausgebäude dominiert, das mit seinem neubarocken Stil zwar gar nicht her passt, ist aber imposant, sodass man sich damit abfinden kann.

Die meisten Gebäude stammen aus der Renaissance, dem vorherrschenden Stil in dieser Stadt. Und in der Mitte des Platzes steht ein Brunnen mit der Statue des steirischen Prinzen Erzherzog Johann.

Ohne ihn geht es in der Steiermark einfach nicht. Genauso wie man sich bei einem Besuch in Tschechien den Namen Karl IV. merken müsste, muss man das mit Johann, dem Landesvater der Steiermark, tun. Wir werden buchstäblich über ihn überall stolpern, also lassen wir seine Lebensgeschichte – für die, die sie nicht kennen – kurz zusammenfassen.

Johann wurde 1782 in der Toskana als achtes Kind des zukünftigen Kaisers Leopold II. geboren. Als sein Vater Kaiser wurde, siedelte er nach Wien um und nachdem er im Krieg gegen Napoleon im Jahr 1809 versagte – er hatte einen Löwenanteil an der Niederlage in der Schlacht bei Wagram – zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Er kaufte einen Bauernhof namens Brandhof in der Nähe von Mariazell in der Steiermark und begann mit der Reformierung des Landes. Es waren nicht nur Experimente mit dem Anbau von Pflanzen unter bergigen Bedingungen und Aufklärungsvorträge. Er gründete eine Getreidebörse, die den Bauern feste Preise beim Getreideankauf garantierte, die Grazer Wechselseitige Versicherung, bei der sie sich gegen Missernten versichern konnten, und die Sparkasse-Bank, die kleine Kredite vergab. Dadurch blieben die steirischen Gelder in der Steiermark und bildeten die Grundlage für den lokalen Wohlstand. Darüber hinaus gründete er nach dem Vorbild seiner Großmutter Maria Theresia eine Bergbau-Hochschule, an der Carl Friedrich Christian Mohs die Härteskala der Mineralien festlegte – wir erinnern uns zumindest teilweise daran, weil wir das in der Schule lernen mussten – sie hat zehn Stufen und der härteste ist natürlich der Diamant. Im revolutionären Jahr 1848 kandidierte Johann für die Steiermark in den Wahlen in das gesamtdeutsche Parlament, das in Frankfurt tagte, und wurde natürlich gewählt und anschließend auch zum Vorsitzenden dieses Parlaments. Dort führte er einen vergeblichen Kampf für die sogenannte großdeutsche Lösung, also die Wiederherstellung des Deutschen Kaiserreichs mit Österreich und der Hauptstadt Wien. Diesen Kampf verlor er gegen die preußische Lobby, und ein neuer Kaiser ging aus den Sitzungen jenes ersten revolutionären Parlaments auch nicht hervor. Johann zog sich dann in die Steiermark zurück und war bis zu seinem Tod als Bürgermeister in der Stadt Stainz tätig, wo er ein Jagdschloss hatte.

Als Lebenspartnerin wählte der liebe Johann die Tochter des Postmeisters aus Bad Aussee, Anna Plochl, was für damalige Verhältnisse einen enormen Skandal darstellte. Es dauerte zehn Jahre, bis er von seinem Bruder, Kaiser Franz, die Erlaubnis zur Hochzeit erwirkte. Um den Skandal etwas zu mildern, erhob der Kaiser die liebe Anna zur Gräfin von Meran. Deshalb trägt der Palast, den Johann in der Stadt erbauen ließ, den Namen Palais Meran und er beherbergt heute eine Schule für musikalische Künste. Im Hauptkonzertsaal dominiert an der vorderen Wand ein großes Gemälde des Erzherzogs – mit seiner unverwechselbaren Glatze. Diese hat er auch auf der Statue auf dem Hauptplatz, und die Stadtverwaltung versucht vergeblich, sie vor Tauben und ihrem unhygienischen Verhalten zu schützen. Der Brunnen, auf dem die Statue des Herzogs steht, stellt die vier steirischen Flüsse dar – Enns, Mur, Drau, die bis 1918 auch ein steirischer Fluss war, und Sann. Mit dem letzten habe ich mich lange beschäftigt und den Architekten verdächtigt, dass er diesen Fluss einfach frei erfunden hat, um keinen dreieckigen Brunnen bauen zu müssen. Aber der Fluss existiert – nun ja, es ist eher ein größerer Bach – er heißt heute Savinja und befindet sich wie sein großer Bruderfluss Drau in dem heutigen Slowenien.

Wenn wir vom Hauptplatz aus ein Stück nach rechts am x entlang gehen, gelangen wir zum Joanneum. Das Gebäude, das Johann erwarb, um dort seine Bergakademie unterzubringen, ist ein seltenes barockes Element in der Stadt. Der ehemalige Palast der Mönche aus Sankt Lambrecht wurde von der Familie Leslie erworben – daher trägt das Gebäude bis heute den Namen Lesliehof. Es wurde wieder einmal von einem italienischen Architekten mit einem für mich unaussprechlichen Namen Domenico Sciassia erbaut. Im Innenhof befindet sich eine Büste des bereits erwähnten Christian Mohs. Kaiser Franz Josef ließ dem ursprünglichen Museumsgebäude noch einen weiteren klassizistischen Anbau in Richtung des Flusses hinzufügen. Die beiden Gebäude passen nicht ganz zusammen, die Stadt Graz hat das Problem originell, aber aus meiner Sicht gut gelöst. Zwischen den beiden Gebäuden wurde ein hochmodernes Eingangstor in Form einer in die Erde eingelassenen Pyramide errichtet (umgekehrt im Vergleich zum Louvre in Paris). Der Eingang zum Museum befindet sich also unter der Erde, und auch die beiden Museumsgebäude sind unterirdisch miteinander verbunden.

Wenn wir uns vom Hauptplatz aus auf der Herrengasse befinden, wird uns wahrscheinlich zuerst das mit Fresken bemalte Haus, der Herrenhof, auffallen.

Der Besitzer dieses Hauses hatte das Privileg, keine Steuern zahlen zu müssen. Auf der anderen Seite war er jedoch verpflichtet, den Landesfürsten zu beherbergen, wenn er in die Steiermark kam. Dieses fragliches Privileg hat dem Hausbesitzer Herzog Rudolf der Stifter verliehen. Die Fresken stellen antike Motive der griechischen Götter dar.

Wenn wir an dem Landhaus und das Landzeughaus entlang weiter gehen, gelangen wir zur Grazer Pfarrkirche. Die Fassade ist barock, aber im Inneren handelt es sich um ein gotisches Gebäude.

Es war einmal die Kirche des Dominikanerordens. Aber die Dominikaner, ein Orden von bettelnden Predigermönchen, hatten in einer protestantischen Stadt ein hartes Leben. Sie kämpften ständig mit Armut und Hunger, und eines schönen Tages hatten sie die Schnauze voll und beschlossen, die undankbare Stadt zu verlassen. Herzog Karl erkannte die Gefahr, dass die Kirche in protestantische Hände geraten könnte, und griff ein. Da er den Dom dem Jesuitenorden übergeben hatte, hatte die Stadt keine katholische Pfarrkirche mehr. Karl bat daher den Papst in Rom, diese Kirche auf der Herrengasse zur Pfarrkirche zu erheben, wenn möglich noch bevor die letzten beiden verärgerten Mönche sie verließen. Der Papst verstand die Dringlichkeit der Bitte des Erzherzogs und kam ihr umgehend nach. In der Kirche befindet sich in der Seitenkapelle das Gemälde der Himmelfahrt der Jungfrau Maria von Tintoretto, aber es befindet sich hier auch die größte Kuriosität der Stadt. Man muss in das Hauptschiff gehen und die Glasfenster in der Apsis betrachten. Graz wurde im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert, da es vor allem für die italienische Front ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war. Die Kirchenfenster aus Glas überstanden die Druckwellen der Explosionen logischerweise nicht. Nach dem Krieg wurde der Berliner Künstler Andreas Birkle mit der Gestaltung neuer Fenster beauftragt. Und er wagte es, auf einem der Fenster Hitler und Mussolini darzustellen, wie sie die Auspeitschung Christi beobachten. Es handelt sich um das linke Fenster, das dritte Fensterfeld von unten in der rechten Spalte.

Birkle hat diese beiden somit zu “bösen” Feinden Christi und seiner Botschaft erklärt. Eine ähnliche Provokation findet sich in ganz Europa nur noch an einem Ort, nämlich in der Kirche St. Martin in Landshut, wo Hitler, Goebbels und Göring ihre Gesichter den Peinigern des Heiligen Kastulus liehen.

Wir können uns um die Pfarrkirche herum begeben und am Delikatessengeschäft Frankowitsch vorbeigehen (mit den berühmtesten belegten Brötchen in der Stadt) zum Tummelplatz. Dieser hat zwei Teile. Einer davon ist der runde Platz vor dem Gebäude des Akademischen Gymnasiums. Dieses Gebäude war einst ein Kloster, nämlich das Kloster der Dominikanerinnen. Sie hielten in der Stadt etwas länger durch als der männliche Zweig des Ordens. Sie lebten hauptsächlich vom Verkauf von Wolle und Milch von Schaffen, die sie auf den Wiesen vor den Stadtbefestigungen, auf dem sogenannten Glacis, weideten. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit durften keine Häuser in der Nähe der Stadtmauern gebaut werden, und zwar in Schussweite der Kanonen. Dadurch sollte im Falle einer Belagerung verhindert werden, dass sich Feinde in diesen Gebäuden verstecken konnten. (Dieses Glacis kann man heute zum Beispiel in der italienischen Stadt Lucca in unveränderter Form sehen). Zu dieser Zeit kam der Postmeister slowenischer Herkunft und italienischen Namens Kaspar Andreas Jacomini in die Stadt. Er war ein Weltenbummler, diente als Leutnant in der Miliz in Rijeka und war auch Postmeister in Celje. Daher wusste er, dass die Stadtmauern abgerissen werden würden. Er bot den Nonnen einen guten Preis für ihre Wiesen an, und sie nahmen dankbar an. Im Jahr 1782 entschied Kaiser Josef, Graz zur “offenen Stadt” zu erklären. Das Glacis hörte auf zu existieren und Jacomini besaß die lukrativsten Baugrundstücke. Er verkaufte sie an die Bürger von Graz, und vor den Stadtmauern entstand das ganze Vorstadtviertel “Jacomini Vorstadt”. Heute trägt das gesamte Stadtviertel den Namen des geschickten Postmeisters, und der Platz, der nach ihm heißt, ist der Hauptverkehrsknotenpunkt – und ein Eldorado für Drogendealer.

Der zweite Teil des Tummelplatzes hat eine seltsame Form

. Er ist lang und schmal. Hier fanden im Mittelalter Ritterturniere statt. Auf beiden Seiten standen Tribünen, und die Ritter ritten auf Pferden und in Rüstungen in der Mitte aufeinander zu. Da es etwas bergab geht, kann ich mir vorstellen, dass sie – sofern es sich nicht um prominente Persönlichkeiten handelte – das Los ziehen mussten, um ihre Seite zu bestimmen. Mit diesem Ort sind drei Geschichten verbunden, die ich erzählen möchte. Die erste stammt aus dem späten 12. Jahrhundert. Die Legende besagt, dass Herzog Leopold V. zu Silvester 1194 an einem Turnier auf diesem Platz teilnahm. Leopold, verwandt mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa (sein Vater Heinrich Jasomirgott war der Stiefbruder von Barbarossas Vaters und wurde auch deshalb 1156 vom Markgrafen von Österreich zum Herzog erhoben), war seit 1177 Herzog von Österreich und seit 1192 auch Markgraf von Steiermark.

Die Babenberger erwarben nämlich durch einen Vertrag mit dem aussterbenden Geschlecht der Ottokare im Jahr 1186 (Georgenberger Handfeste) die erbliche Herrschaft über die Steiermark. Aber der liebe Leopold befand sich im kirchlichen Bann. Er nahm nämlich am dritten Kreuzzug teil und übernahm nach dem Tod von Kaiser Barbarossa, der bei einem Bad in der heutigen Türkei ertrank, das Kommando über das deutsche Kontingent. Mit ihm beteiligte er sich an der Eroberung der Stadt Akkon. Doch der englische König Richard Löwenherz war nicht gewillt, dass neben seiner königlichen Fahne auf den Mauern der eroberten Stadt auch die Fahne “irgendeines Herzogs” wehte, und warf sie in den Graben. Leopold wurde wütend und verließ im Jahr 1191 Palästina. Als Richard nichts Besseres einfiel, als durch Österreich nach England zurückzukehren, fing er ihn ein und hielt ihn auf der Burg Dürnstein in der Wachau gefangen. Er forderte ein Lösegeld für ihn, und als Richards Bruder Johann Ohneland nicht bereit war zu zahlen, verkaufte er seine Geisel einfach an Kaiser Heinrich VI. zum halben Preis, um beide zu bereichern. Da er durch die Gefangennahme eines Kreuzritters gegen kirchliches Recht verstieß (Kreuzritter waren unantastbar und unterlagen ausschließlich kirchlicher Gerichtsbarkeit), verhängte Papst Coelestin III. den kirchlichen Bann über ihn. Der Legende nach stürzte der Herzog beim Turnier zusammen mit seinem Pferd und erlitt eine offene und stark blutende Beinfraktur. Da ihm niemand helfen wollte, zog er angeblich sein Schwert und trennte sich das Bein ab. Da ihm jedoch auch danach keine angemessene Pflege zuteilwurde, verblutete er und starb.

Die Legende ist schön, wenn auch etwas blutig, aber sie beruht nicht auf der Wahrheit. Tatsächlich stürzte Leopold mit seinem Pferd und brach sich das Bein, aber das geschah bereits am 26. Dezember in der vereisten Herrengasse. Er starb dann fünf Tage später an Sepsis. Es gab erhebliche Probleme mit seiner Beerdigung, denn solange der Papst nicht gnädig wurde und seinen Bann aufhob, durfte der Herzog nicht in geweihter Erde begraben werden.

Die zweite interessante Geschichte ereignete sich im Jahr 1467, als eine Delegation des böhmischen Königs Georg von Podiebrad Graz besuchte. Georg, als ein Nachkomme der Hussiten und ein Utraquist, wurde vom Papst Pius II. (unser bereits gut bekannter Aeneas Silvius Piccolomini) für Ketzer erklärt und musste sich ständig den Angriffen des ungarischen Königs Matthias Corvinus erwehren, der sich berechtigt fühlte, im Namen des Papstes den heiligen Glauben zu verteidigen (und als willkommener Nebeneffekt die böhmische Königskrone zu erlangen). Daher schickte Georg eine Delegation, die ganz Europa bereiste und versuchte (vergeblich), europäische Herrscher für einen internationalen Friedens- und Zusammenarbeitsvertrag zwischen den europäischen Nationen zu gewinnen – sozusagen ein Versuch der ersten Europäischen Union. Auf dem Rückweg von dieser visionären, aber erfolglosen Mission machte die Delegation auch in Graz Halt, wo sich gerade Kaiser Friedrich III. aufhielt. Zu Ehren der Tschechen veranstaltete er auf dem Tummelplatz ein Turnier, bei dem der damals beste tschechische Kämpfer Jan Libštejnský von Kolowrat unter tschechischen Farben antrat. Dieser siegte triumphal, als er seinen Gegner, den berühmten deutschen Ritter Reimberger, aus dem Sattel warf. Die ganze Geschichte wurde von einem Teilnehmer dieser tschechischen Expedition, Václav Šašek von Bířkov, in seiner Chronik “Die Reise ans Ende der Welt” festgehalten. Ob der Herr von Kolowrat von oben oder von unten angegriffen hat, ist nicht dokumentiert. Ich persönlich glaube, dass es von oben war, denn wenn er sich auf dem unteren Teil des Platzes befunden hätte, hätte Šašek diesen Nachteil in seinem Bericht sicherlich erwähnt.

Schließlich wurde der Tummelplatz zum legendären Schauplatz eines Duells, als der steirische Adlige Eberhard von Rauber gegen einen spanischen Granden vor den Augen Kaisers Maximilian II. um die Hand der kaiserlichen schönen unehelichen Tochter Helena kämpfte. Eberhard siegte triumphal, als er den Besiegten in einen Sack steckte und dem Kaiser zu Füßen legte. Daraufhin küsste der Kaiser ihn auf die Wange und übergab ihm “das göttliche Mädchen Helena”. Leider wurde aus der Ehe mit Helena kein Nachwuchs geboren. Nach der bedeutenden Adelsfamilie Rauber ist Raubergasse im Stadtzentrum benannt, und ich fand ein Porträt von Eberhard auf der Burg Güssing im Burgenland. Dort ist er jedoch mit so langen Haaren und Bart dargestellt, dass er sich sicherlich nicht gegen den Spanier durchgesetzt hätte. Wahrscheinlich ließ er sich die Haare erst danach wachsen. Übrigens soll der besiegte Spanier seine Niederlage nicht verkraftet haben. Nach seiner Rückkehr nach Spanien legte er alle Titel ab und trat in den Dominikanerorden ein.

Vom Tummelplatz gelangt man direkt zum Bischofplatz, dem Sitz des Bistums Graz-Seckau. Dieses wurde 1218 als Suffraganbistum des Erzbistums Salzburg gegründet, hatte jedoch seinen Sitz in dem obersteirischen Ort Seckau. Erst im Jahr 1786 wurde der Sitz nach Graz verlegt. Nach Durchqueren der Stempfergasse, die das jüdische Ghetto im Norden bis 1449 begrenzte, als die Juden auf Anordnung von Kaiser Friedrich III. aus der Stadt vertrieben wurden, gelangen wir zum Glockenspielplatz und Mehlplatz, die im Grunde eine Einheit bilden. Im Jahr 1884 kaufte ein Hersteller von Schnaps namens Gottfried Mauer hier ein Haus. Durch die Schnapsherstellung wurde er wohlhabend. Bei seinen Reisen durch Europa sah er viele verschiedene Glockenspiele und bedauerte, dass Graz keines hatte. Deshalb ließ er eines an seinem Haus installieren. Dreimal am Tag um 11, 15 und 18 Uhr erklingt das Glockenspiel und aus den Fenstern der Fassade tanzen ein Mädchen und ein junger Mann in steirischer Tracht, wobei der Mann natürlich ein Glas über dem Kopf hält – vermutlich mit Schnaps von Herrn Mauer. So tanzt man besser.

