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Mallorca II

Vor allem ist das Reisen auf Mallorca erstaunlich einfach. Man steigt in den Bus ein, hält seine Kreditkarte an das Lesegerät neben dem Fahrer (wenn es mehrere Personen gibt, muss man sovielmal halten, wie viele Personen in der Gruppe sind). Beim Ausstieg hält man dann wieder seine Kreditkarte hin, und der Betrag für die Fahrkarte (oder mehrere Fahrkarten) wird von seinem Konto abgebucht. Natürlich wird es einfacher sein, wenn man in der Eurozone lebt, ich habe keine Ahnung, wie viel eine solche Transaktion die Schweden, Dänen, Tschechen oder Ungaren kosten würde, da dort muss die Bank natürlich die Devisen umrechnen. Wenn das meine Leser wissen, teilen Sie es mir bitte mit.

               Man muss also keine Fahrkarte kaufen und damit ist auch der Preis für die Fahrt nach Palma oder Alcúdia oder wohin auch immer primär uninteressant. Ich kann verraten, dass das Reisen auf diese Art wenig kostet und sehr bequem ist. Die Tschechin Lenka in der Hotelrezeption erklärte mir, dass dieses System in Ostrava schon seit Jahren funktioniert und gut funktioniert. Für Besucher der Stadt im Norden Mährens, die ein Papierfahrschein möchten, kann dies jedoch einen Kulturschock bedeuten, wie ich aus den empörten Reaktionen meiner Freunde auf WhatsApp erfahren habe. Ich träume aber, dass es bald in Graz funktionieren würde und damit der ewige Stress, wo kaufe ich eine Fahrkarte für die Fahrt von Dörfla zum Murpark, Geschichte würde.

               Wenn man eine Woche wie wir auf Mallorca ist, hat man nicht so viel Zeit, um die Insel zu erkunden. Im Osten gibt es die Stadt Alcúdia.

Alcudia

Es ist eine Stadt mit erhaltenen Stadtmauern, die ihre Bewohner einst gegen die Piratenangriffe errichteten, denen die Insel jahrhundertelang ausgesetzt war. Die Stadt mutiert tagsüber zu einem großen Markt in den engen Gassen der Stadt und vor dem Tor, abends wird der Ort zu einem großen Restaurant, in dem es schwer ist, einen freien Platz zu finden – vor allem, wenn man nur etwas trinken aber nicht essen möchte.

Also machten wir stattdessen einen Spaziergang entlang der Stadtmauern, das war eine schöne Erfahrung. Ebenso wie die Kirche des heiligen Jakobus. Ursprünglich gotisch, fiel sie im 19. Jahrhundert zusammen und wurde im neugotischen Stil wieder aufgebaut. Und natürlich darf eine Prise Barock in ihrem Inneren nicht fehlen, schließlich sind wir in Spanien.

               Alle drei Jahre findet in Alcúdia am 26. Juli das große Fest „Triennal de Santo Christo“ statt. Im Jahr 1507 begaben sich die Bewohner der Stadt auf eine Prozession zu den Höhlen des heiligen Martin, um Regen herbeizurufen, der die damalige schreckliche Dürre beenden sollte. Sie trugen ein wundersames Kreuz mit Christus, das im gleichen Jahr am 24. Februar Blut und Wasser schwitze. Offensichtlich haben sie auf diese Weise den Regen herbeigerufen, denn seitdem findet alle drei Jahre in Alcúdia eine Prozession statt, zu der Besucher einschließlich hochrangiger Kirchenvertreter aus der ganzen Welt kommen. Das nächste wird 2025 sein.

               Natürlich darf man einen Besuch in Palma de Mallorca, der Hauptstadt der Insel, nicht versäumen. Wir kamen mit dem Bus dorthin, was bequem ist, nur danach muss man bitte direkt unter dem Schwanz des Pferdes der Statue von Jaume I. durchgehen, und so gelangt man direkt in die Altstadt. Wir sind in die falsche Richtung gegangen, was etwa eine halbe Stunde Irrweg in der Neustadt zur Folge hatte.

Jaume I

               Natürlich ist es am schönsten am Meer, wo die Kathedrale „Le Seu“ aufragt, die offiziell der Jungfrau Maria geweiht ist.

Es ist ein riesiges Gebäude, über hundert Meter lang. Es sollte ein Symbol für die Wiederbelebung des Christentums auf der Insel sein, daher ließ Jaume I. bereits im Jahr 1230, gleich nach der Eroberung der Insel, den Grundstein legen. Mit dem Bau begann jedoch erst im Jahr 1306 sein Sohn Jaume II. Da der Bau bis ins 20. Jahrhundert dauerte, wechselten sich dabei viele Architekten und Stile ab. Die Kapelle des Heiligen Bernhard zum Beispiel wurde von Antoni Gaudí entworfen (oder rekonstruiert).

Gaudí ist auch der Autor des Altarleuchters. Es gibt Tickets nur für die Kathedrale oder auch für den Zugang zu den Terrassen, von wo aus man einen Blick von oben auf die Stadt und den Hafen hat. Der Zugang zu den Terrassen wird natürlich streng kontrolliert, damit niemand hineinkommt, der nicht bezahlt hat.

               Direkt neben der Kathedrale befindet sich der Königspalast – der König und der Bischof waren Nachbarn.

Königlicher Palast

Heute verbringt König Felipe VI. mit seiner Familie seinen Urlaub im königlichen Palast, wenn er auf Mallorca weilt. Während seiner Anwesenheit wird das erste Stockwerk, das für den Aufenthalt der königlichen Familie dient, für die Öffentlichkeit geschlossen. Wir hatten Glück, der König mit seiner Frau und den Töchtern war woanders, also konnten wir den Palast in seiner Gesamtheit besichtigen, einschließlich des königlichen Audienzsaals, wo Staatsbesuche vom König empfangen werden.

Das gesamte erste Stockwerk ist mit Tapisserien aus Flandern geschmückt, eine Erinnerung an die Herrschaft von Kaiser Karl V., der offensichtlich gerne auf Mallorca weilte Er wurde aber in den damaligen Niederlanden geboren und dort wuchs er auch auf, daher seine Vorliebe zu Tapisserien aus Flandern. Die Herrschaft scheint ihm nicht so viel Spaß gemacht zu haben, und schließlich trat er zurück und verbrachte den Rest seines Lebens in einem Kloster. Möglicherweise war der Anlass für seinen Rücktritt, dass er nachts und nur in Unterwäsche aus Innsbruck vor seinen Feinden flüchten musste. Vielleicht hätte er es auf Mallorca angenehmer gehabt, hätte nicht resigniert und wäre nicht so früh gestorben. Das Erdgeschoss des Palastes ist gotisch, das Obergeschoss eher im Stil der Renaissance, es gibt auch arabische Bäder, die erstaunlicherweise das System der römischen Bäder genau nachahmen. Aber die Exterieur in Palma sind einfach schöner als die Innenräume. Und das gilt auch für die Stadt, in der man viele Gebäude im spanischen Jugendstil findet, wie das Grand Hotel oder die Häuser „Can Rei“ oder „L’Aquila“ auf der „Placa Marques de Palmer“.

               Das Einkaufen ist wohl nicht so großartig. Meine Frau verschwand auf dem „Placa de Espaňa“, und ich fand sie erst nach über einer Stunde ziemlich frustriert wieder, weil sie nichts Anständiges gefunden und daher nichts eingekauft hatte. Aber es gibt dafür überall viele Lokale zum Sitzen und Trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Der Platz „Placa de Cort“ mit einem mehrere hundert Jahre alten Olivenbaum ist erstaunlich und dort befindet sich auch der Sitz des Balearischen Parlaments.

In der Stadt gibt es viele weitere Kirchen wie „San Francisco“ oder „Santa Eulalia“, aber für alle muss man Eintrittskarten kaufen und auch ein Museum mit kirchlichen Zeremonialgegenständen besichtigen, was zeitaufwendig ist. Geld für die Karte hätte ich gehabt, die Zeit nicht, wir waren in der Stadt nur einen einzigen Tag unterwegs.

               Kurz gesagt, wenn man zum ersten Mal und nur kurz auf Mallorca ist, schafft man nicht zu viel. Es lohnt sich, wiederzukommen. Dann kann man Palma mehr genießen – besonders, wenn man bereits weiß, dass man vom Busbahnhof direkt unter dem Schwanz des Pferdes der Statue von Jaume I. durchgehen muss, um in die Altstadt direkt zu gelangen. Aber natürlich gibt es in Palma auch das Aquarium, die Festung „Es Baluard“, die Gärten „de Marivent“ mit Skulpturen von Joan Miró und im Norden der Insel in den Bergen liegt das zauberhafte Städtchen Sóller mit einem botanischen Garten und einer Schmalspurbahn, die einen zum fünf Kilometer entfernten Hafen bringt. Mein Freund Milan hat mir definitiv geraten, ein Auto zu mieten und in diese Berge zu fahren da die Frauen auf dem Beifahrersitz auf kurvenreichen Straßen vor sich hin schweigen. Aber Milan kennt meine Frau nicht. Sie schweigt nicht, sie schimpft und speibt in einer solchen Situation und das ist für den Frieden in der Familie nicht fordernd.

               Es reichte, sie auf einen Ausflug zum Cap Formentor mitzunehmen.

Die Serpentinen dort sind wunderschön. Es geht rauf und runter, die Straßen sind schmal, Busse müssen ausweichen und immer wieder anhalten. Es war schon auffällig, als der Busfahrer in Pollenca alle Passagiere überprüfte, ob sie angeschnallt waren. Er wusste warum. Für Menschen mit Reisekrankheit ist der Norden Mallorcas ein bisschen problematisch. Als wir am Leuchtturm ankamen, von wo aus man in der Ferne sogar die Schwesterinsel Menorca sehen konnte, gefiel es mir dort sehr. Meine Frau hasste mich aber zu diesem Zeitpunkt. Weil der Ausflug meine Idee war. Eine Reisekrankheit mit Migräne ist kein Spaß.

               Trotzdem werden wir wahrscheinlich wieder nach Mallorca kommen. Aber ich fürchte, nach Port de Sóller fahre ich alleine. Egal ob mit dem Auto, dem Bus oder der Schmalspurbahn von Palma aus.

Balearisches Parliament in Palma

Mallorca I

               Zum Schreiben dieses Artikels musste ich mich fast einen Monat lang überreden (und ein beinahe weiteres Jahr hebe ich gebraucht, um es zu publizieren.). Ich bin nämlich überzeugt, dass die meisten meiner Leser diese Insel viel öfter besucht haben als ich und meine Erlebnisse daher bei ihnen nur ein Schulternzucken auslösen würden. Nun ja, ein Neuling in einem Reiseziel, das im Grunde zum Pflichtprogramm eines gebildeten Menschen gehört. Mallorca ist eine der meistbesuchten Inseln der Welt, und vielleicht war das der Grund, warum wir sie so lange gemieden haben.

               Dennoch haben wir uns in vorigem Jahr entschlossen, in den sauren Apfel zu beißen, nur um dann festzustellen, dass er eigentlich gar nicht so sauer ist. Obwohl es hier von Touristen nur so wimmelt – nun ja, wie sieht es in Prag aus, oder im schlimmsten Fall in Krumau oder in Hallstatt? Die Menschen kommen nach Mallorca nicht nur, um zu baden, sondern auch, um die Kultur, die Natur und den Sport zu genießen – es gibt hier Trainingscamps für Tennis und Golf, und natürlich gibt es auch den berühmten Ballermann, wo die Deutschen bis zum Umfallen feiern können. Das alles sind Gesichter einer sonst ziemlich kleinen Insel.

               Für den touristischen Boom verantwortlich ist ein Österreicher, genauer ein Habsburger, und noch genauer gesagt Erzherzog Ludwig Salvator.

Erzherzog Ludwig Salvator

Dieser Habsburger wurde 1847 in Florenz als zweitjüngster Sohn des Großherzogs Leopold II. geboren. Er war der Urenkel von Kaiser Leopold II., dessen zweitältester Sohn Ferdinand nach der Umsiedlung von Leopolds Familie nach Österreich sein Nachfolger auf dem toskanischen Thron wurde. Im Jahr 1859 musste die Familie aufgrund der Risorgimento-Bewegung nach der verlorenen Schlacht von Solferino Italien verlassen – Florenz wurde sogar für eine gewisse Zeit zur Hauptstadt des neu vereinten Italiens. Ludwig Salvator zog mit seinen Eltern auf das Schloss in Brandeis in Böhmen. Dieses Schloss kam im Jahr 1547 im Rahmen von Konfiskationen nach dem ersten Adelsaufstand gegen König Ferdinand I. in den Besitz der Habsburger. Der junge Erzherzog zeigte kein Interesse an einer militärischen Karriere, wie es einem echten Habsburger angemessen gewesen wäre, sondern wurde Wissenschaftler, mit Schwerpunkt Biologe und mit besonderem Interesse an Insekten. Auf seiner Forschungsreise besuchte er 1867 Mallorca und war von der Schönheit ihrer Natur fasziniert. Schon zwei Jahre später veröffentlichte er das monumentale Werk „Die Balearen in Wort und Bild“, das auch heute noch eine Wissensquelle über die Bräuche und natürlichen Bedingungen auf der Insel ist, bevor der Massentourismus hier Einzug hielt. Das Werk wurde bei der Weltausstellung im Paris im Jahr 1878 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Der Erzherzog kaufte sich auf Mallorca das Haus „Son Marroig“ auf der Halbinsel „Sa Foradada“, das, ich gestehe, schwer aber doch, von der Stadt Port Solér aus zu erreichen ist.

               Aber Ludwig Salvator allein hätte Mallorca nicht so populär machen können. Diesen gebildeten und anscheinend auch humorvollen Intellektuellen mochte auch Kaiserin Sissi, die ihn mehrmals auf Mallorca besuchte. Und als die Kaiserin begann, von den Schönheiten der Insel zu schwärmen, wurde es gleich wieder einmal zum Hit. Die Kaiserin war halt lebenslang eine Trendsetterin. Übrigens sorgte sie im Jahr 1892 für einen Skandal, als sie Weihnachten und ihren 55. Geburtstag (sie wurde am 24. Dezember 1837 geboren) anstelle ihres langweiligen kaiserlichen Ehemanns mit Ludwig Salvator verbrachte, was der verärgerte Kaiser mit folgenden Worten kommentierte: „Ich hoffe, der dicke Luigi kümmert sich ausreichend um dein Wohlergehen.“. Übrigens gerade sein Übergewicht und damit verbundene Elefantiasis führte im Jahr 1915 zum Tod des Erzherzogs auf dem Schloss in Brandeis.

               Der eigentliche Massentourismus auf Mallorca begann dann in den 1960er Jahren, denn auch der Diktator Franco erkannte das Kapital der Insel, und die Einnahmen aus dem Tourismus waren für das politisch isolierte Land mehr als willkommen.

Heute gibt es hier so viele Touristen, dass die Einheimischen anfingen, sich zu wehren. Zum Beispiel, indem sie falsche Wegweiser an Straßen stellen, die die Touristen in die falsche Richtung schicken, oder sie ändern die Angaben der Entfernungen, und statt drei Kilometern erfährt man, dass sein Ziel 50 Kilometer entfernt ist. Die Touristenmassen gehen vielen Einheimischen einfach auf die Nerven. Aber für die Touristenmengen kann vielleicht Großteils auch der auf Mallorca geborene Rafael Nadal verantwortlich gemacht werden, der in seiner Heimatstadt Manacor ein großes Tennis-Trainingszentrum gebaut hat – eine unsere tennisbegeisterte Kollegin konnte sich ein Jahr ohne einen Besuch in Manacor überhaupt nicht vorstellen.

               Mallorca hat jedoch eine viel längere Geschichte. Aufgrund seiner Lage zwischen Hispanien und Gallien, also zwischen Spanien und Frankreich, hatte es genügend Bedeutung, um oft den Besitzer zu wechseln. Zuerst kamen die Römer, die auf der Insel zwei wichtigen Städte gründeten, Palma im Westen und Pollenca im Osten. Die Vandalen plünderten die Insel, aber sie schlossen sie nur formell an ihr Königreich in Afrika an. So konnte sie ohne Probleme von den Byzantinern im Zeitalter von Kaiser Justinian erobert werden. Allerdings war die Insel von Konstantinopel verdammt weit entfernt, und als die Macht Byzanz’ zu schwinden begann, konnten sie die Byzantiner nicht gegen die arabische Expansion verteidigen. Schon zu Beginn des 8. Jahrhunderts waren die Franken hier als Schutzmacht vor arabischen und wikingischen Überfällen tätig, aber im Jahr 903 wurde die Insel letztendlich doch von den arabischen Mauren erobert und dem Emirat Córdoba angegliedert.

               Zum Silvester 1229 mussten die örtlichen arabischen Herrscher vor der Armee Königs Jaume I. von Aragon kapitulieren und ihm die Schlüssel zur Hauptstadt der Insel übergeben, die damals „Medina Mayurka hieß“.

Jaume I

Sein zweitgeborener Sohn Jaume II. machte sich dann im Jahr 1276 selbstständig und schuf aus den Balearischen Inseln ein eigenständiges Königreich. (Darüber wird im Roman „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonc Falcones berichtet). Während seiner Herrschaft erlebte die Insel ihre schönste Zeit, und die meisten monumentalen Gebäude, einschließlich des königlichen Palastes und der Kathedrale „Le Seu“ in Palma, stammen aus dieser Zeit. Sein Neffe Jaume III. wurde dann in der Schlacht bei Llucmajor von seinem Cousin, aragonischem König Pedro, ermordet, und damit ging die Unabhängigkeit Mallorcas zu Ende.

 In den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung war die Mehrheit der Bevölkerung moslemisch. Das das Volk langsam, aber unanhaltsam und ohne Gewalt zum katholischen Glauben übertritt, war Verdienst eines Mannes namens Ramon Llull.

Dieser Priester setzte auf Kommunikation, mehrmals reiste er sogar nach Nordafrika, um dort mit den moslemischen Philosophen zu diskutieren. Er sprach fliesend arabisch, seine Werke schrieb er aber nicht in Latein, wie damals üblich war, sondern im katalanischen Dialekt. Damit gilt er nicht nur als erfolgreicher Missionär aber auch als Gründer der katalanischen Sprache. Sein Denkmal steht in Palma di Mallorca, in der Hand hält er ein Buch. Neben ihm und Raphael Nadal wurde noch der bekannte Bildhauer und Maler Miguel Barceló (geboren 1957).

               Mallorca gehört also zu Spanien, es wird hier allerdings katalanisch gesprochen oder sogar eher der mallorquinische Dialekt, der sich sogar von dem katalanischen unterscheidet. Dass es Unterschiede zwischen den Sprachen auf der Iberischen Halbinsel gibt, habe ich verstanden, nicht nur als mir anstelle des spanischen „solida“ das „sortida“ begegnete, was eher an das französische „sortie“ erinnert, sondern auch daran, dass Jaume die katalanische Form von Jakob ist, was auf Spanisch Diego heißt Wie katalanische Freunde meinem Sohn einmal erklärten, ist Katalanisch zur Hälfte Italienisch und zur Hälfte Französisch, hat aber “überhaupt nichts mit Spanisch zu tun!” Ende des Zitats.

