Diese Stadt wäre wahrscheinlich ein unbedeutendes Nest am Fuße des Berges „Monte Subasio“, wäre nicht gerade hier im Jahr 1181 ein Mann zur Welt gekommen der eine der berühmtesten Persönlichkeiten der christlichen Geschichte werden sollte – der heilige Franciscus. Interessant ist, dass er eigentlich gar nicht Franciscus hieß,  er wurde Giovanni, also Johann getauft. Weil aber seine Mutter aus der Provence stammte und sein Vater zur Zeit seiner Geburt in Frankreich war, um Geschäfte zu machen, bekam der Bub den Spitznamen Francesco – also „der Franzose“.

In Assisi dreht sich heute natürlich alles um seine Person. Hier wurde er geboren, hier war auch der Schwerpunkt seiner Tätigkeit, hier starb er und wurde begraben. Über seinem Grab steht eine riesige Basilika, den Grundstein zu dieser Kirche legte Papst Gregor IX. bereits im Jahr 1229, also ein Jahr nach des Franciscus Tod. Den Platz für sein Grab wählte Franciscus selbst, ob er durch seine Wahl der damaligen Stadtverwaltung eine Freude bereitet hat, würde ich eher für unwahrscheinlich halten. Er wählte nämlich das Schafott in der südlichen Stadtecke. Angeblich tat er das deshalb, weil er sich so unwürdig fühlte, an einem besseren Ort begraben zu werden. Also sollte er an einem Platz seine letzte Ruhe finden, wo sonst nur Verbrecher verscharrt worden waren, genau wie Christus selbst. Diesem Phänomen der Analogien zum Leben Christi werden wir in der Erzählung über Franciscus Leben noch mehrmals begegnen

               In jedem Fall hieß der Hügel, auf dem der Galgen stand, „Colle d´Inferno“, also „Höllenhügel“ An so einem Ort durfte man natürlich den Heiligen nicht ruhen lassen, also wurde der Hügel postwendend auf Paradishügel, also „Colle del Paradiso“ unbenannt. Tatsache aber ist, dass die Kirche des heiligen Franciscus auf einem wunderschönen Ort steht, mit atemraubenden Aussichten auf die Hochebene von Umbria. Und zwar auf dem untersten Rand der Stadt, wohin man vom Stadtzentrum durch die ganze Stadt auf der Straße „Via del Seminario“ und anschließend auf der „Via San  Francesco“ marschieren muss und damit erfüllt sie alle Voraussetzungen einer Pilgerkirche. Franciscus gründete sein Kult selbst, ob absichtlich oder unabsichtlich, weiß ich nicht, ich habe aber ein Gefühl, dass er sich in der „PR“ sehr gut ausgekannt hat. Hätte er diese Eigenschaft nicht besessen, hätte er sicher nicht so einen großen Erfolg gehabt.

               Die Basilika des Heiligen Franciscus ist ein riesiger Komplex mit einem weitläufigen Hof, wohin man durch Sicherheitskontrollen gleich wie auf den Flughäfen oder bei den römischen Basiliken, gehen muss, Soldaten checken die Besucher mit einem Metalldetektor durch, ob sie bei sich eine Waffe oder eine Bombe haben. Die Kirche selbst hat zwei Stockwerke. Das Untere ist eine romanische Basilika aus dem dreizehnten Jahrhundert, geschmückt mit bunten Fresken, obwohl man die Kirche durch eine deutlich jüngere Vorhalle im Still der Renaissance aus dem Jahr 1487 betreten muss. Die Kirche hat eine niedrige Decke und wirkt, besonders bei den Menschenmengen, die hier spazieren, beten oder singen, fast klaustrophobisch.

An den Seiten gibt es eine Menge Kapellen, ebenso mit Fresken bemalt. Rechts ist das Leiden Christi, links das Leben des heiligen Franciscus dargestellt. Das Fresko in der Apsis von Cesare Semei stellt das Jüngste Gericht da und ist deutlich jünger – der Autor schuf es im siebzehnten Jahrhundert. In der Krypta, in die man auf den Stiegen auf der rechten Seite der Kirche hinabsteigen kann, gibt es das Grab des heiligen Franciscus. Es ist ein sehr einfacher Sarkophag aus Stein, von dem im Altar nur ein kleiner Teil zu sehen ist. Als der Leichnam des Franciscus im Jahr 1818 exhumiert wurde, wurden seine Knochen zuerst in ein prächtiges Grab verlegt, das den Vergleich mit dem Grab des heiligen Dominikus in Bologna nicht scheuen müsste. Das weckte aber Widerstand besonders bei den Franziskanern, die wussten, dass so ein Grab den Vorstellungen des Gründers ihres Ordens nicht entsprechen würde. Im Jahr 1932 wurden also seine Gebeine in ein einfaches Grab verlegt, in dem sie bis heute ruhen. Bei dem Grab gibt es Bänke, wo man sich setzen darf und dann still sitzen, beten oder meditieren soll, in keinem Fall darf man hier fotografieren oder filmen.