Der Mehlplatz mit seinen vielen Restaurants ist ein beliebter Ort zum Ausruhen während eines Spaziergangs durch die Stadt. Also machen wir hier eine Pause, bevor wir uns in den westlichen Teil der Altstadt begeben.

Graz II

Wir werden bei unserem Spaziergang noch eine Weile im fürstlichen Teil der Stadt bleiben, also in der Nähe des Doms. Direkt neben ihm steht nämlich ein architektonisches Juwel des Manierismus, eines architektonischen Stils, der an die Renaissance anknüpft – das Mausoleum von Kaiser Ferdinand II.

Mausoleum

Der Herrscher ließ dieses Grabmal nach dem Tod seiner geliebten Frau Maria Anna bauen und ließ sich selbst darin neben seinem früh verstorbenen Sohn Johann Karl begraben. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei miteinander verbundene Gebäude, entworfen vom italienischen Architekten Giovanni Pietro de Pomis. Der Besucher betritt zuerst die Kirche St. Katharina von Alexandrien, der Schutzpatronin der Wissenschaften.

Katharina von Alexandria

Daher wurde das Mausoleum direkt neben der von Ferdinands Vater, Erzherzog Karl, gegründeten Universität gebaut. Die Kuppel ist mit Wappen der Länder geschmückt, in denen die Habsburger herrschten. Der zweite Teil ist die eigentliche Grabkapelle. Sie wurde nach dem Vorbild des Heiligen Grabes in Jerusalem gebaut. Früher konnte man in die Grabkammer hinabsteigen, heute ist der Zugang gesperrt. Von oben kann man den Sarkophag von Ferdinands Eltern Karl und Maria sehen. Auf dem Sarkophag sind zwar beide dargestellt, aber nur Maria liegt darin. Karl ist im Kloster Seckau in der Obersteiermark begraben. Warum das so ist, konnte ich nicht herausfinden. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1590 spendete Maria eine beträchtliche Summe Geldes, damit täglich Messen über dem Grab ihres Mannes gelesen werden und hat ihre Spende auch mit dem Wunsch verbunden, dass sie nach ihrem Tod neben ihm begraben wird. Ihre Untertanen erfüllten diese Bedingung jedoch nicht, anscheinend wollten sie, dass der vom Volk geliebte Erzherzog zumindest nach seinem Tod seine Ruhe hat. Mit seiner fanatischen, dominanten und intoleranten Frau hatte er während seines Lebens schon genug ertragen müssen.

Kaiser Ferdinand II. selbst ist in der Wand der Familiengruft begraben, ebenso wie seine Frau Maria Anna und sein ältester Sohn Johann Karl. Darüber hinaus wurde dort die französische Prinzessin Marie Therese von Savoyen begraben, die vor der französischen Revolution nach Graz geflohen war und hier 1805 verstarb. Ein angemessenes Grab wurde für sie gesucht, und so fand sie ihre letzte Ruhestätte neben dem ehemaligen Kaiser Ferdinand.

Ferdinand ist somit der letzte Habsburger, der nicht bei den Karmeliten in Wien begraben ist. Diese Wiener Gruft wurde von Anna, der Gattin Ferdinands Vorgängers auf dem kaiserlichen Thron, Matthias, gegründet, Ferdinand wollte aber neben seiner ersten Frau beerdigt werden. Ferdinand war ein recht einfacher und grundsätzlich guter Mensch. Seine intellektuellen Defizite – und eine fanatisch katholische Erziehung durch seine Mutter – wurden jedoch von den Jesuiten ausgenutzt, um ihm einzureden, dass er persönlich für das Seelenheil all seiner Untertanen verantwortlich sei – und dass Ketzer, also Protestanten, natürlich nicht gerettet werden könnten. Aus Angst vor seiner eigenen Verdammnis, wenn er diese Aufgabe nicht erfüllen würde, rekatholisierte er brutal die Steiermark und versuchte dasselbe auch in Böhmen und Deutschland, nachdem er Kaiser geworden war. Das Ergebnis war einer der schrecklichsten Kriegskonflikte, die Europa je erlebt hat – der Dreißigjährige Krieg. Gott bewahre uns vor solchen Gutmenschen! Der Kaiser selbst hat das Ende des von ihm verursachten Krieges nicht mehr erlebt, es wurde von seinem Sohn Ferdinand III. beendet. Im Gegensatz zu seinem Vater war dieser sehr begabt. Er war nicht nur der erste, der schwedische Truppen besiegen konnte, sondern komponierte auch Musik, die noch heute gespielt wird, und zeigte große Fähigkeiten in der Diplomatie. Auch die anderen Kinder von Ferdinand bewiesen beträchtliche Intelligenz, jene unansehnliche Annele musste eine sehr kluge Person gewesen sein – von wem hätten die Kinder es sonst geerbt?

Die Wappen von Ferdinand II. und seiner Ehefrau Maria Anna findet man an der Fassade des alten Universitätsgebäudes gleich neben dem Dom.

Ferdinand II links, Maria Anna von Bayern rechts

Die Universität wurde im Jahr 1585 von Erzherzog Karl gegründet – “damit die Bewohner der Steiermark nicht weit von ihrer Heimat die Bildung suchen müssen”. Als ersten Studenten der neuen Universität ließ Karl seinen erstgeborenen Sohn Ferdinand einschreiben, der damals acht Jahre alt war. Er durfte allerdings nicht in Graz studieren – die Angst seiner Mutter, dass er sich mit der protestantischen Ketzerei anstecken könnte, war zu groß. Sie schickte ihn zum Studium in das zuverlässig katholische Ingolstadt und er durfte nicht einmal zur Beerdigung seines Vaters im Jahr 1590 zurückkehren. Erst als er nach damaligen Gesetzen volljährig wurde, erlaubte ihm seine Mutter die Rückkehr – damit er seine brutale Kampagne starten konnte, gegen alle, die an Gott anders glaubten als die katholische Kirche es erlaubte.

Das Universitätsgebäude ist ein schönes Beispiel für den Manierismus, das Innere ist im Rokoko-Stil dekoriert. Das bedeutet, dass der Stil von außen zum Barock führt, während er im Inneren den Barock verlässt – sie ergänzen sich perfekt und der Besuch des großen Saals im Universitätsgebäude ist ein unvergessliches Erlebnis.

Alte Universität

Aber gute Absichten gehen manchmal schief. Im Jahr 1602 übergab Ferdinand, der Sohn Karls, die Universität in die Hände der Jesuiten. Das führte nicht nur zu einer ideologischen Veränderung in der Bildung, sondern auch zur Abschaffung dieser Hochschule durch Joseph II. Der Jesuitenorden wurde nämlich im Jahr 1773 aufgelöst (aufgrund von Streitigkeiten um Paraguay in Südamerika), der Staat übernahm die Universität und Kaiser Joseph II. verwandelte sie dann in ein Lyzeum.


Im Jahr 1827 wurde die Universität von Josephs Neffen Franz (II. als römischer Kaiser und I. als Kaiser von Österreich) wiedereröffnet. Davon kommt ihr heutiger Name Karl-Franzes Universität. Eine Statue ihres Erneuerers steht in der Mitte des Freiheitsplatzes vor der Universität. (Bis 1848 hieß dieser Platz übrigens Franzesplatz).

Franz I (II)

Der Platz hat seine einheitliche klassizistische Konzeption (mit Ausnahme der manieristischen Universität). Das Theatergebäude wurde von dem italienischen Architekten Pietro de Nobile (er war eigentlich ein Schweizer, aber aus dem italienischen Kanton Tessin) entworfen und Johann Nestroy spielte hier in 269 verschiedenen Rollen. Hier wurde auch die Premiere seines allerersten Theaterstücks “Der Zettelträger Papp” aufgeführt.

Der Platz wird von oben durch das Gebäude Lambrechterhof des Architekten Hauberisser abgeschlossen. Im Giebel ist ein Junge abgebildet, der vor Wölfen flieht. Es war eine kleine Rache des Architekten an dem Wiener Architekten Wolf, wegen dem er nach Graz umziehen musste.

Graz ist jedoch vor allem von der Renaissance geprägt und wenn wir über die Renaissance in Graz sprechen, sprechen wir vor allem von einem Meister namens Domenico d’Allio. Im Jahr 1529 belagerten die Türken zum ersten Mal Wien. Die Stadt hatte noch mittelalterliche Stadtmauern, die einst von Herzog Leopold mit dem Lösegeld für Richard Löwenherz errichtet wurden. Solche Mauern konnten dem Artilleriefeuer nicht standhalten, aber die Österreicher hatten großes Glück. Fast die ganze Zeit der türkischen Belagerung regnete es und die Türken konnten ihre Waffen nicht benutzen, weil ihr Schießpulver nass geworden war. Als ihnen die Vorräte ausgingen, zogen sie von der Stadt ab und marschierten durch die Steiermark. Sie erschienen auch vor Graz, hatten jedoch keine Kraft mehr, die Stadt anzugreifen, und zogen nach Süden weiter, wo sie das gesamte südliche Steiermark verwüsteten.

Erzherzog Ferdinand I. verstand, dass die Befestigungen der Städte modernisiert werden mussten, da sie einem zukünftigen türkischen Angriff nicht standhalten würden. Im Jahr 1534 schenkte er das abgebrannte Klagenfurt den Kärntner Ständen, weil er kein Geld für dessen Wiederherstellung hatte, und die Bürger beauftragten mit den Arbeiten den italienischen Architekten Domenico Allio. Domenico wurde um das Jahr 1500 in der italienischen Stadt Scaria in der Nähe des Luganer Sees geboren. Daher wird manchmal fälschlicherweise angegeben, dass er aus Lugano stammt. Wenn er jedoch aus Lugano stammen würde, wäre er genauso wie Pietro de Nobile ein Schweizer aus dem Kanton Tessin, da dieser Kanton im Jahr 1512 der schweizerischen Eidgenossenschaft beigetreten ist. Scaria liegt aber am gegenüberliegenden italienischen Seeufer. Domenico arbeitete mit den modernsten Methoden und Ferdinand verstand, dass er diesen Meister behalten musste. Im Jahr 1540 rief er ihn nach Wien, um die städtische Befestigung zu modernisieren, und im Jahr 1544 ernannte er ihn zum Oberbaumeister für Innerösterreich, also für das Gebiet der heutigen Steiermark, Kärnten, Windischer Mark, Grafschaft Görz und der Stadt Triest. Aus dieser Funktion baute Allio neue Befestigungsanlagen in insgesamt fünfzehn Städten, davon in vier in Österreich – neben Klagenfurt und Graz befestigte er auch Fürstenfeld und Bad Radkersburg. Im Jahr 1545 wurde Domenico zum Generaldirektor der Festungsanlagen in Graz ernannt. Und er nahm seine neue Funktion zu Herzen. Graz erhielt Befestigungen, die mit ihrer Größe ins Guinness-Buch der Rekorde als die stärksten Befestigungen aller Zeiten aufgenommen wurden. Im Jahr 1558 erhob ihn der nunmehrige römische König Ferdinand in den Adelsstand. Domenico wählte Knoblauch für seinen Wappen und wurde somit Domenico d’Allio, also auf Deutsch Domenico von Knoblauch. Die Mauern rund um die Stadt fielen den Reformen von Josef II. zum Opfer, während die Befestigung auf dem Schlossberg der wütende Napoleon sprengen ließ – aber dazu später mehr.

Als die Bürger von Graz schon einmal so einen solchen Meister in ihren Mauern hatten, gaben sie ihm einen Auftrag, den er nicht ablehnen konnte. Sie baten ihn, das Landhaus, das Gebäude des Landtags, zu bauen.

Zu diesem Zweck kauften die Stände mehrere Häuser in der Herrengasse im Zentrum der Stadt. Domenico begann im Jahr 1557 mit der Arbeit, konnte sie jedoch nicht mehr vollenden. Er starb im Jahr 1563, sein Werk, das schönste Renaissancegebäude nördlich der Alpen, wurde im Jahr 1565 fertiggestellt. Wenn man den Hof des Landhauses betritt, ist es wirklich ein ästhetisches Erlebnis. Es ist das Werk der reinsten Hochrenaissance – die Galerie in Richtung Landeszeughaus ist allerdings ein Fake. Sie wurde im 19. Jahrhundert dazu gebaut, um den Eindruck auf den Besucher zu verstärken. Das ist gelungen. Am schönsten ist es hier vor Weihnachten, wenn die Heilige Familie aus Eisblöcken traditionell aufgestellt und mit wechselnden Lichten beleuchtet wird und Freiwillige Weihnachtslieder singen – ein unvergleichliches Erlebnis.

Das Landeszeughaus wurde vom Erzherzog Karl erbaut. Karl war der jüngste von drei Söhnen des Kaisers Ferdinand I. (neben ihnen zeugte der Kaiser mit seiner Frau, Königin Anna, noch zwölf Töchter). Es wurde versucht, Karl mit der englischen Königin Elizabeth (die sieben Jahre älter war als er) zu verheiraten, aber schließlich wurde er mit der Herzogin Maria von Bayern vermählt, was fatale Folgen hatte. Karl, wie auch seine Brüder Maximilian und Ferdinand, war gegenüber dem Protestantismus tolerant, seine Frau war jedoch eine katholische Fanatikerin. Im Jahr 1564 wurde Karl zum Herrscher in Innerösterreich ernannt, was mit der Hauptaufgabe der Verteidigung dieser Länder gegen die Türken verbunden war. Bereits 1565 wurde das Zeughaus als Waffenlager fertiggestellt. Heute enthält es 29.000 Waffenstücke, darunter auch prächtige Rüstungen – es ist eine der umfangreichsten und schönsten Waffensammlungen der Welt. Über dem Eingang zur Waffenkammer sind die Wappen der bedeutendsten steirischen Adelsfamilien zu sehen, die den Bau finanziert haben. Der Eingang wird von den Statuen der Götter Mars und Pallas Athena in barocker Ausführung eingerahmt – das ist das bisschen Barock in Graz. (Nun gut, nicht ganz allein). Beinahe alle Paläste, die sich in der Bürgergasse, Sporgasse oder Sackgasse befinden, wurden im Renaissance-Stil erbaut. Sie ähneln mit ausgedehnten Innenhöfen sehr einander. In der Zeit, als die Stadt eine Residenzstadt war, also in der Regierungszeit von Erzherzog Karl, bauten die steirischen Adligen ihre luxuriösen Wohnsitze im Stadtzentrum und so nahe wie möglich am Erzherzog. Auch das Haus in der Herrengasse auf der anderen Straßenseite des Landhauses, wo sich die bekannte Weinbar „Klapotetz“ befindet und wo früher der Grazer Bürgermeister Nagl residierte, ist im Renaissance-Stil erbaut. Hier befand sich zu Zeiten des größten Aufschwungs der Stadt die Landesregierung, die dem Erzherzog diente. Das Geld wurde also auf den Sitzungen des Landtags im Landhaus genehmigt, aber auf der anderen Straßenseite ausgegeben. Man sagt, es gebe einen unterirdischen Verbindungsgang zwischen beiden Häusern. Die Beamten mussten sich damals irgendwie einigen. Nach außen hin in den Augen des gemeinen Volkes mussten sie sich jedoch hassen. Wenn sie sich also treffen und Dinge regeln wollten, gingen sie nicht über die Straße, wo die Leute sie sehen und ihre Spielchen durchschauen konnten, sondern unter der Erde. Ob es wahr ist, weiß ich nicht, aber die Gänge, wenn es sie gibt, sind heute nicht mehr in Betrieb.

Den wahren Schatz der Renaissance-Architektur findet man jedoch an einem unerwarteten Ort – im Kaufhaus Kastner und Öhler. Es handelt sich um den “Paradeishof”, den Hof eines ehemaligen protestantischen Lyzeums.