               Es gibt viele Möglichkeiten, wie man einen Urlaub auf Mallorca verbringen kann. Junge Deutsche, die wilde Nächte am Ballermann lieben, werden natürlich in Palma übernachten. Ältere Menschen wie wir und Familien mit Kindern wählen eher den Osten der Insel – die schönsten Strände findet man an der „Playa de Muro“. Auch hier gibt es Hotel neben Hotel, aber die Strände sind öffentlich, und man muss sich eine Liege am Strand von den Einheimischen mieten – die Hotels haben keinen Anspruch darauf. Meine Frau brauchte jedoch keine Liege, als sie einmal ins warme Wasser des Mittelmeers ging, weigerte sie sich, wieder herauszukommen. Unser Hotel war großartig und preiswert, nur hat sich meine liebe Gattin wahrscheinlich bei der Buchung vertan, denn sie wollte ein Hotel ohne Kinder, und es handelte sich in Wirklichkeit um ein Kinderhotel mit vielen kinderfreundlichen Attraktionen und einer Menge Kinder von Windelalter bis zu Jugendlichen. Aber selbst so war es hier sehr bequem mit einem sehr guten Service.

Kairo

„Kairo ist die größte und prächtigste Stadt Ägyptens, der arabischen Welt und Afrikas. Sie hat ihre eigene Atmosphäre, ihren eigenen Charakter, ihren eigenen Zauber. Breite Boulevards mit zehn- und zwanzigstöckigen Gebäuden im modernsten Stil wechseln sich mit verwinkelten Gassen des traditionellen Orients ab. Die Stadt ist geschmückt mit vierhundert Moscheen mit schlanken Minaretten und vierzig Kirchen mit Kreuzen auf den Türmen. Antike Basare in den Gassen liegen neben luxuriösen Geschäftshäusern und malerischen Märkten unter freiem Himmel. Kairo kann mit zwanzig Museen, zehn Theatern, fünf Hochschulen, hundert Parks und Gärten unter Palmen sowie einer der schönsten Uferpromenaden der Welt prahlen.”

Diesen Text schrieb der tschechische Schriftsteller Vojtěch Zamarovský in seinem Buch “Ihre Majestäten die Pyramiden”. Ich gestehe, dass ich Zweifel hatte, ob Zamarovský wirklich die gleiche Stadt besucht hatte wie ich, nämlich Kairo. Aber er war dort im Jahr 1986, als diese Stadt “nur” neun Millionen Einwohner hatte. Heute ist es eine unglaubliche Ameisenkolonie, in der sich zweiundzwanzig Millionen Menschen drängen, und die überwiegende Mehrheit von ihnen ist sehr arm. Dies hat natürlich mit der demografischen Situation zu tun. Als Napoleon im Jahr 1798 nach Ägypten kam, hatte Frankreich 35 Millionen Einwohner, und Ägypten zwei Millionen. Heute hat Frankreich (einschließlich massiver Einwanderung aus der arabischen Welt) 65 Millionen Einwohner, Ägypten 110 Millionen. Ägypten ist zwar ein großes Land mit einer Million Quadratkilometern Fläche, was es auf den 29. Platz weltweit bringt, aber die Bevölkerung drängt sich auf weniger als fünf Prozent dieser Fläche, der Rest ist unbewohnbare Wüste. Die Massen drängen sich also in große Zentren, wo ihr Leben zu einem täglichen brutalen Überlebenskampf wird.

Natürlich, wenn man das moderne Ägypten kennenlernen möchte, sollte man nicht mit einem Reisebüro dorthin fahren. Das haben wir aber getan. Es war also eine Reise nach Ägypten für Anfänger, und ich kann nicht sauer sein, dass wir nur das obligatorische Grundprogramm gesehen haben. Auch wenn unser Führer im Ägyptischen Museum etwas gereizt sagte, dass es für ihn interessant sei, Dinge zu hören, die er normalerweise selbst erzählt. Dann schwieg ich lieber. Aber es war immer noch praktisch, etwas über das alte Ägypten zu wissen. Unser zweiter Führer Mustafa, der uns von Assuan nach Luxor begleitete, war nämlich nicht gerade der fleißigste und gab uns meistens “freie Zeit”, um die Tempel auf eigene Faust zu erkunden, damit er selbst die Zeit im Schatten vor dem Tempel verbringen konnte. Dann waren meine Kenntnisse der ägyptischen Kultur sehr nützlich – ich kann mich rühmen, dass ich zum Beispiel die Kartusche mit dem Namen des Pharaos Ramses lesen kann. Ich werde verraten, dass es ziemlich einfach ist, der Name beginnt logischerweise mit dem Buchstaben “R”, den die alten Ägypter mit einer Sonnenscheibe darstellten, weil diese mit dem Gott Re identifiziert wurde (und Vokale wurden nicht geschrieben). Übrigens war dies der erste Buchstabe, den Jean-Francois Champolion entzifferte, als er das Geheimnis der Hieroglyphen knackte.


            Ein Tourist aus Europa muss sich also mit der Tatsache abfinden, dass er für die von Armut geplagten Ägypter vor allem ein Opfer ist. Nicht Opfer von Raubüberfällen, denn die Kriminalität soll angeblich in Ägypten niedriger sein als in Europa, sondern als Verbraucher von Dienstleistungen, die er meistens gar nicht braucht und will. Sei es der Kauf von Souvenirs, verschiedener Waren (Vorsicht, Kleidung aus der gepriesenen ägyptischen Baumwolle, die auf den Basaren angeboten wird, stammt fast ausschließlich aus China) oder die Fahrt mit dem Taxi oder der Kutsche. Mit Trinkgeld kommt man in die geschlossene koptische Kathedrale genauso wie in den wegen Renovierungsarbeiten geschlossenen Tempel des Gottes Chonsu in Karnak. Einfach gesagt, der Ägypter sieht im bleichen Touristen mit der Kamera um den Hals eine Geldquelle, die ihm das Abendessen sichert. Als wir dort waren, war gerade Ramadan, und die Ägypter durften erst nach Sonnenuntergang essen und trinken, das Mittagessen war also kein Thema. Das galt jedoch nicht ganz. Am ersten Tag haben wir noch mit unserem Führer Hašib ausverhandelt, dass wir nirgendwo zum Mittagessen gehen werden, weil wir auch in der Fastenzeit vor Ostern fasten. Er war davon nicht begeistert, akzeptierte es jedoch unwillig. Am zweiten Tag hat er uns nichts mehr gefragt. Er hat uns einfach mit dem Fahrer zu einem – nicht gerade einladenden – Restaurant gebracht, uns an einen Tisch gesetzt, und bevor wir protestieren konnten, legte das Personal Vorspeisen und dann etwas gegrilltes Hackfleisch und Gemüse vor uns auf den Tisch. Für zwei Portionen und zwei Flaschen Wasser haben wir 38 Euro bezahlt. Das Rätsel des relativ hohen Preises wurde schnell gelöst. Sowohl Hašib als auch der Fahrer nahmen große Plastiktüten voller Essen aus dem Restaurant mit, offensichtlich für das Iftar-Fest während des Ramadans – ich glaube nicht, dass sie etwas bezahlt haben.

            Ich habe festgestellt, dass ich ein verbissener und unangepasster Europäer bin. Wir haben in einem Hotel in der Nähe des Flughafens gewohnt, also weit weg vom Stadtzentrum. Mit dem Taxi könnte man ins Stadtzentrum gelangen. Ein Taxi im Hotel zu bestellen, war kein Problem, aber die Vorstellung, dass ich auch wieder zurückkommen muss, ließ mir den Schweiß auf die Stirn treten. Und dann würde natürlich der Taxifahrer den Preis diktieren. Die Voraussetzung für einen solchen Ausflug ist viel Bargeld, Kreditkarten gelten nicht als Geld. Ein Auto zu mieten und versuchen, ins Stadtzentrum selbständig zu kommen, wäre gleichbedeutend mit einem Selbstmord. Selbst der Reiseführer warnt eindringlich vor solchen verrückten Ideen. Ich schätzte meine Überlebenschancen im Kairo-Verkehr auf etwa dreißig Minuten. Vielleicht hat der Verkehr in der Stadt irgendwelche Regeln, aber wenn es welche gibt, habe ich sie nicht entdeckt – außer, dass man – hauptsächlich – auf der rechten Seite fährt. Vorfahrtrecht gibt es nicht, und an den Kreuzungen gab es zwar Ampeln, aber meiner Meinung nach hatten sie rein dekorativen Charakter. Die Änderung des Lichts an der Ampel hat nichts am Fahren unseres Busses geändert.

Es scheint möglich zu sein, im Stadtzentrum spazieren zu gehen. Ich weiß es nicht, wir haben es nicht geschafft. Aber als wir in Luxor am dortigen Nilufer spazieren gehen wollten, das nur einen halben Kilometer entfernt war, schafften wir es nicht. Durch die Menge der Taxifahrer vor dem Hotel haben wir uns noch irgendwie durchgeschlagen, dann kamen jedoch die Kutscher, die versuchten, uns mit Gewalt in ihre Kutsche zu ziehen. Und als wir Widerstand leisteten, erhielten wir aggressive Beschimpfungen – glücklicherweise auf Arabisch, also weiß ich nicht, wie uns der Kutscher genannt hat – seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war es sicher nichts Schönes. Es blieb uns nichts anderes übrig, als den Versuch eines Spaziergangs aufzugeben und ins Hotel zurückzukehren. Ich hatte einfach nicht die Nerven oder genug Bargeld in der Geldbörse. Ägyptische Pfund sind bei Kutschern oder Taxifahrern nicht besonders willkommen – sie haben viel lieber Dollar oder Euro. Das liegt an der enormen Inflation. Als Ägypten sich im Jahr 1922 unabhängig machte, übernahm es das britische Pfund als seine Währung. Damals hatte es den Wert von fünf US-Dollar. Der aktuelle Wert des ägyptischen Pfunds beträgt drei US-Cent und sinkt ständig.

So habe ich leider weder den Tahrir-Platz noch die schönste Uferpromenade der Welt gesehen. Und das, obwohl wir dem Nil sehr nahegekommen sind – das Ägyptische Museum liegt im Stadtzentrum, und nur das Hilton Hotel trennt es vom Tahrir-Platz. Ich war nicht ausreichend vorbereitet, um genug Druck auf unseren Hašib auszuüben (ich wusste nicht, dass es SO NAHE ist!). Aber wahrscheinlich hätte selbst eine gründliche Vorbereitung nichts an unserem Schicksal geändert. Hašib hatte eine kranke Hüfte und hatte daher nicht vor, auch nur einen Meter mehr zu gehen als nötig, und die Vorstellung, uns ohne persönliche Aufsicht spazieren zu lassen, war für ihn ein Albtraum. Stattdessen stand der Besuch des Basars auf dem Programm – was ich WIRKLICH nicht gebraucht habe – aber es war schwer, sich in der überfüllten Gasse zu verlaufen, was Hašib, der im Auto geblieben war, die Ruhe behalten ließ.

Kairo blieb für mich also ein Ameisenhaufen von Menschen, die in Häusern leben, die teilweise im Entstehen und teilweise im Verfall begriffen sind, viele von ihnen durchlaufen beide Phasen gleichzeitig. Die Sozialwohnungen von Präsident Nasser (mit dem das sozialistische Lager so herzliche Beziehungen hatte, dass er den Ägyptern den Bau des Assuan-Staudamms ermöglichte) waren schreckliche Löcher.

Sozialwohnungen

In einigen fehlte sogar das Dach, aber an der Wand war immer eine Klimaanlage befestigt. Warum eine Klimaanlage in einer Wohnung, die Löcher in den Wänden hat, war mir nicht ganz klar – aber ich habe viele andere Dinge auch nicht verstanden.

Auf meinen Reisen durch Europa gewöhnte ich mir an, häufig John Travolta aus dem Film “Pulp Fiction” zu paraphrasieren, wo er über die Niederlande sagt: “Es ist dort alles wie bei uns, nur gibt es dort kleine Unterschiede.” Dieses Mal konnte ich diesen Satz jedoch nicht paraphrasieren – es gab keine kleinen Unterschiede, nicht einmal große, es war einfach alles komplett anders. Ich hätte sogar einen Gemüsemarkt besuchen können, aber ihn als “malerischen Markt unter freiem Himmel”, wie Zamarovský es genannt hat, zu bezeichnen, würde ich mich nicht trauen. Der Himmel war zwar hoch, aber ich habe dort nichts Malerisches gesehen – nur eine unglaubliche Menschenmenge.

In Kairo gibt es auch moderne Neubaugebiete (am Stadtrand in der Wüste, da es in Ägypten gesetzlich verboten ist, auf fruchtbarer Erde zu bauen) und sogar Siedlungen mit großen Erholungsparks – in Richtung Gizeh, wohin eine siebenspurige Autobahn führt. Wie viele Bewohner von Kairo sich jedoch einen solchen Luxus leisten können, kann ich nicht abschätzen. Es schien, dass viele dieser Wohnungen leer standen, obwohl die Gebäude fertig waren. Das ist ein ziemlich seltsamer Zustand, die meisten Häuser (auch Hotels) werden nie fertiggestellt. Für ein unfertiges Haus muss nämlich (ähnlich wie in der Türkei oder auch in Griechenland) keine Grundsteuer gezahlt werden. Daher ragen an der Spitze immer Drähte in den Himmel, als Zeichen, dass der Besitzer plant, ein weiteres Stockwerk hinzuzufügen – und das kann Jahre, Jahrzehnte oder vielleicht sogar eine Ewigkeit dauern.

Auf dem Weg ins Zentrum passierten wir die “Stadt der Toten”, also den zentralen Friedhof.

Es erstreckt sich über eine riesige Fläche von mehreren Quadratkilometern – jede Familie hat ihr kleines Haus, in dem sich zwei Massengräber befinden, eines für Männer und eines für Frauen. Männer dürfen also selbst nach dem Tod nicht mit Frauen vermischt werden – vielleicht, damit sie zumindest nach dem Tod etwas Ruhe haben. Diese Häuser unterscheiden sich sehr in Größe und Qualität – einige von ihnen ähneln auffällig Nasser’schen Sozialwohnungen, während bedeutende Männer sich Paläste bauen ließen, sogar mit Moscheen. Über der Stadt der Toten erheben sich viele von ihnen.

Die Dominante des historischen Kairos ist die Festung, die hier der legendäre Herrscher und Eroberer von Jerusalem Saladin (arabisch Salah-al Din) von 1173 bis 1186 errichten ließ.

Die Festung steht noch ein wenig – sie wurde 1992 durch ein Erdbeben beschädigt. Dieses Erdbeben hatte zwar eine Stärke von “nur” 5,8 auf der Richter-Skala, also in Tokio würde sich kein Blatt bewegen, aber in Kairo führte es zu 500 Toten und 50.000 Obdachlosen. Um ehrlich zu sein, schienen mir auch die heutigen Häuser – mit Ausnahme der Gebäude staatlicher Ämter, Museen und Krankenhäuser – nicht besonders erdbebensicher zu sein. Die Ägypter haben es in dreißig Jahren immer noch nicht geschafft, diese Saladin-Festung zu reparieren, sie warten anscheinend darauf, dass es jemand anders für sie tut. Die Dominante ist die sogenannte “Alabastermoschee” oder die Moschee von Muhammad Ali.

Alabastesermoschee

Nein, es handelt sich nicht um den berühmten amerikanischen Boxer, der ursprünglich Cassius Clay hieß, sondern um den Gründer der modernen ägyptischen Königsdynastie. Die Ägypter haben eine zwiespältige Meinung über ihn. Sie sprechen von ihm als “dem Albaner, den die Franzosen nach Ägypten gebracht haben”, können ihm aber nicht absprechen, dass sie diesem Mann viel zu verdanken haben. Vielleicht auch für diese Dominante, die über der Stadt aufragt. Die Verkleidung aus Alabaster, die ursprünglich die ganze Moschee bedecken sollte, ist jedoch unvollendet, weil die Nachkommen dieses Königs nach seinem Tod das ursprüngliche Projekt einfach ignorierten.

Ägypten verlor seine Unabhängigkeit im Jahr 1517, als es von den Türken erobert wurde und Sultan Selim (mit dem Beinamen „der Eroberer“ in der europäischen und „der Dichter“ in der moslemischen Tradition, was sich angeblich nicht widerspricht) den letzten mamelukischen Herrscher Tuman brutal ermorden ließ. Nachdem Ägypten von den französischen Truppen Napoleons erobert wurde – und sie den dort lebenden Arabern zeigten, auf welchem Schatz sie saßen, ohne etwas über seinen Wert zu wissen – und diese dann von den Briten vertrieben wurden, setzte sich in den politischen Kämpfen eben jener “Albaner” Muhammad Ali durch. Im Jahr 1805 lud er die Eliten der Mameluken zu einem Abendessen ein, was die herrschende Kaste der ägyptischen Gesellschaft war, und ließ sie alle massakrieren. Danach balancierte er geschickt zwischen der türkischen Regierung der “Großen Pforte” in Istanbul (weil Ägypten formal ein Teil des Osmanischen Reiches blieb) und den Briten, unter deren Schutz (Protektorat) er seinen Einfluss auf Jordanien und Syrien erweiterte und dessen Armeen sogar mehrmals vor Konstantinopel standen – also vor Istanbul.

So gründete er eine neue ägyptische regierende Königsdynastie, die erst 1952 durch einen Putsch der Offiziere endete, die den letzten König Faruq zwangen abzudanken. Der erste “Präsident” wurde Abdul Nasser mit einer Neigung zum kommunistischen Lager, gefolgt nach seinem Tod von Anwar Sadat, der eine Annäherung an USA suchte und sich mit Israel versöhnte, was ihm das Leben kostete. Nach dem Attentat auf ihn im Jahr 1981 begann die dreißigjährige Ära von Husni Mubarak, die mit dem “Arabischen Frühling” im Jahr 2011 endete. Nachdem die Ägypter bei freien Wahlen islamische Fanatiker unter der Führung des erstmals demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gewählt hatten, der das Land innerhalb eines einzigen Jahres seiner Amtszeit in politische Isolation und wirtschaftlichen Zusammenbruch führte, übernahm die Armee erneut die Kontrolle. Nachdem General Al Sisi die Uniform abgelegt hatte, wurde er  zum Präsidenten “gewählt”, und sein Bild ist jetzt an allen Ecken und Regierungsgebäuden zu sehen.

In Kairo gibt es wirklich viele große Moscheen. Zum Beispiel die Al-Hasana-Moschee, wo der iranische Schah Reza Pahlavi begraben liegt. Nach seiner Flucht aus dem Iran nach der Revolution von 1978 fand er schließlich Asyl gerade in Ägypten, wo er 1980 an Prostatakrebs starb. Mir hat besonders die Ibn-Tulun-Moschee gefallen, die auch die größte ist. Keine von ihnen ist jedoch für Touristen und erst recht nicht für Christen frei zugänglich, auch nicht barfuß. Fotografieren konnten wir sie von außen.

Normalerweise reist ein gewöhnlicher Tourist nach Kairo, um das ägyptische Museum und die Pyramiden von Gizeh und Sakkara zu besuchen. Dieses Programm haben wir erfolgreich absolviert. Natürlich ist das ägyptische Museum etwas ganz Besonderes.

