Wir reisten durch Sizilien zwar mit dem Auto, nach Palermo fuhren wir aber lieber mit dem Bus. Dass es eine richtige Entscheidung war, überzeugten wir uns, als unser Bus hartnäckig versuchte sich ins Stadtzentrum durchzukämpfen und kompromisslos drängte Autos weg, die es wagten, sich vor ihn einzureihen. Ich bin überzeugt, dass ich es nicht geschafft hätte, übrigens schon eine Durchfahrt auf einer dreispurigen (?) Straße um Palermo zwei Tage später war ein ausreichend stressiges Erlebnis. Also die Wahl eines Busses war richtig, obwohl er selbstverständlich mit einer halbe Stunde Verspätung kam und Palermo mit einer Stunde Verspätung erreicht hat. Dafür konnten wir aber den Bus im Zentrum von Palermo ohne körperlichen oder seelischen Schaden verlassen. Diese Tatsache war unbezahlbar, weder mit Geld noch mit Zeit.

               Palermo erfreut sich keines guten Rufes. Ganze Jahrzehnten war es der Stützpunkt der sizilianischen Mafia. (Erinnern Sie sich noch auf die italienische Serie „La Piovra“, auf Deutsch „Die Krake“ mit dem sympathischen und von Frauen geliebten Kommissar Correo Cattani?) Und das, obwohl für die Hauptstadt der Mafia das Städtchen Corleone im Landesinneren gehalten wird. Die Macht der Mafia auf Sizilien schrumpfte aber in den letzten Jahrzehnten wesentlich, sie kann sich keinesfalls mit dem Einfluss von Camorra in Kampanien oder Ndrangetta in Kalabrien messen. Schicksalhaft zeigten sich für die Mafia die Morde an den Untersuchungsrichtern Giovanni Falcone am 23.Mai 1992 und Paolo Borsallino am 19. Juli des gleichen Jahres. Die Mafia überspannte mit diesen Taten den Bogen und die Sizilianer sagten, „es reicht“. Ab diesem Jahr  galt nicht mehr die „Omerta“ also „das Gesetz des Schweigens“, das die Mafiosi die ganze Zeit schützte. Nach den zwei ermordeten Kommissaren wurde der Flughafen von Palermo benannt.

               Von der Schwäche der Mafia zeugt auch das Schicksal des Bürgermeisters von Palermo Leoluca Orlando. Im Jahr 1985 wurde er das erste Mal zum Bürgermeister von Palermo gewählt, damals noch für die Partei „Democratia christiana“. Zu Überraschung aller begann er Ordnung zu machen, womit niemand, nicht einmal im Traum, rechnen konnte. Einer der Anlässe zu seiner Politik war die katastrophale Situation um die Oper von Palermo.

Sie war ein Wahrzeichen der Stadt mit 3200 Sitzplätzen. Gebaut wurde sie am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Dort kam es einmal im Jahr 1977 zum Rohrbruch mit Wasserschaden. Die Firma, die mit der Reparatur des Schadens beauftragt wurde, war an die Mafia gebunden und machte im Gebäude mehr Schaden, den wieder eine weitere Firma – wiederum an Mafia gebunden – reparieren musste. Und so weiter und so weiter… Nach einigen Jahren stiegen die Kosten für die Reparatur in Millionenhöhe und das Gebäude war abrissreif. Orlando schmiss alle beteiligten heimischen Firmen hinaus und beauftragte mit den Arbeiten Unternehmen aus dem Ausland. Infolge dessen wurde er von seiner eigenen Partei im Jahr 1990 verraten und abberufen. Er gründete auf Anhieb eine eigene politische Bewegung „La Rete“, also „Das Netz“ und gewann mit ihr die anstehenden Wahlen. Das „Teatro Massimo“ auf der „Piazza Verdi“ wurde feierlich nach einundzwanzig Jahren im Jahr 1998 wiedereröffnet und gerade diese Feier wurde zum Symbol des Sieges über die Mafia und ihren Einfluss in der sizilianischen Wirtschaft. Leoluca Orlando war in den Jahren 1985 – 2000 ununterbrochen drei Wahlperioden Bürgermeister und da es ihm vorgekommen ist, dass der Kampf gegen Mafia nachgelassen hätte, ließ er sich im Jahr 2013 das vierte Mail wählen.