Das Lyzeum gab es bereits in der Stadt, bevor Erzherzog Karl seine Universität gründete. Der Hauptförderer war Ulrich von Eggenberg, zu dieser Zeit einer der wichtigsten und reichsten steirischen Adligen. Für diese Schule gelang es, einen Professor von außergewöhnlicher Qualität zu gewinnen, den gebürtigen Straßburger Johann Kepler. Dieser Mann war einer der größten Genies, die je auf der Erde lebten. Im Jahr 1594 kam er im Alter von 23 Jahren nach Graz, um am Lyzeum Mathematik zu unterrichten. Der junge Mann lehrte nicht nur erfolgreich, sondern verliebte sich auch und heiratete. Er nahm Barbara Müller von Mühleck zur Frau, die bereits Witwe war. Er zog zu ihr auf Schloss Mühleck in Gössendorf und pendelte zur Arbeit in die Stadt. Aber das antireformatorische Streben des neuen Herrschers Ferdinand erreichte auch das Lyzeum. Ulrich von Eggenberg trat opportunistisch zur katholischen Kirche über, wodurch er die unsterbliche Dankbarkeit von Erzherzog Ferdinand erlangte. Nachdem Ferdinand zum Kaiser gewählt worden war, wurde Ulrich dessen Kanzler und Ministerpräsident und erhielt für seine Verdienste das Gut Krumau, was ihn zu einem der reichsten Menschen im Habsburgerreich machte. Ulrich hörte jedoch logischerweise auf, das Lyzeum finanziell zu unterstützen. Und im Jahr 1599 kam der tödliche Schlag. Ferdinand befahl allen protestantischen Priestern und Lehrern, die Stadt zu verlassen. Nur Kepler erhielt eine Ausnahme, genauer gesagt Zeit zum Nachdenken – ein Jahr. Johann entschied sich jedoch, seinem Glauben treu zu bleiben und musste daher 1600 Graz verlassen. Er hatte Glück, dass er auf dem Weg nach Prag den steirischen Adligen Ferdinand Hofmann von Strechau und Grünbühel traf, der ebenfalls beschlossen hatte, seine Heimat zu verlassen. Er war der Sprecher der steirischen Stände und dank der Minen im Dachsteingebirge einer der reichsten Menschen im Land. Er verkaufte allerdings sein Gut und entschied sich nach Prag umzusiedeln, das religiös toleranter war. Ferdinand Hofmann war ein aufgeschlossener und gebildeter Mann. Kepler freundete sich auf dem Weg mit ihm an und konnte mit seiner Familie eine Weile bei ihm in Prag wohnen, bevor er sich eine eigene Wohnung leisten konnte. Im Jahr 1609 veröffentlichte er dann sein geniales Werk “Astronomia Nova”, mit dem er unvergesslich in die Weltgeschichte einging. Im Hof des ehemaligen Lyzeums befindet sich eine Gedenktafel. Nach der Auflösung des Lyzeums schenkte Ferdinand 1600 das Gebäude dem Klarissenorden., Das Kloster wurde im Jahr 1782 von Kaiser Josef II aufgelöst. Die neuen Besitzer ließen sowohl die Kirche als auch das Kloster abreißen und es blieb nur dieser Renaissancehof, einen der schönsten nicht nur in Graz, übrig. Heute gehört er zum Kaufhaus Kastner und Öhler und wird regelmäßig zum Gemüsemarkt.

Das Kaufhaus „Kastner und Öhler“ erstreckt sich über das gesamte Altstadtviertel. Seine Gründung verdankt es einem Zufall. Im Jahr 1883 verpasste Carl Kastner auf seiner Reise von Troppau, wo sein Unternehmen seinen Hauptsitz hatte, den Anschlusszug nach Zagreb in Graz. Da er nun warten musste, beschloss er, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Und sein Auge fiel auf das Gebäude in der Sackstraße 7. Er mietete es und eröffnete hier eine weitere Filiale. Carl Kastner und Hermann Öhler führten 1985 als die Ersten feste Preise ein. Dies war eine Überraschung für die Kunden, die gewohnt waren beim Einkauf zu feilschen. Der Erfolg der Firma kam endgültig durch den Versand von Katalogen per Post. Die vierte Filiale in Graz entstand nach Troppau, Wien und Zagreb. Kastner und Öhler ließen die gewonnenen Räume prächtig umbauen – der Umbau erfolgte im Jugendstil in den Jahren 1912-1914 und die neuen Räume wurden kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs eröffnet, was natürlich dem Geschäft nicht guttat. Das Kaufhaus überlebte jedoch, seine Innenräume, Anfang des 21. Jahrhunderts renoviert und 2007 auf 40.000 Quadratmeter Verkaufsfläche erweitert, sind ein Juwel des Jugendstils und erinnern an ähnliche Kaufhäuser in Paris. Die Treppe schmücken Porträts von Kastner und Öhler – natürlich in ihrer Jugend.

Ein Besuch im Café auf der Dachterrasse des Kaufhauses ist ein Muss bei einem Stadtrundgang, einschließlich des Skywalks, von dem aus man herrliche Ausblicke auf das Stadtzentrum sowie auf den Schlossberg gegenüber dem Kaufhaus hat.

Auch für meine Gäste ist eine Kaffeepause mit Bier oder Aperolspritz obligatorisch. Wir werden es jetzt auch tun. Das nächste Mal werden wir durch die Gassen der Altstadt schlendern.

Graz I

Vor kurzem bat mich mein Freund Heimo Liendl, ein treuer Leser meiner Stadtbeschreibungen, etwas über Graz zu schreiben. Zunächst war ich verwirrt, denn ich hatte bereits über Graz geschrieben, und zwar im Jahr 2013 zu Beginn meiner Veröffentlichungstätigkeit im Web. Dann wurde mir jedoch klar, dass dieser Artikel auf Tschechisch verfasst worden war und dass mein Wissen über die Stadt, die unser neues Zuhause geworden ist, in den letzten zehn Jahren erheblich gewachsen ist. Wenn ich mich also ans Schreiben mache, bedeutet das, dass ich sicher nicht in der Lage sein werde, alle Ecken der Stadt mit den Geschichten, die damit verbunden sind, in einem einzigen Artikel zu beschreiben. Es muss also eine Serie sein. Und trotzdem werde ich vieles auslassen müssen. Aber ich kann versuchen, Graz so zu beschreiben, wie ich es meinen Verwandten und Freunden erzähle, wenn ich sie durch Graz führe.

Also, Graz ist eine sehr schöne Stadt. Es wird gesagt, dass es die schönste italienische Stadt außerhalb Italiens ist. Der Grund dafür ist, dass hauptsächlich italienische Architekten an ihrem Bau beteiligt waren. Es war Italien nahe und der italienische Norden gehörte genauso zum Interessensgebiet der Habsburger, die sich 1278 in der Steiermark niederließen und seitdem ihr Schicksal bestimmten. Es reicht aus, auf dem Hauptplatz zu stehen (unbedingt mit dem Rücken zum Rathaus), um zu verstehen, was mit diesem Satz gemeint ist. Oder aus dem Fenster von Heimos Praxis im dritten Stock runterblicken, von wo aus man einen großartigen Blick auf das Stadtzentrum hat.

Graz hat einen großen Vorteil. Es wirkt architektonisch sehr homogen, was daran liegt, dass es hauptsächlich in der Zeit der Renaissance und später des Klassizismus erbaut wurde. Diese beiden Stile greifen fast unmittelbar ineinander, dank der Bücher des Architekten Andrea Palladio aus Vicenza. Sie ergänzen sich perfekt. Ein wenig Gotik, Manierismus, eine Prise Barock und schließlich auch moderner Architektur wirken dann wie Gewürze in einem Gericht, die ihm einen spezifischen Geschmack verleihen, aber das ursprüngliche Konzept nicht stören. Die einzigen beiden Gebäude, die nicht in diesen Stil passen, sind die Oper und das Rathaus, die in einem neu-barocken Stil am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert gebaut wurden. Wirklich hässlich ist nur der Andreas-Hofer-Platz. Aber niemand ist eben perfekt und Graz gleicht diese Ausnahmen gut aus.

Graz ist eine relativ junge Stadt. In römischer Zeit, als die Steiermark Teil des Römischen Reiches wurde, war die Lage am Fuße der Berge uninteressant. Kaiser Vespasianus gründete daher seine Stadt am Fluss Sulm (damals Solva genannt) und so entstand die Stadt Flavia Solva im Süden der Steiermark in der Nähe der heutigen Grenze zu Slowenien. Im frühen Mittelalter wurde Judenburg die älteste Stadt der Steiermark. Erst als die ungarischen Truppen die Region nicht mehr bedrohten, entstand die Stadt am Schlossberg, die den Weg entlang der Mur nach Norden kontrollierte.

Wenn man in Graz nach Gotik sucht, muss man sich in den Bereich des ehemaligen Herzogsviertels beim Burgtor begeben. Die älteste Kirche steht jedoch außerhalb der Altstadt und heißt „Maria Himmelfahrt am Leech“ im Stadtteil Gleidorf. Das ursprüngliche romanische Gebäude, das der letzte Babenberger Herzog Friedrich II. dem Orden der Deutschen Ritter geschenkt hatte, wurde während der Kämpfe zwischen Ungarn und Böhmen um die Vorherrschaft in der Steiermark zerstört. Als die Habsburger die Macht im Lande übernahmen, wurde hier eine neue Kirche im frühen gotischen Stil errichtet, die im Jahr 1293 geweiht wurde. Der Orden der Deutschen Ritter schenkte diese Kirche im Jahr 1979 dem Bistum Graz-Seckau, das sie im Jahr 1985 zur Karl-Franzens-Universitätskirche machte. Dank dieser Tatsache wurde die Kirche in den 1990er Jahren gründlich renoviert.

Die Kirche Maria Himmelfahrt am Leech.

Der Dom ist wesentlich jünger. Der ursprüngliche romanische Bau, in dem die steirischen Stände im Dezember 1260 dem böhmischen König Přemysl Ottokar huldigten, wurde vom Herzog Friedrich V. im Jahr 1438 abgerissen und an dieser Stelle wurde eine neue Kirche im Stil der Spätgotik errichtet. Aus Friedrich V. wurde 1440 der römische König Friedrich IV. und zwölf Jahre später sogar Kaiser Friedrich III. Mit der Vorstellung, von seiner Heimatstadt Graz aus regieren zu können, begann er nicht nur den neuen Dom, sondern auch den Herzogspalast – also eigentlich den Königspalast – zu bauen. Übrigens war Friedrich der erste Habsburger mit der auffällig hervorstehenden Unterlippe, die er von seiner Mutter Cimburga von Masowien, der Frau seines Vaters Ernst des Eisernen, geerbt hatte – diese herabhängende Habsburger Lippe ist also eine polnische Importware. Wir werden Friedrich noch oft begegnen, schon allein deshalb, weil er für seine Zeit sehr lange lebte. Er starb erst im Jahr 1493 im Alter von 78 Jahren.

Er war nicht besonders aktiv, schlief gerne und wurde nicht umsonst “Erzschlafmütze” genannt. Er lebte also langsam, aber dafür umso länger. Aus irgendeinem Grund hinterließ er an den von ihm errichteten Gebäuden die Inschrift AEIOU. Ich habe unzählige Theorien gehört, was diese Abkürzung bedeuten sollte, Am häufigsten wird es als “Austria erit in orbe ultima” interpretiert, also “Österreich herrscht über den ganzen Erdkreis”. Ich bin dieser Interpretation sehr skeptisch gegenüber, weil Friedrich prophetische Fähigkeiten gehabt haben müsste und in die Zukunft hätte sehen müssen, denn erst durch die Hochzeit seines Sohnes Maximilian mit Maria von Burgund und dann seines Enkels Philipp dem Schönen mit der Erbin des spanischen Throns Johanna erweiterte sich die Habsburger Monarchie tatsächlich auf die ganze Welt. Friedrich verwendete jedoch seine Unterschrift schon viel früher – persönlich denke ich, dass es dem nicht besonders einfallsreichen Herrscher einfach nur gefiel, alle Vokale aus dem Alphabet herauszunehmen und sie alphabetisch zu ordnen. Sein AEIOU finden wir sowohl an der Wand des Palastes im ersten Hof der Burg als auch über dem Portal des Doms.

Dort, neben seinem kaiserlichen Adler, finden wir ein Wappen, das wir heutzutage auf den portugiesischen Euromünzen sehen können. Es gehört Friedrichs Frau Eleonore von Portugal.

Friedrich heiratete sie während seiner Reise nach Rom im Jahr 1452. Zu dieser Zeit war er bereits zweiunddreißig Jahre alt, aber immer noch männliche Jungfrau, was bei Herrschern ziemlich ungewöhnlich war. Aber Friedrich, wie ich bereits sagte, war nirgendwohin in Eile. Die Braut wurde ihm vor der Stadt  Siena vorgestellt und niemand Geringerer als Aeneas Silvius Piccolomini, der zukünftige Papst Pius II., brachte sie zu ihm. Zu dieser Zeit war er der Sekretär des Kaisers und bereitete seine Krönungsreise mit einem Perfektionismus vor. Es wird gesagt, dass er sich sehr unhöflich über den Wein Schilcher geäußert hat, als er eine Herberge für den Kaiser in der Gegend von Deutschlandsberg suchte. Er schrieb, dass die Menschen in dieser Region sehr rückständig seien und “einen widerlichen Essig trinken, den sie Schilcher nennen”. Möge ihm vergeben werden, die Päpste irren sich nur in den Glaubensfragen nicht. Danke Silvio wissen wir zumindest, dass Schilcher bereits im fünfzehnten Jahrhundert angebaut wurde. Bei Siena brachte er jedoch dem schüchternen Kaiser seine wunderschöne fünfzehnjährige Braut mit Rabenhaaren, die fast bis zum Boden reichten, und erschrak sofort, als der Kaiser bei dem Blick an seine Braut wie vom Tode gezeichnet erblasste und ohnmächtig umzufallen drohte.

Dennoch überlebte der Kaiser das Treffen und es wurde die Hochzeit und feierliche Kaiserkrönung beider Ehepartner in Rom gefeiert, aber das Problem war, dass die Ehe noch nicht vollzogen war. Der Kaiser entschuldigte sich damit, dass er keinen Thronerben auf italienischem Boden zeugen wollte, was die Italiener jedoch sehr verärgerte und sie den lieben Monarchen und seine frisch vermählte Frau zu Eleonoras Onkel Alfonso I. nach Neapel brachten, damit er ihm Leviten lesen konnte. Trotz aller Proteste wurden die Ehepartner ins Bett gelegt, in der ersten Nacht funktionierte es aber wieder nicht. Friedrich entschuldigte sich damit, dass das Bett verhext war. Das Bett wurde also ausgetauscht, mit geweihtem Wasser besprengt und danach gab es keine weiteren Ausreden mehr, und Friedrich zeugte mit Eleonore vier Kinder, von denen zwei – sein Thronfolger Maximilian und die schöne Tochter Kunigunde – in der Geschichte des Reiches und der Stadt Graz eine wichtige Rolle spielen sollten. Es wird gesagt, dass als Eleonore ihren erstgeborenen Sohn Maximilian auf den Armen hielt, sie zu ihm sagte: “Lieber Sohn, wenn du wie dein Vater sein wirst, werde ich mir nie verzeihen, was ich wegen dir ertragen musste.”

Der Sohn wurde allerdings ganz anders als sein Vater, er wurde zum “letzten Ritter” auf dem Kaiserthron, gewann Schlachten und führte Kriege, die er nicht gewinnen konnte, weil ihm jedes Mal das Geld ausging. Er änderte die Militärtaktik für die nächsten hundert Jahre, verschwendete Geld gedankenlos, machte Schulden, erweiterte das Reich und vermählte seine Kinder und Enkelkinder mit großem Erfolg.

Eleonore erlebte Erfolge ihres Sohnes nicht. Das Leben mit ihrem mürrischen Ehemann im kalten Wiener Neustadt, das zur Hauptstadt des Reiches wurde, nachdem die Wiener sich über den humorlosen Herrscher lustig gemacht hatten, tat ihr nicht gut und sie starb jung im Alter von 31 Jahren.

Aus dem Palais Friedrichs in Graz ist nicht viel übriggeblieben. Der Teil, der zum Dom hin ausgerichtet war, musste sogar im neunzehnten Jahrhundert abgerissen werden. Zusammen mit ihm wurde auch der Übergang zum Dom abgerissen, den Friedrich bauen ließ, um bei einem Besuch der Kirche nicht mit einfachem Volk in Berührung zu kommen. Der Ort, an dem die Brücke mit dem Dom verbunden war, kann man immer noch an der Kirche merken. Es befindet sich in der Nähe der Kapelle der Heiligen Barbara und der darüber liegenden Friedrichskapelle, von der angenommen wird, dass der Kaiser von hier die Messe beiwohnte. Dort befindet sich das gotische Gemälde der Kreuzigung von Conrad Laib.

Heute ist die Landesregierung in der Burg untergebracht. Die interessanteste architektonische Komponente ist die Doppelwendeltreppe, die Friedrichs Sohn Maximilian zum Palast hinzufügte. Eine ähnliche doppelte gotische Treppe befindet sich nur noch an einem Ort in Europa, und zwar in der Elisabeth-Kathedrale in Košice (Kaschau)- dort wird sie “Königliche Treppe” genannt und erinnert an die Herrschaft von König Matthias Corvinus, eines Zeitgenossen Friedrichs III. aber im Gegensatz zu Graz ist sie nicht öffentlich zugänglich.

Den Burggarten kann man durch einen Eingang betreten, der noch vor dem Burgtor liegt. Es ist schön dort, man kann bis zur Burgmauer gehen, von wo aus man einen herrlichen Blick auf den Grazer Stadtpark hat – dazu später mehr. Besonders von der Bank neben dem Freiheitsdenkmal aus dem Jahr 1960. Der Adler als ein Symbol der Freiheit wurde von dem Bildhauer Wolfgang Skala errichtet und erinnert an den Abzug der letzten russischen Truppen aus der Steiermark am 14.September 1955. In den Gärten gibt es auch eine schöne Orangerie, einfach ein Ort zum Entspannen.

Freiheitsdenkmal

Der Dom hat eine besondere Form. Sein Grundriss ist zu breit, und es blieb kein Platz für ausreichende Länge. Es fehlt auch ein Querschiff.

Die seitlichen barocken Kapellen sind eindeutig jünger als die Kirche, nicht aber die Fresken von Christophorus auf beiden Seiten der Kirche. Im Mittelalter herrschte der Glaube, dass an dem Tag, an dem ein Mensch Christophorus sah, er nicht sterben konnte. Da man von beiden Seiten in die Kirche gelangen konnte, gibt es auch auf beiden Seiten ein Fresko von Christophorus. Damit genügte den Gläubigen nur ein Blick in die Kirche.

Die prachtvollen Reliquiare auf beiden Seiten der Apsis haben eine eigene Geschichte. Heute befinden sich in diesen Truhen die Überreste von Heiligen, die Papst Paul V. im Jahr 1617 dem Erzherzog Ferdinand als Belohnung für die Rekatholisierung der Steiermark geschickt hat. Aber diese Truhen haben eine interessante Geschichte. Bereits im Jahr 1382 schloss sich die Stadt Triest freiwillig dem Habsburgerreich an. Dies geschah sicherlich, weil sie Schutz vor den expandierenden konkurrierenden Venezianern erhoffte. Aber zwischen der Habsburger Windischen Mark (dem heutigen Slowenien) und Triest gab es keine Landbrücke, zwischen diesen Ländern lag die Grafschaft Görz. Zu Zeiten des Kaisers Friedrich herrschte hier Graf Leonhard, ein verschwenderischer und genussfreudiger Mensch, der sich in Schulden stürzte. Die Habsburger schlossen mit den Grafen von Görz einen Vertrag (bereits im Jahr 1397), wonach wenn einer dieser Familien ausstirbt, die andere seine Besitzungen erben wird. Aber es drohte, dass Leonhard seine Länder verkaufen würde. Friedrich suchte nach einer Lösung.