               Von der unteren Kirche steigt man auf den Stiegen in das Zwischengeschoss, wo es den Kreuzweg des Klosters mit dem Kirchenschatzraum „Il Tresoro“ gibt. Hier werden Gegenstände ausgestellt, die dem Heiligen gehörten. Sein Mantel, seine Pantoffeln, aber auch ein Horn, das ihm der ägyptischen Sultan Al Kamil geschenkt hat. Im Jahr 1219 nahm nämlich Franciscus am Kreuzzug nach Ägypten teil (mit zwölf Ordensbrüdern – erinnert euch diese Zahl an die zwölf Apostel? – diese Zahl der Begleiter verwendete Franciscus viel zu oft um einen Zufall vermuten zu dürfen) und sah mit eigenen Augen die Eroberung der Stadt Damietta, die mit einem furchtbaren Massaker endete – es wurden 6000 Stadtbewohner von den Kreuzrittern niedergemetzelt. Franciscus entschloss sich den Frieden zu vermitteln und ging persönlich zum  Sultan. Er hatte Glück, dass der Sultan Al Kamil war, ein aufgeklärter Herrscher, neugierig auf neue Impulse, egal, woher sie kamen. Mit Franciscus verbrachte er einige Tage in einer gelehrten Diskussion. Er trat zwar nicht zum christlichen Glauben über, wie sich das Franciscus gewünscht hätte, fand aber an dem weisen Mönchen seinen Gefallen und beschenkte ihn zum  Abschied mit dem Horn, das man heute in „Tresoro“ in Assisi sehen kann. Franciscus hatte in seinem Leben mehrmals großes Glück. 

               Das erste Mal bereits im Jahr 1202, als Assisi, das traditionell zur kaiserlichen Partei der Ghibellinen gehörte, in einen Konflikt mit dem guelfischen Perugia geriet und in der Schlacht bei Colestrada verlor. Franciscus hat die Schlacht überlebt, geriet aber in Gefangenschaft, aus der ihn sein Vater im Jahr 1204 freikaufen musste.    

               Das zweite Mal hatte er Glück, als er im Jahr 1209 nach Rom aufbrach, um sich seine neue Regel, die er einige Jahre zuvor gegründet hatte, bestätigen zu lassen. Er ging hin – wieder einmal mit zwölf Gefährten – um sich gegen die Beschuldigung der Blasphemie zu verteidigen. Er ging zu Papst Innozenz III., der in der Verfolgung der Ketzerei unnachgiebig war – seine Kreuzzüge gegen Albigenser führten zu Massaker der Bevölkerung in Südfrankreich und auch sonst hatte sich der Papst als der Beschützer der Glaubensreinheit verstanden. Aber egal, wie unnachgiebig Innozenz in Verteidigung der Dogmen war, er erkannte das Potenzial, das Franciscus der Kirche anbieten konnte. Die Kirche müsste dringend für den Kampf um die Weltherrschaft, den Innozenz gegen die weltliche Macht, also gegen den Kaiser führte, das gemeine Volk zu gewinnen, das sich von den reichen Prälaten bereits abgewandt hatte. Innozenz hatte angeblich in der Nacht vor dem Empfang des Franciscus einen Traum, in dem ihm Franciscus erschien, der eine wackelnde Kirche stützte und vor einem Fall bewahrte. (Weil auf Italienisch genau wie auf Deutsch „Chieza“ das Gebäude wie auch die kirchliche Organisation bedeuten kann, bot sich die Allegorie eines Menschen, der das erschütterte menschliche Vertrauen in die katholische Kirche wiederherstellen und die Kirche vor dem Fall retten kann, an). Dieser legendäre Traum – es ist gut möglich, dass Innozenz diesen Traum selbst freierfunden hat, um seine Entscheidung besser begründen zu können, ist in der unteren Kirche direkt in der ersten Kapelle links – es ist die Kapelle des heiligen Martins – dargestellt. Innozenz hat Franciscus zur allgemeinen Überraschung nicht verurteilt und als Ketzer verbrennen lassen, sondern verfiel in eine Ekstase, erkannte seine Regel und versprach ihm volle päpstliche Unterstützung. Wäre auf dem Stuhl Petri zu dieser Zeit ein weniger weiser Herrscher gewesen, wer weiß, wie es ausgegangen wäre. Also sehr ähnliche Geschichte wie die von Ägypten.