               Natürlich stand er seit dem Anfang seiner politischen Karriere unter Polizeischutz, aber dass ihn trotzdem die Mafia nicht beseitigen konnte und Orlando lebt – er ist der Bürgermeister und Abgeordneter im italienischen sowie auch im europäischen Parlament – ist für die Mafiabosse eine große Niederlage und Kreditverlust.

               Von der Amtsführung des Leoluca Orlando profitierte nicht nur die Oper von Palermo, die wieder im Betrieb ist, sondern die ganze Stadt. Also ganze – zumindest das Zentrum der Stadt. Die Hauptstraßen wurden endlich renoviert und Palermo wurde zu einer anziehenden Touristendestination. Besonders, da die Kleinkriminalität auf den Straßen, die hier früher blühte, unterdrückt werden konnte. Palermo gilt seit langem nicht mehr zu den zehn italienischen Städten mit der höchsten Kriminalität. Ich muss sagen, dass wir uns die ganze Zeit absolut sicher fühlten.

               Durch die Mitte der Stadt führt   das „Corso Vittorio Emanuelle“. Es ist eine breite Straße, ihr folgend kommt man zur Kathedrale von Palermo und sie endet bei der „Porta Nuova“, einem Tor, das zu Ehre des Kaisers Karl V. und seines Sieges über die Araber in Tunis Im Jahr 1536 gebaut wurde. Die Sizilianer konnten schätzen, dass damit ein wichtiger Stützpunkt der arabischen Piraten (Hayredin Barbarossa) vernichtet wurde.Mittelpunkt der Stadt ist die Kreuzung „Quatro Canti“.

Alle vier Gebäude an den Ecken dieser Kreuzung haben die gleiche Form und bilden so den Eindruck eines Kreises. Die Kathedrale ist ein monumentaler Bau, die allerdings viel besser von außen als von innen aussieht. Von außen ist das ein Juwel der Frühgotik, im Inneren ist sie klassizistisch einfach.

In der Schatzkammer der Kathedrale ist die Kaiserkrone von Konstanze von Aragon ausgestellt, der ersten Gattin des Kaisers Friedrich II. und der einzigen, die der Kaiser krönen ließ. Konstanze war schon vor der Hochzeit mit Friedrich ungarische Königin, nach der Rückkehr nach Sizilien vermittelte Papst Innozenz III. ihre Hochzeit mit dem damals fünfzehnjährigen Friedrich (sie selbst war 25 Jahre alt). Die Ehe war nicht besonders glücklich, der Kaiser akzeptierte trotzdem seine ältere Ehefrau und zeugte mit ihr einen Sohn – den unglücklichen römischen König Heinrich VII. Die Krone ist im byzantinischen Stil ausgeführt, in der Krypta der Kathedrale befinden sich Sarkophage der Bischöfe von Palermo, und in der Kathedrale selbst dann in einem silbernen Schrein die sterblichen Überreste der heiligen Rosalia, der Schutzpatronin von Palermo. Die Heilige lebte in den Jahren 1130 – 1170 als Eremitin auf dem Berg „Monte Pelegrino“, der über den Hafen von Palermo emporragt und der Goethe bei seinem Palermobesuch begeisterte.

               Was allerdings in der Kathedrale von Palermo ein absolutes Unikum ist, ist die Toilette für die Besucher der Kirche. Der Eingang in diese öffentliche Toilette ist diskret hinter einem Altar in einer Seitenkapelle versteckt, beinahe hätte ich nicht geglaubt, dass dort so etwas sein konnte. Es war aber!

               Die Hauptattraktion ist allerdings nicht die Toilette, sondern die Sarkophage des normannischen Königs Roger II., seiner Tochter Konstanze, der Gattin des Kaisers Heinrich VI. und Mutter Friedrichs II. Friedrich selbst befindet sich links vorne, hinter ihm ist der Sarkophag seines Großvaters mütterlicherseits Roger II. In der rechten Reihe sind dann die Eltern des Kaisers Heinrich VI. und Konstanze, der Tochter Rogers II. und Erbin des Sizilianischen Königsreiches.