In Mantua herrschte zu dieser Zeit die Familie Gonzaga. Sie wurde dank Pferdezucht eine der reichsten Familien Europas. Mantuanische Pferde wurden als die besten geschätzt, sie zu besitzen war eine prestigeträchtige Angelegenheit, etwas Ähnliches wie heute ein Ferrari in der Garage zu haben. Der Markgraf von Mantua, Ludovico, hatte eine Tochter namens Paola. Sie war klug und gebildet, außerdem ein herzensguter Mensch. Leider ähnelte sie ihrer Mutter Barbara von Brandenburg, die keine Schönheit war. Paola litt zusätzlich an Knochentuberkulose und sie hatte daher einen Buckel. Sie galt als unvermählbar, aber ihre Mutter wollte das nicht so lassen. Um einen Bräutigam anzulocken, veröffentlichte sie die Höhe von Paolas Mitgift. Und Friedrich III. roch die Lunte. Er vermittelte die Hochzeit des Grafen von Görz mit Paola, damit der Graf seine Schulden bezahlen konnte. Der Kaiser vermutete richtig, dass der Graf mit solch einer Braut keine Kinder zeugen würde und sein Geschlecht aussterben würde. So geschah es. Die arme Paola starb im Jahr 1496 im Alter von 33 Jahren, ihr Ehemann vier Jahre später. Er konnte keine Kinder zeugen, aber er schaffte es, all das Geld zu verschleudern, das er durch die Ehe mit Paola erhalten hatte. Er verkaufte sogar beide Truhen, in denen die Mitgift von Mantua nach Görz transportiert wurde. Es ist ein wunderschönes italienisches Werk mit Elfenbeinreliefs, ein wahres Meisterwerk der italienischen Renaissancekunst. Leonhard verkaufte die Truhen an die Mönche in Millstatt in Kärnten. Und als Erzherzog Ferdinand die Jesuiten nach Graz brachte, musste er ihnen auch einige Ländereien geben, von denen sie leben konnten. Die Wahl fiel auf Millstatt. Und als Ferdinand dann nach einem angemessenen Behälter für die heiligen Reliquien aus Rom suchte, boten die Jesuiten diese Truhen an. Ob sie wussten, dass einst Brokate, Wäsche, Schmuck und Geld in ihnen transportiert wurden, ist schwer zu sagen. Aber auf diesem Weg fanden die Reliquiare ihren Weg in den Grazer Dom.

Übrigens, wenn Sie nach Mantua fahren und die Camera degli Sporgersi besuchen, wieder einmal “piú bella camera del Mondo”, (in Italien gibt es eine Menge der schönsten Räume der Welt) schauen Sie sich das Fresko an, auf dem die Familie des Markgrafen Ludovico von einem der größten Renaissance-Künstler, Andrea Mantegna, dargestellt wird. Dort ist auch das Mauerblümchen der Familie, Paola, dargestellt, die ihrer Mutter einen Apfel reicht. Sie wusste zu dieser Zeit noch nicht, welch trauriges Schicksal auf sie wartet.

Das wichtigste Ereignis im Grazer Dom war die Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand am 23. April 1600 mit der bayerischen Prinzessin Maria Anna. Als Hochzeitpriester musste Kardinal Franz von Dietrichstein aus dem entfernten Olmütz antanzen. Ferdinands Mutter Maria fand keinen steirischen und im Grunde genommen keinen österreichischen Priester, der aus ihrer Sicht katholisch genug war, um ihren Sohn zu vermählen. Alle rochen ihr nach protestantischer Ketzerei. Nur Dietrichstein, geboren in katholischem Spanien und studiert in Rom, erhielt ihr Vertrauen. Es funktionierte. Obwohl die Braut so hässlich war, dass sogar Ferdinands Jesuiten-Beichtväter sich Sorgen machten, dass “das Aussehen der Braut sich negativ auf die Zeugung von Nachwuchs auswirken könnte”, liebte Ferdinand seine unansehnliche „Annele“ und zeugte mit ihr einige Kinder.

An der Wand des Doms sollte man sich das “Landplagenbild” ansehen. Es wurde auf Initiative der Grazer Bürger im Jahr 1480 geschaffen, als plötzlich die schwarze Pest ausbrach, Heuschrecken die Ernte fraßen und die Türken zum ersten Mal vor der Stadt auftauchten. Um die Stadt vor solchen Katastrophen in der Zukunft zu schützen, stifteten die Bürger dieses Gemälde an der Wand des Doms. Es lohnt sich, es anzuschauen, vor allem weil es das einzige Bild der Stadt Graz vor ihrem Renaissance-Umbau darstellt, also noch mit mittelalterlicher gotischer Befestigung.

Damit verlassen wir das gotische Graz, (also nicht ganz, es gibt natürlich noch die Stadtpfarkirche, die Franziskanerkirche, der Hof des Hauses des Deutschritterordens und zwei Fenster in der Fassade des Hauses in der Sporgasse 12, aber darüber später. Jedenfalls im nächsten Artikel werden wir uns mit der jüngeren Geschichte der Stadt beschäftigen.

Lübeck – Teil II

Gleich hinter dem Rathaus befindet sich die Marienkirche, also der Lübecker Dom, der erste Dom, der im gotischen Stil aus Ziegeln gebaut wurde. Jeder seiner beiden Türme besteht aus 1,2 Millionen Backsteinen!

Marienkirche

Später kopierten alle Städte im Norden diesen Stil, wo es logischerweise einen Mangel an Steinmaterial, aber genügend Ton zur Fertigstellung der Backsteine gab. Natürlich schafften die Bürger der Stadt so ein Wunderwerk nicht ohne übernatürliche Unterstützung. Sie holten sich die Hilfe des Teufels, indem sie ihm einflüsterten, dass es sich um eine riesige Kneipe handeln würde, in der man sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken würde und so dem Teufel unzählige sündige Seelen zugutekommen würden. Als der Teufel ihren Schwindel durchschaute und eine Kirche anstelle der versprochenen Kneipe fand, warf er einen Granitblock auf die Kirche. Allerdings verfehlte er sein Ziel und der Granitblock liegt heute neben dem Eingang, auf den Rolf Goerler eine Bronzestatue eines Teufels platzierte. Er sieht jedoch nicht wütend aus, sondern eher zufrieden und ganz lieb. Ich konnte nicht widerstehen und ließ mich mit ihm fotografieren.

Die Marienkirche brannte nach dem verheerenden Bombenangriff am 28. März 1942 nieder. Beide Glocken fielen aus den Türmen und zerschellten, ihre Trümmer sind noch heute sichtbar. Das Kirchenschiff im wunderschönen gotischen Stil ist unglaublich hoch und misst 40 Meter.  Die Säulen wurden im Mittelalter bereits bemalt, dann aber immer wieder übermalt. Durch das verhängnisvolle Feuer nach dem Bombenanschlag tauchte die Originalbilder jedoch wieder auf, die dann nach dem Krieg jahrzehntelang restauriert wurden.

In der Totentanzkapelle hing zwischen 1463 und 1942 eine Serie von Gemälden des “Totentanzes”. Dieses Motiv war im Mittelalter oft zu finden, insbesondere nach den Pestepidemien, die arme sowie reiche Menschen, Kardinäle und Könige gleichermaßen töteten. Mit jeder solche Figur tanzt ein Skelett. Das Original stammte von Berndt Notke, wurde aber beim verheerenden Bombenangriff am Palmsonntag 1942 zerstört. Wenn man wissen möchte, wie das Werk von Notke aussah, müsste man jedoch nach Tallinn in Estland fahren, wo dieser Autor auch tätig war. Dort befindet sich ein etwa 13 Meter langes Fragment dieses Bildes. Lange wurde darüber gestritten, ob es sich um das Original handelt, schließlich waren sich Experten einig, dass es in Tallinn eine treue Kopie der Lübecker Originalversion gibt. Dieses Motiv findet man besonders im deutschsprachigen Raum an vielen Orten, ich konnte so ein Bild zum Beispiel in Metnitz in Kärnten besuchen.

Im Nordturm befinden sich sieben Glocken – darunter sowohl Kopien der zerstörten, die man auf dem Kirchenboden gesehen hatte, als auch drei aus Danzig, die auf dem “Friedhof der Glocken” in Hamburg gefunden wurden, wo sie von den Nazis eingeschmolzen werden sollten. Im Südturm befindet sich ein Glockenspiel mit 36 Glocken, auf dem bis zu 20 verschiedene Melodien gespielt werden können. Es spielt jede volle Stunde – seit 1954.

Ein Stück weiter liegt die St. Jakobi-Kirche, wiederum mit einem hohen grünen Turm, geweiht den Seefahrern. Daher befindet sich in der Nähe auch das “Schifferhaus”, das von wohlhabenden Besitzern von Handelsschiffen errichtet wurde, sowie das Hospital des Heiligen Geistes. In der Kapelle unter dem Turm befindet sich ein Rettungsboot des Segelschiffs Pamir.

Pamir

Dieses Schiff, das zur Lübecker Seefahrerschule gehörte, sank während eines Sturms am 21. September 1957. Von der 80-köpfigen Besatzung überlebten nur sechs Männer – gerade auf diesem Boot, das hier bis heute ausgestellt ist. An den Wänden befinden sich Gedenktafeln mit den Namen der Opfer dieser Tragödie, es liegen Kränze und Bänder als ewige Erinnerung daran, dass das Meer, das der Stadt Wohlstand brachte, auch äußerst grausam sein kann. Wenn man Zeit hat, lohnt sich ein Besuch des Hospitals. Das schöne gotische Gebäude mit vielen Fresken zeigt einen Zyklus von 23 Bildern aus dem Leben der heiligen Elisabeth von Thüringen, die in Bratislava geboren wurde, einer der berühmtesten Heiligen des 13. Jahrhunderts Also genau zu der Zeit, als in Lübeck gebaut, gebaut und wieder einmal gebaut wurde.

Und weil die Bürger so fleißig bauten, konnte auch der örtliche Bischof nicht zurückbleiben, der oft mit Vertretern der Stadt im Streit lag. Seine Enklave befindet sich in der südlichsten Ecke der Altstadt und wird von einer Kirche mit zwei hohen schlanken grünen Türmen dominiert, von denen man sich nicht ganz sicher ist, ob sie noch romanisch oder bereits gotisch sind. Das kommt davon, dass sie bereits 1173 von Heinrich dem Löwen gebaut wurden. Übrigens findet man den Löwen als Symbol des Stadtgründers sowohl vor der Kirche als auch in ihr. Wenn man die Kirche betritt, wird man direkt von einem riesigen Triumphkreuz beeindruckt, das 17 Meter groß ist.

Auf diesem riesigen Kreuz hängt Christus, umgeben von Heiligen, Propheten und Engeln. Unter dem Kreuz knien der heilige Johannes der Evangelist, Maria, Maria Magdalena und in dieser Gesellschaft auch Bischof Krummedick, der das Werk in Auftrag gegeben und bezahlt hat. Im Jahr 1477 wurde es von Bernd Notke, dem Autor des “Tanzes der Toten”, vollendet. Dieser Künstler, der aus Pommern stammte und in Dänemark, Schweden und Estland als Maler und Bildhauer große Erfolge feierte, verbrachte seine letzten Jahre in Lübeck, wo er 1509 starb. Das Kreuz überragt alles andere, was sich in der Kirche befindet. Die Heiligen auf der Galerie wurden auch von Notke geschnitzt, darauf befinden sich auch große Uhren aus dem 17. Jahrhundert. Die Kanzel wurde im Renaissancestil gebaut. Zum Glück haben Notkes Werk und die Kanzel die Zerstörung des Doms überlebt, 1942 stürzte nur ein Teil des Altars ein

Vom Dom zur Stadt hin gibt es eine offene gotische Halle namens “Paradis”. Hier konnten Bürger, die in der Stadt angeklagt waren, Zuflucht suchen, weil sie dann nicht mehr dem städtischen, sondern dem kirchlichen Recht unterlagen, da sie sich auf dem Gebiet des Bistums befanden. Und im „Paradis“ waren sie sicher. Da der Bischof den Bürgern gerne Streiche spielte, war die Chance auf einen befreienden Urteilsspruch bei einem bischöflichen Gericht relativ hoch. Übrigens heißt die enge Gasse, die zum Paradis führt, „Fegefeuer“.

In Lübeck gibt es neben zahlreichen Kirchen auch eine Vielzahl von Museen. Ich habe nicht vor durch alle meine Leser zu führen, natürlich hatten wir nicht genug Zeit, um alle zu besichtigen. Ich möchte aber zumindest die berühmten Persönlichkeiten, denen die Museen gewidmet sind, erwähnen. Die meisten Museen befinden sich im nördlichen Teil der Altstadt rund um die Königstraße. Eines davon ist das Geburtshaus Willy Brandts, der hier im Jahr 1913 geboren wurde und von 1969 bis 1974 deutscher Bundeskanzler war. In der Nähe befindet sich auch das Haus von Günter Grass. Dieser Schriftsteller und Träger des Nobelpreises für Literatur aus dem Jahr 1999 wurde zwar nicht in Lübeck geboren, verbrachte jedoch hier seine letzten Jahre und starb hier im Jahr 2005. Sein Schicksal ist interessant. Als siebzehnjähriger trat er der SS bei, um am 8. Mai 1945 in Marienbad in amerikanische Gefangenschaft zu geraten. Berühmt wurde er durch den Roman “Die Blechtrommel”, der 1959 veröffentlicht wurde und als Symbol der Antikriegsliteratur gilt.

Aber Lübeck ist vor allem die Heimat der Brüder Heinrich und Thomas Mann. In dem Haus, in dem Heinrich geboren wurde und in einem anderen, in dem der jüngere Thomas nach dem Umzug der Familie geboren wurde, befinden sich überall Finanzinstitute. Aber die Stadt konnte sich helfen. Sie nutzte das Haus, in dem die Großeltern der Schriftsteller-Gebrüder lebten, und machte es zum “Buddenbrookshaus”, benannt nach dem berühmtesten Werk von Thomas.

Das Museum ist dem Leben und Werk beider berühmter Brüder gewidmet. Und das, obwohl die Lübecker die Brüder zu ihren Lebzeiten nicht riechen konnten und Thomas die Ehrenbürgerschaft der Stadt erst im Jahr 1955 erhielt, nachdem ein Teil der Senatoren den Sitzungssaal verlassen und sich somit der Abstimmung entzogen hatte.

Die Brüder hatten sehr unterschiedliche politische Ansichten, was auch zu einer vorübergehenden Unterbrechung ihrer Kontakte führte. Während der ältere Heinrich, geboren 1871, ein überzeugter Sozialist war, wurde Thomas, geboren 1875, vom deutschen Nationalismus angesteckt und begrüßte den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Beide verbrachten nur ihre jungen Jahre in Lübeck. Heinrich zog bereits 1889 nach Dresden und Thomas 1894 nach München. Nachdem Thomas Mann im Jahr 1901 seinen berühmtesten Roman “Buddenbrooks” veröffentlicht hatte, durfte er in der Stadt fast nicht mehr erscheinen. Die angesehenen Bürger erkannten sich in diesem Buch, das den Untergang einer Patrizierfamilie beschrieb, und ihr nicht gerade schmeichelhaftes Bild, das in diesem Spiegel präsentiert wurde, gefiel ihnen überhaupt nicht. Auch Heinrichs Buch von 1904 “Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen” durfte in Lübeck nicht verkauft werden.

Heinrich heiratete im Jahr 1914 die Prager Schauspielerin Maria Kanova, die jüdischer Herkunft war. Sie trennten sich im Jahr 1930. Maria wurde während des Krieges in Theresienstadt interniert und starb an den Folgen des Aufenthaltes im Konzentrationslager im Jahr 1947. Heinrich stellte sich von Anfang an gegen den Nationalsozialismus, weshalb er nach 1933 aus Deutschland fliehen musste. Im Jahr 1936 erhielt er die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, obwohl er in Nizza in Frankreich lebte. Seine Bücher wurden von den Nazis öffentlich verbrannt. Während seiner Zeit in Frankreich schrieb er seine historischen Romane “Die Jugend des Königs Henri Quatre”. Das sind die Bücher, die ich kenne. Die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erleichterte ihm die Emigration in die USA im Jahr 1940. Heinrich starb im Jahr 1950, seine Urne wurde in die DDR überführt und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin feierlich beigesetzt. Die Kommunisten eigneten sich Heinrich Mann ein, obwohl er ein Sozialist und überzeugter Demokrat war, der jedoch vergeblich Sozialisten und Kommunisten zum gemeinsamen Widerstand gegen die aufkommende nationalsozialistische Gefahr aufrief.

Thomas engagierte sich politisch zwar etwas weniger, aber auch er entkam nicht dem Hass der Nazis. Ab 1929 kaufte er ein Haus auf der Kurischen Nehrung in Nidda. (Das von den Einheimischen “Onkel Toms Hütte” genannt wurde und heute ein Kulturzentrum ist, das an seine dortige Tätigkeit erinnert.) Dort verbrachte er die Sommer in den Jahren 1930-1932 und schrieb dort unter anderem seine Tetralogie “Joseph und seine Brüder”. Im Jahr 1932 erhielt er per Post eine verkohlte Ausgabe seines Romans “Buddenbrooks”. Er konnte sich also nicht einmal an dem entlegensten Ort im Deutschen Reich vor dem Hass der Nazis verstecken. Thomas Mann verstand die Botschaft, er besuchte Nidda nie wieder und im Jahr 1933 verließ er wie sein Bruder Heinrich Deutschland.