               Die Fresken in der unteren Kirche würden sich einen eigenen Artikel verdienen, das am meisten umstrittene Fresko stellt die Franciscus preisende Madonna dar. Jungfrau Maria mit dem Christkind in den Armen zeigt mit dem  Finder auf Franciscus, während Evangelist Johannes neben ihr ganz unbeachtet steht. Ob dieses Fresko in der Kirche bleiben durfte, musste sogar der Papst persönlich entscheiden. Gregor IX., ein persönlicher Freund des Franciscus, entschied im Jahr 1234, dass dieses Fresko nicht ketzerisch sei, da Johannes das Evangelium lediglich geschrieben, Franciscus es aber gelebt hat. Und Päpste, wie wir schon wissen, irren nie.

               Das Obergeschoss der Basilika ist ein atemraubendes gotisches Gebäude mit sehr hohen Bögen.

Es  erinnert Sainte Chapelle in Paris, ist aber viel größer. Die Glasfenster stammen aus dem dreizehnten Jahrhundert und wurden von englischen und deutschen Meistern geschaffen, so schnell verbreitete sich der Kult des Heiligen in der ganzen damaligen bekannten Welt. Die Architektur ist einfach, um die Malereien an den Wänden umso mehr auf den Besucher wirken zu lassen. Hier arbeitete kein kleinerer als der größte aller Meister Giotto di Bondone und seine Schüler. Die Wände werden mit 28 Fresken geschmückt. Im Urzeigesinn beschreiben sie das Leben des heiligen Franciscus, das berühmteste Bild ist seine Predigt für die Vögel. Diese Bilder waren in ihrer Zeit eine wahre Revolution in der darstellenden Kunst. Anstatt byzantinischen vergoldeten Ikonen gab es plötzlich Bilder aus dem alltäglichen Leben mit Gesichtern von Menschen, die man auf der Straße treffen konnte. Die Renaissance klopfte auf die Tür. Zwischen den Fenstern gibt es Bilder aus dem Alten (rechts) und aus dem Neuen (links) Testament. Die Himmelfahrt Christi und die Entsendung des Heiligen Geistes schmücken die Wand der Fassade. In der Apsis gibt es einen Stuhl aus Marmor. In der ganzen oberen Kirche darf man weder fotografieren, noch filmen, als ich aber für eine Weile doch nicht widerstehen konnte, hat sich meine Frau von mir losgesagt und für einige Minuten hatten wir mit Ausnahme unserer Kinder nichts Gemeinsames. Aber wie konnte ich im Angesicht solcher Schönheit widerstehen? Vor der Kirche steht eine Statue des heiligen Franciscus auf einem Pferd, sie stellt den Moment dar, als Franciscus, noch ein Soldat, erkannte, dass dies nicht der seine Weg sei und sich entschied, sein Leben entscheidend zu ändern. Wie es passierte, dazu kommen wir noch.  Das Zentrum von Assisi ist die „Piazza del Comune“. Es ist ein ehemaliges römisches Forum, das mit mittelalterlichen Gebäuden und barocken Palästen umrahmt ist. Als Goethe Assisi besucht hat, sprach ihn nur ein Gebäude an und zwar die Kirche „Santa Maria sopra Minerva“, die gerade auf diesem Platz steht. (Der heilige Franciscus interessierte den deutschen Aufgeklärten nicht ein bisschen).