In den Wänden sind Grabmäler von Wilhelm I. und Konstanze, der ersten Gattin Friedrichs. Die königlichen Sarkophage sind imposant auf Art antiker Tempel gebaut worden, die kaiserlichen werden von Säulen aus dem roten Porphyr getragen, während die königlichen von vergoldeten Marmorsäulen. Damit gleich klar ist, wem die königliche und wem die kaiserliche Würde gehörte. Friedrich ließ sich in Palermo begraben, sein Herz wurde aber in Foggia aufbewahrt, in der Stadt, die er liebte und von der er sein riesiges Reich beherrschte. Das Herz ist verloren gegangen, als sein Palast in Foggia durch ein Erdbeben vernichtet wurde. Seine körperlichen Überreste in Palermo blieben bis heute erhalten.

               Was man in der Kathedrale vermisst, das findet man vielmals im „Palazzo dei Normanni“.

Der Palast ist von außen ein monumentales Gebäude in romanischem Stil, im Inneren ist der „Palazzo reale“ im Renaissancestil umgebaut – diese zwei architektonische Stile harmonieren miteinander gut, von  hier aus herrschten die spanischen Vizekönige. Ein Teil des Palastes ist aber leider klassizistisch umgebaut, die Baustile werden hier wild vermischt, wie wir in Italien und besonders in Süden Italiens gewohnt sind.

               Dann kommt aber der absolute Höhepunkt – die „Capella Palatina“. Im Augenblick, wenn man die Kapelle betritt, wird man vom Glanz des Goldes geblendet. Überall an den Wänden gibt es Gold, Gold und wieder einmal Gold zwischen wunderschönen Mosaiken, natürlich mit Pantokrator in der Apsis. Es ist ein unbeschreibliches Erlebnis, das man nur selten erlebt.

Etwas Ähnliches habe ich wahrscheinlich nur noch im Bernsteinzimmer in „Carsko Selo“ empfunden, in der Sixtinischen Kapelle störten den Eindruck die hunderte anwesende Besucher. Es ist sicherlich eine Absicht, dass die Stühle in der Mitte der „Capella Palatina“ durch Seile unzugänglich gemacht worden sind. Weil wenn sich der Mensch einmal hingesetzt hätte, würde er diesen Raum nie freiwillig verlassen. Im Stehen kommt doch einmal die Müdigkeit und man muss, auch wenn ungern, doch hinausgehen. Trotzdem ist es fantastisch hier für ein paar Minuten stehen zu bleiben, den Atem anzuhalten und die unglaubliche Schönheit des Raumes zu genießen.

               Wenn man den „Palazzo die Normanni“ verlassen hat, braucht man dringend eine seelische Erholung. Die bietet ein Kirchlein „San Giovani degli Eremiti“ in der unmittelbaren Nähe des normannischen Palastes.

Ein kleines Kirchlein mit roten Kuppeln auf dem Platz der ehemaligen Moschee als eine Erinnerung auf die rekatholisierende Tätigkeit des Königs Rogers II, der diese Kirche im Jahre 1132 bauen ließ. Es ist eine Kirche mit vielen arabischen Komponenten und einem großen Garten mit gigantischen Kakteen, Orangebäumen, Palmen und einem arabischen Brunnen im Hof mit arabischem Säulengang – doppelte Säulen mit engen Bögen als eine Erinnerung an die Zeit der Toleranz, als hier alle drei Religionen zusammen im Frieden lebten – die katholische, die orthodoxe und der Islam. Die Kirche kennt noch die Zeiten, als in Palermo im Jahr 1096 die Brüder Roger und Robert Guiscard triumphal einzogen, die örtliche arabische Herrscher zur Kapitulation zwangen. Palermo verdankt den Arabern vieles. Sie haben die Hauptstadt der Insel von Syrakus nach ehemaliges Panormos verlegt, weil diese Stadt ein besserer Stützpunkt für ihre Angriffe in Richtung Italien war.

Übrigens sechs Euro für den Eintritt in ein Kirchlein, in dem seine innere Ausstattung vollständig fehlt, halte ich doch für eine überzogene Gebühr. Zum Glück befindet sich in der Nähe der Kirche ein Restaurant „Villa San Giovanni degli Eremiti“ mit fantastischem frischem, direkt im Restaurant gebackenem Brot, mit gutem Wein und einer hervorragenden Küche.

               Palermo hat eine drei viertel Million Einwohner und die absolute Mehrheit davon ist sehr arm. Das merkt man gleich, wenn man die touristischen Hauptrouten verlässt. Gleich in einer Parallelstraße zum „Corso Vittorio Emanuelle“ unmittelbar neben einer schön rekonstruierten Barockkirche ragen hohe verfallene Wohnhäuser mit halbzerfallenen Balkons und mit Graffiti auf den Wänden empor.