Er hat für seine Emigration die Schweiz gewählt, aber trotzdem am 19. November 1936 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten, genau wie sein Bruder. Obwohl er homosexuelle Tendenzen hatte, hat er seine sexuelle Orientierung nie ausgelebt. Er war verheiratet und hatte sechs Kinder. Im Jahr 1938 emigrierte er in die USA, wo er 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Nach dem Krieg kehrte er in die Schweiz zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb. Es gibt nur einen Ort in Lübeck, an dem Thomas Mann authentisch in Erinnerung bleibt. Es handelt sich um das Zollhaus am Burgtor, einem der Stadttore.

Ein schöner gotischer Turm aus dem Jahr 1444 schließt die Stadt im Norden ab. In einer Wohnung in seiner Mauer erhielt die Schriftstellerin Ida Boy-Ed im Jahr 1912 als Geschenk der Stadt zum 60. Geburtstag ein lebenslanges Wohnrecht. Intellektuelle trafen sich dort und hier feierte Thomas Mann, der in seiner Heimatstadt als „Persona non grata“ galt war, am 26. Juni 1926 seinen einundfünfzigsten Geburtstag. In der Nähe befindet sich das Burgkloster mit einem modernen Aufbau des archäologischen Museums. Hier konnten wir den im Jahr 1984 entdeckten Münzschatz bewundern.

Was Bremerhaven für Bremen, ist Travemünde für Lübeck. Schon im Jahr 1317 kaufte die Stadt vom Grafen von Holstein die Burg an der Flussmündung, um die Kontrolle über die für sie lebenswichtige Flussmündung zu erlangen. Heute ist es ein luxuriöser Ort mit Villen, die Millionen kosten. Das Meer lädt hier nicht gerade zum Schwimmen ein, aber der Strand ist breit und sandig, und im Sommer gibt es hier viele Sonnenliegen und Sonnenschirme. In Travemünde gibt es auch luxuriöse Hotels und Restaurants. Es war ein interessantes Gefühl, als die Passagiere des vorbeifahrenden Schiffes uns in unsere Teller schauten, obwohl wir im zweiten Stock des Restaurants saßen. Der Fluss ist hier eng, das Restaurant direkt am Ufer, so dass die Entfernung zu den vorbeifahrenden Schiffen minimal ist. Es war nicht ganz einfach, nach Travemünde zu gelangen. Es gibt natürlich einen Zug von Lübeck aus, aber die Strecke gehört nicht zu den deutschen Bahnen. Also den Fahrkartenaen zu benutzen und eine Fahrkarte zu kaufen (es gab schon damals keine mit Menschen besetzten Kassen mehr), war eine echte Herausforderung.

Lübeck ist wirklich schön. Es wurde im Stil von Romanik, Gotik, Renaissance, Barock und sogar modernen Stilen gebaut. Es ist wichtig, all dies bei schönem Wetter zu erleben. Wir hatten kein Glück, wir bewegten uns im kalten Regen von einer Kirche zur anderen und dann weiter zum Museum mit Zwischenstopps in Cafés und Restaurants. Aber es hat sich trotzdem gelohnt. Lübeck ist eine schöne, historische und kulturelle Stadt.

Der Mensch lebt nicht nur von Marzipan.

Lübeck Teil I.

“Lübeck ist weltbekannt für sein Marzipan”, sagte einmal eine Schulkollegin meines Sohnes die aus dieser Stadt stammte, fügte aber gleich deprimiert hinzu: “Aber davon wissen nur die Lübecker selbst.” Die Legende, dass Marzipan gerade in dieser Stadt erfunden wurde, als die Bürger während einer Belagerung und drohenden Hungersnot ein paar Säcke Zucker und Mandeln fanden, ist natürlich erfunden. Marzipan stammt aus dem Orient und gelangte – wie könnte es anders sein – über Venedig nach Europa. Aber in Lübeck trifft man an jeder Ecke darauf, es gibt ganze Geschäfte mit Marzipan und es werden daraus nicht nur Statuen in allen möglichen Größen, sondern sogar Trabbis hergestellt. Zwar nicht fahrbar, dafür umso süßer.

Marzipan

Lübeck war vor allem eine Handelsstadt und über seinen Hafen gelangte die süße Versuchung, die im frühen 16. Jahrhundert als Aphrodisiakum galt, also so etwas wie das Viagra der damaligen Zeit, in ganz Norddeutschland. Das absolute Mekka für Marzipanliebhaber ist das Cafe Niederegger – wo sonst als in Lübeck, auf einem ehrenwerten Platz neben dem Rathaus. Hier gibt es auch ein Marzipanmuseum, falls Sie nach einem Spaziergang durch die Stadt noch nicht genug davon haben. Wenn in den Museen von Madam Tussaud die Portraits der Prominenten aus Wachs gemacht werden, hier kann man zum Beispiel Thomas Mann aus Marzipan bestaunen. Aber wir sind nicht wegen des Marzipans in diese Stadt im Norden Deutschlands gefahren. Genauso wie die überwiegende Mehrheit der Menschen auf der Welt hatten wir keine Ahnung von seinem Ruhm. Aber Lübeck hat noch viel mehr zu bieten.

               Das Holstentor, als architektonische Kuriosität, brachte es im Jahr 2006 auf eine der ersten deutschen Gedenk-Zwei-Euro-Münzen.

Die Stadt hatte enge Beziehungen zu einem deutschen Kanzler und gleich zwei Trägern des Nobelpreises für Literatur. Willi Brandt wurde hier im Jahr 1913 und Thomas Mann im Jahr 1875 geboren und Günter Grass starb hier im Jahr 2015. Es gab also viel zu entdecken.

Lübeck liegt am Fluss Trave nahe der Nordsee. Praktisch alle wichtigen Häfen in Nordeuropa liegen im Landesinneren an Flüssen, da die raue Witterung den Bau von sicheren Häfen direkt an der Küste erschwert (eine Ausnahme ist beispielsweise Tallinn in Estland). Obwohl die Trave kein großer Fluss ist, entschied sich Graf Adolf II. von Schauenburg im Jahr 1143, auf einer Insel zwischen den Flüssen Trave und Wakenitz eine Stadt zu gründen. Für die damaligen Schiffe reichte die Trave aus, heute müssen große Schiffe, die in Travemünde anlegen, zurück ins Meer rückwärtsfahren, weil sie im Hafen nicht genug Platz zum Umdrehen haben.

Nachdem die erste Stadt bereits im Jahr 1157 niedergebrannt war, gab Graf Adolf den Platz an Herzog Heinrich den Löwen von der Herzogfamilie der Welfen ab. Dieser ließ die Stadt ausbauen, aber die Welfen wagten es, sich mit der regierenden Dynastie der Staufer anzulegen. Heinrich der Löwe verlor Bayern in einem Kampf mit Friedrich Barbarossa. Barbarossas Enkelsohn Friedrich II., verlieh dann Lübeck im Jahr 1226 mitten in Welf-Sachsen den Status einer freien Reichsstadt. Die Welfen mussten auf die geplanten Erträge aus der reichen Stadt verzichten, heute würde man es eine schlechte Investition nennen.

Die Lübecker waren ungewöhnlich unternehmungslustig. Es war nicht nur Marzipan und Wein, an denen sich die lokalen Kaufleute und die Stadtkasse eine goldene Nase verdienten. In Lübeck wurde ein neuer Typ von Handelsschiff, die sogenannte Kogge, erfunden, die bis zu 300 Tonnen Fracht aufnehmen konnte. Lübeck galt als “Königin der Hanse”, hatte Handelsniederlassungen von London bis Novgorod und war 1370 nach Köln die zweitgrößte deutsche Stadt. Damals entstanden wunderschöne Gebäude, auf die die Stadt noch heute stolz ist. Lübeck wagte sogar einen Krieg mit seinem unmittelbaren mächtigen Nachbarn – dem Königreich Dänemark, das ihm in der Nordsee Konkurrenz machte. Es ging um die Kontrolle der strategisch wichtigen Meerengen zwischen der Ostsee und der Nordsee, Skagerrak und Kattegat, die für den Lübecker Handel lebenswichtig waren. (Dänemark kontrollierte zu dieser Zeit auch das Gebiet um Lund und Malmö auf der Skandinavischen Halbinsel.) Im Krieg von 1534-1536 gelang es der von Lübeck geführten Koalition sogar, Kopenhagen zu erobern. Aber gerade mit diesem Krieg gegen den mächtigen Nachbarn überspannten die Bürgen von Lübeck ihre Kräfte, was den Niedergang der Stadt zur Folge hatte. Seine Truppen mussten sich 1536 in Kopenhagen ergeben und seine Flotte erlitt eine vernichtende Niederlage auf See. Die Machtposition der Stadt im Norden war damit dahin. Gerade aus der Zeit der Belagerung der Stadt durch dänische Truppen stammt der größte Münzschatz, der jemals in Deutschland gefunden wurde. Beim Ausheben von Fundamenten für eine neue Hochschule für Musik entdeckte ein Baggerfahrer einen Schatz von 395 Gold- und 23.228 Silbermünzen, den jemand aus Angst vor der dänischen Plünderung vergraben und nicht wieder ausgegraben hatte – obwohl die Dänen die Stadt schließlich nicht eroberten. Wir konnten diesen Schatz bei unserem Besuch im Stadtmuseum bewundern. Der Abstieg des Reichtums und der Bedeutung Lübecks setzte sich fort, nach dem Zerfall der Hanse und dem Dreißigjährigen Krieg sank die Bedeutung der Stadt (obwohl sie aufgrund ihrer Befestigungen nie erobert wurde). Heute hat die Stadt etwa eine Viertelmillion Einwohner und gehört damit in Deutschland eher zu den kleineren regionalen Zentren.

Die Schicksalsstunde schlug in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942, an einem Palmsonntag, als 234 britische Bomber die Stadt angriffen. Das Ergebnis war verheerend. 300 Menschen starben, 1.468 Häuser wurden zerstört und die Glocke der Marienkirche stürzte vom Turm, und ihre Trümmer sind noch heute zu sehen.

Lübeck hatte jedoch Glück im Unglück. Der Schweizer Diplomat und Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Carl Jacob Burckhardt, erlebte die Beinahe-Zerstörung der Stadt und es gelang ihm, den Verbindungsoffizier der Alliierten, Eric Warburg, zu überzeugen, in Lübeck einen Umschlagplatz für das Material des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu errichten. Dies rettete die Stadt vor weiteren verheerenden Angriffen, denen andere deutschen Städte wie Hamburg, Bremen, Nürnberg oder Dresden zum Opfer fielen.

Der Angriff forderte auch vier Lübecker Märtyrer. Der lutherische Pastor Karl Friedrich Stellbrink hatte unmittelbar nach dem Angriff am Palmsonntag, als die Stadt noch brannte, eine Predigt gehalten, in der er rief: “Gott hat jetzt mit mächtiger Stimme gesprochen, um die Menschen zu lehren, wieder zu beten.” Die Gestapo interpretierte dies als Zustimmung zum Angriff. Der Pastor und drei katholische Geistliche, die sich ihm angeschlossen hatten, wurden verhaftet, durch ein Standgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 2011 wurden sie von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen. Ein Museum, das sich mit ihnen und dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten befasst, befindet sich in der evangelischen Lutherkirche, und eine Gedenktafel an der Seitenwand des Rathauses erinnert an sie.

Nach dem Krieg hatte Lübeck zwar Glück, in die britische Besatzungszone zu kommen, aber es wurde zu einer Grenzstadt – die Grenze zwischen der russischen und der britischen Zone und später zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik verlief auf dem Fluss Trave. Dies trug nicht gerade zur Attraktivität der Stadt bei, zusätzlich kamen 90.000 Flüchtlinge aus dem östlichen Europa hierher. Der Eiserne Vorhang fiel also direkt vor den Toren der Stadt. Zum Glück für Lübeck jedoch nicht hinter seinen Toren. Dank dieser Tatsache konnte die teilzerstörte Stadt wiederhergestellt werden, obwohl die Rekonstruktionsarbeiten bis in die 1980er Jahre dauerten. Heute ragen wieder schlanke grüne Kirchtürme in den Himmel und die Stadt erstrahlt in ihrer früheren Pracht.

Das Wahrzeichen der Stadt und des gesamten Bundeslandes Schleswig-Holstein ist jedoch das Holstentor. Es ist das Stadttor auf einer Insel zwischen dem Stadtgraben und der Trave. Ihr Bild zierte bis 1990 die Rückseite des 50-Mark-Scheins und heute ist es auf der Gedenkmünze von 2006 zu sehen – es war die erste Münze mit Motiven der einzelnen Bundesländer. Dieses Tor mit zwei spitzen Türmen, die ein wenig schief stehen, weil der Untergrund sumpfig ist, stammt aus dem Jahr 1478. Am Tor befindet sich das Holstentormuseum mit einer Ausstellung über die Hanse, dort können Waren besichtigt werden, die Wohlstand in die Stadt brachten. In der Nähe kann man dann die ehemaligen neu rekonstruierten Salzspeicher sehen. Das Geschäft mit Salz war im Mittelalter sehr attraktiv.

Wenn man nicht nur das Holstentor, sondern auch die gesamte Stadt von oben sehen möchte, muss man auf den Turm der St.-Petri-Kirche steigen. Wenn man sich damit abfindet, dass die Fenster vergittert sind. Der Innenraum der Kirche ist leer, es gibt hier nur ein schwarz-weißes Kreuz, da die Kirche bei dem Bombenangriff zerstört und erst 1987 wieder aufgebaut wurde.

Ein Blick vom Turm St Petri

Ein paar Schritte entfernt befindet sich der Hauptplatz “Markt” mit dem prächtigen Gebäude des Rathauses. Das erste Rathaus durften die Bürger bereits im Jahr 1230 errichten, das heutige Gebäude stammt jedoch aus dem Jahr 1435. Nicht aber das ganze Gebäude, nur der weiß leuchtende Teil mit den Wappen der Hansestädte und der Lübecker Patriziern. Im rechten Winkel dazu befindet sich das sogenannte “Neue Gemach”. An seiner Fassade wechseln sich kaiserliche Adler mit dem Wappen von Lübeck ab – horizontal gespaltener Wappen in Rot und Silber.

Wir haben das Rathaus natürlich besucht, beim Verkauf der Tickets erlebte ich allerdings einen Schock, von dem ich mich bis heute nicht ganz erholt habe. Die Dame an der Kasse fragte, ob wir Tickets für Erwachsene wollten. Sie bemerkte meinen verwirrten Blick und fragte, ob ich vielleicht eine Rentnerermäßigung hätte. Ich füge hinzu, dass ich damals 48 Jahre alt war. Ich kaufte mir ein Ticket zum vollen Preis, der Stolz siegte über die Gier.

Im Rathaus kann der Audienzsaal besichtigt werden, in dem Thomas Mann und Willy Brand die Ehrenbürgerschaft der Stadt erhielten, der Sitzungssaal des Stadtparlaments und der Gerichtssaal. Interessant sind die Türen zum Gerichtssaal, genauer gesagt aus ihm heraus. Sie haben unterschiedliche Höhen. Wenn jemand schuldig befunden und verurteilt wurde, musste er durch die kleine Tür gehen, in denen er sich bücken musste. Wer von Schuld freigesprochen wurde, konnte durch die große Tür mit erhobenem Haupt gehen. Oder, wie es die Einheimischen gleich witzig beschrieben haben: “Kleine Sünder durch die kleine Tür, große Sünder durch die große Tür.” Offensichtlich hat sich an dieser Regel bis heute nichts geändert.

Vor dem Rathaus steht auf dem freien Platz am Markt der sogenannte “Kaak”, ein offenes niedriges Gebäude mit einem Kupferdach. Im Erdgeschoss gab es einen Markt und oben in einem offenen Turm wurden verurteilte Verbrecher ausgestellt, es war also eine Art Pranger – ziemlich menschlich im Gegensatz zu anderen Prangern befand sich der Verurteilte außerhalb der Reichweite einer boshaften Menge.

Bremen II

Die legendäre Bötchergasse betritt man unter einem goldenen Relief des „Lichtbringers“.

Diese enge Gasse, wo einmal Fässer für den Transport des gesalzenen Fisches erzeugt wurden und nach der Verlegung des Hafens zu verfallen drohte, hat ein bestimmter Ludwig Roselius gerettet. Er kaufte ein Haus nach dem anderen, er ließ sie restaurieren und schmücken. Die größte Kuriosität, die Touristen hierher lockt, ist das Glockenspiel mit dreißig Meißener Porzelanglocken am Haus, das nach ihm seinen Namen trägt.

Es gibt hier aber auch zum Beispiel das „Haus der Sieben Faulen“. Diese sieben Brüder bewiesen, dass die Faulheit der Antrieb des Fortschritts der Menschheit ist, weil sie einen Brunnen bohrten, um nicht das Wasser durch Schlamm aus der Weser nach Hause zu tragen oder Bäume im Garten pflanzten, um nicht aus dem Wald das Holz schleppen zu müssen. Die Häuser in der Gasse sind alle schön, wie St. Petri Haus, das nach dem Patron der Fischer benannt wurde, das Paula Modersohn-Becker Museum, ein Meisterwerk des Expressionismus oder letztendlich das Roseliushaus, genannt nach dem Mäzen, in dem man auch seine Sammlungen besichtigen könnte.

               Entlang des Flusses gibt es eine schöne Promenade „Große Schlachte“, wo wir geräucherte Makrelen aßen und über eine Brücke die Insel Teerhof besuchen konnten.