Es handelt sich nämlich um einen römischen Tempel der Göttin Minerva, den die Italiener wieder einmal nicht niedergerissen, sondern in eine christliche Kirche umqualifiziert haben, wobei der Portikus mit sechs korinthischen Säulen erhalten blieb und den Liebhaber der Antike Goethe in eine Trance versetzte. Ein Teil des römischen Forums wurde ausgegraben, die Ausgrabungen befinden sich in den Kellern der Häuser am Anfang der „Via portica“ und man kann sie besuchen. Unterwegs zu Basilika zahlt es sich aus (mit dem gleichen Eintrittsticket), auch den bischöflichen Palast, wo die Pinakothek ist, zu besuchen– interessanter als die dort ausgestellten Bilder sind die Fresken an den Wänden, die von Schülern Giottos stammen.           

               O.k., ich gebe es zu, der Aufstieg zur Festung „Rocca Maggiore“ auf dem höchsten Punkt der Stadt gerade zur Mittagszeit war wirklich nicht die beste meiner Ideen. Es hätte mich aber meine Frau an diese Tatsache nicht so oft, also jede zehn Schritte, erinnern müssen. Es ist bergauf gegangen und nach einer bestimmten Zeit verlässt man die bebauten Stadtteile, die Schatten anbieten können und so marschiert man zur monumentalen Festung in der prallenden Sonne in einer offenen Landschaft. Ich würde also den Besuch der Festung für Morgenstunden empfehlen und wenn man in der Stadt nicht wohnt, sondern hierher mit dem Auto kommt (mit Parkplätzen gibt es kein Problem, es gibt genug davon), sollte man mit der Festung den Stadtbesuch beginnen. Übrigens gerade beim Verlassen des Parkhauses haben wir das erste Wunder in der Stadt erlebt, die auch sonst voll mit Wundern ist. Auf einer Straße, die nachweislich keine Zufahrt hatte (auf einer Seite gab es ein zugemauertes Stadttor, auf der anderen eine steile Stiege), stand eine Reihe vorbildlich eingeparkten Autos. Wie sie hingekommen sind, haben wir auch nach einer längeren Forschung nicht verstanden. Aber Assisi ist schon einmal so. Hier ist es nicht notwendig zu verstehen, lediglich zu glauben.    

Die Festung „Rocca“ wurde vom Erzbischof Christian von Mainz gebaut, als er Assisi im Auftrag von Kaiser Friedrich Barbarossa erobert hat.

Nach ihm kam aber Konrad von Ursulingen, der vom Kaiser zum Grafen von Assisi und Herzog von Spoleto befördert wurde. Dass mit ihm nicht alles in Ordnung war, dafür spricht schon sein Spitzname „mesca in cervello“ also „Die Mücke im  Kopf“. Im Jahr 1198 musste er auf seine Titel verzichten und die Bürger von Assisi zerstörten in einem Rausch der Begeisterung über seinen Abschied die Festung. Dieses Ereignis erlebte bereits der siebzehnjährige Franciscus. Eine Legende erzählt, dass gerade in dieser Festung Kaiser Friedrich II. die erste zwei Jahre seines Lebens verbrachte, gerade unter der Vormundschaft des wahnsinnigen Grafen Konrad. Manche Historiker gehen noch weiter und behaupten, dass Friedrich in Assisi sogar geboren wurde. Im Text des deutschen Mönchs, der über die Geburt des Prinzen berichtet hat, ist der Geburtsort nämlich „ASSIS“ genannt. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Schreibfehler und Verstümmelung des Namens „AESIS“, also Jesi, wo der zukünftige Kaiser und „Stupor mundi“ wirklich geboren wurde. Eine Legende lässt sich aber durch solche Erklärungen nicht unterkriegen und erzählt weiter, dass der kleine Friedrich im Dom des heiligen Rufinus in Assisi getauft wurde und natürlich lässt sich den Vergleich nicht nehmen, dass an dem gleichen Ort der Heilige (also Franciscus) sowie auch der „Antichrist“ (Friedrich) geboren wurden. 

Die zerstörte Festung ließen im vierzehnten Jahrhundert der Kardinal Gil Alvárez de Albornoz und der Condottiere von Perugia Biordo Michelotti in der heutigen monumentalen Größe ausbauen – in dieser Zeit war Assisi schon guelfisch und unter der päpstlichen Kontrolle. Ich versprach mir vom höchsten Turm der Festung einen atemberaubenden Blick auf die Stadt aus der Vogelperspektive, ich sollte aber enttäuscht werden. Auf die Dachterrasse des Turmes darf man nicht steigen und das Fenster im höchsten Stockwerk ist  mit einem so dichten Gitter vergittert, dass man gar nichts sehen konnte. Aber auch die Blicke auf die Stadt auf einer und auf die Apenninen auf der anderen Seite, die ein Spaziergang auf den gut erhaltenen Festungsmauern bietet, sind schön genug, um die Festung zu besuchen. Wer mehr Kräfte und Ausdauer hat, kann auch den zweiten Turm „Roca minore“ besuchen, ich konnte aber meine Frau zu dieser Leistung nicht mehr motivieren.