Man konnte viel über Ägypten lesen und Fotos und Filme anschauen, aber wenn man vor diesem Stuhl steht, auf dessen Lehne die Frau von Pharao Tutanchamun seine Schulter mit Öl einreibt, ist das Erlebnis mit diesen Bildern nicht vergleichbar. Ich hatte dieses Bild des Stuhls vielleicht schon hundertmal auf Fotos gesehen, aber die Realität hat mich dennoch umgehauen. Ich konnte dort fotografieren (im Gegensatz zu dem Saal, in dem die goldene Totenmaske von Tutanchamun ist), aber als ich mir später das Foto ansah, war es eine riesige Enttäuschung. Einige Dinge muss man einfach live sehen.

Das gilt auch für die Pyramiden. Heutzutage stehen sie eigentlich schon in der Stadt oder am Stadtrand (Gizeh ist bereits mit Kairo zu einem Komplex verschmolzen).

Aus der Ferne wirken sie nicht besonders beeindruckend, aber wenn man zu ihnen kommt und ihre Größe begreift (eine Reihe von Steinen, die 17 Tonnen wiegen, in der untersten Reihe ist so hoch wie ein Mensch – nun ja, wie meine Frau, ich überragte sie etwas). Wer will, kann sogar in die Pyramide treten – entweder in die von Cheops (Khufu) oder die von Chefren (Khafre) – die zweite ist billiger und die Tickets leichter zu bekommen.

Im Inneren der Cheops-Pyramide, neben dem Sarkophag des Pharaos, wo der anwesende Araber gerne ein Foto von Ihnen für Trinkgeld macht, befinden sich die Graffiti des ersten Archäologen und Grabräubers Giovanni Belzoni, der hier am 2. März 1818 ankam. Es ist etwas schwieriger sich vorzustellen, wie diese Pyramiden aussahen, als sie neu waren. Ihre Oberfläche war nämlich mit Kalksteinplatten bedeckt, die die Sonne reflektierten und weiß in die Ferne leuchteten, und ihre Spitzen waren mit Gold geschmückt. Außerdem stehen die Pyramiden auf einer Anhöhe über dem Nil-Tal, das Ihnen zu Füßen liegt, mit seinen Palmen, Feldern und Wohngebieten. Eine wirklich atemberaubende Vorstellung. Aber nur eine Vorstellung.

Die berühmte Sphinx ist ein Stück weiter – sie bewachte den Zugang zu den Pyramiden und sollte Diebe abschrecken.

Das ist ihr nicht gelungen. Bei ihr gibt es ein Städtchen voller Geschäfte und Souvenirstände. Von weitem sah das Hotel Cleopatra schön aus. Aus der Nähe, wenn man sieht, wie viel Müll und Schmutz vor seinem Eingang liegt, eher abstoßend.

Die heutigen Ägypter betrachten sich zwar als Nachkommen der antiken Ägypter, die diese unglaublichen Werke gebaut haben, haben jedoch nur sehr wenig mit ihnen gemeinsam. Diese alte Kultur verschwand zuerst unter dem Sand, um dann in die Museen zu wandern, und von der Atmosphäre der einstigen einer der beiden ältesten Kulturen der Welt spürt man nicht viel. Sie werden bald verstehen, dass die Ägypter zu diesen Denkmälern eine rein kommerzielle Beziehung haben, nicht aber die emotionale, die man von den Nachkommen einer uralten Kultur erwarten würde. Die Universität von Kairo hat Fakultäten, die angeblich alle Sprachen der Welt unterrichten – sogar die Fakultät für Bohemistik hat angeblich ganze 198 Studenten. Es geht nur darum, die Sprache gut genug zu lernen, damit der Ägypter Touristen in ihrer Sprache führen kann. Die Ergebnisse sind manchmal zweifelhaft. Unser Führer Mustafa behauptete stolz, Germanistik an der Universität Kairo studiert zu haben. Sein gebrochenes Deutsch entsprach meinem etwa aus den Jahren 1998/1999. Aber es blieb nichts anderes übrig, als zufrieden zu sein. Wir waren Touristen mit einem Standardprogramm – wenn ich mehr wollte, müsste ich wahrscheinlich einen privaten Führer bestellen – und bezahlen. Ich weiß nicht, ob ich es versuchen werde. Auch wenn mich der Tahrir-Platz, die Nilpromenade, das Parlamentsgebäude oder der Palast von König Faruq sehr reizen würden. Oder die zweitgrößte Stadt Ägypten, die Alexandria. Aber nur mit einem eigenen Taxi und ohne Kutschenfahrer.

Mauritius II

Mahé de Labournais erschuf auch eine weitere große Attraktion der Insel. Er hatte nämlich kein Interesse daran, sein Leben in den stinkenden Straßen des Hafens von Port Louis zu verbringen, und ließ sich daher im Jahr 1736 in der Stadt Pamplemousses ein Schloss mit dem vielversprechenden Namen “Mon Plaisier” also “Mein Vergnügen“ oder „Mein Genuss” bauen.

Das Schloss steht dort zwar immer noch (obwohl von den Engländern umgebaut), würde aber die Besucher allein nicht anlocken. Aber der freundliche Gouverneur ließ auf dem 209-Morgengroßen-Grundstück mithilfe von Sklaven aus Madagaskar einen Garten anlegen. Zwar hatte er hier hauptsächlich Obstbäume und ließ Gemüse für seine Küche anbauen, aber 1767 übernahm der wirkliche Biologe Pierre Poivre die Verwaltung und ließ aus dem Gemüsegarten einen botanischen Garten entstehen, der zu einer der wichtigsten Attraktionen der Insel wurde. Bis 1785 ließ Poivre hier 600 verschiedene Pflanzenarten pflanzen. Poivre verdiente sich dafür seine Büste, die sich im Zentrum des Gartens befindet. Hier kann man rosa und weiße Lotusblumen bewundern, Wasserhyazinthen, riesige Wasserlilien aus dem Amazonas, alle Arten von Palmen, sogar eine, die nur alle dreißig Jahre blüht (sie heißt Talipot, und ich hatte Glück, dass sie gerade blühte). Aber es gibt auch Zimtbäume, Nelken, Muskatnuss, Vanille (die nur als Parasit an Bäumen wächst), Brotfrucht, Mango und viele andere Früchte. Mahagoni- und Ebenholzbäume sind ebenfalls vorhanden, sowie der sogenannte “Blutende Baum” mit rotem Harz, das angeblich zur Behandlung von Ekzemen verwendet wird, und natürlich der Baobab. Es lohnt sich auf jeden Fall, neben dem Eintrittsgeld auch für ein kleines Honorar  einen Führer zu nehmen. Sie sind meistens Showmänner, die die Besucher wirklich für ein Euro unterhalten. Sie sprechen alle Sprachen, auch wenn der Unterschied schwer zu identifizieren ist. Trotzdem, als er uns zum Schloss mit der Anweisung “Mak foto and kom bak,” schickte, konnte ich seiner Anweisung mehr oder weniger folgen. Französisch kommt den Einheimischen eben doch besser von den Lippen.

Der weiße Lotus

Übrigens wird das Pflanzen von Bäumen fortgesetzt. Offensichtlich muss jeder Staatsmann, der Mauritius besucht, nach Pamplemousses gehen und eine Schaufel in die Hand nehmen. Schon 1956 pflanzte Prinzessin Margaret hier einen Baum, 1998 folgte dem Beispiel auch Prinzessin Anne. Außerdem pflanzten hier Indira Gandhi, Nelson Mandela, Francois Mitterand, aber auch der gangsterhafte Präsident von Simbabwe, Mugabe. Und natürlich darf auch der Vater der Nation, Seewoosagur Ramgoolam, nicht fehlen, der hier am 12. März 1973 einen Baum gepflanzt hat. Nach ihm ist der ganze Garten übrigens benannt, also SSRBG (Sir Seewoosagur Ramgoolam Botanischer Garten).

In Pamplemousses ist auch die örtliche Kirche St. Franziskus sehenswert, und auf dem angrenzenden Friedhof liegt der Beichtvater von Kaiser Napoleon, Abbé Buonavita, der Napoleon nach St. Helena begleitete und nach dem Tod des Kaisers nach Mauritius umzog, wo er auch starb. Und Vorsicht, in Pamplemousses gibt es auch das Café “Wiener Walzer”. Neben dem Sacherkuchen wird hier aber auch Curryhühnchen angeboten.

Im Gegensatz zum stark bewohnten Norden und Zentrum der Insel ist der Süden nur sporadisch besiedelt. Vielleicht liegt das daran, dass es hier viel mehr regnet. Luxushotels und Golfplätze finden Sie hier natürlich auch (Der österreichische Film „O Palmenbaum“ wurde im Süden unter dem Berg Le Morne Brabant gedreht.) Im Südwesten befindet sich der Bezirk “Black River”. Der Fluss dieses Namens mündet in Tamarin ins Meer, sein Wasser ist jedoch nicht schwarz. Der Name geht auf eine historische Tatsache zurück. Gerade in der fast unbewohnten Gegend um diesen Fluss suchten entflohene Sklaven von den Zuckerrohrplantagen Zuflucht. Und die Sklaven aus Madagaskar waren – wenn man das heute noch schreiben kann – schwarz. Heute ist der Black River das größte Naturschutzgebiet auf Mauritius.

Und es gibt hier viel zu sehen. Die größte Attraktion ist der hinduistische heilige See Grand Bassin. Im Jahr 1897 hatte der hinduistische Priester Shri Jhummon Giri Gosagne (ich hoffe, ich habe den Namen richtig geschrieben, mit diesen indischen Namen habe ich einige Probleme) die Vision, dass das Wasser im Kratersee im Zentrum der Insel den gleichen heiligen Wert hat wie das Wasser des Ganges, wohin sich Hindus regelmäßig zur rituellen Reinigung begeben. Offenbar hatten die hinduistischen Einwohner der Insel keine Lust, mit dem Schiff nach Indien zum rituellen Bad zu fahren – schließlich konnten sich das nur die Wenigsten leisten. Heutzutage könnten sie viel einfacher nach Kalkutta fliegen, aber sie bevorzugen immer noch die jährliche Pilgerreise zum Grand Bassin. Angeblich versammeln sich hier während des heiligen Frühlingsfestes Maha-Shivaratree binnen einer Woche bis zu 600.000 Menschen. Am Anfang des Geländes stehen riesige Statuen der Götter Shiva und Durga.

Die Göttin Durga

Sie sind 34 und 37 Meter hoch, wobei die Durga, die immer mit einem Löwen abgebildet wird, da sie eine Kämpferin gegen alles Böse ist, größer (und jünger) ist. Der heilige See ist ein Stück weiter entfernt, alle Menschen haben einen freien Zugang zu seinem Ufer. Im Gegensatz zu Muslimen hindern Hindus auch ungläubige Touristen nicht am Betreten des Tempels, wo sie sogar den Segen des Priesters erhalten können. Der Priester möchte nur wissen, woher die Person kommt, sein Verhältnis zum Hinduismus interessiert ihn nicht, und dann zeichnet er heilige Zeichen auf die Stirn der Person. Nur Schuhe müssen – genauso wie in einer Moschee vor dem Eingang abgelegt werden. Im See befinden sich Statuen weiterer Götter, auch die Heilige Dreifaltigkeit Trimurti, die den Schöpfer Brahma, den Zerstörer Shiva und den Beschützer Vishnu darstellen. Es gibt angeblich viele Fische im See, aber sie dürfen nicht gefangen werden, sie sind genauso heilig wie das Wasser, in dem sie schwimmen. Auch ein Fisch muss bei seiner Geburt den richtigen Ort wählen können um in Sicherheit zu leben.

Die hinduistische Trinitas, Brahma, Vishna und Schiva

Eine weitere Route führt nach „Plaine Champagne“ – eine Hochebene, von der aus die höchsten Berge der Insel aufragen. Sie erreichen jedoch nur eine Höhe von etwas über 800 Metern über dem Meeresspiegel, in Gegenteil zu Reunion gibt es auf Mauritius keine höheren Berge. Aber es reicht. Von der Aussichtsterrasse aus kann man bis zum Meer und zum Wasserfall des Flusses Black River schauen. Dann geht es serpentinenartig in das Dorf Chamarel. Entlang der Straße befindet sich die echte mauritische Flora, die anderswo auf der Insel längst durch importierte Pflanzen ersetzt wurde. Hier dominiert daher noch immer die einzige Palme, die auf der Insel vor der Ankunft der Menschen wuchs – die Flachpalme. Alle anderen, einschließlich der Kokospalme, die auf der Insel am häufigsten vorkommt, sind Importe. Sie gedeihen jedoch hervorragend im lokalen Klima, es gibt so viele Kokosnüsse, dass überall Schilder vor ihnen warnen – “Beware of falling Coconuts”.

Das Dorf Chamarel hat mehrere Attraktionen. Erstens ist es das Dorf, nach dem der bekannteste mauritische Rum benannt wurde. Das allein würde dem Ruf des Dorfes genügen, aber der Mensch lebt nicht nur von Rum. Chamarel ist auch der einzige Ort, an dem Kaffee angebaut wird. Auf der Plantage nahe des Dorfes wird 100% Arabica produziert – das als Souvenir gekauft werden kann, ist aber ziemlich teuer. Die Restaurants in Chamarel bieten einen wunderschönen Blick auf die Westküste, und deshalb machen Touristengruppen hier gerne halt für das Mittagessen. Dann erwartet sie die Hauptattraktion, der „Seven Colored Earths“. Hier hat der Vulkan wirklich schön und kreativ gespielt. Der Boden, der hart genug ist, um auch den Zyklonen zu widerstehen, hat einen hohen Gehalt an Eisen und Aluminium. Diese beiden Metalle, oder genauer gesagt ihre Verbindungen, vermischen sich in verschiedenen Verhältnissen, so dass auf kleinem Raum die unterschiedlichsten Farbtöne entstehen, von Rot über Braun, Violett, Grün, Purpur, Blau und Gelb. Es sollen sieben sein und ich möchte es glauben, aber ich habe auch Grau und Weiß gesehen. Diese zählen vielleicht nicht, sie sind zu gewöhnlich.

Der Anblick ist wirklich erstaunlich. Um es ein wenig aufzulockern, haben die Einheimischen einen Auslauf für riesige Schildkröten eingerichtet (wenn man bei diesen Tieren ihre Bewegung überhaupt als Laufen bezeichnen kann), die nicht einheimisch sind, da die Kolonialherren die ursprüngliche Population dieser Schildkröten auf Mauritius ausgerottet und verspeist haben. Dann kam jedoch Charles Darwin, entschloss sich zu experimentieren und brachte neue riesige Schildkröten von den Seychellen mit. Er wollte wissen, ob sich die Tiere an die neuen Lebensbedingungen anpassen würden. Sie haben sich angepasst, und wie! Sie erreichen bis zu einem Meter Länge und leben 150 Jahre lang. Die ersten, die sich noch an Darwin erinnern könnten und um 1880 nach Mauritius kamen, haben gerade jetzt ihr Alter erreicht und bald erinnert sich niemand mehr an Herrn Charles persönlich.

Im äußersten Südwesten der Insel befindet sich eine große Attraktion – der Berg Le Morne Brabant. Dieser Berg befindet sich auf einer Landzunge, die ins Meer ragt, was ihm einen unverwechselbaren Charme verleiht.

Hier ereignete sich die Tragödie, nämlich der Massenselbstmord der Sklaven im Jahr 1834, als die Engländer ihnen die Freiheit in ihrer unverständlichen Sprache verkündeten. Dieses Ereignis wird hier durch ein Denkmal aus dem Jahr 2009 erinnert. Heutzutage werden auf der Halbinsel ständig neue Hotels gebaut, denn hier gibt es schöne Strände und einen Golfplatz. Die eigentliche Attraktion ist jedoch der Berg, der wie ein unüberwindlicher Felsen über der Halbinsel aufragt. Er kann erklommen werden, ein Weg führt zum Gipfel. Die offizielle Information lautete, dass es erlaubt ist, nur den Weg bis zu einem Aussichtspunkt etwa zweihundert Meter über dem Meer zu besteigen, und zum Gipfel sollte man mit einem Führer gehen. Sogar das Video im Internet sah ziemlich gefährlich aus und verursachte meiner Frau Angst. Sie wies mich darauf hin, dass unser drittes Enkelkind bald in Wien geboren wird und “Opa wird gebraucht.” Also suchte ich nach Hilfe für Familienfrieden und fand einen gewissen Tomáš Naňák, der auf Mauritius lebt und solche Dienstleistungen anbietet – meine Frau konnte sich nämlich nicht vorstellen, dass ich alleine auf den Gipfel klettern würde. Wir kontaktierten das Reisebüro Likexpats, erhielten jedoch die Antwort, dass die Mindestteilnehmerzahl zwei Personen und der Preis auch bei einem Teilnehmer 400 Euro beträgt. Also machte ich mich alleine ohne Führer auf den Weg. Im Gegensatz zu den Gerüchten, die mir im Hotel erzählt wurden, gab es dort kein Verbot, den Gipfel ohne Führer zu besteigen. Es wird nur empfohlen, dass es sich um einen erfahrenen Bergsteiger und kein Kind handelt, der ein angemessenes Schuhwerk und genug Wasser hat. Ich kam zu dem Schluss, dass ich alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllte (meine Wanderstiefel habe ich zehn Stunden im Flugzeug transportiert. Sie nahmen die Hälfte meines Koffers ein, und es wäre also schade, sie nicht zu benutzen), und so erklomm ich den Gipfel. Es war eine Wanderung “leicht bis etwas schwer” – auf jeden Fall war “Hilfe der Hände notwendig für den weiteren Fortschritt”.

Aber ich habe in meinem Leben bereits schlimmere Berge bestiegen. Die Belohnung war eine erstaunliche Panoramaaussicht vom Berg über das Land bis zum Meer und zu dem den Insel umgebenden Korallenriff – einfach wie ein Traum, aus dem man nicht aufwachen möchte. Ich wollte von dort nicht weggehen, es war einer der schönsten Bergaufstiege in meinem Leben – vielleicht sogar der allerschönste. Aber meine Flasche mit 1,5 Litern Wasser war knapp bemessen. Bei Temperaturen bis zu dreißig Grad und einer Luftfeuchtigkeit von über neunzig Prozent schwinden die Kräfte schneller als in den Alpen, man schwitzt viel und der Wasserbedarf ist groß. Gott sei Dank breitete sich über meinem Kopf gnädig eine riesige Wolke aus, die die Sonnenhitze dämpfte. Also wenn man nach Mauritius reist, sollte man die Wanderschuhe nicht vergessen. Der Aufstieg, so anstrengend er auch sein mag, lohnt sich auf jeden Fall.

Und – bevor ich es vergesse, ich habe versprochen, noch die romantische Geschichte über das mauritische „Romeo und Julia Paar“ zu erzählen, nämlich in der örtlichen Ausführung über Paul und Virginie. Dieses Versprechen werde ich natürlich einhalten. Die Geschichte erzählt von einer unerfüllten Liebe des armen Jungen Paul und Virginie, des Mädchens aus einer reichen Familie. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, und ihre Kindheitsfreundschaft entwickelte sich zu einer leidenschaftlichen Liebe. Virginies Eltern erschraken jedoch, weil sie für ihre Tochter einen anderen Bräutigam im Sinn hatten als den armen Paul. Sie schickten also ihre Tochter zum Studium nach England und hofften, dass die Jugend darüber hinwegkommen würde. Aber das geschah nicht. Virginie konnte es in England ohne Paul nicht aushalten (vielleicht spielte auch das Wetter eine Rolle, das man wirklich nicht mit dem sonnigen Mauritius vergleichen kann), sie schiffte sich heimlich auf das Schiff namens „Saint Géran“ ein und begab sich damit auf den Weg zu Paul nach Hause. Aber einige Kilometer von der Küste entfernt zerschellte das Schiff, als es auf das Korallenriff fuhr, brach in zwei Hälften und die Besatzung sowie die Passagiere ertranken. Nur neun Menschen überlebten, darunter war nicht Victoria. Paul fand nur ihren Leichnam, und kurz darauf starb er selbst – an einem gebrochenen Herzen.