Die Insel schaut bereits vom Ufer schön aus. Die Häuser auf der Insel wurden im zweiten Weltkrieg vollständig zerbombt, die Bremer bauten hier nach dem Krieg Häuser mit Luxuswohnungen in einem einheitlichen Stil der mittelalterlichen Schiffkontoren. Dann gingen wir in den romantischen Teil der Altstadt, genannt Schnoor. Der Name stammt aus dem Wort „Schnur“, weil sich die Häuser hintereinander, wie die Perlen auf einer Schnur, reihen. Es gibt hier viele Geschäfte, Souvenirs Shops, kleine Werkstätte und kleine Restaurants. Es gibt hier auch das kleinste Hotel der Welt. Dieses Hochzeithotel hat nur einen Raum für die Neuvermählten. Es gibt hier auch eine kleine Küche, damit sich die Braut nach der Hochzeitsnacht gleich als Köchin und Hausfrau bewähren könnte.

               Hinter dem Wall, mit dem die Altstadt umgeben ist, beginnt das so genannte „Viertel“, wo sich das Kulturleben der Stadt konzentriert. Neben der Kunsthalle und dem Theater auf dem Goetheplatz gibt es hier Geschäfte, Restaurants, Bars und alles, was zum Kulturleben gehört.

Das so genanntes „Universum“, ein Gebäude, das an einen großen silbernen Wal erinnert, befindet sich in der Nähe der Universität. Wahrscheinlich deshalb gibt es hier Ausstellungen und Programme mit Bildungsambitionen. Für Kinder ist das sicher faszinierend, aber um die Wahrheit zu sagen, es gab auch für uns einiges Neues, was wir dort erfahren konnten.

               Allerdings – man hat Bremen nicht besucht, solange man nicht im Botanischen Garten, also in einem Rhododendronpark war. Er ist 46 Hektar groß, also wenn man ihn wirklich erkunden möchte, braucht man eine gute Kondition und feste Schuhe. Aber es zahlt sich aus. Die Rhododendrone sind das Symbol der Stadt, man findet sie fast in jedem Garten und wenn sie im Mai und Juni in Blüte stehen, ist das ein wirklich wunderschöner Blick. Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele Arten mit unterschiedlichsten Farben und Größe gibt, im Park kann man sogar die Zuchtstation sehen, wo durch Kreuzen neue Arten entwickelt werden.

In der Mitte des Parks gibt es „Botanica“, wo man die Natur verschiedener exotischen Ländern besichtigen konnte.

               Alles also o.k. in Bremen?

               Es konnte sein, hätte ich nicht am Ende unseres Besuches im berühmten Restaurant Ratskeller nach örtlicher Spezialität zum Abendessen verlangt. Das Restaurant befindet sich unter dem Rathaus, das Ambiente ist schön, es gibt verschiedene Separee Räume, wo man bei Date den Abend in einer diskreten Zweisamkeit verbringen könnte. Im Reiseführer wird geschrieben, dass hier im Keller 120 000 Flaschen Wein aufbewahrt werden, die älteste soll aus dem Jahr 1653 stammen. Die wollte ich nicht unbedingt kosten, dafür aber eine örtliche Spezialität. Gerade Bremen waren dann der Anlass, warum ich begonnen habe zu forschen, warum an bestimmten Orten das Essen ungenießbar ist und so den Zusammenhang der Küche mit der Religion entdeckte. So habe ich erfahren, dass diese Stadt bereits im Jahr 1522 zum Protestantismus übertreten war. Das wäre allein keine Tragödie, aber die Bürger von Bremen haben sich für die Lehre Calvins entschieden. Die von meinen Lesern, die meinen Artikel „Calvin ist an allem Schuld“ gelesen haben, wissen schon, wohin ich will.

               Ich bat den Kellner um eine Speise, die typisch für Bremen war. Er meinte, dass die beste Möglichkeit, die originelle Bremer Küche ausprobieren zu können, ein „Seemanlabkaus“ war. Ich ahnte nichts Böses und habe das Wunder der örtlichen Küche bestellt, Ich kam aus dem Erstaunen nicht heraus. Es wurde mir ein suspekter Brei unbestimmter Farbe serviert, zusammengesetzt aus dem geselchten Fleisch und Kartoffelbrei – beides zusammengemixt. Es hatte kein Geschmack, es enthielt offensichtlich keine Gewürze, das einzige essbare war das Spiegelei auf der Kuppe dieses Haufens. Als Beilage wurde ein saurer Hering serviert. Nein, ich habe es nicht geschafft. Meine Familie amüsierte sich köstlich, ich gab in der Hälfte der Portion auf. Das Ei habe ich aufgegessen, vom Hering probierte ich nur einen kleinen Biss.

               Meine Hypothese, wie dieses Essen entstanden ist, ist die Folgende. Die Bremer Matrosen stachen in den See und zum Mittagessen hatten sie geselchtes Fleisch mit Kartoffeln. Dann kam ein starker Sturm und so konnten sie die Portionen, die sie bereits zum Mittag verzehrt haben, zum Abend noch einmal essen. Beim Zahlen schlug ich dem Kellner vor, dass ich bereit bin, die Hälfte des Preises zu zahlen. Die andere Hälfte sollte der Mensch zahlen, der das Essen bereits vor mir im Magen hatte.

               Er lächelte nicht.

               Bremen ist sicherlich schön, die Leute dort lieb, aber einen Sinn für Humor habe ich vermisst.

               „Moin“

Bremen I

               Bremen ist weit weg. Bremen ist das kleinste deutsche Bundesland. Bremen ist eine alte Hansa-Stadt. Bremen ist eine Rhododendron-Stadt. In Bremen hat unser Sohn Lubomir ein halbes Jahr gearbeitet, und so entschieden wir uns, ihn zu besuchen. Es ist zwar bereits zehn Jahre her, die Erinnerungen blieben aber bis heute lebhaft. Bremen ist nämlich sehr schön, obwohl sich die Einwohner irgendwann um das Jahr 1522 in der Sache der Religion für die Lehre Calvins entschieden haben. Es hat sie nicht daran gehindert, ihre Häuser schön zu schmücken. Nur bitte, keine lokalen Spezialitäten ausprobieren, man kann hier auch anders gut essen. Aber dazu später.

               Die Bremer grüßen sich mit dem Wort „Moin“. Das bedeutet in ihrem Dialekt, also in Plattdeutsch „Guten Morgen“. Im kalten Nordwind, der vom Nordsee bläst, erstarrte wahrscheinlich den Einheimischen der Mund und deshalb schaffen sie längere Worte nicht. Möglicherweise aus dem gleichen Grund sprechen auch die nicht weit entfernten Dänen nur die erste Hälfte ihrer Worte aus, was nicht gerade kleine Probleme mit der Verständigung zur Folge hat. Aber die Natur lässt offensichtlich nichts anderes zu. Mein Sohn grüßte brav auf die österreichische Art „Grüß Gott“ und verursachte damit unter den Angestellten der Firma eine bestimmte Panik. Am dritten Tag stellte ihn sein Chef in die Mitte der Halle und sagte nachdrücklich „Der Kollege kommt aus Österreich“. Trotzdem hat er schnell gelernt mit „Moin“ zu grüßen, um nicht auffällig zu sein. Wenn sie in Bremen gefragt werden, wie es Ihnen geht, handelt sich nur um eine Höflichkeitsfrage. Man muss also seinen Zustand nicht lange schildern, es reicht mit einem „Muscha“ zu antworten. Das bedeutet „Es muss gehen“. Mehr Optimismus wird in Bremen nicht verlangt.

               Bremen lebt – neben Anderem – von Schiffbau. Es gibt hier gleich einige große Firmen, die Luxusyachten produzieren. Die größte von ihnen ist die Firma Lürssen, die bereits im Jahr 1904 gegründet wurde und bei der russische Oligarchen ihre Yachten bauen ließen.

Es wird erzählt, dass Lürssen nicht einmal von den absurdesten Wünschen dieser meistens kriminellen Neureichen zurückgeschreckt ist. Als einmal ein Oligarch erfuhr, dass sich ein anderer eine Yacht bei der Konkurrenz bauen ließ und diese um fünf Meter länger als die seine sein sollte, ließ er seine Yacht, die bereits fertig war, in der Mitte durchschneiden und einen zehn Meter langen Teil hineinbauen. Die Deutschen wunderten sich zwar, sie schmunzelten sogar, aber der Kunde ist der Herr, also sie schnitten, klebten und die Yacht war fertig nach den Wünschen des Herren Oligarchen. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt die größte auf der Welt.

               Unser Sohn arbeitete bei der Konkurenzfirma Abeking und Rasmussen, die in Bremen seit 1907 tätig ist. Diese Firma spezialisierte sich auf zwar kleinere, dafür aber spezielle und durchgedachte Schiffe. Zum Beispiel, als sie für einen Millionär, dessen Gattin an Seekrankheit litt,  eine Yacht bauten, die das Schwanken der Wellen am breiten See so kompensieren konnte, dass der stolze Besitzer auch mit seiner lieben Frau Ausflüge am Meer machen konnte. Die Größe der Yacht war für ihn im Gegensatz zu den Russen nebensächlich. Die Preise solcher Produkte entsprechen natürlicherweise der Bonität der Kunden. Wenn es gelang, zwei Aufträge in einem Jahr für solche Yachten zu bekommen, war die Firma Abeking und Rasmussen sorgenfrei, bei vier Yachten badete sie im Geld und wies große Gewinne auf.

               Wegen dieser großen Schiffbauer, wo man über die Größe ihrer Produkte in voraus nichts weiß, darf der Fluss Weser, an dem Bremen liegt, ab einem bestimmten Punkt mit keinen Brücken überquert werden, die dann das Ausfahren der fertigen Yachten ans Meer hindern könnten – der Sohn fuhr also täglich zur Arbeit mit der Fähre. Die letzte Brücke ist die Stephanibrücke am nördlichen Ende der historischen Stadt, danach ist Schluss.

               Der Fluss Weser ist die Ader der Stadt. Auf dem Fluss wurde die Ware transportiert, dank ihm wurde Bremen zu einer der wichtigsten Städte der Hansa. Aber mit der Zeit versandete der Fluss und war für Schiffe mit größerem Tiefgang nicht schiffbar. Zuerst versuchten die Bremer das Problem mit einem künstlichen Hafen im Vorort Vegesack zu lösen (wo heutzutage die Schiffswerften tätig sind), später bauten sie einen Hafen an der Flussmündung, der später zu einer selbständigen Stadt Bremerhaven wurde.

Bremerhaven

Sie blieb es bis heute, ist aber weiterhin ein Teil des Bundeslandes Bremen. Übrigens gerade von diesem Hafen aus verließen die meisten Deutschen im neunzehnten Jahrhundert ihre Heimat in Richtung Amerika. Darüber erzählt ein Museum im Bremerhaven. Man kann dort die Identität eines Emigranten einnehmen und dann mit ihm seine Reise nach Amerika, die Ankunft im Hafen von New York, die Dokumentenkontrolle sowie auch das weitere Leben in der Neuen Welt erleben. Der Bremerhaven war so wichtig, dass die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg erzwangen, dass Bremen mit Bremerhaven, liegend inmitten der britischen Besetzungszone, unter die amerikanische Verwaltung gestellt wurde. Bremen bildete also eine kleine amerikanische Insel, wo die Einwohner wahrscheinlich mehr Kaugummi, Chocolade und Jazz als Leute aus der Umgebung erleben durften.

               Bremen wurde dank seiner Mitgliedschaft in der Hansa eine reiche Stadt. Die Unabhängigkeit der Stadt stellt die Statue von Roland unter Beweis, die vor dem reichlich geschmückten Rathaus steht.

Roland

An der Fassade des Rathauses gibt es die Legende über die Gründung der Stadt oder auch Kaiser Karl der Große mit Kurfürsten. Bremen wurde zum Mitglied der Hansa im Jahr 1358 in der Zeit der Herrschaft von Karl IV. Karl IV. unterstützte die Unabhängigkeit der Reichsstädte von den lokalen Herrschern. In seiner Goldenen Bulle aus dem Jahr 1356 trat er viele Kompetenzen des Kaisers an die Kurfürsten ab, unterstützte dafür aber die Selbstbestimmung der Städte. Roland als Palatin des Kaisers Karl und damit sein Vertreter wurde in dieser Zeit zum Symbol der Unabhängigkeit und der Selbstbestimmung. In Bremen wurde diese Statue allerdings zugleich mit der Fertigstellung des Rathauses im Jahr 1404 enthüllt, also in der kurzen Unterbrechung der Herrschaft der Luxemburger Dynastie im Reich durch Ruprecht von Pfalz. Aber es hat halt einige Zeit benötigt, bis Bremen für so ein prächtiges Gebäude genug Geld verdient hatte. Die Legende sagt, dass die Stadt so lange bestehen bleibe, solange Roland auf seinem Platz stehen würde. Deshalb blieb Roland sogar in der Zeit des zweiten Weltkrieges, als Bremen wegen seiner Lage und Bedeutung ein Ziel häufiger Luftangriffe der Alliierten wurde (es wurde 62% der Gebäude in der Stadt vollständig zerstört), auf seinem Platz. Er wurde mit Sandsäcken umhüllt und dann in eine Schutzwand eingemauert. Roland hat den Krieg überlebt und mit ihm auch die Stadt. Jetzt steht er vor dem Rathaus mit dem Schwert in der rechten Hand, geschützt mit einem Schild in der linken, auf dem der zweiköpfige kaiserliche Adler ist, als ein Zeichen der direkten Untergebenheit der freien Stadt ausschließlich dem Kaiser.

               Zu einer freien Reichsstadt wurde Bremen offiziell lediglich im Jahr 1646, lange konnte es sich aber an seinen Status nicht freuen. Der Westfälische Frieden, der den Dreißigjährigen Krieg beendet hat, hat die Stadt nämlich Schweden zugesprochen. Im Jahr 1712 übernahmen Dänen die Stadt von den Schweden, die nach der vernichtenden Niederlage bei Poltava gegen Russland nicht mehr im Stande waren, ihre Besitzungen gegen die Koalition von Russland, Dänemark und Polen/Sachsen zu schützen und zu behalten. Die Dänen haben dann die Stadt gleich drei Jahre später an den Kurfürsten von Hannover verkauft. Im Jahr 1810 kamen Franzosen hierher, um hier drei Jahre lang zu herrschen, der Wiener Kongress erteilte Bremen den Status einer freien Stadt, den sie auch nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 behalten konnte. Als ein Bundesland mit einer Selbstverwaltung funktioniert Bremen also bis heute.

               Die zweite Skulptur in Bremen mit einer symbolischen Bedeutung sind die „Bremer Stadtmusikanten“.

Dieses Märchen der Gebrüder Grimm von vier alternden Tieren (Esel, Hund, Katze und Hahn), die tapfer Räuber in die Flucht geschlagen und ihre Beute sich angeeignet haben, gilt im deutschen Sprachraum zu den populärsten. In Bremen sind diese vier Helden in einer Skulptur verewigt, die an der Seitenwand des Rathauses steht. Bei Berührung der Statue aus Bronze werden angeblich Wünsche wahr, die man in diesem Moment hat. Ich wünschte mir etwas, es erfüllte sich nichts davon. Man kann nichts machen. Eine Kopie dieser Bremer Skulptur findet man auch im lettischen Riga. Es war ein Geschenk der Stadt Bremen an die Partnerstadt, die ebenso zur Hansa gehörte, nach der Selbständigkeitserklärung von Lettland im Jahr 1991.

               Die Altstadt von Bremen bildet eine Ellipse an dem rechten Flussufer, sie ist von einem Erdwall mit Wassergraben und Parkanlagen umgeben. Alles ist dort nah, alles kann man zu Fuß erkunden. Wir passierten eine lange Einkaufpassage Loyd,

dann kam man durch den Blumenmarkt zur Frauenkirche und dann zum Rathaus und zum Roland. Vor der Kirche „Unserer Lieben Frau“ steht eine Reiterstatue des Kanzlers Bismarck. Wie er sich um Bremen wirklich verdient gemacht hätte, habe ich nicht erfahren, vielleicht war das Dank dafür, dass in seinem politischen Gebilde, also im neuen Deutschen Kaiserreich, Bremen seine Autonomie bewahren durfte, da sonst das Verhältnis des Kanzlers zu Bremen wegen unterschiedlichen Ansichten auf die Kolonial- und Handelszollfragen nicht ungetrübt war.  Meine Hypothese, dass die Bremer sich bei dem mächtigen Mann einfach nur einschleimen wollten, hinkt durch die Tatsache, dass die Staue im Jahr 1910, also 12 Jahre nach Bismarcks Tod eingeweiht wurde. Wahrscheinlich als Symbol der deutschen Vereinigung, also etwas ähnliches wie Giuseppe Garibaldi in italienischen Städten. Dort fragt auch keiner, warum dort seine Statuen in beinahe jeder Stadt stehen, obwohl ihn manche von ihnen nicht ausstehen konnten.

               Einen Platz weiter gibt es den Dom, der dem heiligen Petrus geweiht ist. Auf den Turm des Doms kann man steigen. Natürlich kann man, wenn man die Sicht auf die Stadt von oben genießen möchte, dieser Versuchung nicht widerstehen, man muss aber über eine so enge Stiege nach oben gehen, dass eine Ampelregelung nicht ganz abartig wäre. Den entgegenkommenden Menschen auszuweichen, besonders wenn sie nicht gerade schlank sind, ist eine echte Herausforderung und ein enger Körperkontakt ist unvermeidlich. Vor dem Dom wurden wir Zeugen einer alten Tradition. Ein Mann, der mit Dreißig noch immer ledig ist, ist verpflichtet, am Tag seines dreißiger Geburtstags die Treppen vor dem Dom zu fegen oder den vorbeigehenden Menschen Schuhe zu putzen, um für seine Hochzeit das Geld endlich zu verdienen. Ich war ein vorbeigehender Mensch und meine Schuhe haben sich ein ordentliches Putzen seit langem dringend verdient, ein Widerstand war also zwecklos. Ob sich der junge Mann für die Hochzeit das Geld tatsächlich verdient hat, darf ich aber anzweifeln. Ich habe ihn kurz danach gesehen, wie er mit seinen Freunden, die seine Tätigkeit streng kontrolliert haben, den Verdienst in einer der vielen Bars verzechte. Die Tradition, die das weibliche Geschlecht betrifft, haben wir leider nicht erlebt. Eine dreißigjährige Jungfrau (die Jungfräulichkeit wird nicht dringend nötig, es reicht, wenn sie nicht verheiratet ist) muss so lange die Klinke an der Tür der Kirche putzen, bis sie von einem jungen Mann mit einem Schmatzer befreit wird. Ich fürchte, dass diese Tradition in Folge der „politic corectness“ bald stirbt (wenn nicht bereits gestorben ist). Schade darum.