               Im Stadtzentrum steht der „Duomo“, der wieder einmal, wie wir in Italien bereits gewöhnt sind, zwar die zentrale, nicht aber die bedeutsamste Kirche der Stadt ist.

„Duomo san Rufino“ ist ein monumentales gotisches Gebäude, geweiht einem lokalen Märtyrer aus den römischen Zeiten, dem Rufinus von Assisi, angeblich dem ersten dortigen Bischof. Seine Statue in einer barocken Ausführung ist im Kircheninneren, viel interessanter ist aber das Taufbecken, in dem der Legende nach der heilige Franciscus, die heilige Klara sowie auch der Kaiser Friedrich II. getauft wurden. Im Dom kann man auch „Das Kreuz des heiligen Damianus“ sehen, mit dem die ganze Geschichte um den heiligen Franciscus begann. Im Jahr 1205 betete Franciscus in einem sich im Zerfall befindendem Kirchlein des heiligen Damianus, als das Kreuz zu ihm sprach und sagte „Franciscus, erneue mein heruntergekommenes Haus“. Franciscus nahm es wörtlich. Es verkaufte Stoffe seines Vaters und das Geld widmete er für die Erneuerung der Kirche. Dadurch kam er natürlich in Konflikt mit seinem Vater, der damit endete, dass der junge Franciscus die Familie verlassen und mit dem Vaters gebrochen hat.

               Die Zelle, in die ihn der wütende Vater einsperren sollte, kann man in der Kirche „Chieza nuova“ sehen.

Diese Kirche ließ der spanische König Filip III. an der Stelle des Geburtshauses des Franciscus bauen. Die barocke Kirche passt in das Stadtkolorit nicht wirklich, damals gab es aber keine Urbanisten und wenn es sie auch gäbe, keiner hätte es gewagt, dem mächtigen spanischen Monarchen etwas zu sagen. Vor der Kirche gibt es Statuen der Eltern von Franciscus, also nach der Vorstellung des Bildhauers. Ihr Aussehen wurde – im Gegenteil zu Franciscus – nicht erhalten. Woher kennen wir das Antlitz des Franciscus? Bei den Arbeiten auf den Fresken in der unteren Basilika des heiligen Franciscus waren zwei Neffen des Heiligen mit ihrem Rat behilflich. In dem Verließ in seinem Geburtshaus ist eine Statue des bettenden Franciscus und um jeden Zweifel zu beseitigen, gibt es hier eine Anschrift „Carcer Ubi Franciscus Inclusus Fuita Patre“. Ob das wirklich so war, können wir nur raten, aber Legenden sind häufig bedeutsamer als historische Tatsachen.

               Eine wichtigere Kirche als „Chieza Nuova“ und sogar wichtiger als der „Duomo“, also die zweitwichtigste Kirche in der Stadt, ist die Kirche der heiligen Klara. Klara von Assisi (mit eigenem Namen Chiara dei Scifi) war eine treue Begleiterin des heiligen Franciscus und die Gründerin des weiblichen Zweiges des Ordens. Klara, um einer Vermählung, die für sie ihre Eltern, reiche Bürger von Assisi,  organisierten, zu entkommen, floh im Alter von achtzehn Jahren zu Franciscus, der damals mit seinen Gefährten in einer kleinen Kirche Portiuncula unterhalb der Stadt lebte. Franciscus hörte sich ihre Klagen und ihr Wunsch nach ewigen Jungfräulichkeit an, er schnitt ihr eigenhändig ihre Haare ab, ließ sie ein Ordengewand anziehen, übergab ihr einen Schleier als Zeichen der Keuschheit und nahm sie in seine Gesellschaft auf. Die Eltern der geflohenen Braut wollten aber nicht so einfach aufgeben. Sie kamen persönlich mit der Absicht, sie ins Familienhaus, das auf einem wichtigen Platz direkt neben dem Dom stand, abzuholen. Klara leistete passiven Widerstand. Sie legte sich auf den Boden nieder und ihr Körper wurde so schwer, dass nicht einmal zwölf starke Männer sie heben und abholen vermochten. Letztendlich mussten also ihre Eltern die neue Berufung ihrer Tochter akzeptieren. Klara ließ sich zwischen den Wiesen und Olivenhaien in der Kirche San Damiano nieder – ja, richtig, in der Kirche, die einmal Franciscus reparieren ließ und in ihrer Flucht vom Reichtum zur Armut hat sie eine ganze Reihe Begleiterinnen gefunden. Im Jahr 1216 bestätigte der Papst Innozenz III.  die Gründung ihres Ordens. Der Leichnam der heiligen Klara ist in der Krypta der Kirche, die ihren Namen trägt, begraben. Diese Kirche befindet sich direkt in der Stadt und es ist ein imposantes romanisches Gebäude, gestützt mit massiven Seitenbögen.