Paul und Virginia

Diese Geschichte hat sich Mauritius bereits angeeignet und ist Teil seiner Kultur. Das Denkmal von Paul und Virginie findet man in Curepipe und in Port Louis. Die zwei liebenden waren auch im botanischen Garten in Pamplemousses, dort blieb nur der Sockel von ihnen übrig, die Statuen sind jetzt in der Kirche. Hotels und Restaurants tragen ihre Namen, und in der Stadt Tamarin ist sogar die Grundschule nach ihnen benannt.

Die ganze Geschichte hat nur einen Haken: Sie ist nie passiert. Auf dem Schiff Saint Géran mit einem Verdrängungsgewicht von 600 Tonnen, das am 24. März 1744 tatsächlich vor der Nordküste der Insel versank, kamen zwar drei Mädchen ums Leben, aber keines von ihnen hieß Virginie. Die Passagierlisten sind erhalten geblieben. Die neunzehnjährige Marie Anne Mallet, die sechzehnjährige Louise Augustine Callou und die zwölfjährige Jeanne Heléne Neiznein sind gestorben. Aber im Jahr 1768 kam der Schriftsteller Jaques-Henri Bernardin de Saint Pierre auf Mauritius an, und als er von der Schiffstragödie erfuhr, küsste ihn die Muse. Er verfasste also einen Roman über die Tragödie zweier jugendlicher Verliebter, und das im Jahr 1788 veröffentlichte Buch wurde zum Bestseller und anschließend ein integraler Bestandteil der mauritischen Kultur. Wenn interessiert schon, ob Paul und Virginie wirklich gelebt haben?

Glaubt vielleicht jemand wirklich, dass Julia Capulet sich tatsächlich in Romeo Montague verliebt hat?

Mauritius I

Die Insel ist für den Winterurlaub wie geschaffen – auf Mauritius ist nämlich während unserer Winterzeit Sommer. Bitte versuchen Sie nicht, wie meine Frau, im November auf Mauritius warme Winterkleider für die Enkelinnen zu kaufen. Ihre Bemühungen wurden nur mit ungläubigem Kopfschütteln belohnt, auch wenn wir in Port Louis ein etwa zweijähriges Kind mit einer warmen Mütze gesehen haben. Der ideale Beginn des Sommers ist also im November (dortiger Mai), denn mögliche Zyklone treten erst auf, wenn der Indische Ozean Temperaturen über 26 Grad erreicht, was normalerweise erst gegen Ende Dezember der Fall ist. Aber selbst von einem Zyklon wird man nicht am Strand überrascht, denn auf Mauritius gibt es ein sehr gutes Frühwarnsystem. Allerdings ist es auch nicht der ideale Urlaub, wenn draußen ein Sturm wütet und man einige Tage im Hotel verbringen müsste. Also am besten im November oder Anfang Dezember hinfliegen.

Mauritius ist von einem Korallenriff umgeben, was gleich mehrere Vorteile hat. Erstens gelangen Haie nicht durch das Riff, was den Badegästen ein Sicherheitsgefühl gibt. Es erreichen auch keine Wellen das Ufer, weil das Riff wie ein zuverlässiger Wellenbrecher wirkt. Das ist wiederum ideal für meine Frau, die gerne badet. Sie nennt das „člupkanie“, was schwer ins Deutsch zu übersetzen ist. Man könnte das als Genießen des Aufenthaltes im warmen Wasser beschreiben, vom Schwimmen ist diese Tätigkeit allerdings sehr weit entfernt. Und schließlich ist es eine ideale Situation für Touristen, die gerne tauchen. In jedem Hotel gibt es eine Tauchschule, und Boote bringen begeisterte Taucher zum besagten Korallenriff, damit sie sich erfreuen können. Übrigens ist das Wasser zwischen dem Ufer und dem Riff am Nachmittag bei Ebbe so flach, dass man fast bis zum Riff auf dem Meeresboden gehen kann. Es wird jedoch empfohlen, Badeschuhe zu tragen, da es am Boden Seeigel gibt und auch die harten Korallen sind nicht gerade angenehm zu betreten. Es ist auch ziemlich sinnlos, Muscheln am Strand zu suchen, denn dort gibt es keine, höchstens Bruchstücke von Korallen. Die Muscheln oder Korallen dürfen übrigens nicht von Mauritius ausgeführt werden, auch wenn man sie im Laden gekauft hat und dies beim Zoll nachweisen kann. Selbst dann werden die Muscheln oder Korallen beschlagnahmt, und man erhält auch noch eine saftige Strafe.

Etwas schlechter als Schwimmer haben es Surfer, aber auch sie finden Destinationen, wo sie auf Wellen stoßen. Das ist in der Nähe der Stadt Tomatin an der Westküste der Fall, wo der Black River ins Meer mündet. Das hat anscheinend zur Folge, dass das Riff hier unterbrochen ist und somit Wellen entstehen, die angeblich für den Spaß der Surfer ausreichen. Es gibt auch einen Campingplatz, aber der Strand selbst lädt nicht gerade zum Baden ein. Zumindest mich hat er nicht gelockt.

Der Strand von Tamarin

Was sollen aber Besucher auf Mauritius tun, die auch andere Interessen als das Baden im warmen Wasser des Indischen Ozeans haben? Also Menschen wie mich! Überraschenderweise finden auch sie genügend Aktivitäten, sie müssen nicht einmal auf einem der sieben Golfplätze spielen, die auf der Insel ganzjährig im Beitrieb sind. Ich habe jedoch genug Golfer gesehen. Die Problematischen, die alle Schläger mitgebracht haben und dann auf eine besondere Behandlung bestanden, sowie auch die Problemlosen, die sich einfach die Ausrüstung vor Ort ausleihen. Ich denke, die zweite Variante ist einfacher, zumindest hat mir das eine Kollegin aus Kärnten gesagt, die neben mir im Flugzeug saß.

Die Insel hat grundsätzlich zwei Hauptstädte. Die offizielle Hauptstadt ist Port Louis, aber das ist nur die Metropole für die arbeitende Klasse. Die Stadt selbst hat 150.000 Einwohner, weitere 200.000 pendeln hierher täglich zur Arbeit. Dies führt jeden Morgen zu unglaublichem Verkehrsstau auf den Zufahrtsstraßen (und nachmittags auf den Ausfahrtsstraßen). Die Mauritier gehen zwar mit der Zeit ziemlich nachsichtig um, aber das alltägliches Verkehrschaos ist oft sogar für ihre belastbaren Nerven zu viel. Reiche Leute wohnen daher lieber in Curepipe. Die Stadt liegt etwas abseits von der Küste, auf einem Hügel um einen erloschenen Vulkan. Dort befinden sich Luxusvillen, Residenzen und die meisten Botschaften, vor allem die französische und die britische, um nur die beiden wichtigsten zu nennen. Damit diese Privilegierten nicht mit dem Auto nach Port Louis fahren müssen, wurde in den letzten drei Jahren eine Verbindung mit einem Schnellzug zwischen diesen Städten geschaffen. Die Einheimischen nennen es stolz “Metro”, obwohl es nirgendwo unterirdisch fährt. In Port Louis hat es Haltestellen am Hafen an der sogenannten “Watterfront”, dem modernsten Teil der Stadt, der durch zwei Unterführungen mit der “Harbourfront” verbunden ist, wo sich Banken und die wichtigsten Unternehmen und Behörden in Hochhäusern befinden.

Port Luis Watterfront

Damit ist also für den Komfort der Wohlhabenden gesorgt, die einfache Bevölkerung kämpft täglich auf den überfüllten Autobahnen am Stadteingang.

Die Einheimischen behaupten, dass dieser Schnellzug in Zukunft die ganze Insel verbinden soll, aber in Curepipe scheint der Bau irgendwie ins Stocken geraten zu sein. Vielleicht fehlt das Geld oder die Motivation. Oder beides. Obwohl die Insel nicht groß ist, erfordern Transporte eine gewisse Zeit und die damit verbundene Geduld. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit beträgt etwa 30 Kilometer pro Stunde, sodass man bei der Fahrt vom Flughafen nach Port Louis, das etwa 45 Kilometer entfernt ist, mit anderthalb Stunden rechnen muss. Auch Taxifahrer halten sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit, da Strafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen vor Ort ziemlich drakonisch sind. Sie beginnen bei 2000 Rupien, das ist 40 Euro, was bei einem durchschnittlichen Gehalt von 18.000 Rupien ziemlich viel ist. Und es gibt keine Toleranz, es muss also auch für eine Überschreitung der Geschwindigkeit um nur einen einzigen Kilometer gezahlt werden.

In Curepipe wird Touristen der erloschene Vulkankrater gezeigt, der sich auf einem Hügel unterhalb der Wetterstation befindet.

Es ist ein frequentierter Treffpunkt aller von Reisebüros organisierten Ausflügen. Zum Pflichtprogramm gehört auch der Besuch der Manufaktur für Erzeugung der Schiffsmodelle. Die Modelle werden hier von Hand hergestellt, und man wird durch die Werkstatt geführt, um dazu verleitet zu werden, zumindest eines der Modelle zu kaufen. Neben Titanic oder Victory gibt es auch Black Bird aus den „Pirates of the Caribbean“. Außerdem wird man wahrscheinlich nicht um den Besuch des Betriebes für Weinerzeugung „Takamaka“ herumkommen. Auf Mauritius kann nämlich keine Weinrebe angebaut werden, der heimische Wein wird also aus Trauben aus Südafrika hergestellt – und ist entsprechend teuer. Daher suchte der Unternehmer Alexander nach Früchten, aus denen er Wein machen könnte, und stieß auf Litschi. Der Wein reift hier drei bis sechs Monate, für einen verwöhnten Österreicher wie mich, der trockenen Wein liebt, war das jedoch nichts, was ich bereit war zu kaufen, es war für mich zu süß und ich fühlte mich von Sodbrennen gefährdet. Allerdings die mit uns reisenden Deutschen, die liebliche Weine mögen, kauften den Wein in großen Mengen ein.

Nach Port Louis können Sie auch mit dem Bus gelangen. Die Busverbindung ist gut und günstig. Für zwei Personen von Flic en Flac nach Port Louis zahlten wir 88 Rupien, also ein Euro und vierzig Cent. Für beide Personen zusammen wohlbemerkt! Im Bus sieht man auch das, was für Mauritius typisch ist – eine Überbeschäftigung. Neben dem Fahrer gab es auch einen Schaffner, der Ihnen Tickets verkaufte, aber dann stieg auch eine Kontrolleurin ein, die unsere Tickets überprüfte und durchbohrte. Was ich jedoch leider nicht verstanden habe, war das Busbahnhofsystem in Port Louis. Es gibt zwei Busbahnhöfe, den nördlichen und den südlichen. Da wir aus dem Süden kamen, nahm ich natürlich an, dass der Bus uns am südlichen Bahnhof absetzen würde. Aber weit verfehlt, er brachte uns zum nördlichen. Dann war allerdings die Sucherei nach einer passenden Rückfahrtverbindung zu unserem Wohnort für einen Fremden wie mich nicht gerade einfach. Ich habe lieber aufgegeben und bin zurück mit dem Taxi gefahren.

Dennoch gibt es in der Nähe des nördlichen Busbahnhofs den zentralen Markt, der definitiv einen Besuch wert ist. Obst und Gemüse aller Art, Fisch und in einem anderen Teil dann Kleidung und alles, woran man gar nicht denken würde. Ich habe herausgefunden, dass Litschi einen gewissen Kultwert unter den Früchten der Insel hat.

Natürlich ist es gut und süß, ebenso wie die Marmelade, die daraus hergestellt wird. Das Obst wird in ganzen Büscheln verkauft, ist aber für die Einheimischen ziemlich teuer. Litschibäume sind leicht zu erkennen, sie sind nämlich mit Netzen gegen Insekten und Vögel bedeckt. Das süße Obst lockt sie nämlich an, und sie würden es auffressen. So kommen sie nicht heran. Weil der mauritische Taxifahrer “Bird” wie “Bat” aussprach, hatte ich ein kleines Problem zu verstehen, gegen wen die Menschen diese Früchte schützen. In normalem Englisch wird so schließlich eine Fledermaus genannt.

Nicht weit vom Markt entfernt liegt das chinesische Viertel, die Chinesen machen etwa 3 Prozent der Bevölkerung aus. Erstaunlicherweise befindet sich ausgerechnet im chinesischen Viertel die größte Moschee der Stadt, Jummah. Warum gerade dort, weiß ich nicht. In der Stadt gibt es auch ein Naturkundemuseum, in dem das Skelett des legendären Dodos zu sehen ist, die Kirche St. Louis mit der Statue des heiligen König Ludwig IX. von Frankreich – eines leidenschaftlichen Sammlers von Reliquien, die in Paris in der Saint Chapel aufbewahrt werden – im Park vor der Kirche und Fort Adelaide. Diese Festung wurde von den Engländern erbaut, nachdem sie Mauritius erobert hatten, um es gegen eine erneute Übernahme durch die Franzosen oder andere Angreifer zu sichern.

Fort Adelaide

Die Festung erhielt den Namen der Frau von König William IV. (dieser Monarch schaffte 1834 die Sklaverei in seinen Kolonien ab und verursachte somit gewaltige Probleme den örtlichen französischen Bauern), wird jedoch im Allgemeinen als “Citadelle” bezeichnet. Da jedoch später niemand mehr daran dachte, Mauritius zu erobern, blieb die Festung nutzlos. Na ja, nicht ganz. Von dort aus bietet sich nämlich ein schöner Blick auf die Stadt, sodass sich der Aufstieg lohnt. Eine Aussichtsplattform hätte allerdings gereicht. Von dort aus ist auch die riesige Rennstrecke “Marsfeld” sichtbar, auf der von März bis November Pferderennen stattfinden.

Die Hauptattraktionen der Stadt befinden sich jedoch in der Waterfront. Zum einen gibt es seit 2021 das „Odysseo-Aquarium“. Jede große Hafenstadt der Welt muss doch ein Aquarium haben und Mauritius hält Schritt mit dem Trend. In zwei Millionen Litern Wasser in 45 Aquarien auf einer Fläche von 5500 m2 kann der Besucher 200 Arten des Indischen Ozeans sehen. Es gibt hier auch Haie, die sich aufgrund des Korallenriffs sonst Mauritius nicht nähern können.

Odysseo

Als Erinnerung an problematische Zeiten in der Geschichte der Insel gibt es in diesem Stadtteil das Sklaverei-Museum im alten Militärkrankenhaus und gleich daneben „Aapravasi Ghat“, das ein Aufnahmezentrum für Arbeiter aus Indien war. Hier mussten sie sich registrieren lassen, und hier wurden ihnen die entsprechenden Dokumente ausgestellt. Das Gebäude diente auch als Quarantänestation, die alle Ankommenden für 48 Stunden durchlaufen mussten, bevor sie zu ihren Arbeitsplätzen auf den Plantagen gebracht wurden. Die Kapazität der Einrichtung betrug 600 Personen, oft waren dort aber mehr als tausend Menschen untergebracht. Die Briten brachten insgesamt 420.000 Menschen von Indien auf die Insel, deshalb bilden heutzutage die Hindus und Muslime aus dem heutigen Pakistan und Bangladesch die Mehrheit der Bevölkerung. Zwischen den modernen Gebäuden der Waterfront befindet sich im Hauptpostgebäude von 1868 das Postmuseum sowie das „Museum der Blauen Mauritius“. Letzteres erhielt das Privileg, ein eigenes Museum zu bekommen. Dank dieser Briefmarke trat Mauritius ins Bewusstsein der Bewohner unseres Planeten. In diesem Museum findet der Geschichtsliebhaber neben der Geschichte der postalischen Beziehungen der abgelegenen Insel zur umgebenden Welt und der Geschichte der Entstehung dieser berühmten Marke auch eine sehr interessante Beschreibung der Geschichte der Insel sowie die Namen der wichtigsten Persönlichkeiten, die mit der Geschichte der Insel verbunden sind. Mauritius, die Blaue und die Rote, sind natürlich auch hier, aber sie werden nur zehn Minuten pro Stunde beleuchtet – angeblich, damit sie nicht durch die Wirkung des Lichtes verblassen.

Im Gebäude des Museums befindet sich auch eine Dauerausstellung, die der romantischsten Inselgeschichte von Paul und Virginie gewidmet ist. Mit dieser Geschichte möchte ich jedoch den Besuch der Insel beenden und bitte daher den Leser um etwas Geduld.

Die Straße „Queen Elizabeth“ führt durch das Zentrum der Stadt auf der einen Seite und die Bisoondyal-Straße auf der anderen Seite des kleinen Parks, wo Statuen bedeutender Persönlichkeiten von Mauritius stehen. Gleich am Hafen gibt es die Statue des wichtigsten Gouverneurs der Insel Mahé de Labourbonais.

Mahé de Labournais

Die Straße endet am ehemaligen Sitz des britischen Gouverneurs, wo heute die Inselregierung ihren Sitz hat. Vor dem Gebäude steht jedoch immer noch die Statue von Königin Victoria und direkt gegenüber dann die Statue von William Newton, einem bedeutenden lokalen Politiker aus der britischen Kolonialzeit. Neben ihnen gibt es vom Hafen bis zu diesem Regierungsgebäude zahlreiche weitere Statuen bedeutender mauritischer Politiker. Alle sehen in ihren Anzügen irgendwie gleich aus, halten meist freundlich ihre Hände vor sich zu ihrem Volk ausgestreckt, es sei denn, sie halten über dem Kopf ein Verfassungsbuch.

Königin Victoria

Ich glaube, es reicht für heute, in zwei Wochen kehren wir auf die Insel noch einmal zurück.

Dodo hat es nicht überlebt – Geschichte- Kurzfassung der Insel Mauritius

Mark Twain schrieb, dass Gott zuerst diese Insel und dann nach diesem Muster das Paradies schuf. Mark Twain konnte allerdings die Insel in einem solchen Zustand meinen, bevor sich Menschen dort niederließen, genauso wie im Paradies, wo Ruhe und Frieden herrschten, bevor Adam und Eva begannen, an Äpfeln zu naschen. Mark Twain war jedoch ein Schriftsteller und hatte daher eine blühende Fantasie. Er konnte sich die Insel also vorstellen, wie sie aussah, als die Menschen noch nichts von ihr wussten.

Als der Portugiese Diogo Fernandes Pereira sie im Jahr 1507 entdeckte, lebte dort noch kein einziger Mensch. Die Insel war von Urwald bedeckt, und dort lebte der harmlose Dodo-Vogel, der aufgrund des Fehlens natürlicher Feinde nicht einmal das Fliegen gelernt hatte. Die Portugiesen nannten die Insel “Ilha do Cisne” also die “Schwaneninsel”, wahrscheinlich nach dem Dodo, der mit etwas Fantasie als überdimensionaler Schwan betrachtet werden konnte.

