Es hat überraschenderweise bereits in Genf begonnen. Ich meine damit meine Zweifel. Für eine Stadt mit Französisch als Amtssprache war die örtliche Küche ziemlich arm. Ich suchte allerdings die Schuld bei mir. In Genf hat nämlich so gut wie niemand Deutsch gesprochen (mit Ausnahme des Eintrittskartenverkäufers an der Kassa im Museum des Protestantismus) Englisch auch nicht und ich kann wieder nicht Französisch. Ich dachte also, dass ich die richtigen Lokale in Folge des Informationsmangels einfach nicht gefunden habe. Das glaubte ich damals wirklich. Dafür durften wir in der Kathedrale von Genf einen Stuhl sehen, auf dem Jean Calvin persönlich gesessen war und gepredigt hatte. Ein normales Möbelstück, allerdings mit Geschichte. Ich habe den Stuhl sogar fotografiert! Damals habe ich Calvin für einen Reformator wie jeden anderen gehalten und hatte ich ihm nichts vorzuwerfen.

               Dann entschied ich mich, örtliche Spezialitäten in Amsterdam zu verkosten. Ich habe nämlich eine dumme Eigenschaft und die heißt Neugier. Also esse ich örtliche Spezialitäten überall, wohin wir reisen. Die Erbsensuppe mit Speck war noch ziemlich essbar, die panierten Kugeln mit merkwürdigem, nicht wirklich identifizierbarem schmierigem Inhalt genannt Bitterballen, das war schon ein anderer Kaffee. (Übrigens der Reiseführer von Amsterdam warnt davon zu versuchen zu erkunden, was in den Kugeln wirklich ist). Der Kaffee war übrigens in Amsterdam auch miserabel. Nur so nebenbei habe ich erfahren, dass die Stadt im sechzehnten Jahrhundert zum Calvinismus, also zur Reformierten Kirche übergetreten war. Die Zusammenhänge blieben mir zu diesem Zeitpunkt noch verborgen.

               Und dann fuhren wir einmal nach Bremen. Im Rathauskeller, also in einem der besten Restaurants in der Stadt, bat ich den Kellner um eine örtliche Spezialität um die Mentalität dieser Stadt, die besonders in der Oleanderblütezeit so wunderschön ist, noch besser kennen zu lernen. Und ich bekam den Seemannlaubkaus. Mein erster Gedanke war, dass der Koch wahnsinnig geworden ist und der Kellner diese Tatsache fahrlässig übersehen hat. Das Essen sah so aus, als ob bei seiner Entstehung folgende Geschichte geschah: „Die Matrosen von Bremen stachen in See und zum Mittag aßen sie Kartoffeln mit Selchfleisch. Nachmittag ist dann ein starker Sturm gekommen und so konnten sie das bereits verzehrte Mittagessen noch einmal zu Abend zu sich nehmen.“ Zu diesem gemixten Brei aus Selchfleisch und Kartoffelpüree ohne jedes Gewürz wurde noch Hering mit Roten Rüben serviert. Ich verhandelte mit dem Kellner, dass ich bereit bin, die Hälfte des Preises zu bezahlen. Die zweite Hälfte sollte der Mensch bezahlen, der diese Mahlzeit bereits vor mir im Magen hatte. Ich hatte keinen Erfolg, der Ober hatte keinen Sinn für Humor und dachte sicher, dass ich nicht richtig Deutsch konnte. Die Tatsache, dass in Bremen Calvinisten an der Macht waren, weckte in mir das erste Mal einen Verdacht, dass es Zusammenhänge geben könnte. Ich roch die Spur…