Fortsetzung folgt.

Fuerteventura II

Der Strand, auf dem Bethencourt ans Land ging, ist ein der meistens besuchten Orte auf der Insel. Es ist das Gebiet von Ajuy, man erreicht es auf einer sehr guten Straße vom Ort Pájara oder zu Fuß auf einem historischen Pfad von Betancuria. In Pájara gibt es eine schöne Kirche „Iglésia der Nuestra Seňora de Regia“ mit einer Fassade mit aztekischen Motiven und mit einem vergoldeten Altar in ihrem Inneren. Die Kirche ist aber nicht immer offen. Das Städtchen ist gepflegt und die Straßenbeleuchtung leuchtet tags und nachts. Bereits anfangs November wurde die Weihnachtsdekoration installiert, die Bewohner wollten offensichtlich nichts einem Zufall überlassen. Was wäre, wenn das Weihnachten heuer früher kommen würde.

               In Ajuy gibt es den winzig kleinen bereits erwähnten Hafen „Puorto de la Peňa“ mit vielen Restaurants und dem Menu in beinahe allen Sprachen der Welt, zu meiner Überraschung wurden hier nicht die für Spanien so typischen Tapas angeboten. Der Ort ist durch seinen schwarzen, mit Vulkansand bedeckten, Strand berühmt. Er heißt „Playa de los Muertos“, also „Der Strand der Toten“.

Möglicherweise deshalb, weil von hier der Tod kam. Ob bereits mit Bethencourt oder doch später mit den berberischen Piraten, ist Sache der Auslegung. „Puorto de la Peňa“ war der Hafen der Hauptstadt Betancuria, auch heute noch kann man auf einem Pfad in einem Bergtal von der Stadt zum Hafen absteigen. Der Hafen lebte (oder besser gesagt vegetierte) ganze Jahrhunderte von Kalkerzeugung. Von den Kalkfelsen, die über den schwarzen Strand emporragen, wurde außerordentlich reiner Kalk gewonnen, hier gebrannt und anschließend auf die anderen Kanarischen Insel exportiert. Die Öfen zum Kalkbrennen sind auch heute noch sichtbar, sind aber natürlich seit langer Zeit bereits außer Betrieb. Am Ende eines halbkilometerlangen Spazierganges auf einem zerklüfteten Riff gibt es zwei Höhlen „Cuevas de Ajuy“.

Sie befinden sich auf der Seehöhe, also muss man zu ihnen auf steilen Treppen absteigen und beim Übergang von einer zu der zweiten Hölle muss man auch ein bisschen klettern. Also feste Schuhe sind gegen Sandalen oder Strandschlapfen im Vorteil. Vom Riff gibt es atemberaubende Blicke auf den Strand und das Meer, es zahlt sich also aus, hier einen Spaziergang zu machen. Deshalb machen das auch beinahe alle Inselbesucher.

               Die Straßen auf der Insel sind übrigens in einem sehr guten Zustand, sie sind offensichtlich noch relativ neu mit einer kompakten asphaltierten Fahrbahn. Mit bestimmten Ausnahmen, wie zum Beispiel die Straße zwischen Betancuria und Pájara, sind sie auch breit genug, dass zwei entgegenfahrende Fahrzeuge problemlos ausweichen können. Zwischen Corralejo und „Puerto del Rosario“ wird sogar eine Autobahn gebaut. Im Betrieb sind derzeit zwar nur sechs Kilometer, aber alle Städtchen und Dörfer auf der Insel sind mit einem gut befahrbaren Straßennetz mit Asphaltbelag verbunden.

               Betancuria war die Inselhauptstadt bis 1834, dann übergab es das Primat an das Städtchen Antigua, das aber Hauptstadt nur ein Jahr lang geblieben ist. In Folge der schwierigen Naturbedingungen, infolge deren die Bevölkerung ständig auf der Kippe zur Hungernot balancierte, hat der letzte Landesherr im Jahr 1800 das Handtuch geworfen und ist nach Tenerife übersiedelt. Die Inselverwaltung übernahm das Militär, zum Herrn der Insel wurde der örtliche Oberst, der seinen Sitz im Städtchen La Oliva hatte. So wurde La Oliva im Jahr 1835 zur weiteren Inselhauptstadt, bis es im Jahr 1956 die Stafette an Puerto del Rosario abgab. Zu dieser Zeit waren die ökonomischen Voraussetzungen bereits entscheidend und ein Hafen eignete sich am bestens, zum ökonomischen Schwerpunkt der Insel zu werden. Die Angst vor den Piraten ist bereits verschwunden und im Jahr 1879 musste das Heer auf die Verwaltung der Insel verzichten. In La Oliva gibt es eine schöne Kirche und die Villa der Oberste „Casa de los Coroneles“, von der sie über die Insel siebzig Jahre lang herrschten. Der kleine Palast wurde in der Zeit unseres Besuches gerade rekonstruiert und damit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Also konnten wir nicht erfahren, wie die militärischen Diktatoren auf der von Armut und Hunger geplagten Insel lebten. Im neunzehnten Jahrhundert flüchtete die Hälfte der Bevölkerung auf das Festland nach Spanien. Dann kam aber in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts der Fremdverkehr und brachte allmählich den Wohlstand mit sich auf die Insel.

               Fuerteventura sind Vulkankrater, Vulkankrater und manchmal zur Abwechslung noch einmal Vulkankrater.

Die jüngsten von ihnen sind 50 000 Jahre alt und befinden sich im Norden der Insel beim Städtchen Corralejo. Im Unterschied zur Nachbarinsel Lanzarote, wo die Vulkane noch im achtzehnten Jahrhundert wüteten, ist Fuerteventura also ziemlich ruhig.  Trotzdem ist die Erde praktisch nur aus Lavagestein gebildet, wenn wir die sandigen Strände an der Küste nicht in Betracht ziehen – besonders dann das ausgedehnte Gebiet der Sanddünen im Nordosten der Insel bei Corralejo. Diese Dünen sind ein beliebtes Ausflugsziel für die Touristen sowie auch für die Einheimischen – auf der Insel leben insgesamt 140 000 Einwohner und Fuerteventura, von der Größe her die zweitgrößte der Kanarieninseln, ist damit die am dünnsten besiedelte. Weil wir in Corralejo wohnten, konnten wir die Dünen zu Fuß erreichen – mit einem etwas schnelleren Gang dauerte der Spaziergang hin ein bisschen mehr als eine halbe Stunde.

Die Schönheit der mit spärlicher Vegetation bewachsenen Dünen störten nur die Körper außerordentlich hässlicher Nudisten. Oben ohne bei Frauen wird toleriert, ein großer Gewinn war es aber – ehrlich gesagt – mit spärlichen Ausnahmen nicht.

               Die Stadtstrände in Corralejo sind nicht wirklich schön, besonders dann vormittags bei Ebbe, wenn sich das Meer hunderte Meter zurückzieht und seinen felsigen Grund entblößt. Es ist in erster Linie ein Paradis für die Surfer, es gibt hier gleich mehrere Surfschulen. Nachmittag bei der Flut kommt das Wasser zurück und das Baden ist sehr gut möglich, auf den Stadtstrand wird aber eine Unmenge von Meeresalgen angespült, was zum Baden nicht gerade einladend ist.

Aber nur ein paar Minuten weiter der Küste entlang gibt es kleine schöne Strände mit weißen, an Popcorn erinnernden, Steinen und dort kann man sehr wohl baden. Die schönsten Strände sollte es im Süden der Insel um „Morro Jable“ geben, das ist aber vom Norden der Insel doch ziemlich weit. Vielleicht also das nächste Mal.

               Auf manche der Vulkane führen markierte touristische Wege. Es ist zum Beispiel die „Montagna de Tindaya“ bei La Oliva und direkt über Corralejo ragt bedrohlich der Vulkankrater „Volcano Bayoyu“ empor.

Er gebärdet sich bedrohlich, ist es aber nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass er das letzte Mal Lava vor 50 000 Jahren gespuckt hat, kann man ihn ganz einfach besteigen. Aus der Stadt ist es nur vier Kilometer und der Höhenunterschied beträgt 290 Meter. Die Fauleren dürfen mit dem Auto bis zum Fuß des Berges in den Nationalpark „Malpaís del Bayuyo y Mascona“ fahren und damit sich den Weg wesentlich verkürzen. Ich machte mich bereits nach dem Frühstück auf den Weg und so konnte ich die atemberaubenden Aussichten vom Vulkangipfel in den Krater sowie auch auf Corralejo, die mit zahlreichen Kratern geschmückte Landschaft, die Insel Lobos und Lanzarote beinahe eine halbe Stunde allein genießen. Danach stürmten gegen Mittag plötzlich Touristen den Gipfel von allen Richtungen und ich trat den taktischen Rückzug an. Der Rückzug führte auf einer Schuttböschung hinunter, feste Schuhe schadeten also sicher nicht – obwohl manche deutschen Touristinnen in den Sandalen unterwegs waren – ich habe lieber niemandem verraten, dass ich ein Arzt bin.

               Die Vulkankrater bilden eine kontinuierliche Reihe, was imposant wirkt, der letzte der Krater ragt aus dem Meer empor und heißt „Isla de Lobos“. Auf diese Vulkaninsel nahe Fuerteventura kann man mit einem Wassertaxi fahren und wenn man sich langweilt, auch den Krater besteigen.

               Vom Hafen in Corralejo bieten gleich drei Gesellschaften einen Transfer zur Nachbarinsel Lanzarote an – der Weg dauert dreißig Minuten und auf der anderen Seite wartet ein bezaubernder Hafen „Playa Blanca“ mit einer langen Promenade, einem zauberhaften Stadtzentrum und unglaublich sauberem fischreichen Wasser auf dem Stadtstrand. Das ist aber schon eine andere Insel, übrigens der Hauptlieferant von Wein, der auf Fuerteventura nicht angebaut wird. Der Wein aus Lanzarote ist gut, das Klima dort muss also günstiger sein, wir sahen, wie eine Fähre ein Auto voll mit Ziegen hinübergeführt hat – sie freuten sich offensichtlich auf eine bessere Weide beim Nachbarn.  Zwischen den Fähren der Gesellschaften Fred Olsen, Armas und Fast Ferry gibt es keine wesentlichen Unterschiede, lediglich Fast Ferry transportiert keine Fahrzeuge. Aber bitte, den Personalausweis nicht vergessen, ohne einen Reisepass oder andere „Identity card“ verkauft euch niemand ein Ticket für die Fähre – obwohl beide Insel zum demselben Land und in weiterer Folge zu EU gehören. Das Taxi zum Hotel und zurück kostete allerdings bloß acht Euro, also war es keine Tragödie und die Fähren fahren in Halbstundentakt.

               Fuerteventura ist ein Ort zum Abschalten. Es herrscht hier Ruhe, die Insulaner leben langsam (obwohl sie sich bei der Bedienung der Gäste ziemlich schnell bewegen) und lassen sich nicht stressen. Wenn sie nach der Rechnung in einer Bar verlangt haben, dann bitte, schön gelassen auf die Rechnung warten! Jeder Versuch, den Prozess zu beschleunigen, ist sinnlos und wird als unanständig gewertet. Die Folge ist nur eine beruhigende Geste des Kellners, die Zahlung wird aber dadurch nicht schneller abgewickelt. Im Vergleich mit dem übervölkerten Teneriffa und dem ein bisschen hektischen Gran Canaria ist Fuerteventura trotz des wachsenden Tourismus immer noch eine Oase der Ruhe. Wenn die Ruhe nicht durch vom Ocean wehende Winde gestört wird. Die könnten nämlich ordentlich stark sein – deshalb gibt es hier auch so viele Surfer. Der Reiseführer wird ihnen einreden wollen, dass diese Winde es in 50 000 Jahren geschafft haben, die Berge, die ursprünglich 3500 Meter hoch sein sollten, auf die heutigen 800 Meter Seehöhe abzuschleifen.

               Ich bin mir nicht sicher, ob es stimmen kann, so viel hat es doch nicht geblasen. Wir hatten Glück. Unsere Ruhe wurde von nichts gestört.

Fuerteventura I

Ich beginne diesen Artikel mit einer Entschuldigung für die zweitägige Verspätung in seiner Veröffentlichung. Ich habe nämlich nach Tschechien gereist und den Computer zu Hause vergessen.

Also:

Was tut ein Historiker, wenn er an einen Ort fährt, wo es keine Geschichte gibt? Natürlich – er sucht und findet schlussendlich doch etwas. Wer viel sucht…

So war es mit mir, als wir mit meiner Frau entschieden haben (das Plural verwende ich ein bisschen euphämisch, es handelt sich eher bei dem „wir“ um den „imperiale Plural“ meiner Gattin – meine Zustimmung habe ich aber gegeben, also nicht jammern!) für den Novemberurlaub auf die Insel Fuerteventura zu fahren. Und so haben wir gepackt und sind geflogen.

               Wenn man schon das Glück hat, dass es in jedem seinen Urlaub regnet, ist die beste Lösung irgendwohin zu fahren, wo es gar nicht regnet. Also kommt die Sahara oder Fuerteventura in Frage. Die zweite Alternative ist viel verlockender. Besonders anfangs November, wenn der Ocean seine höchste Wassertemperatur bis zu dreiundzwanzig Grad Celsius hat.

               Fuerteventura ist die älteste der Kanarischen Inseln und liegt der Afrikaküste am nächsten. Möglicherweise deshalb kommt so wenig Feuchtigkeit her. Von Westen fangen den Regen die Insel Gran Canaria und Tenerife ab und von Afrika (der Insel gegenüber liegt die Westsahara) kann man viel Nässe nicht erwarten. Für die Touristen ist aber dieser Zustand absolut ideal. Während des gesamten Aufenthaltes regnete es nicht und obwohl schon November war, bewegten sich die Tagestemperaturen zwischen 21 und 25 Grad im Schatten und Wolken gab es nur in der Früh und das lediglich über dem östlichen Horizont und nur, wenn ich zur Beobachtung des Sonnenaufgangs aufgebrochen bin. Es war zwar frustrierend, aber meine Laune konnte es nicht kaputt machen. Es war nämlich nicht notwendig viel zu früh aufzustehen, die Sonne ging um 7:15 Uhr Ortszeit auf (obwohl schon Winterzeit galt), das heißt um viertel neun der mitteleuropäischen Zeit, also in der Zeit, wenn man bereits ausgeschlafen ist, und ein morgendlicher Spaziergang an der Küste von einem Strand zum anderen ist sicherlich eine gesunde Sache. Für den Körper sowie auch für die Seele. Obwohl man die aufgehende Sonne letztendlich nicht sieht. Um so schöner war der Vollmond.

               Die Insel Fuerteventura bekommt wirklich nur sehr wenig Feuchtigkeit und dementsprechend karg ist die dortige Vegetation. In den Hotels gibt es aber genug Wasser, die Insulaner haben, ähnlich wie die Malteser, gelernt, das Meerwasser zu entsalzen. Sie machen es offensichtlich konsequenter als die Malteser. Im Gegenteil zu Malta habe ich nämlich im Wasser keinen salzigen Geschmack gespürt – für einen Hypertoniker eine beruhigende Tatsache. Dem Wassermangel und dem Mangel an Grün passte sich auch die örtliche Landwirtschaft an. Vor allem durch Ziegenzucht – eine Ziege frisst nämlich absolut alles. Dementsprechend ist die Spezialität der Insel Ziegenkäse „queso majorero“.

Den Käse kann man überall kaufen, er wird auch in jedem Restaurant und in jedem Hotel angeboten. Er ist eine klassische ortspezifische Vorspeise (sowie auch Nachspeise). Zur Zubereitung wird noch immer sehr viel Handarbeit verwendet und er wird nach der Reifungszeit in drei Arten angeboten – als weich (tierno), halb hart (semicurado) und hart (curado). Meiner Meinung nach ist er in allen drei Formen absolut essbar. Sogar meine liebe Gattin, die gedroht hat, dass ich keinen Kuss von ihr mehr erwarten könnte, wenn ich den Käse gegessen hätte, änderte ihre Meinung und gab zu, dass der Käse keinen unangenehmen Geruch hatte und gut schmeckte. Und er macht satt.

               Wenn man auf Fuerteventura einen Ausflug mit einem Reisebüro buchen würde, muss man damit rechnen, dass er eine Ziegenfarm besuchen würde, wo eine Käseverkostung inkludiert ist. Es ist so etwas wie in der Türkei der Besuch einer Teppichfabrik. Wir kauften keinen Ausflug, eine Farm haben wir also nicht besucht, dafür aber das Käsemuseum in der Nähe des Städtchens Antigua. Es ist das „Museo del Queso Majorero“ und neben der Ausstellung zur Käseherrstellung gibt es hier auch einen wunderschönen Kakteenpark.

Ich hatte keine Ahnung, dass es mehr als dreißig Arten von Ziegen gibt. Jetzt weiß ich es, einzeln nennen könnte ich sie trotzdem noch immer nicht. Das Museum erzählt nicht nur über Ziegen und Käse, es gibt hier auch eine multimediale Projektion mit Darstellung der Theorien über die Entstehung der Kanarischen Inseln und mit Bekanntmachung mit der Flora und der Fauna der Insel. Besonders was die Fauna betrifft, hat die Insel aber nicht viel zu bieten – wenn wir die Ziegen nicht dazu zählen.