Die Portugiesen hatten jedoch wichtigere Aufgaben, als sich um ein unbewohntes Stück Land mitten im Indischen Ozean zwischen Afrika und Indien zu kümmern. Im Jahr 1598 landete der niederländische Admiral Van Waywyck auf der Insel und benannte sie nach dem Prinzen Moritz von Nassau, dem damaligen Anführer des niederländischen Aufstands gegen die spanische Herrschaft, da es den Spaniern nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen endlich gelang, seinen Onkel Wilhelm I. von Oranien (genannt Der Schweiger) umzubringen. Auf die Insel kam der niederländische “Marco Polo” Jan Huygen van Linschotten, der seinen Spitznamen erhielt, weil er faszinierend über die neu entdeckten Länder schreiben konnte.

Aber die Niederländer kamen auf die Insel Mauritius im Dienst der Ostindien-Handelsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft (eine der ersten ihrer Art weltweit, da die Niederländer die Kraft von diversifiziertem Kapital erkannten). Die Holländer hatten also keine Absicht, die Länder, die sie besuchten, zu kolonisieren. Sie waren zu dieser Zeit eigentlich noch kein eigenständiger Staat, sondern bis 1648 lediglich rebellische Provinzen des spanischen Königreichs, und sie hatten wirklich nicht die geringste Lust, irgendwo eine spanische Flagge zu hissen. Aber die East India Company, für die die Holländer arbeiteten, war ein Handelsunternehmen, dessen Erfolg im Handel mit den Ureinwohnern lag. Wie sollten sie jedoch mit Ureinwohnern auf einer unbewohnten Insel handeln, auf der es keinen einzigen Vertreter dieser Art gab? Die Holländer fällten also wertvolles Ebenholzholz im Dschungel, verzehrten den armen Dodo, der sich vor ihnen nicht verstecken konnte, und segelten wieder ab.

Zwischen 1715 und 1723 wurde die Insel von den Franzosen besetzt, die im Gegensatz zu den Niederländern sehr gerne neu entdeckte Länder kolonisierten. Sie nannten die Insel wenig einfallsreich “L’ile de France” oder “Die Französische Insel”. Eine nahe gelegene Schwesterinsel, 170 Kilometer entfernt, nannten sie “L’ile de Bourbon”, also „Die Bourboninsel“.

L´ille de Bourbon (Reunion) links, L´ille de France (Mauritius)rechts

Dem setzten sie 1793 ein Ende, als sie dem König aus der Bourbon Dynastie – Ludwig XVI.  – den Kopf abschlugen. Unter den gegebenen Umständen passte der Name der Insel nicht mehr, und so benannten sie ihn im März 1793 in “La Reunion” um, welchen Namen sie bis heute trägt. Die Franzosen kannten also damals genauso wenig Mangel an Nationalismus wie heute. Der einzige ordentliche Hafen auf der Insel “L’ile de France” in einer tiefen Bucht erhielt den Namen „Port Louis“ nach dem damaligen König Ludwig XV., aber die Franzosen nannten ihn selbst „Port Nord Ouest“, also „Nordwesthafen“. Wahrscheinlich wollten sie den König nicht durch ein Kaff mit wenigen Hütten beleidigen, das seinen Namen tragen sollten. Die Franzosen erkannten jedoch, dass die Insel sich gut zum Anbau von Zuckerrohr eignete, und mit den Händen von Sklaven, die aus dem nahegelegenen Madagaskar gebracht wurden, machten sie sich an die Arbeit. Sie taten dies mit echtem französischem Charme und damit verbundenen typischen Sinn für Chaos.

L ´ille der France

Am 4. Juni 1735 landete der neue Gouverneur Bernard Francois Mahé de La Bourdonnais auf der Insel. Er fand die Insel im Chaos und in Anarchie vor und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Er regierte mit eiserner Hand, schaffte Ordnung, baute Hafendocks und Lager, begann mit dem Bau von Straßen und weiterer Infrastruktur und überzeugte sogar die französischen Plantagenbesitzer davon, dass Ordnung eine gute und vorteilhafte Sache ist. Als Belohnung steht seine Statue in „Port Luis“ gleich am Hafen auf der Hauptstraße.

Im Jahr 1742 schickte er die ersten Siedler auf die damals unbewohnten Seychellen, weshalb die Hauptinsel der Seychellen nach ihm den Namen Mahé erhielt.

Der Wohlstand der Insel begann jedoch die Engländer zu provozieren. Sie betrachteten es als ungerecht, dass die Franzosen auf halbem Weg von Afrika nach Indien gleich zwei Inseln besaßen und sie keine einzige. Nach langem Rangeln nutzten sie die Zeit der napoleonischen Kriege für einen entscheidenden Angriff. Diese Kriege wurden nicht nur auf dem Festland im Europa, sondern auch auf dem Meer geführt, und dort, im Gegensatz zum Festland, zog Napoleon besonders nach der Schlacht von Trafalgar im Jahr 1805, bei der er fast seine gesamte Flotte verlor, den Kürzeren. Im November 1810 erschien eine britische Flotte vor Port Louis und begann, die Stadt zu belagern. Beide Seiten hatten ein wenig Schwierigkeiten, sich zu motivieren, um zu erklären, warum sie sich eigentlich am anderen Ende der Welt bekämpfen sollten. Es gibt eine überlieferte gereizte Konversation zwischen zwei Schiffskapitänen, bei der der englische Kapitän den Franzosen vorwarf: “Ihr Franzosen kämpft nur fürs Geld, wir Briten kämpfen für die Ehre.” Darauf antwortete der Franzose: “Richtig, wir kämpfen beide um das, was uns am meisten fehlt.”

Schließlich stellte sich heraus, dass die Motivation der Briten doch größer war, und am 3. Dezember 1810 kapitulierte die französische Garnison. Im Friedensvertrag versprachen die siegreichen Briten der lokalen Bevölkerung, dass sie ihre Sprache, Bräuche, Religion, Gesetze und Besitztümer behalten könnten. Er versprach auch, dass kein Franzose eingesperrt und die französischen Soldaten ein freier Abzug gewährleistet werde. Die lokale Bevölkerung akzeptierte dies dankbar und spricht noch heute Französisch. Neben hinduistischen Tempeln und Moscheen gibt es auch katholische Kirchen wie die Kirche St. Louis in Port Louis. Im Jahr 1814 wurde die Insel nach Napoleons Niederlage endgültig dem Vereinigten Königreich übergeben. Die Briten konnten es jedoch nicht akzeptieren, dass die Insel weiterhin “Französische Insel” hieß, und so erinnerten sie sich an die längst vergessene holländische Bezeichnung der Insel, und sie erhielt den heutigen Namen Mauritius. Sowohl die lokalen Kreolen als auch die Franzosen haben im Laufe der Zeit gelernt, ihre Insel „L´ille de Maurice“ zu nennen.

Die lokale Bevölkerung hat sich mit den neuen Herren arrangiert, vor allem, weil sie nicht in ihre Angelegenheiten eingriffen. Den Briten ging es tatsächlich hauptsächlich um den Hafen, den sie entsprechend ausgebaut haben. Die Bewohner sprechen daher auch heute noch untereinander Französisch (oder Kreolisch, einen französischen Dialekt, das allerdings nur unter Freunden verwendet wird; sonst kommuniziert man unter sich auf Französisch), nur offizielle Schilder ab Behördenhäusern oder Verkehrsschilder sind in Englisch geschrieben. Die Einheimischen sind jedoch bereit, in dieser Sprache mit Touristen zu kommunizieren. Geschäft ist Geschäft, und außerdem handelt es sich um die Amtssprache, in der auch der Schulunterricht geführt wird. Außergewöhnlich begabte Kinder haben auch die Möglichkeit, an Universitäten im Vereinigten Königreich zu studieren, wobei die Kosten vom Staat Mauritius übernommen werden.

Die Briten waren zufrieden, dass die Insel ihnen gehörte und ihre Schiffe sicher im Hafen anlegen konnten, um neue Vorräte für weitere Fahrt nach Indien oder Südafrika aufzuladen und Zucker und Obst zu kaufen, was der Insel einen außergewöhnlichen Wohlstand brachte. Die Briten verfassten ihre Verordnungen und Gesetze in Englisch, das niemand verstand oder verstehen wollte, und daher ignorierten die Einheimischen mit gutem Gewissen diese Gesetze, und so waren alle zufrieden und lebten in seliger Symbiose.

Die einzigen, die dafür bezahlten, waren die ehemaligen Sklaven. In unruhigen kriegerischen Zeiten gelang es ihnen, von den Plantagen zu fliehen, wo sie unmenschlicher Arbeit ausgesetzt waren, und sie versteckten sich in der Gegend des Berges Le Morne Brabant im Süden der Insel.

Le Morne Brabant

Als die Briten die Sklaverei abschafften (im Jahr 1807 verboten sie den Sklavenhandel im gesamten Imperium und im Jahr 1833 dann auch den Besitz von Sklaven in den Kolonien), fiel ihnen nichts Besseres ein, als Soldaten zu schicken, um diese erfreuliche Botschaft den geflohenen Sklaven mitzuteilen. Aber als die Sklaven bewaffnete Soldaten sahen, die ihnen etwas in einer Sprache zuriefen, die niemand verstand, kamen sie zu dem Schluss, dass sie entdeckt wurden und dass sie zurück auf die Plantagen gebracht werden würden. In Panik begingen sie Massenselbstmord, indem sie von den Hängen des Berges sprangen. Heute erinnert ein Denkmal an dieses Ereignis.

Die Abschaffung der Sklaverei brachte den lokalen Plantagenbesitzern jedoch erhebliche Probleme, da niemand da war, um das Zuckerrohr zu ernten. Sie baten daher ihre britischen Herren, etwas dagegen zu unternehmen. Diese beschlossen, in Indien, das sie bereits beherrschten, neue Arbeitskräfte zu finden. Die Inder konnten einen Arbeitsvertrag für fünf bis zehn Jahre unterschreiben. Das geschah noch bei ihnen zu Hause, wo sie keine Ahnung über die Folgen ihrer Unterschrift haben konnten. Danach wurden sie nach Mauritius gebracht. Zwei Tage mussten sie in einem Aufnahmelager im Hafen verbringen – heute ist aus diesem Gebäude das „Appravasi Ghat Museum“ geworden. Die Kapazität des Zentrums betrug zwar 600 Personen, aber oft waren dort zugleich mehr als tausend Menschen.

Es war eine Art der Quarantäne. Dort wurden ihre Papiere bearbeitet, und sie konnten danach zur Arbeit auf die Plantagen gebracht werden. Es war ein Experiment, das die britische Regierung im Jahr 1834 im gesamten Empire gestartet hatte, und Mauritius sollte der Testballon sein. Das Experiment gelang, und die Briten rekrutierten danach in Indien Arbeitskräfte praktisch für das gesamte Imperium. Die Plantagenbesitzer waren jedoch nicht daran gewöhnt, ihren Arbeitern Gehälter zu zahlen, und taten dies nur widerwillig und mit Verzögerung, wenn überhaupt. Daher führten die Briten bereits 1842 das Amt des Bevollmächtigten für Einwanderer, den “Protector of Immigrants”, ein. Es war kein leichter Job. In den Jahren 1860–1885 musste dieses Amt 110 940 Beschwerden bearbeiten, von denen etwa 80,000 als berechtigt anerkannt wurden. Es handelte sich größtenteils um nicht gezahlte Löhne. Zwischen 1834 und 1920 kamen so 450,000 Inder auf die Insel, heute machen Menschen indischer Herkunft 62 Prozent der 1,3 Millionen Einwohner der Insel aus. Einige von ihnen sind Muslime, aber wie mir ein Taxifahrer erklärte, handelt es sich um Muslime aus dem heutigen Pakistan (damals ein Teil des britischen Kaiserreichs Indien). Sie haben kein Problem damit, mit ihren hinduistischen Nachbarn Rum zu trinken, (die gegenseitigen Animositäten zwischen diesen zwei Volksgruppen in der alten Heimat haben sich nach Mauritius offensichtlich nicht übertragen) obwohl dies der Prophet einst verboten hat, und sie haben daher keine sündigen Gedanken an Terrorismus oder sogar Selbstmordanschläge. Das bringt mich auf die Gefährlichkeit der Abstinenz – nicht nur die Selbstmordterrorristen aber auch zum Beispiel Hitler waren Abstinenten. Das droht auf Mauritius nicht. Der Rum ist auf der Insel nämlich ein Nationalgetränk, und kein Fest kommt ohne ihn aus. Die Einheimischen trinken jedoch weißen Rum mit verschiedenen Zusätzen, während der goldene Rum für Touristen und den Export bestimmt ist. Er schmeckt hervorragend. Muslime aus arabischen Ländern, die den Rum natürlich verachten würden, bilden auf der Insel nur eine vernachlässigbare Minderheit.

Der Wohlstand der Insel endete abrupt im Jahr 1869. Die Insulaner konnten nichts dafür, aber in diesem Jahr wurde der Suezkanal eröffnet, und der Weg nach Indien verkürzte sich dadurch für britische Schiffe entscheidend. Aus einem wichtigen Stützpunkt im Indischen Ozean wurde die Insel zu einem uninteressanten Ort am Ende der Welt an der Grenze der Wahrnehmbarkeit.

Der einzige Glücksfall war, dass am 21. September 1847 der örtliche Postmeister James Stuart Brownrigg die Anordnung zur Herstellung von zwei Briefmarken erließ. Eine Einpennyrote für den Postverkehr in Port Louis und Umgebung und eine Zweipennyblaue für die gesamte Insel. Die Marken wurden von Joseph Osmond Barnard graviert, der leider (und für Philatelisten zum Glück) vergesslich und schwerhörig war und daher anstelle des üblichen “post paid” den Text “post office” auf die Marken gravierte. Weil die Frau des Gouverneurs, Lady Gomm, Einladungen zu einem Ball verschicken wollte, der am 30. September stattfinden sollte, gab es keine Zeit mehr, den Fehler zu korrigieren. So wurden die Einladungen mit diesem weltberühmtesten Druckfehler verschickt. Da es schade war, die Marken wegzuwerfen, wurden alle 500 Marken beider Serien verbraucht. So entstand auch der legendäre “Brief nach Bordeaux”, auf dem beide Marken nebeneinanderstehen und zu einer der größten philatelistischen Kuriositäten aller Zeiten wurden. Dank dieser beiden Marken kennt die vergessene Insel im Indischen Ozean die ganze Welt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs in allen Teilen des britischen Empires die Unabhängigkeitsbewegung der einzelnen Kolonien. Mauritius war in dieser Bewegung nicht besonders aktiv. Ehrlich gesagt konnten sich die lokalen Politiker eine eigenständige Existenz ohne politische und wirtschaftliche Unterstützung Londons nicht vorstellen. An der Spitze der Labour Party, der stärksten politischen Partei auf Mauritius, stand der in England ausgebildete Arzt indischer Herkunft, Seewoosagur Ramgoolam.

Man nennt ihn auch – wenn auch ein wenig passend – den mauritischen Gandhi. Im Gegensatz zu seinem Vorbild engagierte er sich zusammen mit seinen politischen Freunden für den Verbleib der Insel im „Britisch Empire“, und auch seine Ernennung zum Ritter durch Königin Elisabeth II. im Jahr 1965 änderte nichts daran. Aber die Briten hatten bereits genug von verlustreichen Kolonien, und so beschlossen sie 1968, sich von allen außer strategisch notwendigen Kolonien wie zum Beispiel Hongkong zu trennen. (Etwas auf die Art wie die Kinder aus dem bequemen „Hotel Mama“ zu jagen). Sir Seewoosagur Ramgoolam wurde also – ob er wollte oder nicht – zum nationalen Helden und zum Vater der Nation. Und er blieb es auch nach seinem Tod im Jahr 1985. Auf der Insel gibt es viele Orte, die nach ihm benannt sind, zum Beispiel der internationale Flughafen im Südosten der Insel, das Krankenhaus im Nordwesten oder der botanische Garten in Pamplemousses. Überall, wo die Abkürzung SSR im Namen vorkommt, sucht man nach Sir Seewoosagur Ramgoolam.

Die Briten gingen, und es blieb von ihnen nicht viel übrig. Nicht einmal Rugby, sonst der Nationalsport echter Männer in allen Ländern des Commonwealth, setzte sich hier durch. Es wird Fußball gespielt. Die überwältigende Mehrheit der Touristen sind Franzosen, die Briten bilden hier eine vernachlässigbare Minderheit – es gibt hier wahrscheinlich sogar mehr Tschechen oder Slowaken als Briten. (Von Deutschen oder Österreichern überhaupt zu schweigen) Vielleicht kann man das Teetrinken als englische Tradition bezeichnen (Kaffee wird hier wenig getrunken und nur an einem Ort im Süden der Insel auf einer Plantage im Ort namens Chamarel angebaut, der allerdings vor allem durch seinen Rum bekannt ist). Das markanteste Erbe der britischen Herrschaft ist der Linksverkehr. Autos tauchten nämlich genau zu der Zeit auf, als hier die Briten herrschten. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung begann der Tourismus zu blühen, und die Briten vergaßen ihre ehemaligen Untertanen nicht – in unserem Hotel La Pirogue gibt es eine königliche Suite (Royal Suits), die im Jahr 1994, also zwei Jahre nach der Ausrufung der Republik durch die Bewohner der Insel, feierlich vom Gatten der abgesetzten Quen, Prinz Philip und seinem Sohn Edward eröffnet wurde. Nachdem die Europäische Union aufhörte, die Zuckererzeugung aus dem Zuckerrohr (für viele europäischen Zuckerfabriken zu spät) zu subventionieren, gingen auf der Insel die meisten Zuckerfabriken von den ehemaligen dreißig Firmen bankrott, lediglich noch vier sind in Betrieb. Aber Zuckerrohr bleibt weiterhin das Hauptlandwirtschaftsprodukt, und die Mauritier haben sich auf die Herstellung von Rum umgestellt, der hier das Hauptgetränk ist. Echter Rum muss nämlich aus Zuckerrohr hergestellt werden, und deshalb musste zum Beispiel der tschechische Rum, der aus Zuckerrüben hergestellt wurde, in „Tuzemák“ umbenannt werden, was alle tschechischen Konsumenten dieses beliebten Getränkes sehr schmerzte und ihr Misstrauen gegenüber der weltweiten Globalisierung und EU wachsen ließ. So viel also kurz zu der Geschichte der Insel Mauritius. Nächste Woche werde ich versuchen zu beschreiben, was hier alles zu sehen ist. Der Dodo tritt hier nur als Souvenir auf, er ist aber überall präsent. Der echte hat die Zerstörung seines Paradieses jedoch nicht überlebt.

Aber… Joanne Kathleen Rowling, die Autorin von Harry Potter, schreibt in ihrem Buch “Phantastische Tierwesen”, dass der Dodo, den sie jedoch Didicawl nennt, magische Fähigkeiten entwickelt hätte, um zu verschwinden und an einem anderen Ort wieder aufzutauchen, was es ihm das Überleben ermöglicht hat. Allerdings hat die Internationale Zauberergemeinschaft diese Tatsache den Muggeln, also uns Nicht-Zauberern, nicht mitgeteilt, um uns im Glauben zu halten, dass der Dodo ausgestorben ist und damit wir uns gegenüber anderen gefährdeten Arten rücksichtsvoller verhalten als gegenüber diesem sympathischen ungeschickten Vogel, der neben Rum und der zweipennyblauen Briefmarke zum Symbol der Insel Mauritius geworden ist.