Und dann plötzlich wurden mir meine Augen geöffnet. Das geschah im Deutschen historischen Museum in Berlin, als ich erfuhr, dass die ganze Rheinpfalz, also das Gebiet um Heidelberg und Mannheim, im Jahr 1566 zur Lehre Calvins konvertierte. Alte Erinnerungen wurden wach. Das war vor einigen Jahren, als ich nach Heidelberg fuhr, um meine Frau nach Hause zu holen. Sie konnte nämlich die weiße, rote und braune Saucen, die sich nur durch die Farbe, nicht aber durch Geschmack unterschieden, weil sie keinen hatten, und im Krankenhausspeisesaal zu jedem Essen (na ja zu jedem Essen, es war immer Faschiertes) serviert wurden, nicht mehr vertragen. Sie versuchte zu erfahren, wo man in Heidelberg gut essen konnte. Es wurde ihr gesagt, dass es in Wiesloch wäre, in einem Städtchen südlich von Heidelberg. Dort gäbe es ein berühmtes und hervorragendes Lokal nach der die Art des österreichischen Buschenschanks (in Wien heißen diese Lokale Heurige, diese Bemerkung natürlich nur für meine Leser aus Deutschland oder anderen Ländern) und dort könnte man sehr gut essen. Wir fuhren hin. Vor dem Lokal stand eine Unmenge von Autos. Wir kauften eine Eintrittskarte um 13,50 Euro, die uns berechtigt hat, so viel zu essen, wieviel wir mochten. Das Problem war, dass wir nach einer halben Portion Ente nichts mehr essen konnten. Das Essen war gewürzlos und wahrscheinlich aufgewärmt und ein paar Bissen, die ich verzehrt hatte, wuchsen in meinem Magen zu einer ungeheuren Größe, für die mein Magen einfach zu klein war. Hätten wir nicht eine Flasche österreichischen Marillenschnapps mit, hätte ich möglicherweise die halbe Portion, die ich im Hunger verzehrte, nicht überlebt. Das schockierte mich. Die Pfalzregion hat unglaublich günstiges Klima, es wächst hier alles inklusiv Wein, die Vegetation ist zwei Wochen vor Graz, obwohl viel mehr nördlich gelegen ist – warum können die Pfälzer aus dieser Gabe nichts Essbares kreieren? In Berlin habe ich es verstanden – es war die Schuld von Calvin!

               Ich las und fand, dass in der Lehre von Calvin jede Wohllust des Körpers eine Sünde war, also das gute Essen genau wie auch ehelicher Geschlechtsverkehr (wenn gut war) und der Rechtgläubige strengte sich an, eine Sünde zu vermeiden, um die Erlösung zu erfahren und in den Himmel zu kommen. Also offensichtlich, überall wohin die Anhänger dieser Lehre kamen, vernichteten sie als die erste Tat die örtliche Küche (wie sie das mit dem Geschlechtsverkehr taten, habe ich nicht erfahren können, obwohl es in Amsterdam mehr als genug Gelegenheit dazu gab). Obwohl gerade das „Rote Viertel“ von Amsterdam mich zum Nachdenken brachte. Entstand es nicht gerade deshalb, weil es zu Hause zu öd war? Übrigens die größte Kirche in Amsterdam „Oude Kerk“, befindet sich direkt in der Mitte des roten Viertels. Also, man konnte gleich nach der Sünde in die Kirche gehen und sich vor Gott rechtfertigen. Vom Wohnhaus und vom Ehebett war es erstens weiter, und zweitens hätte die Gattin dumme Bemerkungen machen können. Nach dem Besuch eines Bordells maulte niemand und die Kirche war gleich zur Hand. Die Protestanten brauchen zum Dialog mit Gott nicht unbedingt einen Priester, weil es bei ihnen keine Ohrenbeichte gibt. Es ist natürlich intellektuell viel anspruchsvoller, die Sünden vor Gott, ohne einen Vermittler direkt zu rechtfertigen, weil es auch keine Absolution gibt. Aber wenn am nächsten Tag die Geschäfte wieder gut laufen, ist es ein klarer Beweis, dass Gott dem die Buße tuenden Sünder seine Gunst nicht entzogen hat. Darüber später.         

               Mein Bild hat sich also vollendet und ich erlaube mir einen kleinen Tipp denen zu geben, die  ähnlich wie ich gerne örtliche Spezialitäten kosten. Erfahren Sie zuerst, ob in der Stadt, die Sie besuchen möchten, nicht einmal – vielleicht auch nur für eine kurze Zeit – die Calviner an der Macht waren. Dann ist Vorsicht geboten. Lassen sie lieber die Finger von den örtlichen Spezialitäten und gehen Sie zum Italiener oder zum Chinesen.

               Kaiser Ferdinand I. der im Jahr 1555 einen Religionsfrieden zwischen Katholiken und Lutheranern vermittelt hat, schloss in diesem Dekret dezidiert die Reformierte Kirche aus und verbot sie am strengsten. Der alte kleine Brummler wurde mir sofort sympathischer. Er aß offensichtlich gerne und das spricht für einen in Grunde guten Charakter. Wenn er schon auch hinrichten lassen musste (wie im Jahr 1522 in Wiener Neustadt,) tat er das wahrscheinlich nicht ganz gern.