Zum Kloster „San  Damiano“, wo sie wirkte, ist es möglich außerhalb der Stadtmauern abzusteigen, hier gibt es Ruhe und nur wenig Besucher.

               San Damiano ist also der erste Ort außerhalb der Stadtmauern, der zum heiligen Paar einen Bezug hat. Der nächste ist „Eremo delle Carceri“ ungefähr vier Kilometer von der Stadt entfernt in einer Kluft des Berges „Monte Subasio“. Hier befinden sich die Grotten, wo sich Franciscus mit seinen Begleitern immer zurückgezogen hat, wenn er die Menscheit nicht mehr leiden konnte – und das war ziemlich oft.

Heute gibt es hier ein märchenhaft in den Felsen der Kluft eingebautes Kloster, die Grotten kann man besuchen und in Sichtweite gibt es die Statuen des heiligen Franciscus und seiner Freunde. Der schlafende Franciscus liegt hier friedlich am Rücken und lächelt. Er hat offensichtlich nichts dagegen, wenn sich zu ihm Touristinnen legen, um sich mit dem schlafenden Heiligen fotografieren zu lassen.  Franciscus hatte für die menschlichen Schwächen immer Verständnis.

               Sechs Kilometer von Assisi entfernt gibt es dann noch einen sehr wichtigen Ort der Legende von Franciscus. Basilika „Santa Maria degli Angeli“, der Ort, wo Franciscus starb. Es war der Ort, wo der von ihm gegründeten Orden sein Mittelpunkt hatte, seine beliebte Kapelle Portiuncula. Nachdem bei ihm im Jahr 1224 Stigmata erschienen sind, also die Wunden Christi an den Händen, Füßen und an der linken Seite, wurde Franciscus krank. Er erblindete und nach mehreren brutalen und falschen therapeutischen Versuchen starb er in furchtbaren Schmerzen im Jahr 1226 im Alter von nur 45 Jahren. Die Askese ist also aus der medizinischen Sicht möglicherweise doch nicht die gesündeste Lebensart. Natürlich ist hier heute eine Pilgerstätte und im sechzehnten Jahrhundert wurde über die Kapelle eine gigantische Basilika gebaut, später durch ein Erbeben beschädigt, aber im Jahr 1928 im neobarocken Stil wiederaufgebaut. Neben der Sakristei gibt es einen Garten, in dem die Rosen bei der Büße des Heiligen ihre Dorne verloren haben. Diese Basilika hat gleich wie die Kirche des heiligen Franciscus in der Stadt den Status „Basilica maior“.

               Sie sind die einzigen „Basiliken maior“ außerhalb von Rom – und auch dort gibt es nur vier. Franciscus erbrachte in seinem Leben eine große Leistung für die Welt sowie auch für seine Geburtsstadt. Aber nicht nur das. Er wusste seine Leistung auch gut verkaufen, nicht umsonst war er der Sohn eines Kaufmanns. Aber allein Stoffe kaufen und verkaufen war ihm einfach zu wenig.      

               Erlauben Sie mir, bitte, am Ende dieses Artikels noch eine Bemerkung. Dass Lenin eigentlich Uljanov und Stalin Dzugaswilli hießen und die Oktoberrevolution im November war, dass alles konnte ich irgendwie verdauen. Aber dass der heiliger Franciscus Johann geheißen hat, das erschütterte mein Vertrauen in diese Welt direkt in ihren Fundamenten.      

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