               Die Inselgeschichte begann für die Europäer im Jahr 1402, als in der Bucht, wo sich heute ein Minihafen „Puorto de la Peňa“ befindet, der Kapitän Jean de Bethencourt mit seinen 53 Männern landete. In Laufe der nächsten zwei Jahre eroberte er die ganze Insel. Die Inselbewohner so genannte „Mojo“, die hier in der Ruhe gelebt hatten, geteilt in zwei Königsreiche, hatten mit ihren Stöcken zum Ziegenantrieb gegen die europäischen Waffen keine Chance. So ließen sich beide Könige Ayoze und Guize lieber taufen und nahmen die Namen Luis und Christian an, in der Hoffnung, dass sie dadurch von der Eindringlingen Ruhe haben würden. Hatten sie nicht. Ihre Statuen stehen auf einer Aussichtsplatform an dem Straßenrand zwischen La Oliva und Betancuria.

Wie weit ihre Darstellung der Realität entspricht, weiß nur der liebe Gott. Einen Einblick in das Leben der Ureinwohner bietet ein Freilichtmuseum La Atalyita bei Pozo Negro an der Ostküste der Insel. Man kann von dem Städtchen Caleta de Fuste (wo sich die größten Salinen zu Gewinnung des Meersalzes befinden – auch mit entsprechendem Museum) oder aus dem Innenland vom Städtchen Antigua hinfahren.

               Gleich neben dem Rastplatz mit den Statuen von Ayoze und Guize oder – wenn Sie möchten – Luiz und Christian – gibt es eine Abzweigung zum Aussichtspunkt „Mirrador morro Vella“. Das Gebäude dort, das seine Entstehung dem berühmten örtlichen Künstler Césare Manrique verdankt, wurde entweder gerade restauriert oder befand sich in einem natürlichen Zerfall. Was von diesen zwei Alternativen zutrifft, konnte ich nicht erfahren, in jedem Fall war es geschlossen. Trotzdem gab es von diesem Aussichtsberg in der Höhe 700 Meter über den Meeresspiegel fantastische Ausblicke über die Berge und bis zum Meer.

               Bethencout gründete in den Bergen oberhalb des Hafens, wo er ans Land ging, die erste Stadt auf der Insel und ernannte sie als ein richtiger Katholik in den Diensten einer katholischen Majestät „Santa Maria de Bethencourt“. Heute heißt diese erste Inselhauptstadt Betancuria und sie ist ein liebes und schönes Nest.

Im Jahr 1403 bestätigte der Papst Benedikt XIII. die Gründung der ersten Pfarre auf der Insel. Benedikt war allerdings ein Gegenpapst, der im Jahr 1415 vom Konstanzer Konzil abgesetzt wurde (was er bis Ende seines Lebens nie anerkannte). Also musste die Dinge der kirchlichen Organisation im Jahr 1424 Papst Martin V., der in Konstanz gewählt wurde und über dessen Legitimität keine Zweifel bestehen, in Ordnung bringen. Aus der Zeit der ersten Eroberer findet man keine Relikte. Im Jahr 1593 wurde die Stadt nämlich trotz ihre in den Bergen versteckte Lage von den berberischen Piraten entdeckt. Sie plünderten die Stadt aus und was sie nicht mitnehmen konnten, zündeten sie an. Die Stadt wurde dadurch vollständig zerstört. Also alle Gebäude im Städtchen inklusiv der Kirche „Iglésia de Santa Maria Imaculata“, also „Die Kirche des unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria“ sind aus der späteren Zeit, trotzdem sind die Bauten Mitte in Parkanlagen mit Palmen und Kakteen lieb. Sie sind aus dem Vulkanstein mit weißem Mörtel gebaut, ästhetisch kann man nichts einwenden. Und es gibt sogar eine Fontäne, wahrscheinlich gibt es hier doch ein bisschen mehr Wasser als sonst auf der Insel – möglicherweise war es der Grund der Stadtgründung an diesem Ort.

               Bethencourt stammte zwar aus der Normandie und war also ein Franzose, Frankreich war aber nicht imstande ihm bei der Versorgung der Siedler mit Nahrungsmitteln auf der öden Insel zu helfen. Bethencourt fand letztendlich die Unterstützung bei König Heinrich III. von Kastilien, der ihn zum „Herrn der Kanarischen Inseln“ ernannte und die Kolonisierung der Insel förderte. Kastilien war zu dieser Zeit noch lange keine Seemacht (im Gegenteil zu Portugal oder Aragon) und deshalb war für König Heinrich sogar die unfruchtbare Insel verlockend. Nachdem Frankreich im Jahr 1415 die Schlacht bei Azincourt gegen die Engländer verloren hatte, kamen die Besitzungen von Bethencourt in der Normandie unter die englische Herrschaft und er musste dem englischen König seine Treue schwören. Das machte ihn in Kastilien zu „Persona non grata“. Kastilien gab aber seine Ansprüche auf die Kanarischen Inseln nicht mehr auf und nach der Entstehung von Spanien durch Vereinigung von Kastilien und Aragon im Jahr 1515 wurden die Inseln ein Teil des Spanischen Königreiches und blieben es bis heute. Weil die Inseln nördlich des Caps Bojador an der Höhe der Küste der Westsahara liegen, durch die die Grenze der Interessengebiete der Länder der Iberischen Halbinsel führte, mussten die Spanier um diese Insel nicht mit Portugiesen streiten.

Prekmurje

Als ich das erste Mal erfuhr, dass wir nach Moravske Toplice  in die Therme fahren sollten, habe ich auf der Karte gesucht, wo sich dieser Ort befindet. Ich machte das natürlich auf die altmodische Art – mein Sohn würde einen Lachkrampf bekommen – auf der Autokarte von Jugoslawien aus dem Jahr 1994. Und ich habe auf dieser Karte diesen Ort gar nicht gefunden. Obwohl ich ungefähr wusste, wo ich suchen sollte. Nämlich in der Nähe von Murska Sobota auf dem linken Murufer. Aber dort war einfach solches nicht zu finden.

               O.k. ich habe mich also modernisiert und das Internet eröffnet und dort das Dorf gefunden. Es hat ganze 719 Bewohner mit den anderen insgesamt achtundzwanzig angeschlossenen Ortschaften kommt es sogar auf ganze 6200 Menschen.

               Wenn man aber Moravske Toplice besucht, sieht man gleich, dass der dortige Wohlstand jung ist. Im Jahr 1960 entschied das sozialistische Jugoslawien, damals unter der Tito-Herrschaft – nach Erdöl zu suchen. Keine Ahnung, warum man sich entschieden hat, gerade in diesem Ort zu bohren, allerdings wurde in der Tiefe von 1400 Meter anstatt Öl heißes Wasser gefunden.  Die Einheimischen haben sofort ihre Chance begriffen und schon im Jahr 1962 gab es dort ein erstes Schwimmbecken mit warmem Thermenwasser. Die Slowenen waren immer sehr unternehmungsfreundlich, unvergleichbar mehr als alle anderen sieben Subjekten des damaligen Jugoslawiens (es gab sechs föderative Republiken und zwei autonome Regionen und das ganze Konglomerat wurde manchmal „Die Schneewittchen und sieben Zwerge“ genannt, wobei Slowenien die Rolle von Schneewittchen übernommen hat).

               Heute gibt es in der Ortschaft mehrere Vier- und Fünfsternenhotels und eine große Therme T 3000 mit einer riesigen Rutsche – die Einheimischen behaupten, dass es sich um die größte Rutsche in Mitteleuropa (eventuell in ganz Europa) handeln sollte. Es ist gut möglich, ich habe sie nur von Ferne gesehen und es ist mir kalt über den Rücken gelaufen. So ein Monstrum habe ich noch nicht gesehen – allerdings war ich natürlich nicht überall. Gott sei Dank bin ich alt genug, um eine glaubwürdige Ausrede zu haben, sie nicht benutzen zu müssen.

               Die Hotels Termal (wahrscheinlich das älteste gleich neben der Therme) Livada (das größte) Ajda und Vivat (ein bisschen entfernt aber um so ruhiger) bieten die Unterkunft für Hunderte von Gästen – der Aufenthalt ist deutlich billiger als im 20 Kilometer entfernten Bad Radkersburg. Neben den Hotels gibt es hier auch ein großes Apartmentdorf „Prekmurska Vas“ und es darf natürlich auch ein achtzehn Löcher Golfplatz nicht fehlen – er ist in unmittelbarer Nähe zu den Thermen. Es wird einfach auf Luxus gesetzt, und die Wette geht auf.

               Wir wohnten im Hotel Vivat (die Wahl wurde dadurch vereinfacht, dass eine Mitarbeiterin meiner Frau, die liebe Sarah, gerade aus Moravske Toplice stammt). Die Unterkunft in einem Zimmer mit Balkon war sehr gut, dass Essen tadellos und das Baden im „Weißen Wasser“ – das ist eine Quelle, die in der Tiefe von 900 Meter angebohrt wurde und 24 Liter Wasser mit einer Temperatur von 55 Grad pro Sekunde liefert, oder im „Schwarzen Wasser“ aus der Tiefe von 1257 Meter mit einer Temperatur von 66 Grad – diese Quelle ist weniger ausgiebig und liefert lediglich 2 Liter Wasser pro Sekunde. Natürlich werden beide Quellen abgekühlt auf eine sehr angenehme Temperatur von 32 Grad in einem großen Schwimmbecken oder auf 39 Grad in einem kleinen. Das war das „Schwarze Wasser“, das allerdings gar nicht schwarz war, wahrscheinlich wurde es entfärbt.

               Natürlich konnte ich es nicht auslassen, einen Spaziergang durch das Dorf zu machen und ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass der Ort calvinistisch ist. Die Kirche „Des guten Hirten Jesus“ ist einfach, besonders in ihrem Inneren wie es die calvinistische Konfessionirten JesusH

 vorschreibt. In einem anderen Ortsteil Bogojina baute sogar der berühmteste slowenische Architekt Jože Plečnik eine Kirche. Offiziell heißt sie „Christi-Himmelfahrt Kirche“, bekannt ist aber als „Die weiße Taube“.

               Die calvinische Gegenwart des Ortes brachte mich dazu, in der Geschichte der Region zu recherchieren. Ich entdeckte dabei, was ich noch nicht wusste. Slowenien gab es offiziell bis zum Jahr 1918 nicht. Als im Jahr 1918 „Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ entstand, wurde der slowenische Teil dieses Neugebildes aus der Windischen Mark um Ljubljana, aus der Grafschaft Celje und aus der Südsteiermark gebildet. Die Städte am Meer von Koper bis zu Piran erhielten die Slowenen nach dem zweiten Weltkrieg, als Istrien von Italien zu Jugoslawien kam und Papa Josip Bros Tito die Beute zwischen seine Kinder Kroatien und Slowenien teilte (ohne den Slowenen einen Korridor in das freie Gewässer zu schenken). Alle diese Ländereien waren einmal ein Teil von österreichischen Kronländern und damit überwiegend katholisch. Nur mit einer Ausnahme und das war eben Prekmurje

. Dieses kleines Stück Landes auf dem linken Murufer, also „Übermurgebiet“. Ungarisch Muravidék gehörte nämlich zum Ungarischen Königreich. Deshalb haben hier die Ortschaften nicht nur slowenische, sondern auch ungarische Namen. Moravske Toplice heißen auf Ungarisch Alsómarác oder auch Toplitz, die Hauptstadt der Region Murska Sobota hieß einmal Muraszombat.

               Das ganze winzig kleine Gebiet hat nur 950 Quadratkilometer und es leben hier 76 000 Einwohner. Wie ich schon schrieb, das Zentrum der Region befindet sich in Murska Sobota, wo es die Bezirkshauptmannschaft, das Krankenhaus und ein Schloss gibt, der nördliche Teil der Region in Richtung zur ungarischen Grenze heißt Goričko, ist hügelig und er wurde zu einem nationalen Naturpark erklärt. Der höchste Berg ist zwar lediglich 417 Meter hoch, es gibt hier aber viele Radfahrerwege, um die dortige Natur auf einem Fahrrad genießen zu können. Das Zentrum von Goričko ist ein Städtchen mit einem einfachen Namen „Grad“ also „Burg“ – die Burg gibt es dort tatsächlich und sie dominiert die ganze Landschaft.

               Im Jahr 1918 kam es zum Zerfall der Österreichisch-ungarischen Monarchie. Im ungarischen Teil ergriff im März 1919 der Kommunist Béla Kun die Macht. Im Land herrschte „der rote Terror“, viele besser situierten Ungaren und ungarische Intellektuellen wählten die Flucht aus dem Land. Sie waren bereit, alles Mögliche gegen die kommunistische Macht zu unternehmen, sogar die separatistischen Tendenzen der auf dem ungarischen Gebiet lebenden nationalen Minderheiten zu unterstützen. Im April 1919 gründeten sie in Wien unter der Führung von Graf Bethlén ein „Antikommunistisches Komitee“.

               Am 29. Mai 1919 wurde auf dem Balkon des Hotels Dobray in Murska Sobota (heutiges Hotel Zvezda) eine unabhängige Murrepublik ausgerufen.

Der Initiator war Vilmos Tkalecz, ein slowenischer Offizier der österreichischen Armee. Die Deklaration enthielt auch einen Appell an die ungarische Regierung, das Recht auf Selbstbestimmung der Nationen zu respektieren. In diesem Fall waren es die Slowenen, die in dieser Region eine Mehrheit darstellten. Letztendlich war dieses Recht einer der wichtigsten Punkte des Programms von Lenin und er war wieder das Vorbild für Kun. Béla Kun hat aber in diesem Fall sein großes Vorbild in Sankt Petersburg und seine Lehre in diesem Punkt ignoriert und schickte nach Prekmurje die Armee. Tkálecz hatte lediglich 600 bewaffnete Männer. In sechs Tagen wurden sie nach Österreich verdrängt und dort in Feldbach in einem Gefangenlager entwaffnet und interniert. Dieses eintagsfliegelanges Leben der Murrepublik war aber doch ein Anlass, dass in Trianon im Jahr 1920 entschieden wurde, dass diese Region von Ungarn getrennt sein sollte. Sie wurde zwar nicht selbständig, sondern wurde in den slowenischen Teil des neu gegründeten Königreiches aufgenommen, das später zum Jugoslawien wurde.

               Die Ungaren vergaßen diese Willkür der Siegesmächte nicht. Gleich danach, als die deutschen Truppen Jugoslawien im Jahr 1941 überfielen und die jugoslawischen Armee nach bloß elf Tagen der Kämpfe kapitulierte, besetzte Ungarn als der Verbündete Hitlers das Prekmurje und gliederte es wieder in den ungarischen Staat ein. Den Rest von Slowenien teilten sich Deutschland (Südsteiermark und die Region um Kranjska Gora) und Italien (Socatal und Ljubljana).

               Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges kam Prekmurje zurück nach Jugoslawien und nach der Unabhängigkeitserklärung des neuen Slowenischen Staates im Jahr 1991 blieb es dort als ein der fünf Regionen Sloweniens.

               Von der ungarischen Geschichte blieb hier der örtliche Dialekt, in dem es viele ungarische Elemente gibt, zum Beispiel ungarische Nachnahmen – gleich nach der Grenze zu Österreich begrüßte uns „Gostelnica Vörös“ – die calvinistische Religion und einige Einflüsse in der örtlichen Küche.

               Vor allem das „Bograč“, das dem ungarischen Gulasch zu verdächtig ähnelt. Nicht also dem, was wir für ungarisches Gulasch halten und mit Knödel essen. Das echte ungarische Gulasch wird aus Rindfleisch mit Kartoffeln, Zwiebel, Knoblauch und Paprika gekocht, ob dazu auch Kümmel, Lorbeerblätter, Majoran und Tomatenmark gehören, weiß ich nicht, im Borač sind sie aber auf jeden Fall erhalten.

               Eine andere örtliche Spezialität ist „Bujta Repa“ und die ist aus meiner Sicht wieder dem russischen Borschtsch ähnlich. Es wird angeblich am ersten Tag der Schweinschlatung zu Mittag gegessen, neben den sauren Rübe und den Schweinsripperln gehört hierher die Hirse, der Zwiebel, der Knoblauch, das Butterschmalz, das Mehl, weiters geriebener Paprika, Pfeffer, Lorbeerblätter und Majoran.

               Die ECHTE SPEZIALITÄT aus der Region ist allerdings die „Gibanica“ und da sind wir schon wieder bei typischer slawischer Küche. Dieser ordentlich süße Kuchen hat acht Schichten. Eine davon ist aus Topfen, die zweite aus Nüssen, die dritte aus geriebenen Äpfeln mit Zimt und die vierte aus Mohn. In die letzte wird neben der Sahne auch der Weißwein beigemischt und das nicht wenig. Diese Schichten werden mit Blätterteig getrennt, nur die unterste Schicht wird aus Mürbteig gemacht.

               Also wenn Sie Perkmurje besuchen – und das ist wirklich keine schlechte Idee, kann man Bograč oder Bujta Repa vielleicht meiden, aber wenn man keine Gibanica gegessen hat, war man  einfach nicht hier. Der Besuch gilt nicht. Obwohl diese Mahlzeit ordentlich süß ist und satt macht – die Sahne entfaltet ihre Wirkung.

               Übrigens, wenn Sie sich entscheiden sollten, auf diesem Weg gewonnene Kalorien wieder auszugeben, in jedem Hotel kann man Fahrräder mieten. Der Nationalpark Goričko lockt mit seiner Natur und heißt willkommen. Die Fahrradwege an den Straßen entlang sind entweder fertig oder werden gebaut. Die Slowenen bemühen sich wirklich, die Gäste anzulocken.