               Ich würde nach dem Erlebnis mit dem Seemannlaubkaus Calvin auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen.

               Es könnte euch vielleicht interessieren, wie sich diese Lehre, die beinahe alles Angenehmes im Leben verboten hat, überhaupt durchsetzen und besonders in den Städten mit starkem Handel und reicher Kaufmannsschicht so eine starke Position erreichen konnte. Calvin predigte – gleich wie Jan Hus oder der heilige Augustin – die Lehre der Prädestination. Also jeder Mensch wird bereits bei seiner Geburt entweder zur Erlösung oder zur Verdammung vorbestimmt. Damit kann er in seinem Leben nichts mehr tun, weil seine Sünden oder auch Wohltaten von Gott gesteuert werden und der eigene freie Wille dabei keine Rolle spielt. Man kann aber die Vorbestimmung für das ewige Leben im Himmel bereits im Leben hier auf Erde erahnen. Wenn man nämlich im Leben erfolgreich ist, wenn die Geschäfte gut laufen und die Kassa sich mit Silber und Gold füllt, ist das ein klares Zeichen der Gunst Gottes und Gott würde doch nicht einem Verdammten seine Gunst schenken. Deshalb verbreitete sich diese Lehre besonders erfolgreich in den reichen Städten, wo die Kaufleute das Sagen hatten, wie in Amsterdam, Bremen oder Mannheim. Erfolgreiche Geschäftsleute waren bereit, auf gutes Essen und guten Sex zu verzichten – die Aussicht auf den Himmel war viel zu verlockend. Das Essen musste also üppig sein, damit der Herr oder die Frau ihren Wohlstand und damit auch ihre Vorbestimmung für den Himmel demonstrieren konnten, bei Gewürzen wurde aber sehr gespart. Erstens weil sie teuer waren, zweitens, weil sie das Essen köstlich machen könnten und damit den Menschen in Versuchung bringen und den Weg in den Himmel versperren konnten. Also wenn man an dem ungenießbaren Mittagessen kaute, konnte man sich auf den Himmel freuen, wo man endlich auch Pfeffer zum Gastmahl bekommt.

               Es ist besser, Belgien zu besuchen. Dort hat den Menschen der Herzog von Alba solche Reformationsgedanken aus dem Kopf geschlagen (und das nicht nur im übertragenen Sinn). Die Küche in einem Land, dass an Frankreich grenzt und unter einer langen österreichischen Verwaltung katholisch blieb, ist einfach eine Traumküche. Obwohl es die Belgier waren, die Pommes frites erfanden. In dieser Erfindung hat Calvin seine Finger sicher nicht gehabt.

               Übrigens, nicht überall war seine Lehre bei der Essenvernichtung erfolgreich. Die Ungaren, obwohl sie sich der Lehre der Reformierten Kirche anschlossen und dafür einen Platz für ihren Anführer Stephan Bocskai auf dem Reformationsdenkmal in Genf erhielten, ließen sich ihr Gulasch und Paprikasch mit scharfer Paprika nicht nehmen. Eine wahrhaft weise und tapfere Entscheidung.

               Die Tschechen hatten wieder Glück, das sie bis heute nicht verstehen wollen. Friedrich von der Pfalz, der im Jahr 1619 zum tschechischen König gewählt wurde, um nach einem Jahr Herrschaft wieder flüchten zu müssen, war ein Calviner. In diesem Zusammenhang scheint die Niederlage des tschechischen Herres auf dem Weißen Berg bei Prag am 8.November 1620 nicht so tragisch zu sein. Kann man sich vorstellen, was mit der berühmten tschechischen Küche passiert wäre, wenn die Aufständischen damals gewonnen hätten und Friedrich sich auf dem tschechischen königlichen Thron eingenistet und seine Ordnung durchgesetzt hätte. Ich meine in der Küche, von dem anderen gar nicht zu sprechen….

               Na ja, Ferdinand II. mag kein wirklich sympathischer Kerl gewesen zu sein. Es gab Hinrichtungen (nur am 27. Juni 1621 in Prag siebenundzwanzig an der Zahl), es gab die gewaltsame Rekatholisierung, den dreißigjährigen Krieg, die Enteignung und die Massenemigration, die die Wirtschaft des Landes auf Jahrhunderte zurückgeworfen hat. Aber auf der anderen Seite, der Schweinsbraten mit Knödel, Kraut und Bier ist geblieben.

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