Also, wer weiß…?

Dodo

Osttirol II

Nach unserer Rückkehr in die Ferienwohnung war ich immer noch misstrauisch und wollte mich nicht zu früh auf die funktionierende Seilbahn freuen, also überprüfte ich es sofort im Internet. Aber es sagte dasselbe. Frau Eva wollte es am nächsten Morgen immer noch nicht glauben und rief sogar die Seilbahn an, aber es wurde ihr bestätigt, dass die Seilbahn in Betrieb ist. Da unsere ganze Gruppe einschließlich des Außerirdischen Vladimír einen Ruhetag vorgeschlagen hatte, kam uns die Seilbahn wie gerufen. Nur Vladimírs Sohn Juraj ist ein leidenschaftlicher Klettersteiggeher, also schaute ich im Internet nach, wo in der Umgebung der beste Klettersteig war. Und ich verstand, dass sich das Schicksal vollständig zu unseren Gunsten gewendet hatte – es gab einen Klettersteig zum „Blaues Spitz“ direkt in der Nähe der Bergstation der Kalser Bergbahn. Also erwartete uns eine wunderschöne Wanderung von der Bergstation mit dem Restaurant Adler Lounge zum Rothenkogel mit einem modernen Gipfelkreuz, das einst von Frau Evas Mann Martin an seine Stelle gebracht wurde. Der Aufstieg war ziemlich einfach, ein Höhenunterschied von dreihundert Metern, eine kurze gesicherte Kletterstelle und dann erstaunliche Ausblicke auf das Massiv des Großglockners.

Großglockner von Westen

Zum ersten Mal konnte ich ihn sehen. Bisher nämlich jedes Mal, wenn ich ihn sehen konnte, sei es von der Franz-Josef-Höhe (zweimal) oder vom Kitzsteinhorn, versteckte er sich immer in den Wolken. Diesmal war er zum Greifen nah und es störte bei dem Blick kein einziges Wölkchen. Er ist imposant, er ist halt der höchste Berg Österreichs und damit der prestigeträchtigste, aber unter uns gesagt – der Großvenediger ist viel schöner. Als Juraj dann von seinem Klettersteig zurückkam und erzählte, dass es kein “C” (senkrechte Wand) und kein “D” (Überhang) war, sondern ein “E”, also die schwierigste Variante – ich möchte nicht einmal wissen, wie das aussieht – herrschte in der Gruppe große Begeisterung, weil Vladimír und sein zweiter Sohn sich aufrichtig gefreut hatten, dass sie sich nicht zu dieser Klettersteig-Tour überreden ließen, sondern brav mit mir auf den Berg für normale Touristen gegangen sind.

Aufstieg zum Rothekogel

            Der Plan für den letzten Tag hatte zwei Alternativen. Eine davon war die mautpflichtige Straße von Kals zum Lucknerhaus auf 1918 Metern und von dort aus über die Lucknerhütte zur Stüdlhütte – dann wären wir auf 2802 Metern. Von dort aus führt ein Weg zum Dreitausender “Schere”, auf 3037 Metern Höhe, bereits im Massiv des Großglockners. Übrigens ist die Stüdlhütte nach dem Prager Geschäftsmann Johann Stüdl benannt. Nachdem er 1867 den Großglockner bestiegen hatte, ließ er auf eigene Kosten an diesem Ort eine Hütte bauen, als Ausgangspunkt für weitere Bergsteiger. Übrigens kann man von dieser Seite aus den Großglockner über den Stüdlgrat besteigen – heute wird der Großglockner jedoch fast ausschließlich von der Ostseite von der Franz-Josef-Höhe aus bestiegen.

            Dieser meiner Plan stieß nur auf mäßige Begeisterung, die Teilnehmer unserer Reise sahen vor allem das Problem im Höhenunterschied von 1100 Metern – das hätten sie schon einmal erlebt und wollten das nicht wiederholen. Außerdem konnten wir den Großglockner bereits vom Rothenkogel aus betrachten. Plan B war also eine Fahrt in ein anderes Tal, in dem wir noch nicht gewesen waren. Mit dem Auto könnten wir durch das Defereggental zum Staller Sattel an die italienische Grenze auf 2052 Metern Höhe fahren, und von dort aus gab es zwei Möglichkeiten – zwei Berge standen zur Auswahl, der Hinterbergkofel mit einer Höhe von 2727 Metern auf der österreichischen Seite des Passes oder die „Rote Wand“ auf der italienischen Seite. Dabei hätte man jedoch die miserable Wegmarkierung beachten müssen – nun ja, es ist eben in Italien. Dieser Berg hätte uns auf eine Höhe von 2818 Metern geführt und Ausblicke auf die Südtiroler Dolomiten geboten.

            Beim Erkunden des Weges zu diesem Ziel, das immerhin ein etwas größeres Interesse hervorrief, versuchte ich Vladimírs Hypothese zu überprüfen, dass es dort irgendwo ein Skigebiet geben müsse. Und wo es Skigebiete gibt, dort sollten auch Seilbahnen sein. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass er recht hatte. Das Skigebiet befindet sich im Dorf Sankt Jakob und die Seilbahn fuhr bis zum 17. September – es war der zwölfte. Also musste Plan B dem Plan C weichen, und wir nutzten erneut die Seilbahn, um auf 2373 Meter Höhe zu gelangen. Von dort aus waren es nur etwas über vierhundert Meter bis zum Gipfel des „Großer Leppleskofels“ auf 2811 Metern. Und das sogar entlang einer echten Autobahn für Wanderer. Denn an den Hängen des Berges wurden zwei neue Schipisten angelegt, für die eine neue Seilbahn benötigt wurde, daher wurde eine Straße für Geländefahrzeuge bis zur Bergstation der Seilbahn gebaut. Nur die letzten hundertfünfzig Höhenmeter zum Gipfel waren felsig und ein kurzer Abschnitt musste mit “Hilfe der Hände” überwunden werden. Trotzdem war es eine “touristische Wanderung ohne Schwierigkeiten”. Wir wurden mit wunderschönen Aussichten vom Gipfel dieses Berges belohnt.

Wie ich später las, handelte es sich tatsächlich um einen der schönsten Aussichtsgipfel. Da wir nicht genug hatten, stiegen wir danach auch auf den „Kleinen Leppleskofel“, den man in zwanzig Minuten von der Bergstation der Seilbahn und dem Restaurant Moosalm erreichen konnte. Bei der Moosalm gibt es nicht nur einen großen See, der zur Schneekanonenbefüllung dient, sondern auch einen großen Spielplatz für Kinder und eine Aussichtsplattform in Form der Arche mit einer Beschreibung aller Dreitausender, die von dort aus zu sehen sind. Es gibt viele davon. Vom Gipfel des „Großen Leppleskofels“ konnte man nicht nur den Großglockner und den Großvenediger sehen, sondern auch andere Tiroler Berge im Hintergrund mit dem zweithöchsten Berg Österreichs – und dem höchsten Berg Tirols – der Wildspitze.

            Wir stiegen zur Moosalm ab, und weil der Kellner wirklich Freude an seiner Arbeit hatte und es mit ihm lustig war, kehrten wir dort zum Mittagessen ein und bekamen Lust auf mehr. Also fuhren wir zum Staller Sattel und erstarrten dort vor Staunen. Der wunderschöne “Obersee” mit einer Fläche von 35 Hektar und einer Tiefe von 25 Metern mit unglaublich klarem Wasser ist ein echter Juwel.

Die Jungs konnten nicht widerstehen und badeten, obwohl das Wasser eine Temperatur von einem Zentimeter hatte (Männer wissen, wovon ich rede). Es gab danach ein Spaziergang um den See, Kaffee in der Oberseehütte und dann konnten wir nicht widerstehen, die Grenze zwischen Italien und Österreich zu überqueren. Mit Blick auf die beiden Täler, das Deferegger Tal auf der österreichischen und das Altholzertal auf der italienischen Seite. Dort gibt es ebenfalls einen schönen See, aber mit dem Auto dorthin zu gelangen, ist nicht einfach. Da die Straße auf der italienischen Seite Einbahnverkehr hat, dürfen Autos in Richtung Italien jede Stunde nur fünfzehn Minuten lang fahren – von der nullten bis zur fünfzehnten Minute jede Stunde. Auf der italienischen Seite ist es offensichtlich zwischen der dreißigsten und fünfundvierzigsten Minute.

Dieses Erlebnis konnte am See man nicht filmen, es ließ sich auch nicht auf einem Foto einfangen. Man musste es mit allen Sinnen wahrnehmen und sich einfach dieser Schönheit hingeben. Es war das Sahnehäubchen auf dem Kuchen – ein Ausflug, der zu Beginn eine Katastrophe zu sein drohte, verwandelte sich in ein unglaublich schönes Erlebnis.

Also fahren Sie dorthin. Und beeilen Sie sich. Denn was uns echt erschrak, war die Borkenkäfer-Katastrophe im Deferegger Tal. Obwohl die Einheimischen sich bemühen und befallene Bäume fällen, ist es an steilen Hängen praktisch unmöglich den Schädling zu eliminieren, und so sind ganze Waldflächen von diesen Käfern zerstört. Dieser Kampf scheint hoffnungslos zu sein, und ich fürchte, dass die schönen Wälder im Tal bald vollständig zugrunde gehen könnten. Mit Ausnahme des Waldes um den Obersee, wo Lärchen dominieren, die den Fichtenborkenkäfern, wie der Name schon sagt, nicht schmecken.

            Übrigens, wer keine Lust hat, in den Bergen herumzulaufen, kann die romanische Kirche St. Nikolaus in Matrei, oder St. Georg in Kals besuchen, oder die Kirche St. Andreas im Dorf Prägraten, das durch den Abbau des Minerals Serpentin bekannt ist, oder die Kirche “Unserer Lieben Frau” in Virgen, wo ein weiteres Denkmal an die Opfer des Aufstands von 1809-1810 erinnert. In jedem Dorf ist die örtliche Kirche das dominierende Bauwerk – wir sind schließlich in Tirol. Aber man kann auch mit dem Auto zur Jagdhausalm fahren, die als “Kleintibet” bezeichnet wird. Es handelt sich um ein architektonisches Denkmal, die älteste Almsiedlung, die aus sechzehn Steinhäusern besteht und bereits im Jahr 1212 beschrieben wurde. Sie liegt auf einer Höhe von 2009 Metern über dem Meeresspiegel, und es grasen hier seit acht hundert Jahre immer noch Kühe. Wie praktisch überall in Österreich. Und wo keine Kühe sind, da gibt es Schafe und Ziegen. Die österreichischen Wiesen werden dadurch bis weit über die Zweitausender-Marke bewirtschaftet.

Matrei selbst bietet, abgesehen von Hotels, Apartments und Restaurants, nicht viel. Natürlich gibt es die große klassizistische Kirche St. Alban, eine Brücke über den Bergbach, der mitten durch die Stadt fließt, mit unglaublich durchdachten Hochwasserschutzmauern mit wasserdichten Schleusen. Und die Burg “Schloss Weißenstein” auf dem Hügel oberhalb der Stadt.

Sie stammt aus dem zwölften Jahrhundert, ihr heutiges Aussehen ist aber das Ergebnis historisierender Umbauten im neunzehnten Jahrhundert. Sie befindet sich in privatem Besitz, gehört der Aktiengesellschaft Felberntauernstraßen AG, die sie im Jahr 2020 von der Adelsfamilie von Thieme erworben hat. Wir haben vergeblich versucht, einen Zugang zur Burg zu finden, obwohl wir sie fast komplett umrundet haben. Sie thront auf einem hohen weißen Felsen (daher ihr Name), aber wir haben keine Zufahrtsstraße gefunden, selbst bei bestem Willen nicht. Wahrscheinlich zweigt sie irgendwo von der Felbernstraße ab, ist aber nicht beschildert und wahrscheinlich gut getarnt. Was also auf der Burg passiert, bleibt ein Rätsel. Vielleicht Seminare oder geheime Vorstandssitzungen der Aktiengesellschaft.

            Und zum Schluss noch eine kleine Bemerkung am Rande: Da die Restaurants in Matrei das ganze Wochenende geöffnet sind, also auch am Samstag und Sonntag, haben sich die Wirtsleute das Wochenende auf Montag und Dienstag verlegt. An diesen Tagen ein Restaurant zu finden, das Ihnen ein anständiges Abendessen zu einem vernünftigen Preis servieren würde, ist eine echte Herausforderung. Aber das ist nur ein kleiner Makel in dieser ansonsten wunderschönen Gegend.

Formularbeginn

Osttirol I


            Es gab Zeiten, in denen ich Bergtouren mit einer Höhendifferenz von weniger als tausend Metern nicht für echte Wanderungen hielt. Von meinem Freund Vladimír ganz zu schweigen; ich hatte seine körperlichen Fähigkeiten vor einigen Jahren in einem Artikel namens „In den Bergen mit Vladimír“ beschrieben, in dem ich ihn verdächtigte, ein Außerirdischer zu sein. Denn jemand, der nach einer ganztägigen elf Stunden langen Wanderung mit Höhenunterschied von 1800 Metern Eishockey spielen ging, dann bis spät in die Nacht mit Freunden feierte und am nächsten Morgen um sechs Uhr in der Früh aufstand, um zur Arbeit zu gehen, überstieg völlig meine Vorstellungskraft von einem normalen Menschen.

            Aber in der Zwischenzeit sind wir älter geworden (oder gereift und weiser, je nachdem, wie man es betrachtet), und plötzlich sind uns (nicht nur mir aber sogar auch dem Vladimir) Aufstiege über tausend Meter etwas zu viel, und wir akzeptieren es beide mit Freude, wenn uns eine Seilbahn einen erheblichen Teil des Bergaufstiegs abnimmt.

            Umso größer war mein Schock, als ich kurz vor unserer Reise in Osttirol im Internet herausfand, dass die Seilbahnen in der Nähe von Matrei nicht funktionierten; eine davon war die ganze Saison über (unter dem Vorwand von Pistenumbauten) geschlossen, und die andere wurde vorzeitig am 3. September außer Betrieb genommen. Ich war außer mir vor Wut, als ich fieberhaft ein neues Programm erstellen musste, in dem wir ohne technische Hilfe auskommen könnten. Osttirol stand nämlich schon lange auf unserer Liste, und ich hatte nicht vor, darauf zu verzichten. Dieses kleine Stück Tirol, das seit 1918 von seinem Vaterland mit der Hauptstadt Innsbruck getrennt ist, da damals der südliche Teil von Tirol abgetrennt und an Italien angeschlossen wurde – ist einen Besuch wert. Es besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: dem südlichen Teil um seine “Hauptstadt” Lienz (eine zauberhafte kleine Stadt mit 12.000 Einwohnern), von wo aus man in den osttirolerischen Dolomiten wandern kann, und dem nördlichen Teil um das Städtchen Matrei mit knapp unter 5.000 Einwohnern, von wo aus man die Hohen Tauern besuchen kann, das höchste Gebirge Österreichs mit insgesamt 266 Gipfeln über dreitausend Meter. Wir haben in Matrei gewohnt.

Dieses Städtchen ist der zentrale Punkt, an dem sich mehrere Täler treffen, genauer gesagt das Tauerntal aus dem Norden und das Virgental aus dem Westen, die gemeinsam das Iseltal bilden, benannt nach dem wichtigsten Fluss dieser Region – dem Isel-einem Gletscherfluss. Ein Stück weiter flussabwärts zweigt das Kalser Tal ab, das nach Osten in Richtung des höchsten österreichischen Berges, dem Großglockner, führt, und im Westen führt das Defereggental von hier aus zum Pass nach Südtirol am Staller Sattel. Diese vier Täler bilden also den nördlichen Teil von Osttirol, und alle vier sind einen Besuch wert. Wir hatten drei Tage zur Verfügung.

            Als uns die freundliche Frau Eva, die Mieterin des Apartmenthauses Rainer, begrüßte, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach, ob doch vielleicht irgendwelche Seilbahn in Betrieb sei. Sie bestätigte mir jedoch das Horrorszenario, dass alle geschlossen seien. Das versetzte mich in eine schwere Depression und ich entschloss mich dazu, einen Artikel über Osttirol zu schreiben, der alle Touristen von einem Besuch dieser Region abschrecken würde, insbesondere dann Männer im Vorruhestand- und im Rentenalter mit bereits nachlassender Kondition, aber noch immer mit einem großen Ehrgeiz, die Welt von oben zu betrachten. Am Ende war jedoch alles anders, und dieser Artikel wird davon berichten.

Am ersten Tag machten wir uns auf den Weg nach Norden ins Tauerntal. Dort verläuft die zentrale Verbindung, die Felberstraße, die in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut wurde. Während ihrer Konstruktion kamen fünfzehn Arbeiter ums Leben, aber mit dem Bau des 5304 Meter langen Felbertauerntunnels wurde schließlich die Verbindung zwischen Osttirol und dem Norden hergestellt (obwohl über das Pinzgau in Salzburg). Bevor diese Straße gebaut wurde, wurden Güter über einen Hochgebirgspass nach Norden transportiert, und die letzte Station vor diesem beschwerlichen Übergang war das „Matreier Tauernhaus“. Heute ist es der Ausgangspunkt für Wanderungen in das Hochtal Gschlösstal (falls Sie es nicht aussprechen können, machen Sie sich keine Sorgen, ich auch nicht – das Tiroler Dialekt ist nun mal so).

            Entweder ein Taxi oder der Panoramazug also ein Traktor, der Wagen mit Touristen zieht, bringt Sie zu den Almbetrieben in Aussengschlöss und dann weiter nach Innergschlöss. Die Fahrt kostet 6 Euro für Erwachsene und 3 Euro für Kinder, egal ob man das Taxi oder den Traktor nimmt.

Es lohnt sich diesen Dienst zu konsumieren, zu Fuß sind es nämlich gut zwei Stunden, und das Taxi bringt Sie bis zum Venedigerhaus auf 1691 Metern Höhe. Selbst dann werden Sie beim nächsten Aufstieg gut gefordert sein. In Außengschlöss gibt es eine Kuriosität, nämlich eine in den Felsen gehauene Kapelle – “Felsenkapelle”. Ein Stück von ihr entfernt befindet sich die Quelle „Frauenbrünnl“, die angeblich Augen- und gynäkologische Krankheiten heilt. Der Legende nach soll hier die Mutter Gottes Maria die Windeln Jesu gewaschen haben. Versuchen Sie nicht, den Tirolern diese Legende auszureden. Solche Argumente, dass die Jungfrau Maria Palästina nie verlassen hat, würden auf wenig fruchtbaren Boden fallen. Ihr Versuch, den Tirolern ihren Katholizismus zu nehmen, endete sogar für Napoleons Franzosen schlecht. Nach dem Frieden von Preßburg im Jahr 1809 wurde Tirol von Österreich abgespalten und Napoleons Verbündetem, Bayern, angegliedert. Dass die Tiroler Steuern nach München anstatt nach Wien zahlen sollten, war für sie noch erträglich. Dass sie in die französische Armee einrücken mussten, schmerzte schon mehr, aber sie kamen damit gerade noch klar. Dass die Tiroler Verfassung, die ihnen bestimmte Privilegien und Freiheiten sicherte, abgeschafft wurde, brachte ihr Blut zum Kochen, aber noch nicht zum Überlaufen. Aber im Moment, als die Franzosen, von Aufklärung infiziert, begannen, den Tirolern den Kirchgang zu verbieten, war das Maß der Geduld voll. Die Tiroler griffen unter der Führung von Andreas Hofer zu den Waffen, und es kam zu einem sehr blutigen Aufstand. Es dauerte fast ein Jahr, bis es den vereinten französischen und bayerischen Armeen gelang, den Aufstand, den Wien im Stich ließ, zu unterdrücken. Die Franzosen erlitten mehrere blutige Niederlagen, was für die durch Siege verwöhnten Soldaten ein neues Erlebnis war, auf den sie gerne verzichtet hätten, bevor sie schließlich in der dritten Schlacht auf dem Bergisel bei Innsbruck (heute gibt es dort eine Skisprungschanze, auf der im Rahmen der Vierschanzentournee am Übergang vom alten zum neuen Jahr gesprungen wird) die Tiroler doch besiegten, Andreas Hofer wurde gefangen genommen und in Mantua hingerichtet. Die Tiroler sind jedoch unheimlich stolz auf diesen Aufstand, der in ihrer Geschichte glorifiziert wird, und auch auf dem Staller Sattel-Pass gibt es ein Denkmal für die Tiroler Solidarität – ein Osttiroler aus Defeggertal hält gemeinsam mit einem Südtiroler aus Antholzertal die Fahne und sie ziehen gemeinsam gegen die bösen Franzosen.