Manche Eingänge signalisieren bereits, dass die Räume hinter ihnen unbewohnbar sind. Dafür stolpert man auf jedem Schritt über Statuen der heiligen Jungfrau Maria, wie überall auf Sizilien ist die Mutter Gottes auch in Palermo ein absoluter Kult.           

               Wenn man zum Plätzchen „Quatro Canti“ zurückkehrt, findet man in einer Nebenstraße das „Municipio“, also das Rathaus und vor ihm  die „Piazza pretoria“ mit der „Fontana Pretoria“. Diese Fontäne wurde ursprünglich für die Stadt Florenz erbaut, im Jahre 1573 kaufte sie aber die Stadt Palermo.

Gleich um die Ecke befindet sich die „Piazza Bellini“. Man muss wissen, dass man sie suchen muss, es zahlt sich aber aus, sie zu finden. Neben der Barockkirche „Chieza Santa Caterina“ ist hier „La Martorana“ auch „Santa Maria dell´Ammiraglio“ genannt, die im Jahre 1143 Georg von Antiochia, der Vizeadmiral der Flotte Rogers II., bauen ließ. In dieser Kirche befindet sich ein Mosaikzyklus aus dem Jahr um 1150, also älter als die Mosaiken im „Palazzo Normanni“. Auch sie glänzen von Gold. In der Vorhalle der Kirche ließ sich der Vizeadmiral selbst verewigen, vergaß aber nicht, die Ehre seinem König zu erweisen. Auf der anderen Seite krönt nämlich Christus persönlich den König. Was kann sich ein Herrscher Besseres wünschen, als einen loyalen Heerführer? Gleich neben „La Martorana“ gibt es eine weitere Erinnerung an die arabische Vergangenheit der Insel, die Kirche „San Cataldo“ mit roten Kuppeln im arabisch-normannischen Stil. Die Normannen waren bei der Machtübernahme über die Insel sehr tolerant und Hauptsache, sie nahmen sich aus allen Einflüssen, die sie auf der Insel fanden, das Beste und das Schönste. Es entstand eine gemischte Kultur, der Grundstein des Wohlstandes, der unter der Regierung der nachdenklichen normannischen Könige ein Jahrhundert halten sollte.            

   Sollten Sie sich bis zu dem „Teatro Massimo“ verirren, gleich daneben gibt es das „Museo archeologico“ mit vielen Kunstwerken, die an die antike Vergangenheit der Insel erinnern, als Sizilien noch die Kornkammer zuerst Griechenlands und dann des Römischen Reiches war. Heute scheint es unwahrscheinlich, aber in der Antike waren Städte wie Syrakus, Himera, Selinunt, Segesta oder Agrigent ein Symbol der Prosperität und des Reichtums.  

               Natürlich kann man in Palermo noch viel mehr sehen, unentbehrlich sind Kirchen des heiligen Dominikus und Franciscus, natürlich auf den verschiedenen Seiten der Altstadt, den Charakter der Stadt kann man angeblich am besten auf dem Markt „Ballaro“ kennenlernen. Allerdings muss man dorthin gleich in der Früh gehen und das haben wir verpasst. Als wir den Markt endlich gefunden haben, schlossen die Verkäufer gerade ihre Buden. Also wenn man die Atmosphäre des palermitanischen Marktes erleben will, muss man gleich in der Früh hin. Und dabei doch auf die Geldbörse aufpassen.

               Vor der Stadtmauer an der Küste gibt es einen schönen Platz zum Ausruhen. Eine breite Promenade mit  viel Grün, mit Bäumen und dem „Monte Pelegrino“ am Horizont. Wenn man dann in die Stadt zurückkehrt, sollte man unbedingt noch die „Villa Giulia“ besuchen, einen Garten an den dann der „Orto botanico“ anschließt. In der Mitte des Gartens gibt es vier symmetrisch aufgestellte farbige Exedren, Sonnenuhr und einige Fontänen.

Goethe besuchte diesen Park und war von ihm so hingerissen, dass er zu seinem Lieblingerholungsplatz wurde. Wir machten es nach ihm, obwohl die Marmorbänke so heiß waren, dass es sehr problematisch war, sich auf sie hinzulegen und sich nach dem anstrengenden Tag in der „Goldenen Muschel“, wie Palermo genannt wird, zu erholen.

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