Es gibt Dinge, über die in Tirol nicht gescherzt wird. Ich würde auch nicht empfehlen, das Antholzertal mit seinem heutigen Namen “Valle di Anterselva” zu bezeichnen, nicht einmal deshalb, weil es sich besser ausspricht.

            In Matrei, vor der riesigen klassizistischen Kirche St. Alban aus den Jahren 1776-1784, findet man neben den üblichen Gedenkstätten für die Opfer der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts auch eine Erinnerung an die Opfer dieses Aufstands. Aus Matrei stammten zwei Anführer des Aufstands, Anton Wallner, der den Kampf in den Salzburger Bezirken Pongau und Pinzgau führte, und Johann Panzl, der bei Saalfelden kämpfte. Beide zogen sich dann nach Osttirol zurück und organisierten den Widerstand im Iseltal. Nach der Niederlage des Aufstands wurden sie in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Wallner gelang die Flucht, und auch Panzl schaffte es, sich aus seinem Versteck in Sicherheit zu bringen. An ihrer Stelle wurden Geiseln hingerichtet, die von der Gemeinde Matrei an die siegreichen Franzosen ausgeliefert wurden, der örtliche Metzger Johann Weber und Franz Obersammer. Heute werden alle vier auf dem Denkmal geehrt; die beiden Anführer haben dort ihre Plastiken, auf hingerichtete Geiseln wird dort nur durch ihre Namen erinnert.

            Aber zurück zu unserem Ausflug. Innergschlöss ist ein wunderschönes grünes Hochtal, in dem Kühe weiden, durch das die Gletscherströmung „Gschlösserbach“ fließt. Hier beginnt der “Gletscherlehrpfad”. Er führt steil nach oben; die ersten fünfhundert Meter sind anstrengend, aber zu Beginn der Strecke ist man noch motiviert und konzentriert, so dass der Weg über den hohen Wasserfall zum ersten See auf 2240 Metern Höhe bewältigt werden kann. Gleich in der Nähe befindet sich die größte Attraktion des Tals, der “Auge Gottes”-See. Dieser dreieckige See mit einer kreisförmigen Insel sieht wirklich so aus, wie sein Name es sagt.

Von hier aus teilt sich der Weg. Eine Richtung führt weiter entlang des Lehrpfads mit der Möglichkeit, zur “Alten Pragerhütte” abzuzweigen, die jedoch außer Betrieb ist und in ein Museum umgewandelt wurde. Diese “Alte Prager Hütte” war die älteste Schutzhütte im Tal und wurde irgendwann um das Jahr 1870 gebaut, als es bei der Besteigung des Großvenedigers noch um Leben und Tod ging. Dieser – meiner Meinung nach schönste Berg Österreichs – dominiert das gesamte Tal. Wir haben überlegt, ob wir uns in diese Richtung begeben sollen, oder den Gipfel des „Innerer Knorrkogel“ besteigen sollen. Die Höhe war ungefähr gleich, aber die Aussicht auf eine Erfrischung, die wir von der Hütte erwarteten, war letztendlich entscheidend. Der Name der Hütte ließ uns überlegen, ob in der “Neuen Pragerhütte” original pragerisch „Staropramen“ oder vielleicht doch das kommerziellere „Pilsner Urquel“ serviert wird. Da wussten wir noch nicht, welche Überraschung uns erwartete. Das erfuhren wir, als wir bei der Alten Prager Hütte ankamen, die von einer großen Herde Schafe umgeben war.  Die Schaffe stürzten sich freudig auf uns und fingen an, uns abzulecken, weil sie nach Salz dürsteten, und wir nach dem Aufstieg auf 2489 Metern vom salzigen Schweiß bedeckt waren.

Denn dort erwartete uns auch die Hiobsbotschaft – die “Neue Pragerhütte” war nämlich aufgrund von Wassermangel geschlossen. Da ich bereits ziemlich müde war, schlug ich vor, dass wir es für heute gut sein lassen sollten, aber mein Vorschlag wurde abgelehnt. Wir gingen weitere dreihundert Höhenmeter zur “Neuen Pragerhütte”, weil sie in Sichtweite war und die anderen Teilnehmer der Expedition, nämlich Vladimír und seine beiden Söhne, betonnten, dass es auf keinen Fall nochmal dreihundert Höhenmeter sein könnte. Doch, sie waren es!!!

Neue Pragerhütte

            Allerdings war der Ausblick von dort oben erstaunlich schön. Wir befanden uns direkt unter dem Gletscher, der immer noch die Hänge des Großvenedigers bedeckt, hoch über seinem Gletschersporn und dem Gletschersee.

Dieser schöne Berg schien zum Greifen nah und ist normalerweise auch erreichbar. Gerade in der “Neuen Pragerhütte”, die im Jahr 1904 erbaut wurde, übernachten Touristen, die den Gipfel des Großvenediger mit einer Höhe von 3657 Metern zum Ziel haben.

Wir bekamen sogar vom “Hüttenwart”, der die verlassene Hütte bewachte, ein Bier in der Dose angeboten (es störte nicht, dass es weder Staropramen noch Pilsner war und dass das Bier bereits drei Jahre über dem Ablaufdatum war). Er bot uns sogar an, dort zu übernachten. Der Aufstieg zum Großvenediger über den Gletscher ist jedoch nur mit einem Bergführer möglich, der natürlich nicht da war. Wir hatten keine Lust in einer Gletscherspalte zu landen und zu neuem „Ötzi“ zu werden. Wir hatten nicht die entsprechende Ausrüstung, und die Vorstellung, am nächsten Tag weitere 900 Höhenmeter hinaufzusteigen (und das im Schnee, was viel anstrengender als Felsen ist) und danach 2000 Höhenmeter hinunterzugehen, stieß auf meinen Selbsterhaltungstrieb. Das müsste nämlich an einem Tag geschafft werden. Und dieser Berg ist auch von unten wunderschön anzusehen, und von der Hütte aus ist er geradezu optisch zum Greifen nah.

            Als wir zurück ins Tal kamen, stellten wir fest, dass das Schild mit der Information, dass die Hütte vorzeitig geschlossen sei, dort stand, nur auf dem anderen Ufer des Gschölbaches, an dem entlang wir am Morgen gegangen waren. Wir wollten nämlich den Menschenmassen entkommen, die der Panoramazug ausgespuckt hatte. Wenn wir das gewusst hätten, wären wir wahrscheinlich auf den Innerer Knorrkogel gegangen – und das wäre ein großer Fehler gewesen. Man muss einfach Glück haben.

            Wir fuhren mit dem Taxi (wie uns der Fahrer sagte, es war die letzte Fahrt) zurück zum „Matreier Tauernhaus“, und wir hatten Hunger. Das Gasthaus bot eine sehr begrenzte Speisekarte *neben dem Schnitzel nur eine Blutwurst), also zögerten wir, aber schließlich entschieden wir uns für vier Wiener Schnitzel, denn dieses Gericht geht immer. Beim Verlassen der Hütte sah ich an der Rezeption einen Prospekt – ein Büchlein, das sich von selbst auf einer Seite öffnete, auf der für die Seilbahn “Kalser Bergbahn” geworben wurde. Und es wurde dort geschrieben, dass sie bis zum 24. September in Betrieb wäre. Ich starrte ungläubig auf diese Information und wagte es nicht zu verstehen, dass uns das Schicksal vielleicht doch mochte. Das dauerte ein paar Minuten, aber meinen Lesern überlasse ich ganze zwei Wochen, um das zu begreifen. Dann werde ich Ihnen erzählen, wie sich unsrer Urlaub durch dieses Büchlein geändert hat.

Graz V

Nun erhebt sich der Felsen des Schlossbergs vor uns. Es gibt mehrere Möglichkeiten, dorthin zu gelangen. Mit der Zahnradbahn vom Hotel Schlossberg, mit dem Aufzug im Inneren des Berges, über die Treppe, die österreichische Pioniere mit Hilfe von russischen Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs errichtet haben, oder auf dem ursprünglichen Weg vom Karmelitenplatz, auf dem die Franzosen im Jahr 1809 elfmal versuchten, die Festung zu erstürmen. Zu dieser Zeit war dies der einzige Zugang zur Festung. Am bequemsten ist es jedoch mit dem Aufzug, der ebenfalls im Jahr 2003 gebaut wurde. An der Ecke des Platzes unter dem Schlossberg befindet sich der Khuenburg-Palast. Hier wurde im Jahr 1863 der Thronfolger Franz Ferdinand d’Este geboren, dessen Tod in Sarajevo am 28. Juni 1914 zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte (übrigens ist eine der Hauptstraßen in Graz nach dem Hauptkriegshetzer im österreichischen Generalstab, Konrad von Hötzendorf, benannt). Die Eltern von Franz Ferdinand, Erzherzog Karl Ludwig und die neapolitanische Prinzessin Maria Annunziata, lebten in Graz noch einige Jahre nach der Geburt des Erstgeborenen, so dass auch der jüngere Bruder von Franz Ferdinand, Otto, der Vater des letzten österreichischen Kaisers Karl, hier geboren wurde.

Gleich nebenan befindet sich der Herberstein-Palast, wo sich das Johanneum-Museum mit historischen Sammlungen zur Geschichte der Stadt befindet. Dieser Palast gehörte einst der Familie Eggenberg und ging durch Erbschaft an die Herbersteins über. Wenn wir den Schlossberg betreten, fällt sofort auf, wie durchlöchert der Berg mit vielen Tunneln ist. Während des Zweiten Weltkriegs dienten sie als zuverlässiger Luftschutz, da Graz als Eisenbahnknotenpunkt in Richtung italienischer Front häufig Ziel alliierter Luftangriffe war. Auch heute werden immer noch nicht explodierte Bomben bei Bauarbeiten gefunden, insbesondere beim Umbau des Bahnhofs war dies ein recht häufiges Phänomen. Heute gibt es im Berg Vortrags- und Hörsäle sowie eine Märchenbahn für Kinder. Während der Fahrt können sie Szenen aus vielen Märchen, einschließlich der Legende, dass der Schlossberg aus einem Stein entstand, den ein wütender Teufel hierhin warf, betrachten. Wenn wir mit dem Aufzug nach oben fahren, steht uns eine Giraffe gegenüber, das Symbol des gastronomischen Imperiums von Julia Schwarz (neben dem Flaggschiff in Andritz gehören ihr auch der Landtagskeller oder das Cafe Promenade im Stadtpark – mit anderen Worten, wo eine Giraffe draußen steht, ist Julia drinnen). Direkt daneben steht der Uhrturm.

Es war der einzige Ort auf dem Schlossberg, der den Bürgern der Stadt gehörte, die sogenannte Bürgerbastei. Die Bürger nutzten dieses Grundstück geschickt und errichteten hier 1561 einen Turm mit einer Uhr – die Zeit kann man von überall in der Stadt beobachten – allerdings muss man bedenken, dass die Zeiger verkehrt sind. Der kleine Zeiger zeigt die Minuten und der große die Stunden. Im Turm befindet sich die “Lumpenglocke”. Eine Glocke, die bei jeder Hinrichtung läutete und angeblich auch bei jenem vorzeitigen Abendläuten läutete, das Andreas Baumkircher zum Verhängnis wurde. Unterhalb des Uhrturms befinden sich die Herberstein-Gärten – wohl der schönste Ort auf diesem Hügel und vielleicht sogar im ganzen Graz.

Der Garten wurde von den Grafen von Herberstein angelegt und gepflegt und war lange Zeit nur von ihrem Palast in der Stadt über einen heute unzugänglichen Gehweg erreichbar. Die Gärten sind seit 1930 für die Öffentlichkeit zugänglich und verdienen ihren Namen “Hängende Gärten von Graz” wirklich. Selbst Semiramis würde vor Neid erblassen. Von hier aus hat man den atemberaubendsten Blick auf die Stadt unter diesem Garten – ein Ort, an dem kaum jemand widerstehen kann, ein Foto zu machen. An den Garten schließt sich das Cerrini-Schlösschen an. Karl Freiherr von Cerrini verteidigte tapfer die exponierte Bastion im Kampf gegen die Franzosen und durfte sich 1820 hier ein Haus bauen.

Wenn man unter die Schossbergmauern hinabschaut, sieht man eine Statue eines Hundes.

Mit diesem Hündchen ist eine Legende verbunden. Kaiser Friedrich versprach einst seine schöne Tochter Kunigunde dem ungarischen König Matthias. Die Beziehungen zwischen den beiden Herrschern verschlechterten sich jedoch im Laufe der Zeit erheblich. Friedrich wollte dem ungarischen König Burgenland nicht zurückgeben (und auch nicht die ungarische Königskrone, die heimlich von Königin Elisabeth, der Mutter von König Ladislaus Postumus, nach Wien gebracht wurde). Es kam zum Krieg und Matthias eroberte sowohl Wien als auch die Steiermark. Friedrich versteckte die damals fünfzehnjährige Kunigunde auf dem Schlossberg, aber die Ungarn erfuhren von ihrem Versteck. Ein Spezialkommando sollte in die Festung eindringen und die kaiserliche Tochter entführen. Aber der kleine Hund an den Mauern schnüffelte „das Ungarische“ und begann wütend zu bellen. Sein Gebell weckte das Interesse des Wachkommandanten Ulrich von Graben. Er sah die Ungarn, die versuchten, über die Mauern hochzuklettern. Die Ungarn wurden erfolgreich zurückgeschlagen und Kunigunde gerettet. Ob sie sich lange darüber freute, ist unbekannt. Friedrich verheiratete sie mit Herzog Albrecht IV. von Bayern, der angeblich gewalttätig war. Sie gebar ihm jedoch acht Kinder.

Auf dem Weg nach oben kommen wir an dem Türkenbrunnen vorbei.

Er wurde angeblich von türkischen Gefangenen auf Anweisung des Architekten Domenico d’ Allio gegraben. Es war eine schreckliche Arbeit, man musste sich bis zum Grundwasser vorarbeiten, also auf das Niveau des Mur-Wasserspiegels, und der Brunnen hat daher eine Tiefe von 94 Metern. Über dem Brunnen erhebt sich die Stahlbastei, der eindrucksvollste Teil von d’Allios Befestigungsanlagen.

Spätestens jetzt müssen wir über die berühmteste Schlacht sprechen, die hier ausgetragen wurde. Im Jahr 1809 kam es zu einem Krieg zwischen den Alliierten und Napoleon und Graz wurde zu einem wichtigen Schlachtfeld dieses Krieges. Die Kämpfe verlagerten sich von St. Leonhard, das völlig zerstört wurde, bis zum Schlossberg, den Major Hackher mit 896 Soldaten und 17 Offizieren verteidigte.

Schlossberg im Jahr 1809

Weder das Bombardement durch die französische Artillerie noch wiederholte Angriffe brachten die Verteidiger zur Kapitulation. Napoleon war so wütend über dieses Scheitern, dass er im Frieden von Pressburg nach der Niederlage Österreichs in der Schlacht von Wagram festlegte, dass die Festung zerstört werden müsse. Am 15. November 1809 begannen die Sprengungsarbeiten in der Festung. Nur der Uhrturm, der Glockenturm, den die Grazer Bürger von den Franzosen für 2978 Gulden und 41 Kreuzer freikauften

(warum gerade so eine Summe und nicht runde 3000 Gulden, kann ich nicht ahnen, entweder konnten die Grazer Bürger wirklich nicht mehr Geld zusammenbringen oder haben die Franzosen von den verlangten Summe den Preis für den ersparten Schießpulver abgezogen), und die Stahlfestung überstanden die Zerstörung. Letztere überstand alle Versuche, sie zu sprengen, sodass die Franzosen schließlich ihre Bemühungen, sie in die Luft zu jagen, aufgeben mussten. Domenico d’Allio leistete gute Arbeit. Übrigens übernahm nach dem Tod von d’Allio Sallustio Peruzzi die Arbeiten an der Befestigung des Schlossbergs, dessen Vater Baltasar nach dem Tod von Raphael Santi den Bau des Petersdoms in Rom leitete. Graz konnte sich nie über einen Mangel an italienischen Spitzenarchitekten beschweren, die bereit waren, es zu verschönern oder zu befestigen.

In der Stahlbastei befand sich die “Eiserne Jungfrau”. In diesem Sarg mit eisernen Spitzen wurden besonders schwere Verbrecher hingerichtet. Der Verurteilte wurde hineingestoßen, die Truhe wurde verschlossen, wodurch ihn die eisernen Spitzen an vielen Stellen durchbohrten. Dann öffnete sich der Boden der Truhe, und die Leiche fiel tief in die Fundamente der Festung. Einer Legende zufolge soll auch der Gründer des Ruhms der Eggenberg-Familie, Balthasar, auf diese Weise hingerichtet worden sein. Balthasar war zu Lebzeiten Friedrichs III. der Münzmeister von Innenösterreich. Wie ich schon mehrmals erwähnt habe, kämpfte der liebe Kaiser ständig mit finanziellen Schwierigkeiten und machte Schulden, wo immer er konnte. Balthasar half ihm, das Problem im Grunde genommen auf moderne Weise zu lösen – durch die Inflation. Die von ihm geprägten Münzen enthielten immer weniger Silber, bis sie zu wertlosen Metallstücken wurden. Die Schuldner freuten sich, die sparsamen Menschen weinten. Aber sie weinten nicht nur, sondern waren auch wütend. Balthasar rettete sich vor ihrem Zorn, indem er nach Ungarn zum König Matthias floh. Auch der ungarische König hatte finanzielle Probleme, und Balthasars Methode, Schulden loszuwerden, gefiel ihm auch gut. Als Belohnung erhob er den Grazer Bürger in den Adelsstand und verlieh ihm ein Wappen, auf dem drei Raben (das Wappentier von König Matthias) eine königliche Krone in ihren Schnäbeln tragen. Balthasar fühlte sich nun unantastbar und kehrte nach Graz zurück, wo er sofort verhaftet wurde und im Gefängnis starb. Ob er in jener eisernen Jungfrau umgebracht wurde, ist nicht bewiesen, aber die Legende besagt es.

Von der Stahlbastei gelangt man zum chinesischen Pavillon – einem Artefakt aus der Romantikzeit, als etwas Orientalisches einfach überall stehen musste – und dann zum Kanonenbastei hinauf. Dort standen einst vier Kanonen, die Warnschüsse abgaben, wenn sich der Feind der Stadt näherte oder wenn in der Stadt ein Feuer ausbrach. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt, heute befindet sich jedoch das “Schlossberg Museum” hier, und daher muss man für den Ausblick bezahlen. An der oberen Seilbahnstation und dem Glockenturm vorbei gelangen wir schließlich auf das höchste Plateau der Festung. Hier befinden sich die Kasematten, ehemaliges Gefängnis, heute ein Konzertsaal. Früher waren hier auch sehr prominente Gefangene inhaftiert, Grafen, Feldmarschälle oder sogar der Bischof Nadasdy. Aus den Zellen wurden Logen gemacht, die übrigen Zuhörer bevölkern den Boden der Kasematten, und das Beste ist, dass diejenigen, die keine Tickets bekommen haben, sich im Park zwischen den Bäumen hinlegen und Musik hören dürfen – auch wenn sie die Musiker nicht sehen können. An den Ecken des Plateaus befinden sich Metallplatten, die die Richtungen zu beinahe allen wichtigen Städten Europas anzeigen. Es fehlt nur eine – Prag. So viel also zu den harmonischen Beziehungen zu unserem nördlichen Nachbarn.

Am nördlichen Ende der Festung zeigten Ausgrabungen den gotischen Teil der Festung, wie er aussah, bevor Domenico d’Allio seine Arbeit aufnahm. Über diesen Ausgrabungen erhebt sich der Hackherlöwe.

Da kein Bild des tapferen Festungskommandanten erhalten geblieben ist, wurde beschlossen, sein Heldentum zum hundertsten Jubiläum im Jahr 1909 mit einem Metalllöwen zu ehren. Dieser wurde zwar während des Zweiten Weltkriegs eingeschmolzen, aber dann wieder hergestellt und 1966 an seinen ursprünglichen Platz gebracht.

Der gesamte Schlossberg ist heute ein Park. Nach der Zerstörung der Festung gab es hier ein großes Ruinenhaufen, bis der Baron Ludwig von Welden im Jahr 1838 die Idee hatte, den Hügel in einen Park umzuwandeln. Es war eine großartige Idee, und ihr Urheber wurde dafür auf dem Schlossberg mit seiner Statue belohnt. Beim Abstieg in die Stadt kommen wir am “Französischen Kreuz” vorbei.

Ob an diesem Kreuz ein französischer Unterhändler von den Österreichern hinterhältig erschossen wurde oder ob es sich um den österreichischen Fähnrich Karl König handelte, der von den Franzosen getötet wurde, ist eine Frage der unterschiedlichen Interpretation. In jedem Fall durften bis zu diesem Punkt die Familienmitglieder die Verurteilten begleiten, die zur Vollstreckung seiner Strafe in die Schlossberg-Kasematten gebracht wurden.

Wenn wir zum Karmelitenplatz hinuntergehen, befindet sich links von uns das Paulustor als Teil der ehemaligen Stadtbefestigung. Hier wurden auf Anordnung des Erzherzogs und späteren Kaisers Ferdinand II. am 8. August 1600 “ketzerische” Bücher verbrannt, also alles, was mit dem Protestantismus zu tun hatte. Später stand hier das erste Krankenhaus in Graz. Heute befindet sich in diesem Gebäude die Polizeidirektion.

Hinter dem Tor befindet sich der Stadtpark. Er ist riesig und bildet die grüne Lunge der Stadt. Seine Entstehung verdankt er einem glücklichen Zufall und einem fähigen Bürgermeister. Nach dem Abriss der Stadtmauern wurde das Glacis aufgehoben und zu begehrtem Baugrund umgewandelt. Ein Teil davon wurde jedoch von der Armee als Platz für Paraden und Marschübungen beibehalten und zu diesen Zwecken genutzt. Nach dem Krieg mit Preußen im Jahr 1866 geriet jedoch auch das österreichische Militär in große finanzielle Schwierigkeiten und wollte dieses Grundstück im Stadtzentrum verkaufen. Damals griff der aufmerksame Bürgermeister Moritz Franck ein und kaufte das ganze Grundstück im Jahr 1869 auf. Im Jahr 1872 wurde der Park feierlich eröffnet, seine ältesten Bäume sind daher bereits 150 Jahre alt. Der Bürgermeister verdiente sich mit dieser Tat nicht nur den Aufstieg in den Ritterstand, sondern auch seine Statue, die sich im Park neben einer riesigen Fontäne befindet.

Wenn wir vom Karmelitenplatz zur Sporgasse gehen, passieren wir den Saurau-Palast. Aus dem Dachfenster schaut uns ein hölzerner Türke an, der aus dem Fenster ausgelehnt ist.

Der Legende nach haben die Türken im Jahr 1532 Graz besetzt und die Bevölkerung flüchtete auf den Schlossberg. Ibrahim Pascha, der Kommandant der türkischen Armee, wollte gerade im Saurau-Palast speisen, als die Verteidiger vom Schlossberg eine Kanonenkugel abschossen, die den gedeckten Tisch traf. Daraufhin soll Ibrahim Pascha außer sich vor Wut gewesen sein. Er erklärte, dass er nicht in einer Stadt bleiben würde, in der er nicht in Ruhe essen könne, lehnte sich aus dem Fenster und gab den Befehl zum Abzug aus der Stadt. Bösartige Zungen behaupten außerdem, dass er aufgrund seiner korpulenten Statur im Fenster steckenblieb und die Türken auf den Rückzug aus der Stadt warten mussten, bis der Kommandant etwas abgenommen hatte, damit ihn die Soldaten wieder ins Haus ziehen konnten. Das ist aber nur eine Legende. Tatsächlich haben die Türken Graz nie erobert, und jener Türke im Fenster des Palastes war wahrscheinlich ein Hauszeichen.

Von der Sporgasse biegen wir in die Hofgasse ab, wo sich einst die Münze des Inneren Österreichs befand und wo Balthasar von Eggenberg seine unlauteren Geschäfte betrieb. An der Ecke befindet sich der Palast des Deutschen Ordens und ein Stück weiter der wunderschön geschnitzte hölzerne Eingang des Bäckerei Edegger-Tax.

Franz Tax, der Besitzer der Bäckerei, bat bereits im Jahr 1883 bei einem Besuch von Kaiser Franz Josef, dem er seine Produkte lieferte, um den Titel des Hofbäckers. Der Bitte wurde nicht entsprochen, warum, ist nicht bekannt. Franz Tax war jedoch ein beharrlicher Mensch, und als im Jahr 1888 Kronprinz Rudolf nach Graz kam, versuchte er es noch einmal und hatte diesmal Erfolg. Die Familie Tax backt hier nicht mehr, auch nicht ihre Nachkommen, die Familie Edegger. Der wunderschöne Eingang der Bäckerei steht jedoch seit 1950 unter Denkmalschutz. Die Hofgasse führt uns zum Beginn unserer Stadtführung, zum Dom und zur Burg mit ihren Gärten. Ich denke, ihr seid genauso erschöpft wie ich. Also, obwohl es in Graz noch viel zu besichtigen gibt – zum Beispiel sind wir nur am Opernhaus vorbeigekommen, sowohl am historischen als auch am modernen Gebäude – beenden wir unseren Spaziergang. Diejenige, die noch etwas weiteres besichtigen möchten, ebenso wie diejenige, die von der Wanderung schon mehr als genug haben, bitte ich um Verzeihung.

Graz IV


Wenn Sie bereits vom Spaziergang in der Stadt Graz müde sind, dann geht es mir genauso. Halten Sie durch, bald wird es vorbei sein. Aber es gibt noch viel zu sehen. Und ich verspreche, dass wir das Stadtzentrum nicht verlassen werden, und wir werden keine weiter entfernten Ziele besuchen, wie zum Beispiel das Schloss Eggenberg am Fuße des Plabutsch-Berges, das barocke Juwel der Wallfahrtskirche Mariatrost, das von Kaiser Karl VI., dem Vater von Maria Theresia, im Jahr 1714 erbaut wurde, die Ruine der Burg Gösting mit Jungfrausprung direkt über die Autobahn A9 oder sogar das Zisterzienserkloster Rein, wo die ersten Herrscher der Steiermark bis zum Vater von Friedrich III., Ernst der Eisernen, begraben sind. Bitte besuchen Sie es privat.

Nachdem wir uns also am Mehlplatz erfrischt haben, überqueren wir die Stadt über den Hauptplatz und betreten das Kälberne Viertel. Es ist nach der Vielzahl von Geschäften benannt, deren Stände an den Außenwänden der das Viertel dominierenden Kirche der Franziskaner aufgebaut wurden und wo einmal Rindfleisch verkauft wurde. Heute sind das Souvenirs und Kleider.

In Richtung Fluss befindet sich das kleinste Haus in Graz – in der Neutorgasse 11.

Ich mag dieses Viertel mit seinen zahlreichen Gasthäusern sehr. Zwei von ihnen, “Don Camillo” und “Peppone”, erinnern an den berühmten Roman des italienischen Journalisten Giovanni Guareschi, in dem in einem kleinen Dorf in der Po-Ebene nach dem Zweiten Weltkrieg der katholische Priester Don Camillo und der kommunistische Bürgermeister Peppone um die Gunst der einheimischen Bevölkerung kämpften. Das Franziskanerkloster wurde noch während der Babenberger-Dynastie gegründet – es werden die Jahre 1221, 1230 oder sogar 1241 angegeben. Als sich im Jahr 1517 der Franziskanerorden in Minoriten (Minoritenbrüder) und Franziskaner- Observanten spaltete, fiel die Kirche an die Minoriten. Bereits im Jahr 1571 bot Erzherzog Karl dieses Kloster den Jesuiten an, doch sie erschraken vor dem desolaten Zustand des Gebäudes und “begnügten” sich lieber mit dem Dom. Die Minoriten mussten schließlich ihr Kloster den Observanten überlassen. Der Grund war angeblich das unmoralische Leben der Mönche. Sie gingen nur über die Mur und ließen sich in Sichtweite ihres alten Quartiers das neue, wunderschöne Mariahilf-Kloster errichten. Es ist eines der wenigen rein barocken Gebäude in Graz mit einem prächtigen Barocksaal.

Sowohl Erzherzog Ferdinand als auch der frisch konvertierte Ulrich von Eggenberg trugen zum Bau bei, den der Baumeister des Mausoleums, Giovanni Pietro de Pomis, zwischen 1607 und 1611 geschaffen hat. Ulrich von Eggenberg musste nämlich beweisen, dass er es mit seiner Konversion zum Katholizismus ernst meinte, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Bau hat offensichtlich den steirischen Herrscher Ferdinand so angesprochen, dass er den Architekten beauftragte, das bereits erwähnte Mausoleum neben dem Dom zu errichten. Wenn jemand – wie ich – über die fehlende Logik nachdenken würde, nämlich dass das Mausoleum im Stil des Manierismus erbaut wurde und das einige Jahre ältere Mariahilf-Kloster rein barock ist, liegt das daran, dass das heutige Aussehen des Klosters hundert Jahre jünger ist. Den Mönchen hat ihr Kloster im Gegensatz zu Erzherzog Ferdinand nicht so gut gefallen, und sie ließen es in den Jahren 1742-1744 in die heutige barocke Form umbauen.

In dem Franziskanerkloster – der Pfarrkirche der Himmelfahrt der Jungfrau Maria – befindet sich die schönste gotische Jakobikapelle mit einem vergoldeten Altar. Übrigens wurde dort meine erste Enkelin getauft.

Zwischen den beiden Klöstern steht die Hauptbrücke über den Fluss Mur. Seit 1361 war sie aus Holz und wurde immer wieder von hohem Wasser weggerissen. Erst im Jahr 1889 wurde die heute noch stehende Stahlbrücke errichtet. Ursprünglich war sie mit Metallstatuen von Styria und Austria geschmückt – diese sind heute im Stadtpark ausgestellt. Styria ist eine friedliche Magd, während Austria mit Waffen klirrt.

Im Jahr 1471 war diese Brücke die einzige Überquerungsmöglichkeit über den Fluss, und auf der Stadtseite standen zwei Tore mit befestigten Türmen – das innere und das äußere Tor. Hier fand der berühmte Rebell Andreas Baumkircher sein Ende. Diese wahrhaft legendäre Figur lebte zurzeit Kaiser Friedrichs III. Andreas Baumkircher besaß ausgedehnte Ländereien und einige Burgen im heutigen Burgenland und war sogar eine Zeit lang der Zupan (Landeshauptmann) von Pressburg (Bratislava). Mehrmals half er dem Kaiser persönlich, zum Beispiel als er von der tschechischen Armee belagert wurde, die die Auslieferung von Ladislaus Posthumus forderte. Ladislaus war zwar offiziell der König von Böhmen, befand sich jedoch “unter dem Schutz” Friedrichs in der Wiener Neustadt. Baumkircher lieh dem Kaiser große Geldsummen. Friedrich war jedoch nie besonders gewissenhaft beim Begleichen seiner finanziellen Pflichten und seine Schulden bei Baumkircher wuchsen in schwindelerregende Höhen. Als Andreas die Hoffnung aufgab, seine Gelder auf legalem Weg zurückzuerlangen, erklärte er dem Kaiser “Fehde”, das heißt Krieg. Auf diese Weise konnten Gläubiger gemäß dem mittelalterlichen Recht ihre Forderungen durchsetzen. Dass dabei Menschen starben und Dörfer und Städte brannten, überraschte damals niemanden besonders. In der Steiermark entbrannte ein echter Krieg, bei dem die Rebellen die Städte Hartberg, Feldbach, Fürstenfeld, Maribor und Slovenska Bystrica besetzten, die Städtchen Wildon oder Katsch wurden völlig zerstört und der Konflikt kulminierte in der Schlacht bei Fürstenfeld am 21. Juli 1469. Auf beiden Seiten kämpften erfahrene böhmische Söldner mit husitischer Ausbildung, die kaiserliche Armee wurde vom Hauptmann Jan Holub angeführt, dessen Nationalität ist auch klar. Beide Seiten verwendeten die Taktik der Wagenburg. Die Schlacht war außergewöhnlich blutig und endete mit einem Sieg der Truppen von Baumkircher, als auch Jan Holub schwere Verletzungen erlitt und den Rückzug befehlen musste. Allein auf Seiten der Sieger gab es angeblich 300 Tote und 500 Verwundete.

Nach dieser Niederlage erkannte der Kaiser, dass er den Aufstand militärisch nicht unterdrücken konnte, und bot Baumkircher Verhandlungen an. Am 23. April 1471 kamen Andreas Baumkircher und sein Freund Andreas von Greisenegger mit einem Schutzbrief nach Graz, der bis zu der Vesper gültig sein sollte. Die Verhandlungen auf dem Schlossberg zogen sich jedoch hin, der Kaiser musste natürlich sowohl am Vormittag als auch nach dem Mittagessen ausschlafen (nicht umsonst nannte man ihn Erzschlafmütze), und als es der spätere Nachmittag war, bat Baumkircher um eine Verlängerung des Schutzbriefes. Als dies abgelehnt wurde, begann er einen Hinterhalt zu ahnen. Er brach die Verhandlungen ab, aber seine Pferde waren vom Schlosshof verschwunden. Die Ritter rannten zum Tor, und sie hätten es vielleicht geschafft, aber der Kaiser, der ihre Flucht beobachtete, ließ die Vesper eine Viertelstunde früher läuten. In dem Moment, als beide Ritter zwischen dem inneren und äußeren Tor waren, fielen die eisernen Gitter an beiden Toren herab, und sie befanden sich in der Falle. Ihre tapfere Verteidigung half ihnen nicht. Sie wurden gefangen genommen und noch am selben Tag hingerichtet, laut der Legende genau an jener Stelle zwischen den beiden Toren mit Blick auf die Brücke und das gegenüberliegende Ufer, wo die Rettung in Form von Baumkirchers Männern wartete.

Gleich auf der anderen Seite des Flusses befindet sich das Kunsthaus.

Mit seinem unkonventionellen Aussehen konnten sich die Bewohner von Graz, und nicht nur sie, lange Zeit nicht abfinden. Die Stadt versuchte den Unmut mit dem Spitznamen „Friendly Alien“ zu besänftigen. Die Bürger gaben dem Gebäude den Spitznamen “Krake”, aber sie gewöhnten sich allmählich daran. Es wurde sozusagen zum steirischen Eiffelturm. Auf jener rechten Flussseite befinden sich die schönsten Jugendstilhäuser, in denen einst die jüdische Gemeinde lebte. Die alte Synagoge wurde in der Kristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nazis zerstört, die neue wurde an derselben Stelle im Jahr 2000 eröffnet. Die Uferpromenade wird von den Hotels Weitzer und Wiesler dominiert. Das Fünfsternhotel Weitzer hat bereits Mick Jagger, Dalai Lama oder Jennifer Lawrence beherbergt. Arnold Schwarzenegger soll sogar eine Suite für seine Besuche in seiner Heimatstadt langfristig gemietet haben. Hinter den Hotels befindet sich das Kloster der Barmherzigen Brüder mit einem Krankenhaus. Die Mönche des Ordens, den der portugiesische Abenteurer Johann von Gott im Jahr 1539 gegründet hat, wurden im Jahr 1615 von den Erzherzögen Ferdinand und Maximilian nach Graz eingeladen. Es war ihr zweiter Wirkungsort auf habsburgischem Gebiet, der erste befand sich seit 1605 im mährischen (damals allerdings noch österreichischen) Valtice (Felsenberg). Dieser Orden reformierte die medizinische Versorgung und das angesehene Krankenhaus befindet sich dort bis heute. Genauso wie im nahegelegenen Haus des Elisabethinen-Ordens – der Turm ihrer Kirche ist weiß im Gegensatz zum gelben der Barmherzigen Brüder. Im Turm der Kirche der Barmherzigen Brüder befindet sich eine Kuriosität – die Schiffsglocke des österreichischen Kriegsschiffs “SMS Tegetthoff”. Es war das Flaggschiff der österreichischen Marine in der einzigen Seeschlacht, die Österreich je gewonnen hat – natürlich gegen Italien. Die Schlacht fand 1866 bei Lissa statt. Die Glocke hatte eine bewegte Geschichte. Zuerst wurde sie nach der österreichischen Kapitulation im Jahr 1918 den Italienern übergeben. Im Jahr 1942 wurde sie auf den schweren Kreuzer “Prinz Eugen” verlegt und im Jahr 1945 nach Kiel gebracht, um in Sicherheit zu sein. Dort blieb sie in einer Marineschule bis 1973, als sie ihren Platz im Turm der Kirche der Barmherzigen Brüder in Graz erhielt.

Auf der linken Muruferseite können wir über die Brücke oder über die Murinsel zurückkehren – eine künstliche Insel, die anlässlich von Graz als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2003 geschaffen wurde. Achten Sie darauf, die Toilette auf dieser Insel zu besuchen! Die Spiegel sind so gemein angeordnet, dass es recht schwierig ist, die Toilette wieder zu verlassen.

          Ich habe wirklich gehofft, den Spaziergang durch Graz heute beenden zu können. Allerdings haben wir heute schon mehr als genug gesehen und gelesen. Gönnen wir uns also noch eine zweiwöchentliche Pause, bis unser Besuch von Graz endlich zu Ende geht.